Mir gefällt die Darstellung der neorealistischen Position mit der Figur der Leinwand sehr. Es geht beim Realismus um ontologischen und epistemologischen Pluralismus und das muss man ihm zugutehalten. Er verteidigt die Vielfalt der Dinge auch gegen Vereinnahmungen von jeglicher Seite, z.B. vonseiten der Naturwissenschaften, und rät dringend, an die spezifischen Dinge mit den für diese Dinge passenden Erkenntniswerkzeugen heranzutreten.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Do 17. Sep 2020, 07:33
Die Leinwände entsprechen dabei vielen verschiedenen "Ordnungen": die Wirklichkeiten sind bunt.
Wir müssen aber auch sehen, dass der Realismus jene Position ist, die behauptet, von Tatsachen abziehen zu können, was allein wahr über etwas ist. Im Feld moralischer Fragen postuliert der Realismus, dass es eindeutige Wahrheit gibt und stellt divergierende Ansichten als falsche dar. Das geht gegen einen Meinungspluralismus, denn gerade Meinungen, Bewertungen, Ansichten will der Realismus nicht zugestehen, dass sie Wahrheit begründen können, resp. nur insofern sie übereinstimmen mit der absoluten Wahrheit.
Und ich meine, das dies bspw. weder in der Philosophie so funktionieren kann noch in der Politik, dass man mit Bezug auf Moral setzt, was als wahr zugelten hat und dadurch definiert, was als falsch zu gelten habe. Auch geht das im Bereich der Ästhetik nicht, dass man sagt, etwas sei an und für sich schön und man habe sich bloss an der Sache zu vergewissern, dass es sich so verhält. Das geht deshalb nicht, weil die Sache selbst - ontologisch gesehen - vielfältig ist und der individuelle Aspekt des Draufsehens Teil des Phänomens ist. Die Bewertung, die Ansicht und die Draufsicht haben Legitimation, wenn es darum geht, in das Phänomen als solches als einer seiner vielen und unzähligen Kontexte einzufliessen.
Kurzum: Wenn die Sache selbst entscheiden soll über Wahrheit, dann bleibt dem Subjekt im besten Fall der Nachvollzug von durch die Sache selbst etablierter Richtigkeit, wobei er im wahrsten Sinn gegenüber der Sache als subiectum auftritt - als Untergeordneter. Es stimmt, dass das Subjekt deshalb irren kann, weil es objektive Wahrheit gibt, aber es gibt auch Sachverhalte, deren Wahrheitsfähigkeit ohne soziale, geschichtliche und subjektive Implikationen gar nicht gegeben ist - dass es also Objektivität gewisser Dinge nicht gibt ohne Subjekte. Blendet man das einfach aus und postuliert ein Sosein dieser Dinge an und für sich, degradiert man alle divergierenden Meinungen, die dieses Sosein betreffen, zu irrigen, fehlerhaften Ansichten und erkennt nicht an, dass sie Teil der Wahrheit sind, die diese Sachverhalte betreffen: Das gilt
für politische, soziale und natürlich auch für philosophische Sachverhalte: dass die Empfindungen der Menschen, ihre Ansichten etc. als Aspekt des Soseins der Sachverhalte, als Kontexte oder aber als Konstituenten, mit diesen Sachverhalten verwoben sind.
Man muss, so denke ich, Philosophie optimistisch betreiben und ihr Fortschritt begreifen als Zurückgehen hinter die Position klarer Verhältnisse. Klarer Grenzen. Eindeutiger Begriffswahrheiten oder Definitionen. Man sollte sie betreiben als ein inklusives Bestreben, durch welches Meinungsunterschiede nicht mit scharfen Argumenten bekämpft werden, sondern wo sie sich austarieren lassen durch ihre Vielstimmigkeit. Als Konzert vielleicht, wie es Nauplios vorschlug, bei dem jeder ein Nötchen mitzuspielen hat. Mögen Andere und Spätere dann befinden, ob es gut klang oder nicht.