Der kleine Prinz - eine Entzauberung?

Raum für Besprechung von Romanen, Gedichten und Geschichten
Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Mi 7. Mär 2018, 19:08

"Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupery.
Eines der meistgelesenen Bücher der Welt.
Das Urheberrecht ist erloschen und seit dem gibt es etliche neue Übersetzungen.
Die bekannteste alte Übersetzung ist von Grete und Josef Leitgeb, diese Übersetzung erscheint im Karl Rauch Verlag. Meine Ausgabe im Regal ist diese Übersetzung. Ich nenne diese Übersetzung einfach mal die Originalübersetzung.
Diese Übersetzung findet sich im Internet als PDF Datei. Der Link geht direkt als PDF auf, den Link habe ich nicht geschafft zu kopieren.
Eine neue Übersetzung aus 2015 ist von Hans Magnus Enzensberger.
Diese gibt es nicht online, auch ich habe die gesamte Übersetzung nicht als Buch vorliegen. Aber es gibt online Materialien für den Deutschunterricht, die diese neue Übersetzung zitieren. Meine Zitate entstammen "Lesen in der Schule mit dtv Junior. "

Ich habe einige bekannte Passagen verglichen. Einige stelle ich hier in loser Folge vor.

Es stellt sich die Frage, ist die neue Übersetzung eine Neuinterpretation oder ist es die Entzauberung des kleinen Prinzen?



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Mi 7. Mär 2018, 19:18

DAS Zitat aus "Der kleine Prinz"

Originalübersetzung:
Adieu sagte der Fuchs. Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Neuübersetzung:
Leb wohl erwiderte der Fuchs. Willst du mein Geheimnis hören? Es ist ganz einfach: man begreift gar nichts, wenn das Herz nicht dabei ist. Das, worauf es ankommt, ist mit bloßem Auge nicht zu sehen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Mi 7. Mär 2018, 19:35

Beim kleinen Prinzen wunderte man sich, warum das Buch in Deutschland so überaus erfolgreich war, in anderen Ländern aber wohl nicht.
Es hieß dazu, das Buch sei an sich gar nicht so sensationell, aber die deutsche Übersetzung sollte hervorragend sein.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Mi 7. Mär 2018, 20:10

Originalübersetzung:
Man kennt nur die Dinge, die man zähmt, sagte der Fuchs.

Neuübersetzung:
Nur indem man die Welt zähmt, kann man sie entdecken, sagte der Fuchs



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mi 7. Mär 2018, 20:34

Nun, das Original ist viel prägnanter und zitierfähiger. Aber warum "Entzauberung"? Weil die neue Übersetzung gegenüber der alten so abfällt?




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Mi 7. Mär 2018, 20:54

Na ja, zum einem ist mir selbst nach einer Stunde überlegen nichts besseres eingefallen.
Und zum anderen hat das Buch einen gewissen Zauber inne, und nach den neuen Übersetzungen fragte ich mich, ob das auch an der deutschen altbekannten Übersetzung liegt und was passiert, wenn die bekannte Geschichte in eine vermeintlich modernere Sprache erzählt wird. Ist der Zauber dann weg?



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Mi 7. Mär 2018, 21:08

Stefanie hat geschrieben :
Mi 7. Mär 2018, 19:18
DAS Zitat aus "Der kleine Prinz"

Originalübersetzung:
Adieu sagte der Fuchs. Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Neuübersetzung:
Leb wohl erwiderte der Fuchs. Willst du mein Geheimnis hören? Es ist ganz einfach: man begreift gar nichts, wenn das Herz nicht dabei ist. Das, worauf es ankommt, ist mit bloßem Auge nicht zu sehen.
Das Originalzitat sieht und liest man bei allen möglichen Gelegenheiten, in Traueranzeigen, bei Hochzeiten, und Geburten.
Das Sehen wird angesprochen, die neue Übersetzung verwendet "begreift".
Sehen hier, begreifen dort.
Ist das nicht auch ein inhaltlicher Unterschied, oder ist der neue Text einfacher, weil ohne Umweg über das Sehen, dass benannt wird, um was es geht, nämlich verstehen und begreifen?

Mir persönlich ist die neue Übersetzung zu "hart" und deshalb nicht so zauberhaft wie der alte Text.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Rosita
Beiträge: 271
Registriert: Sa 30. Dez 2017, 00:23
Wohnort: Spanien

Mi 7. Mär 2018, 22:23

Stefanie, ich verstehe Dich. Ich finde die alte Übersetzung auch zauberhaft, mystisch.



Jeder Mensch hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten!

Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Do 8. Mär 2018, 14:03

Der Kick, der Zauber liegen sicher in der Übertragung des Sehens vom Auge auf das Herz. Bestimmt gibt es für diese metaphorische Figur einen Fachausdruck. Denn eigentlich kann man mit dem Herzen nicht sehen. Man ist also für einen Moment irritiert, muß die Lücke selber füllen ... wie Du sagst, @Stefanie, den "Umweg" erst denken.

Und das "Wesentliche" transportiert automatisch Tiefe und Größe, während "das, worauf es ankommt" eher umgangssprachlich gebraucht wird.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 8. Mär 2018, 14:09

Friederike hat geschrieben :
Do 8. Mär 2018, 14:03
Und das "Wesentliche" transportiert automatisch Tiefe und Größe, während "das, worauf es ankommt" eher umgangssprachlich gebraucht wird.
Das "Wesentliche" ist vor allem wesentlich kürzer. Oft ist es "das, worauf es ankommt". :-)




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Do 8. Mär 2018, 16:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 8. Mär 2018, 14:09
Das "Wesentliche" ist vor allem wesentlich kürzer. Oft ist es "das, worauf es ankommt". :-)
Das "Wesentliche" trägt noch entfernt den Geruch seiner Herkunft, die Metaphysik. Das gibt dem Wort sein Gewicht. "Das, worauf es ankommt" ... hat so nichts Ehrwürdiges im Gepäck.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 8. Mär 2018, 16:45

Das stimmt schon. Allerdings kann dein Eindruck richtig sein, ohne dass meiner falsch ist - und umgekehrt :-)




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Do 8. Mär 2018, 18:09

Jörn hat geschrieben : Das "Wesentliche" ist vor allem wesentlich kürzer. Oft ist es "das, worauf es ankommt". :-)
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 8. Mär 2018, 16:45
Das stimmt schon. Allerdings kann dein Eindruck richtig sein, ohne dass meiner falsch ist - und umgekehrt :-)
Hm, hauptsächlich Deine erste Aussage würde ich gar nicht als "Eindruck" bezeichnen. Das "Wesentliche" ist kürzer als "das, worauf es ankommt". Darüber gibts nix zu streiten. :lol: Und die zweite Aussage ... ist eigentlich auch kein "Eindruck". In der Alltagssprache gebraucht man beide Wörter bzw. Wort und Redewendung oft synonym. Ist meine Aussage ein Eindruck? Vielleicht schon eher. Lassen wird das, "darauf kommt es nicht an" bei der Entzauberung durch Sprache. 8-)




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Do 8. Mär 2018, 20:05

Ich glaube, ich muss mir die neue Übersetzung von Enzensberger kaufen. Wie es scheint, wurde das Kapitel mit dem Fuchs ziemlich anders übersetzt.
Also die Fuchs Episode muss noch was warten.

Die von mir genannte Originalübersetzung ist aus den 50 ziger Jahren. Allein aus diesem Grund wurde die Sprache angepasst, z.b. aus Knabe wurde Junge.
Auch soll die moderne Sprache die heutigen Kinder besser ansprechen. Hmm.

Ist Der kleine Prinz ein reines Kinderbuch?



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Do 8. Mär 2018, 20:12

Originalübersetzung:
Ja sagte ich zum kleinen Prinzen, ob es sich um das Haus, um die Sterne, oder um die Wüste handelt, was ihre Schönheit ausmacht, ist unsichtbar!

Neue Übersetzung:
Ja sagte ich zu dem kleinen Prinzen, ganz gleich, ob sich um ein Haus handelt, um die Sterne oder um die Wüste - immer ist es das Unsichtbare, was ihre Schönheit ausmacht!



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 9. Mär 2018, 17:21

Stefanie hat geschrieben :
Mi 7. Mär 2018, 19:18
DAS Zitat aus "Der kleine Prinz"

Originalübersetzung:
Adieu sagte der Fuchs. Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Neuübersetzung:
Leb wohl erwiderte der Fuchs. Willst du mein Geheimnis hören? Es ist ganz einfach: man begreift gar nichts, wenn das Herz nicht dabei ist. Das, worauf es ankommt, ist mit bloßem Auge nicht zu sehen.
Französisches Original hat geschrieben : Adieu, dit le renard. Voici mon secret. Il est très simple : on ne voit bien qu’avec le cœur. L’essentiel est invisible pour les yeux.
Übersetzung von deepl hat geschrieben : Auf Wiedersehen, sagte der Fuchs. Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man kann nur mit dem Herzen gut sehen. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 9. Mär 2018, 17:22

Stefanie hat geschrieben :
Mi 7. Mär 2018, 20:10
Originalübersetzung:
Man kennt nur die Dinge, die man zähmt, sagte der Fuchs.

Neuübersetzung:
Nur indem man die Welt zähmt, kann man sie entdecken, sagte der Fuchs
Französisches Original hat geschrieben : On ne connaît que les choses que l’on apprivoise, dit le renard.
Übersetzung von deepl hat geschrieben : Wir wissen [/kennen] nur, was wir zähmen, sagt der Fuchs.




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Fr 9. Mär 2018, 17:52

Danke. Hmm, interessant. Ich kann leider die französische Sprache nicht.

Ich habe mir heute Nachmittag den kleinen Prinzen in der Übersetzung von Enzensberger gekauft. Im Bus habe ich etwas quer gelesen und eben von vorne angefangen. Es ist etwas verwirrend.
Mancher Satzbau ist anders, dass irritiert nicht so sehr. Einzelne Wörter sind anders.
Die großen Leute heißen jetzt Erwachsene, aus Farbstift wurde Buntstift. Der Titel des Buches, von dem der Erzähler am Beginn erzählt, heißt in der alten Übersetzung "Erlebte Geschichten" in der neuen Übersetzung "Wahre Geschichten".
Mal schauen wie es weitergeht.

Ich denke, es wird wohl unterschiedliche Reaktionen geben, je nach dem wie man mit dem Buch verbunden ist. Ich kenne es sehr gut, bin gerade mal auf Seite 11 der neuen Übersetzung und bleibe andauernd hängen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Mo 12. Mär 2018, 15:59

Stefanie hat geschrieben :
Fr 9. Mär 2018, 17:52
Ich denke, es wird wohl unterschiedliche Reaktionen geben, je nach dem wie man mit dem Buch verbunden ist. Ich kenne es sehr gut, bin gerade mal auf Seite 11 der neuen Übersetzung und bleibe andauernd hängen.
Zur Verbundenheit fallen mir die biblischen Texte und das Credo ein. Gefressen und verdaut (lat. "ruminare", was sich vornehmer anhört :lol: ) habe ich die Lutherübersetzung sowie das nicht ökumenische Glaubensbekenntnis. Ob die Übersetzung jeweils nah an der Originalsprache ist, ob die dt. Wörter völlig veraltet und unverständlich sind ... es ist mir gleich. Ich hänge an den Formulierungen, wie ich sie zuerst gelesen und gehört habe, wie ich sie auswendig im Schlaf vor mir hersagen kann.

Zu einer sachgerechten Beurteilung muß man natürlich andere Kriterien heranziehen als die Vertrautheit mit einer bestimmten Übersetzung. Das ist klar.

Den kleinen Prinzen habe ich nur ein einziges Mal gelesen. Insofern sind mir alle Übersetzungen unvertraut. Ich glaube, manche Reaktionen kann man gar nicht richtig begründen. Warum hat das Wort "Farbstift" für mich einen schöneren Klang als das Wort "Buntstift"? Ah, es könnte daran liegen, das wäre ja nun das Gegenteil von dem, was ich zuerst sagte, daß mir das Wort "Farbstift" deutlich weniger geläufig ist als "Buntstift". Der Buntstift ist der Alltagssprache entnommen, während der mir fremdere Farbstift einfach durch die Fremdheit poetisch vorkommt.




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Di 13. Mär 2018, 17:07

Rosita hat geschrieben :
Mi 7. Mär 2018, 22:23
Stefanie, ich verstehe Dich. Ich finde die alte Übersetzung auch zauberhaft, mystisch.
Ob es sich auf "Der kleine Prinz" übertragen läßt, das kann ich nicht beurteilen, aber ich bin sicher, weil es mir mit manchen Gedichten so geht, daß sich Jörns Aussage zu den Bildern (ich zitiere aus "eritis sicut deus") grundsätzlich auch auf Texte übertragen läßt:
Jörn hat geschrieben : Bilder sind manchmal rätselhaft. Dennoch sind es keine Bilderrätsel, die man auflösen kann. Wenn doch, wenn sie sich unserem Drängen, sie zu verstehen, also nicht mehr verschließen und ihr Geheimnis preisgeben, dann landen sie im Keller.
Der Zauber liegt darin, daß man meint, es gäbe auch nach oftmaligem Lesen immer noch ein zu lüftendes Geheimnis. Man darf den Text nicht vollständig entschlüsseln, sofern man den Zauber bewahren möchte.




Antworten