"Die Fremden" Shakespeare

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Stefanie
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Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Mo 17. Sep 2018, 19:10

Bisweilen findet frau interessante Bücher. Diesmal ein in vielfältiger Weise interessantes kurzes Taschenbüchlein. Es kostete als preisreduziertess sog. Mängelexemplar 3 Euro.

Es handelt sich um dieses Buch:
https://www.dtv.de/buch/william-shakesp ... den-14555/

Der Einband ist deutlich. Man beachte auch den roten Aufkleber.
Es gibt kein Stück von Shakespeare mit dem Titel Die Fremden.
Was es gibt, ist ein Theaterstück über Thomas Morus, welches von verschiedenen Autoren verfasst wurde, und ein Teil dieses Stücks - die Handschrift D - wird Shakespeare zugeschrieben. Es geht um eine Rede, die Morus gehalten hat, um Übergriffe gegen Flüchtlinge zu verhindern.
Da ich tippfaul bin, hier gibt es mehr Infos, auch mit Textauszügen.

https://www.zeit.de/kultur/literatur/20 ... t-toleranz
Und
https://www.welt.de/kultur/literarische ... -sagt.html

Es gibt etliche Stimmen, die dem dtv Verlag schon fast unlautere Motive unterstellen. Aus Gründen des Marketing den Einband so zu gestalten, die Titelwahl, um mit der Flüchtlingskrise Geld zu machen.
Das Vorwort ist der moralische Zeigefinger präsentiert mit dem Vorschlagshammer. Selbst mir ist das zu viel.

Der eigentliche Text und das Nachwort des anerkannten Übersetzers retten das Buch.
Frank Günther führt aus, wie die Rede aufgebaut ist. Sie ist rhetorisch excellent, und entspricht dem damaligen Zeitgeist. Was für Shakespeare als Autor spricht. Die Rede wird oft reduziert auf die Anwendung der goldenen Regel. Was ihr wollt, das man euch tut. Dieser empathische mitfühlende Teilist aber nur ein Aspekt der Rede.
Morus geht es nicht vorrangig um die Flüchtlinge, sondern hauptsächlich darum, die Ordnung wiederherzustellen, und den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit wiederherzustellen. Gegen den König zu handeln, ist ein handeln gegen Gott. Morus geht es um Gehorsam. Dann erst um die Flüchtlinge.

Die Rede ist so, dass man sich fragt, ob die angewendete Rhetorik nicht auch in unserer Zeit bei der Argumentation gegen Hass, Radikalismus helfen kann.
Günther beschreibt dies so:
Morbus entlarvt das Selbstbild der Bürger als Irrtum. Die Bürger verstehen sich als Opfer der Fremden, sie selbst sehen sich als Vertreter von Recht und Ordnung, die von der Obrigkeit nicht mehr durchgesetzt wird.
Morus dreht dies nun um. Nicht die Fremden sind es, die der Stadt und dem Land Schaden zufügen, sondern die Bürger sind es, die dem Land und sich selbst den größten Schaden zufügen. Es wird dazu mit einem suggestiven Perpektivenwechsel gearbeitet. "Stellt euch mal vor was wäre wenn."

Nebenbei macht Günther auch noch klar, dass man von der Rede, die Shakespeare geschrieben hat, nicht auf die Meinung von Shakespeare schließen kann. Shakespeare hätte auch eine Hassrede schreiben können. Seine Stärke war die Empathie für die Figur.
Er Günther schreibt "Empathie eines Autors mit seiner Figur bedeutet nicht unbedingt, dass der Autor auch deren Standpunkt teilt." Seite 50

https://www.deutschlandfunk.de/handschr ... _id=367119

Trotz allem ein interessantes Buch.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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