Friederike hat geschrieben : ↑ So 5. Apr 2020, 11:10
Alethos hat geschrieben : ↑ So 29. Mär 2020, 12:51
Was ich sagen will: Mag es auch kein Wissen über das Gute geben, weil es keinen Gegenstand gibt, der in platonischer Manier als solch' Gutes erfasst und erkannt werden kann, so bleiben uns wenigstens unsere mehr oder weniger gut fundierten Meinungen darüber, was dieses sein könnte und warum. Wir kommen, anders gesagt, gar nicht umhin, uns in eine Lage zu versetzen, in der es uns plausibel erscheint, dies oder das für wahr zu halten. Und das ist der rationalistische Boden, auf dem die (zugegebenermassen minimale) Hoffnung ihre Überlebensmöglichkeit findet: Dass man es sich herbeireden könne! Performativ und pragmatisch zwar, aber sich doch wenigstens entschieden gegen das Nichts wendend.
Lieber Alethos, ich wollte nicht dazwischengehen und außerdem dachte ich mir, daß ichs vielleicht doch noch verstünde - was aber nicht der Fall. Sag' mal, daß man sich
was herbeireden könne? (irgendetwas für wahr zu halten?) oder liegt die Betonung auf dem "herbeireden"? Dann verstehe ich Deine Äußerung aber genauso wenig, denn Du zeigst auf, daß wir niemals ohne irgendwelche Grundannahmen auskommen. Die aber müssen doch nicht herbeigeredet werden?! Weswegen mir Dein Zusatz "performativ und pragmatisch" ebenfalls nicht klar ist. Du analysierst, wie ich es sehe und wo ist da das pragmatische Moment?
Stellen wir uns eine Situation vor, die wir vielleicht als aporetische bezeichnen würden. Dort steht ein hungernder Obdachloser. Zwei Passanten gehen an ihm vorbei. Beide schauen sich an und fragen sich: Müssen wir ihm helfen? Müssen wir ihm zu essen geben oder ein wenig Geld, damit er weniger leidet? Der eine kommt zum Schluss, es sei geboten, dass man dem hungernden Obdachlosen auf der Strasse hilft. Der andere behauptet das Gegenteil, dass es geboten ist, es nicht zu tun. Wie wollen wir hier zu einer objektiv richtigen Meinung darüber kommen, was geboten ist? Wir können es nicht. Wir können es zumindest dann nicht, wenn wir <Objektvität> so auslegen, als ob sie nur Sachverhalte beträfe, die nichts mit dem zu tun haben, was wir denken, fühlen und tun.
Wenn <Objektivität> so vorgestellt wird, dass sie nur nackte Dingtatsachen umfasst, dann gibt sie keine Antworten darauf, was in einer Situation geboten und verboten ist. Eine solche Objektivität kann nur deskriptiv sein. Aber ist das wirklich ein praktikabler Objektivitätsbegriff? Ist es wirklich sinnvoll, so zu tun, als kämen wir in der Welt als Denkende, Fühlende und Handelnde gar nicht vor? Wir sind Teil von Welt und unsere Ansichten haben einen intentionalen Gehalt, sie haben einen Bezug zur Wirklichkeit. Wenn wir über Sachverhalte zu Ansichten kommen, z.B. über die Frage nachdenken, ob es geboten sei oder nicht, dem Hungernden zu helfen, dann befragen wir ja nicht einfach unser "Inneres", irgend ein Dumpfes Gefühl, sondern wir fragen nach Gründen in der objektiven Welt, die für ein bestimmtes Tun sprechen. Rationalität hat es also nicht einfach mit Meinungen zu tun, sondern mit begründeten Meinungen über die Welt.
Hier wendet der (moralische) Skeptiker ein, dass wir nie über das Meinen hinauskommen. Wir bleiben Nichtwissende, egal, welche Annahmen wir treffen. Denn entweder täuscht uns da ein Täuschergott vor, dass es sich so und so mit den Dingen verhalte, obwohl es nicht so ist. Dann ist Objektivität eine Täuschung und wir können uns nicht auf sie berufen, um unsere Ansichten zu begründen. Oder aber es gibt da tatsächliche eine Objektivität, die wir aber nie erfassen können, weil alle unsere Theorien, um diese Wirklichkeit zu beschreiben, fallibel sind.
Und nun kommt das pragmatische Moment: Auch wenn unsere Ansichten fallibel sind und unsere Theorien unpräzise, in letzter Konsequenz, nicht einmal einen letzten Grund erfassen können, so nehmen wir dennoch an, dass etwas an ihnen wahr ist. Der Skeptiker sagt, Objektivität sei immer ein epistemischer Begriff und unsere Episteme stifteten keine Wahrheit. Aber es ist doch auch für diesen Skeptiker so, dass er sich darauf verlässt, dass ihn der Stuhl tragen wird, wenn er sich auf ihn setzt. Er wird davon ausgehen, dass er vorankommt, wenn er geht. Er fällt nicht ins Bodenlose und ins Grundlose, wenn er die letzten Gründe für seine Ansichten nicht finden kann.
Wir befinden uns also als Menschen in einer pragmatischen Grundsituation, in der wir setzen und annehmen müssen, dass es sich so und so verhält, damit wir in dieser Welt überleben können. Wir müssen Grundannahmen gelten lassen, auch wenn es keine logischen Beweise dafür gibt, dass sie wahr sind, weil es ausreicht, rationale Gründe zu haben, die dafür sprechen, bestimmte Meinungen über die Welt zu haben. Und so verhält es sich auch mit der Frage, ob es geboten oder verboten ist, dem Hungernden zu helfen. Es mag keine Einsicht in die absolut letzten Gründe geben, die dafür sprechen, dem Hungernden zu helfen, aber es gibt sehr wohl rationale und objektive Gründe, die dafür sprechen, und diese sind hinreichende Gründe dafür, so und so zu handeln. Diese Gründe gelten also, weil wir so handeln, als ob sie letztbegründend wären. So wie wir uns setzen, als ob wir wüssten, dass der Stuhl uns trägt. So helfen wir in der Annahme, es sei richtig zu helfen: Weil es sich bewährt hat zu glauben, dass es gut sei.