Ich - Leiden an der aporetischen Existenz

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Friederike
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Di 21. Apr 2020, 15:17

@Jovis, Deinen Ansatz würde ich synthetisierend nennen ... ja, Du meine Güte, :lol: das ist nur ein anderes Wort für Dein Gründegeflecht, mit dem wir ein bißchen Boden unter die Füße kriegen, vielleicht. Synthetisierend gefällt mir einfach, weil es nach schöpferischer Tätigkeit klingt - im Unterschied zum "Analysieren", das eher das Bild einer zerstörerischen Tätigkeit hervorruft. Dies nur ein erster Schritt bei meiner Suche nach Beispielen.




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Jörn Budesheim
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Di 21. Apr 2020, 16:35

Friederike hat geschrieben :
Di 21. Apr 2020, 14:27
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 20. Apr 2020, 20:16
Wenn der Wert des Lebens nicht im Leben selbst liegt, wie sollte denn eine Verlängerung des Lebens auf unendlich etwas bewirken? Oder anders ausgedrückt, warum sollte man von etwas unendlich viel haben wollen, was keinen Wert hat?
Nur um des Argumentes willen, @Jörn. Wie das Leben beurteilt/bewertet wird, bemißt sich daran, ob es ewig dauert oder vergänglich ist, könnte man doch sagen, oder nicht?
Viel von etwas, was keinen Wert in sich hat ... ist nichts. Warum sollte ich von etwas viel haben wollen, was gar keinen Wert hat?




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Friederike
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Di 21. Apr 2020, 19:14

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Apr 2020, 16:35
Viel von etwas, was keinen Wert in sich hat ... ist nichts. Warum sollte ich von etwas viel haben wollen, was gar keinen Wert hat?
Ja, ich hatte falsch gedacht.




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Jovis
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Di 21. Apr 2020, 19:54

Friederike hat geschrieben :
Di 21. Apr 2020, 14:27
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 20. Apr 2020, 20:16
Wenn der Wert des Lebens nicht im Leben selbst liegt, wie sollte denn eine Verlängerung des Lebens auf unendlich etwas bewirken? Oder anders ausgedrückt, warum sollte man von etwas unendlich viel haben wollen, was keinen Wert hat?
Nur um des Argumentes willen, @Jörn. Wie das Leben beurteilt/bewertet wird, bemißt sich daran, ob es ewig dauert oder vergänglich ist, könnte man doch sagen, oder nicht?
Ich weiß gar nicht, ob Schimmermatt dem Leben so wenig oder sogar gar keinen Wert beimisst. Vielleicht hat es für ihn sogar einen sehr hohen Wert - daher auch die Tiefe des Grauens vor seiner Vernichtung. Und erst im zweiten Schritt kommt dann die Volte: "Wenn dieses mein wunderbares Leben so bald wieder vernichtet wird - dann hat es für mich eben gar keinen Wert!"

Ich musste an die Geschichte von dem Philosophen denken, der das Leben erst mit dem Ende bewerten wollte. Solon war das (habe gerade lange danach suchen müssen, nicht dass ihr denkt, dass ich sowas aus dem Ärmel schüttel). Krösus war stolz auf seine Reichtümer und wollte von Solon als der glücklichste Mensch der Welt gepriesen werden. Aber Solon war der Ansicht, dass das Leben so viele Wechselfälle bereit halte und man deshalb erst am Ende des Lebens beurteilen könne, ob es ein glückliches gewesen sei oder nicht. Diese Geschichte hat mich schon immer geärgert, denn auch sie misst einer Sache nur dann einen Wert bei, wenn sie Dauer hat. Aber wenn ich JETZT glücklich bin, dann bin ich das wirklich, egal, ob es morgen immer noch so ist. Genau so andersherum, was vielleicht noch deutlicher ist: Wenn ich JETZT unglücklich bin, dann bin ich das wirklich, auch wenn es mir morgen vielleicht schon wieder besser geht. Warum sollte das eine das andere aufheben?

Und darum sehe ich das so wie Jörn: Der Wert des Lebens liegt im Leben selbst - warum sollte der Tod das ent-werten?

Das hebt zwar nicht die Angst und das Grauen auf, wenn sie einen denn einmal gepackt haben ...
Schimmermatt hat geschrieben :
Mo 20. Apr 2020, 17:40
In meinen Augen bin ich von einer Konsequenz, die sonst kaum jemand zu ziehen bereit ist, vermutlich weil das Grauen nichtdepressive Geister vorzeitig innehalten und nach "gesünderem" Denken suchen lässt, aber das weiß ich nicht und möchte nicht psychologisch spekulieren.
... aber mir (und ich rede jetzt ganz unphilosophisch nur von meiner ganz persönlichen Sicht, um auch nicht über andere psychologisch zu spekulieren) wurde irgendwann immer klarer, dass ich mich in der Falle der Einseitigkeit verfangen hatte. Es ist meiner Meinung nach keine größere Konsequenz, es ist kein klareres, schärferes Denken, wenn ich alles nur unter einem einzigen Gesichtspunkt betrachte, sondern eher ein defizitäres Denken. Leben ist ein Sowohl- als-auch (und noch viel mehr). Ja, ich habe Angst vor dem Tod und finde es skandalös, dass ich sterben muss. Aber auch: ja, dieses Leben VOR dem Tod ist es, worum es geht.




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Jovis
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Di 21. Apr 2020, 19:56

Friederike hat geschrieben :
Di 21. Apr 2020, 19:14
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Apr 2020, 16:35
Viel von etwas, was keinen Wert in sich hat ... ist nichts. Warum sollte ich von etwas viel haben wollen, was gar keinen Wert hat?
Ja, ich hatte falsch gedacht.
Ah, tut mir leid, dass ich dich jetzt trotzdem damit zitiert habe, aber ich habe so lange an meinem Beitrag gesessen, da hatte ich nicht gesehen, dass du dich inzwischen korrigiert hast.




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Jörn Budesheim
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Di 21. Apr 2020, 20:54

Jovis hat geschrieben :
Di 21. Apr 2020, 19:54
Ja, ich habe Angst vor dem Tod und finde es skandalös, dass ich sterben muss.
Das erinnert mich an das alte Forum. Da ging es auch schon um die Frage, inwiefern der Tod ein Skandal ist :)




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Jovis
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Di 21. Apr 2020, 21:54

Ach, das erinnere ich gar nicht mehr. So begleiten einen bestimmte Themen doch über einen langen Zeitraum ...

Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Sehr viel öfter empfinde ich den Tod nicht als Skandal, sondern als großen Trost. Dieses Wissen, dass, was immer einem auch zustößt, nicht ewig sein wird, ist für mich eine große, warme Kraft zum Weiterleben. Die Ewigkeit hat für mich eher etwas Bedrohliches.




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Jörn Budesheim
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Mi 22. Apr 2020, 09:09

Ja, verstehe ich! Mir geht es ähnlich. Wenn wir wirklich ins Chaos und in den Abgrund stürzen, dann ist der Freitod für mich eine Möglichkeit diesem Leiden zu entgehen. Dementsprechend hab ich (natürlich) mehr Angst vorm Sterben als vor dem Tod. Andererseits hab ich Angst vor dem Tod meiner Liebsten, also meiner Frau, den Kindern und Enkelkindern ...




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Jovis
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Mi 22. Apr 2020, 11:08

An den Freitod hatte ich dabei gar nicht gedacht, aber stimmt, der steht uns natürlich auch jederzeit "frei".

Ich dachte eher an den ganz gewöhnlichen Tod, der ganz ohne unser Zutun am Ende eines mehr oder minder langen Lebens kommt. Diese Aussicht empfinde ich manchmal (und ich betone dieses "manchmal"! - wie (fast?) alles hat auch der Tod nicht nur einen Aspekt) wie die tröstliche Gewissheit, dass ich irgendwann wieder "heimkehren" darf. Meinem Verständnis nach ins Nichts, aber da gibt es ja auch viele andere Vorstellungen.




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Jovis
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Mi 22. Apr 2020, 12:17

Friederike hat geschrieben :
Di 21. Apr 2020, 15:17
@Jovis, Deinen Ansatz würde ich synthetisierend nennen ... ja, Du meine Güte, :lol: das ist nur ein anderes Wort für Dein Gründegeflecht, mit dem wir ein bißchen Boden unter die Füße kriegen, vielleicht. Synthetisierend gefällt mir einfach, weil es nach schöpferischer Tätigkeit klingt - im Unterschied zum "Analysieren", das eher das Bild einer zerstörerischen Tätigkeit hervorruft. Dies nur ein erster Schritt bei meiner Suche nach Beispielen.
Ich habe jetzt lange darüber nachgedacht, warum ich spontan das Gefühl hatte, dass "synthetisierend" es nicht richtig trifft. Bzw. schon trifft, aber nicht, wenn man das "fundamentale" Begründen als "analysierend" dazu in Gegensatz stellen will. (Falls ich dich da richtig verstanden habe.)

Ich denke, Begründen besteht aus beidem, aus Analyse und Synthese, sowohl beim "fundamentalen" als auch beim "geflechtigen" Begründen (und wer weiß, welche Möglichkeiten des Begründens es noch gibt). Um den Grund für etwas zu finden, muss ich es ja irgendwie genauer betrachten oder untersuchen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Das kann man vielleicht auch intuitiv machen, aber in irgendeiner Form muss dieser Schritt geschehen, wenn ich vom "Das ist so" zum "Das ist so, weil ..." kommen will. Um dann aber eine Begründung formulieren zu können, muss ich das Geschaute, Untersuchte, Verstandene im Geist irgendwie zusammenfügen, damit es einen mehr oder minder schlüssigen Zusammenhalt hat.

Der Unterschied liegt dann eher darin, ob man dieses Begründen vertikal oder horizontal gestaltet. Wobei es auch hier Überlappungen gibt. Das vertikale, also "fundamentale" Begründen geht in die Tiefe (und anschließend oder eher gleichzeitig auch in die Höhe, denn noch bevor man hier auf das eigentliche "Fundament" gestoßen ist, also den "letzten" oder "ersten" Grund, baut man die gefundenen Gründe ja schon aufeinander auf, begnügt sich also gezwungenermaßen mit der Hoffnung auf ein Fundament, das das Ganze trägt), aber man arbeitet natürlich auch in die Breite, also ins Horizontale, denn anders kann man die Vielfalt des Lebens und den Zusammenhang von Allem mit Allem ja nicht darstellen. Und das horizontale oder "geflechtige" Begründen geht ja nicht nur in die Breite, sondern entwickelt auch eine Tiefen- und/oder Höhendimension, denn so vieles baut ja aufeinander auf, statt nebeneinder zu existieren. Nur dass hier ein "letzter" oder "erster" Grund nicht so entscheidend ist.

Na ja, aber ich will dieses Bild nicht zu sehr ausreizen. Es ist ja nur ein Bild!




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Jörn Budesheim
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Mi 22. Apr 2020, 20:26

Motto eines Buches über die Philosophie der Lebenskunst:

»Das Leben ist wie ein Eis, du musst es aufessen – sonst hast du nichts davon.« Charlie Brown




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Friederike
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Do 23. Apr 2020, 09:57

Jovis hat geschrieben :
Di 21. Apr 2020, 07:11
Zu Hybris und Selbstmitleid, Schimmermatt:
Man könnte es auch anders ausdrücken: Das Wissen um meine Einzigartigkeit, und die tiefe Trauer, dass diese Einzigartigkeit nach kurzer Zeit einfach wieder vernichtet wird.
Du hast an @Schimmermatt adressiert @Jovis, und weil ich nicht weiß, was Schimmermatt antworten würde, deswegen möchte ich Deine Aussage als eine allgemeine bzw. auf mich bezogene Aussage verstehen. Meine Erfahrung ist, daß das Empfinden von Traurigkeit der Anfang der Heilung ist. "Das Unvermeidliche nicht wollen" (@Schimmermatt, wie Du nebenan getitelt hattest) hat zum Resultat den quälenden Kampf. Traurigkeit empfinden, damit meine ich nicht, das Unvermeidliche nun auf einmal zu wollen, sondern ich meine damit die Traurigkeit über sich selbst, daß man so sehr kämpft, obwohl man doch weiß, man wird den Streit nicht gewinnen.




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Jovis
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Do 23. Apr 2020, 12:31

Friederike hat geschrieben :
Do 23. Apr 2020, 09:57
Meine Erfahrung ist, daß das Empfinden von Traurigkeit der Anfang der Heilung ist.
Genau so habe ich es gerade in einem Trauerratgeber gelesen: "Trauern ist die Lösung, nicht das Problem."

In diesem Zusammenhang möchte ich noch kurz auf Alethos eingehen:
Alethos hat geschrieben :
Mo 20. Apr 2020, 21:53
Wir müssen vielleicht auch einsehen, dass der einzige Weg, einander dabei zu helfen, es zu ertragen, der ist, dass wir einander beistehen. Nicht mit Rat und guten Argumenten, sondern mit Verständnis und Mitgefühl.
Auch das finde ich in Trauerratgebern immer wieder: Nicht trösten wollen, denn es gibt dafür keinen Trost. Nur einfach da sein, die Trauer des anderen annehmen und aushalten.

Jetzt sind wir hier irgendwie in sowas wie eine Trauerbegleitung gerutscht, das ist vielleicht etwas zuviel des "Guten". Aber andererseits steht im Titel ja das Wort "Leiden", passt also vielleicht schon ein wenig.




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Alethos
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Do 23. Apr 2020, 22:27

Dass es nun so sehr um das Leid geht, das sollte uns eigentlich nicht noch zusätzlich leid tun. Das führte sonst zu einer Verdoppelung des Leides, die schnell einmal in einer Art perpertuum lamemtabile ausarten könnte. :)


Was mich nach wie vor interessieren würde, ist zu verstehen, worin genau der Zusammenhang zwischen einer aporetischen Situation und dem Leiden besteht. Wie und warum kommt das Leiden überhaupt zustande, wenn wir auf unsere Fragen keine letztbegründeten Antworten finden? Um die eigene Endlichkeit ging es ja nur in Teilen, und das ist eigentlich auch keine aporetische Situation: Denn die Tatsache, dass wir sterben müssen, ist eine unumgängliche. Das ist entschiedene Sache. Zu einer Aporie wird dieser Umstand nur, wenn wir trotz dieser Tatsache am Leben festhalten wollen, wenn wir uns sozusagen gegen das Gesetz des Lebens stellen.

Dass wir es tun, dass wir uns auflehnen wollen gegen den Tod, das scheint mir zur Bedingung zu haben, dass wir am Leben festhalten wollen, weil es gut ist, weil es freudvoll ist. Das, dass das Leben freudvoll ist, sagt aber Schimmermatt gerade nicht, sondern im Gegenteil, dass es für ihn eine Grundsituation des Leidens darstellt. Wie glücklich ist aber der, der sterben kann, angesichts seines Leids? Die Stoiker lassen grüssen.

Mich interessiert deshalb vielmehr herauszufinden, wie dieses Leid im Leben angesichts des Lebens selbst entstehen kann.
Es sieht doch so aus, dass das Leben für den an der Aporie Leidenden eine verzweifelte Sache sein muss, aber es ist kein cartesischer Zweifel, der ihn umtreibt, da sich dieser Zweifel wenigstens aufgrund einiger weniger Gewissheiten in zuversichtliche Lage zu bringen vermag. Gerade deshalb, weil der Cartesianer <Ich> sagen kann, keimt in ihm die Hoffnung auf, dass wenigstens etwas gewiss ist, nämlich das Sein dieses Ichs. Das <Ich> ist ihm nicht Anlass dafür, das Leben als 'aporetische Existenz' zu empfinden, sondern als Grund für die unverrückbare Zuversicht, dass da Etwas sei, was durch sich selbst und denkend zur Wahrheit kommt.
Diese Art von Zweifel, die Schimmermatt beschreibt, kennt eine solche Zuversicht nicht, aber nicht wegen des sicheren Todes am Ende des Lebens, das vielleicht auch, vielmehr scheint die Verzweiflung im Gefühl Raum zu finden, dass wir auch zu Lebzeiten zu keiner Gewissheit finden, die fröhlich stimmen könnte.

Der eigene Verfall, die kaputten Knie, die schlaffer werdende Haut, die nachlassenden Vermögen: Sie werden alle als Fürsprecher der Ansicht gedeutet, dass jede Wahrheit und jede Gewissheit einstürzen muss. Wahrheit, die deshalb keine sein kann, weil die Fundamente, die wir unserem Fürwahrhalten geben, selbst dem Untergang geweiht sind. Alles Gewusste muss nach dieser (fatalistischen) Auffassung untergehen, weil es durch das Bessergewusste ersetzt wird. Und Letztgewusstes ist apriori auch wieder dem Wandel ausgesetzt. Ganz hegelianisch, eigentlich.
Aber für Schimmermatt erzählt dieses Stirb und Werde nicht von der Schönheit der Notwendigkeit zur Veränderung, sondern es erzählt nur vom Untergang des Gewesenen, von der Trauer über das Verlorene, von der Müdigkeit für das Neue.

Und das ist es, was ich nicht verstehe: Denn schon als Kind lernen wir doch, dass jedes Darum durch ein weiteres Warum herausgefordert wird - unaufhörlich. Und das stimmt uns in der Regel doch eigentlich munter, wenn die Eltern, langsam genervt, zugeben müssen, dass auch sie nicht Konservatoren sein können von etwas, das fliesst.



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Alle lächeln in derselben Sprache.

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Friederike
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Fr 24. Apr 2020, 15:19

Alethos hat geschrieben :
Do 23. Apr 2020, 22:27
Mich interessiert deshalb vielmehr herauszufinden, wie dieses Leid im Leben angesichts des Lebens selbst entstehen kann. Es sieht doch so aus, dass das Leben für den an der Aporie Leidenden eine verzweifelte Sache sein muss, aber es ist kein cartesischer Zweifel, der ihn umtreibt, da sich dieser Zweifel wenigstens aufgrund einiger weniger Gewissheiten in zuversichtliche Lage zu bringen vermag. Gerade deshalb, weil der Cartesianer <Ich> sagen kann, keimt in ihm die Hoffnung auf, dass wenigstens etwas gewiss ist, nämlich das Sein dieses Ichs. Das <Ich> ist ihm nicht Anlass dafür, das Leben als 'aporetische Existenz' zu empfinden, sondern als Grund für die unverrückbare Zuversicht, dass da Etwas sei, was durch sich selbst und denkend zur Wahrheit kommt.
Diese Art von Zweifel, die Schimmermatt beschreibt, kennt eine solche Zuversicht nicht, aber nicht wegen des sicheren Todes am Ende des Lebens, das vielleicht auch, vielmehr scheint die Verzweiflung im Gefühl Raum zu finden, dass wir auch zu Lebzeiten zu keiner Gewissheit finden, die fröhlich stimmen könnte.
So sehr ich Deine Frage nach der Herkunft des Leidens auch hin- und herwende, ich komme vorerst nur so weit, daß es genau dieses "Ich" sein muß, daß man als die Quelle des Leidens bestimmen kann. Damit meine ich nicht die Bedingungen des Lebens oder der menschlichen Existenz, an denen das "Ich" leidet, darum geht es überhaupt nicht - sondern das "Ich" leidet an sich selbst ... herje, das klingt noch nebulöser als nähme man nur das "Ich". Das Ich ist zwar da/hier und doch wieder nicht. Es macht sich in dem Moment, da es präsent ist, zugleich zunichte. Das Ich sagt, alles sei sinnlos und hauptsächlich aber trifft es diese Aussage über sich selbst ... oder so ...

Sagt nicht, das sei für den Papierkorb :lol: - ich suche ernsthaft danach, worin das Leiden denn nun wirklich und tatsächlich begründet ist.




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Schimmermatt
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Mo 27. Apr 2020, 15:13

Alethos hat geschrieben :
Do 23. Apr 2020, 22:27
Und das ist es, was ich nicht verstehe: Denn schon als Kind lernen wir doch, dass jedes Darum durch ein weiteres Warum herausgefordert wird - unaufhörlich. Und das stimmt uns in der Regel doch eigentlich munter, wenn die Eltern, langsam genervt, zugeben müssen, dass auch sie nicht Konservatoren sein können von etwas, das fliesst.
Das verstehe ich wiederum nicht: wie kann man diese ewig vergebliche Hatz nach einem beständigen Darum nicht hässlich, widerlich, gemein und sinnlos empfinden? Munter? Nur so lange, bis man selber bemerkt, dass die Eltern genervt sind, eben weil da etwas Dunkles lauert: die Sinnlosigkeit des Warum, welches nur ein weiteres Warum nach sich ziehen wird. Die Falschheit aller Darums, weil sie nur die Übermacht des Warum ins nächste Level erhöhen.



"Manche Leute werden heutzutage langsam wahnsinnig. Ich schnell." C. Schlingensief

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