#filosofix > Was Mary nicht wissen konnte

Philosophische Gedankenexperimente in Form von Videos.
Tosa Inu
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Mi 27. Sep 2017, 13:50

Wojtek Skowron hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 12:07
b) nicht mehr passen
Doch, sie passen.
Assoziationen entstehen zwischen Ähnlichem oder Verwandtem. Die Ähnlichkeiten und Verwandschaften bleiben unangetastet. Eine Tomate hat weiterhin ähnliche Farbe wie Blut (auch wenn beides jetzt blau aussieht), blaue Augen bleiben himmelblau.
Ich meinte, dass die Assoziationen nicht mehr passen, also der Bezug von dem was Farbe ist zu dem, was nicht Farbe ist.
Letztlich ist es mir aber auch egal woran man erkennt (oder es glaubt), dass wir nicht grundsätzlich anders könnten, sondern stets sehr ähnlich wahrnehmen müssen, Hauptsache man erkennt es.

Lässt man von dem Beispiel allein der Farben ab und erweitert das auf andere Empfindungen (Geschmäcker, Gerüche, oben/unten, Gewicht ...) und alle Menschen verdeutlich sich das vermutlich schneller. Jede versuchsweise Klärung bei einer Unstimmigkeit müsste noch größere Verwirrung stiften.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Tosa Inu
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Mi 27. Sep 2017, 14:05

Herr K. hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 13:42
Wenn aber Qualia so sind wie Wittgensteins Käfer in der Schachtel, dann ergibt die Frage keinen Sinn, denn darüber, wie die Käfer sind und aussehen, kann dann keine Aussage getroffen werden.
Doch, weil sich Begriffe ja nicht auf nichts beziehen. Wittgenstein sagt irgendwo, dass die Schachtel auch leer sein könne, dass impliziert, dass lediglich ein Begriff den anderen stützt und das stimmt nicht, man muss einen Bezug zur Welt und zum anderen haben.
Man kann zwar theoretisch Sprachen aneinander vorbei lernen, d.h. man kann glauben, dass das was der andere meint x sei, während er tatsächlich y meint, Quine hat das auch mal angedeutet (der Grund für Quine einen sprachlichen Holismus zu fordern, wie Wittgenstein auch), aber in der Praxis wird man irgend an einen Punkt kommen, wo ein konsequentes aneinander vorbei reden auffliegt und auch prinzipiell stützt eine Begriff ohne Bezug zu einer Praxis nicht den anderen. Denn alles über die Welt zu wissen, heißt eben nicht irgendwas in ihr zu erkennen, wenn man niemals Kontakt zu ihr hatte.
Herr K. hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 13:42
Wojtek Skowron hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 12:06
Ich kenne Qualia, ich weiß ganz sicher, dass ich kein Zombi bin. Meine Hypothese ist, dass bei den Anderen das auch so ist. :-)
Bloß schreibt Dein Zwillings-Zombie voraussetzungsgemäß genau dasselbe.
Logisch geht das doch eigentlich nicht.
Wojtek hat Qualia, ist sich dessen sicher und aufrichtig.
Wojtekts Zombie ist ja gerade so definiert, dass er keine Qualia hat und das müsste er folglich auch mitteilen. Oder er würde lügen, dann wäre er aber nicht wie Wojtek (unterstellt, dass dieser aufrichtig ist). Aber die Unterstellung da absolut jeder den anderen belügt, geht prinzipiell auch wieder nicht auf, weil alle Sprachspiele dann platzen müssten.



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Wojtek Skowron
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Mi 27. Sep 2017, 15:13

Wenn aber Qualia so sind wie Wittgensteins Käfer in der Schachtel, dann ergibt die Frage keinen Sinn, denn darüber, wie die Käfer sind und aussehen, kann dann keine Aussage getroffen werden.
Richtig! Man kann darüber nicht sprechen. Meine Gedankenspiele über "Falschfarbenseher" sind letztlich wie eine Leiter, die man wegwirft, sobald man auf den Dachboden hochgeklettert ist.
Ein Teil (oder ein Aspekt, wie man es auch nennt) unserer Lebensrealität ist der Intersubjektivität und damit der Sprache (und Wissenschaft) nicht zugänglich.
Es ist aber nicht so, dass es die Käfer nicht gibt, man kann nur nichts sinnvolles über sie sagen.




Wojtek Skowron
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Mi 27. Sep 2017, 15:17

Bloß schreibt Dein Zwillings-Zombie voraussetzungsgemäß genau dasselbe.
Er lügt. Oder ist nur so programmiert. Das kannst Du mir glauben. :)




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Herr K.
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Mi 27. Sep 2017, 15:26

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 14:05
Herr K. hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 13:42
Wojtek Skowron hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 12:06
Ich kenne Qualia, ich weiß ganz sicher, dass ich kein Zombi bin. Meine Hypothese ist, dass bei den Anderen das auch so ist. :-)
Bloß schreibt Dein Zwillings-Zombie voraussetzungsgemäß genau dasselbe.
Logisch geht das doch eigentlich nicht.
Wojtek hat Qualia, ist sich dessen sicher und aufrichtig.
Wojtekts Zombie ist ja gerade so definiert, dass er keine Qualia hat und das müsste er folglich auch mitteilen. Oder er würde lügen, dann wäre er aber nicht wie Wojtek (unterstellt, dass dieser aufrichtig ist). Aber die Unterstellung da absolut jeder den anderen belügt, geht prinzipiell auch wieder nicht auf, weil alle Sprachspiele dann platzen müssten.
Die einzige Möglichkeit, die in Frage kommt, ist die, dass der Zombie sich irrt. Folgerichtig behauptet Chalmers eben das.

Bloß: wenn unsere Zwillings-Zombies sich darüber, dass sie Qualia haben, irren können, dann können wir uns diesbezüglich ebenso irren.




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Herr K.
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Mi 27. Sep 2017, 15:40

Wojtek Skowron hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 15:13
Ein Teil (oder ein Aspekt, wie man es auch nennt) unserer Lebensrealität ist der Intersubjektivität und damit der Sprache (und Wissenschaft) nicht zugänglich.
Es ist aber nicht so, dass es die Käfer nicht gibt, man kann nur nichts sinnvolles über sie sagen.
Die Käfer in unseren Schachteln (unsere Farbeindrücke) gibt es, man kann auch Sinnvolles über sie sagen, z.B. rot ist ähnlich wie orange, aber ganz anders als blau. Man kann auch die Schachteln miteinander vergleichen und ggf. feststellen, dass sie unterschiedliche Inhalte haben oder ob die Inhalte unterschiedlich angeordnet sind, z.B. wenn jemand rot-grün-blind ist. Die Käfer haben auch jeweils einen bestimmten Charakter, d.h. es ist möglich, z.B. rot wiederzuerkennen.

Was aber prinzipiell nicht geht, ist der direkte Vergleich von meinem rot-Farbeindruck mit Deinem rot-Farbeindruck. Daher ist fraglich, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Frage zu stellen, ob Dein rot-Farbeindruck derselbe sei wie mein rot-Farbeindruck.




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Jörn Budesheim
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Mi 27. Sep 2017, 16:03

Herr K. hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 15:40
unsere Farbeindrücke) gibt es, man kann auch Sinnvolles über sie sagen, z.B. rot ist ähnlich wie orange, aber ganz anders als blau.
Nebenbei, auch wenn ich nicht sicher bin, wie wichtig es für die Diskussion ist: Üblicherweise wird unterschieden zwischen Röte und Rot. Wobei Röte in unserem Zusammenhang die fragliche Qualia meint, während beispielsweise Tomaten rot sind. Teilweise macht ihr den Unterschied, teilweise nicht. Für mich ist er sowohl wichtig als auch fragwürdig :-) Denn das Rot der Tomate ist so wenig im Kopf, wie die Tomate selbst, meine ich. Und das Verdoppeln des Rotes/der Röte will gut überlegt sein. Deswegen muss man hier wohl bei jeder Formulierungen ziemlich genau hingucken ...

Klar ist, dass Farben etwas öffentliches sind. Klar ist auch, dass die Farb-Erlebnisse auch subjektive Momente aufweisen ... aber ein Farbsolipsismus scheint mir nicht wirklich das Gelbe vom Ei zu sein.




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Jörn Budesheim
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Mi 27. Sep 2017, 16:40

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 14:05
Zombie
Der Zombie Blues :-) Was Zombies entgeht ...

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Alethos
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Mi 27. Sep 2017, 21:02

Habe mir den Thread nun in der Gänze zu Gemüte geführt. Eine Sache verstehe ich nicht:

Wir haben 20 Personen. Sie alle sind Falschseher. Vor Ihnen befinden sich 3 Farbstifte, die Nichtfalschseher als grünen, blauen und roten Farbstift bezeichnen würden. Die Übereinstimmung der Aussagen der 20 Falschseher wäre wohl zufällig. Wenn einer sagt: 'Das ist blau' und der andere über denselben Stift sagt: 'Das ist blau', dann ist das reiner Zufall. Es ist hier zum Haben eines gemeinsamen Blaubegriffs keine echtes Einverständnis möglich. Wenn aber nur 2 Falschseher sind und 18 nicht, so werden diese 18 wohl jenen Farbbegriff jeweils ziemlich sicherlich richtig im Sinne von konsequent immer wieder mit demselben Stift verbinden. Korrektwerweise müssen wir es umdrehen uns sagen: Sie sind nicht Richtigseher, darum bezeichnen sie immer denselben Gegenstand mit dem gleichen Farbbegriff. Sondern weil sie das tun, nennen wir sie praxisbedingt Richtigseher. Über das Blauempfinden, die Qualia jedes Einzelnen, mag hier nichts ausgesagt worden sein, aber über einen gemeinsamen Blaubegriff schon.

Qualia sind dann so gesehen ab einem gewissen Punkt irrelevant für den intersubjektiven Begriff, der nur ein solcher ist, weil er mehreren Subjekten gegeben ist. Und nur das Intersubjektive kann kommuniziert werden resp. nur wenn es kommuniziert wird, ist es intersubjektiv und nur darüber kann gesprochen werden. Qualia werden für uns sozusagen nur problematisch, wenn ein Missverstehen im Begriff vorliegt.

'Das ist ein Baum', diese Aussage ist relativ unzweiteutig, wenn man sich einmal über Grün und den Stamm und über alle anderen Merkmale einig geworden ist. Und dieser intersubjektive Wert ist ein bleibender. Dass hier persönliche und privates Sehen in der Form von Qualia massgeblich an der Begriffsbildung beteiligt sind, scheint mir einleuchtend. Aber nirgends wird in der Aussage diese Qualia mehr mitschwingen oder mehr von Belang sein, weil der Begriff des Objekts mit dem Objekt eine intersubjektive Liaison eingegangen ist, die taugt. Sie, Begriff und Objekt, sind soweit miteinander durch intersubjektive Praxis verbunden, dass das persönliche Empfinden des Objekts keine Rolle mehr spielt und nur noch dort diskutiertt werden muss, wo Kommunikation misslingt und Missverständnisse auftauchen. Dann muss man neue Begriffe finden, man muss sozusagen die je einzelnen Qualia neu auf einen Begriff bringen.

Also, ich sehe vielleicht das Problem nicht. Ihr werdet es mir sagen :)

Man überlege sich beim Gedankenexperiment zu Richtig- und Falschseher übrigenss auch das Folgende, das von mir aus gesehen meine These stützt: Gibt es nur Falschseher, dann brauchen wir eine absolute Wahrheit, die Falschsehen und Richtigsehen klassifizieren kann. Wir spielen bei diesem Experiment bereits die Schiedsrichter, die falsch und richtig unterscheiden. Das können 'Falschseher' gar nicht :) Dass wir das aber tun, zeigt, wie wenig hintergehbar das ist, was uns gemeinsam ist: Empirie und Empathie. Es gibt diese Schiedsrichtee sozusagen, weshalb es richtig und falsch gibt...



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Herr K.
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Do 28. Sep 2017, 01:37

@Jörn: ja, die Unterscheidung zwischen dem Rot eines Gegenstandes und Röte (rot-Quale) ist wichtig. Habe ich bisher jedoch auch nicht immer explizit benannt.
Alethos hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 21:02
Habe mir den Thread nun in der Gänze zu Gemüte geführt. Eine Sache verstehe ich nicht:

Wir haben 20 Personen. Sie alle sind Falschseher. Vor Ihnen befinden sich 3 Farbstifte, die Nichtfalschseher als grünen, blauen und roten Farbstift bezeichnen würden. Die Übereinstimmung der Aussagen der 20 Falschseher wäre wohl zufällig. Wenn einer sagt: 'Das ist blau' und der andere über denselben Stift sagt: 'Das ist blau', dann ist das reiner Zufall. Es ist hier zum Haben eines gemeinsamen Blaubegriffs keine echtes Einverständnis möglich.
Was meinst Du mit "Falschseher"? Farbenblindheit oder Farbenfehlsichtigkeit [x]? Wenn nicht, dann könnte es auch noch sein, dass intrapersonal das Farbspektrum invertiert wurde - relativ zum vorher gesehenen Farbspektrum - man könnte sich statt einer rosaroten Brille eine farb-invertierende Brille vorstellen. In dem Falle würde derjenige "falsch" sehen, was aber lediglich hieße: anders als früher und er würde dann die Farben der 3 Farbstifte zuverlässig und nicht zufällig falsch benennen.

Ansonsten aber kann es wohl keine Farben-Falschseher geben. Wir lernen, die Farben zu benennen anhand von Gegenständen, die die jeweiligen Farben haben, z.B. eine Wiese ist grün, der Himmel ist blau, eine reife Tomate ist rot. Daher kann jeder, der diese Farben unterscheiden kann, d.h. nicht farbenblind oder farbenfehlsichtig ist, die jeweiligen Farbstifte auch richtig zuordnen, (z.B.: "ich weiß, dass die Farbe der Wiese 'grün' heißt, die Farbe dieses Stiftes sieht für mich so aus wie die Farbe der Wiese, also heißt seine Farbe auch 'grün' ").

[x] Farbenblindheit: es können keine Farben wahrgenommen werden.
Farbenfehlsichtigkeit: einige Farben können nicht von anderen Farben unterschieden werden.




Segler
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Do 28. Sep 2017, 08:52

Herr K. hat geschrieben :
Do 28. Sep 2017, 01:37

Was meinst Du mit "Falschseher"? Farbenblindheit oder Farbenfehlsichtigkeit [x]? Wenn nicht, dann könnte es auch noch sein, dass intrapersonal das Farbspektrum invertiert wurde - relativ zum vorher gesehenen Farbspektrum - man könnte sich statt einer rosaroten Brille eine farb-invertierende Brille vorstellen. In dem Falle würde derjenige "falsch" sehen, was aber lediglich hieße: anders als früher und er würde dann die Farben der 3 Farbstifte zuverlässig und nicht zufällig falsch benennen.

Ansonsten aber kann es wohl keine Farben-Falschseher geben. Wir lernen, die Farben zu benennen anhand von Gegenständen, die die jeweiligen Farben haben, z.B. eine Wiese ist grün, der Himmel ist blau, eine reife Tomate ist rot. Daher kann jeder, der diese Farben unterscheiden kann, d.h. nicht farbenblind oder farbenfehlsichtig ist, die jeweiligen Farbstifte auch richtig zuordnen, (z.B.: "ich weiß, dass die Farbe der Wiese 'grün' heißt, die Farbe dieses Stiftes sieht für mich so aus wie die Farbe der Wiese, also heißt seine Farbe auch 'grün' ").

[x] Farbenblindheit: es können keine Farben wahrgenommen werden.
Farbenfehlsichtigkeit: einige Farben können nicht von anderen Farben unterschieden werden.
Da stimme ich voll und ganz zu.

Das Besondere an Mary ist, dass sie noch nie Farben gesehen hat. Daher konnte sie auch nicht lernen, dass Grün die Farbe der Wiese ist. Sie verfügt nur über theoretisches Farbwissen. Das Gedankenspiel soll ja gerade die Frage klären, ob Mary etwas neues dazulernt, wenn sie ihre schwarz/weiße Welt verlässt und Farben selbst wahrnimmt.

Deutlicher wird die Fragestellung bei dem Beispiel mit dem Wein. Hier handelt es sich nicht um einen einfachen Geschmackseindruck, wie etwa süß, sauer oder bitter, sondern um eine komplexe Komposition von Aromen. Kann man den Geschmack eines Latour 1961 so beschreiben, dass die Leser der Beschreibung wissen wie der Wein schmeckt? So, dass sie ihn bei einer anschließenden Blindverkostung von anderen Weinen unterscheiden könnten? Ich behaupte, das ist unmöglich. Man muss den Wein im Mund gehabt haben, um zu wissen wie er schmeckt.




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Jörn Budesheim
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Nebenbei: Es gibt eben verschiedene Formen des Wissens, denen auch unterschiedliche Gegenstände entsprechen: "Wissen dass" ist eben nicht alles :-) " und Wissen wie" und "Wissen wie es ist" gehören auch dazu ... was fehlt noch? :-)




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Herr K.
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Do 28. Sep 2017, 10:54

Segler hat geschrieben :
Do 28. Sep 2017, 08:52
Das Besondere an Mary ist, dass sie noch nie Farben gesehen hat. Daher konnte sie auch nicht lernen, dass Grün die Farbe der Wiese ist. Sie verfügt nur über theoretisches Farbwissen. Das Gedankenspiel soll ja gerade die Frage klären, ob Mary etwas neues dazulernt, wenn sie ihre schwarz/weiße Welt verlässt und Farben selbst wahrnimmt.
Ich denke, es ist plausibel, anzunehmen, dass Mary, die voraussetzungsgemäß alles physikalische Faktenwissen (explizites Wissen, wissen-wie) haben soll, dadurch nicht die Fähigkeit erlangt hat, Farben durch bloßes Hinsehen erkennen und benennen zu können. Falls das richtig ist, dann lernt sie beim ersten Farbsehen - sagen wir einer roten Tomate - etwas Neues, sie kann nämlich z.B. daraufhin rote Gegenstände identifizieren, was sie vorher nicht konnte.

Kann man einen bestimmten Wein so genau beschreiben, dass jemand dadurch die Fähigkeit erlangt, ihn bei einer Blindverkostung zuverlässig erkennen zu können? Wohl eher nicht, falls die anderen verkosteten Weine ähnlich schmecken. Analog wird man aber wohl auch eine Person alleine durch eine Beschreibung bei einer Gegenüberstellung nicht identifizieren können, wenn die anderen Personen recht ähnlich aussehen - z.B. wenn es Zwillinge sind. Obgleich z.B. die Eltern die Zwillinge zuverlässig unterscheiden können.

Allerdings ist das mE nun auch nicht die Frage hier, sondern die ist, ob Mary durch ihr erstmaliges Farbsehen neues explizites Wissen (wissen-dass) erlangt hat. Ihre neu erlangte Fähigkeit, rote Gegenstände zuverlässig erkennen zu können, ist nun kein wissen-dass, sondern wissen-wie. Die Frage wäre also, welches neue explizite Wissen (wissen-dass) Mary durch ihr erstmaliges Sehen der roten Tomate erlangt hat. Oder auch: wissen-wie-es-ist beinhaltet wohl wissen-wie (Können/Fähigkeiten), aber beinhaltet es auch wissen-dass und wenn ja, welches?




Tosa Inu
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Do 28. Sep 2017, 11:04

Segler hat geschrieben :
Do 28. Sep 2017, 08:52
Deutlicher wird die Fragestellung bei dem Beispiel mit dem Wein. Hier handelt es sich nicht um einen einfachen Geschmackseindruck, wie etwa süß, sauer oder bitter, sondern um eine komplexe Komposition von Aromen. Kann man den Geschmack eines Latour 1961 so beschreiben, dass die Leser der Beschreibung wissen wie der Wein schmeckt? So, dass sie ihn bei einer anschließenden Blindverkostung von anderen Weinen unterscheiden könnten? Ich behaupte, das ist unmöglich. Man muss den Wein im Mund gehabt haben, um zu wissen wie er schmeckt.
Im Grunde geht das schon, wenn man über das entsprechende Vokabular verfügt, um den Weingeschmack zu beschreiben und sich hinreichend abgestimmt hat, ob dass, was man schmeckt bei anderen auch so ankommt, also von ihm so geschmeckt wird. Problematisch ist dabei, dass viele Weine täglich anders schmecken und man nicht jede Aromanote auch rausschmeckt (ich weiß z.B. nicht wie Quitten schmecken).
Bestimmte Weine haben ja einen überdeutlichen Geschmack, der sofort zu erkennen ist, wenn er z.B. extrem fruchtig schmeckt, ich habe mal einen probiert, der fast wie Himbeersirup schmeckte.
Man kann ja die verschiedenen Phasen auseinanderhalten, in der Nase, im Mund (da angeblich auch vorne, hinten, was mir aber immer misslingt) und im Abgang. Lustigerweise habe ich mal einen Bordeaux getrunken, der im Abgang einen m.M.n. deutlichen Gechmack nach Pfifferlingen hatte, was mir tatsächlich (ohne vorher zu nennen, was man rausschmecken soll) bestätigt wurde.

Aber man muss natürlich, wie auch beim Sehen, andere Eindrücke kennen. Wenn ein Wein nach rotenn Früchten und Vanille schmeckt, muss ich das natürlich mal gekostet haben und wenn ich Tannine auch als stumpf, zusammenziehend, bremsend umschreiben kann, muss ich das dennoch (vielleicht ähnlich beim Salbeitee) mal erlebt haben.

Die beste Beschreibung und maximale Differenziertheit meines theoretischen Wissens bringt auch hier nichts, ohne praktische Erfahrung.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Segler
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Do 28. Sep 2017, 13:17

Herr K. hat geschrieben :
Do 28. Sep 2017, 10:54

Allerdings ist das mE nun auch nicht die Frage hier, sondern die ist, ob Mary durch ihr erstmaliges Farbsehen neues explizites Wissen (wissen-dass) erlangt hat. Ihre neu erlangte Fähigkeit, rote Gegenstände zuverlässig erkennen zu können, ist nun kein wissen-dass, sondern wissen-wie. Die Frage wäre also, welches neue explizite Wissen (wissen-dass) Mary durch ihr erstmaliges Sehen der roten Tomate erlangt hat. Oder auch: wissen-wie-es-ist beinhaltet wohl wissen-wie (Können/Fähigkeiten), aber beinhaltet es auch wissen-dass und wenn ja, welches?
Das Mary-Experiment soll zeigen, dass sich "wissen wie" und "wissen wie es ist" nicht auf "Wissen, dass" reduzieren lassen. Dieses wird nämlich von einigen Philosophen behauptet.




Wojtek Skowron
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Do 28. Sep 2017, 13:54

Was aber prinzipiell nicht geht, ist der direkte Vergleich von meinem rot-Farbeindruck mit Deinem rot-Farbeindruck. Daher ist fraglich, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Frage zu stellen, ob Dein rot-Farbeindruck derselbe sei wie mein rot-Farbeindruck.
Es ist letztlich nicht sinnvoll. Ich habe sie nur als, so zu sagen, didaktisches Mittel gestellt.




Wojtek Skowron
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Do 28. Sep 2017, 14:19

Was meinst Du mit "Falschseher"? Farbenblindheit oder Farbenfehlsichtigkeit [x]?
Weder noch.

Selbstverständlich können wir über Sinneseindrücke reden. Aber halt nur über Relationen zwischen ihnen und nicht über ihre elementare Qualitäten.
Vielleicht lies Du noch mal meine Metapher über "Schiffe-Versenken"-Spiel.

Ich kann keinem die Farbe Grün erklären, der sie nie gesehen hat.
Farben Sehen ist mehr als bloß die Fähigkeit sie von einander zu unterscheiden.
Stell Dir vor: man gibt einem vollständig Farbenblinden (ich weiss das gibt es nicht) einen iFone mit einem App, mit dem er life filmen kann und auf dem Display auf Fingerdruck die Farbwerte angetippter Stellen angezeigt bekommt (oder er bekommt auf dem Display das gefilmte Bild in drei Farbkanäle aufgespaltet - Photoshop-user werden verstehen was ich meine).
Auf diese Weise könnte er die Farben von einander unterscheiden. Mit etwas Übung und Begabung sogar irgendwann mal vermutlich ganz flink.
Würde er dann die Farben SEHEN?
Zuletzt geändert von Wojtek Skowron am Do 28. Sep 2017, 14:43, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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Do 28. Sep 2017, 14:26

Wojtek Skowron hat geschrieben :
Do 28. Sep 2017, 14:19
Ich kann keinem die Farbe Grün erklären, der sie nie gesehen hat.
Ich finde, das stimmt nur zum Teil. Wir können auch Farbenblinden in gewissen Grenzen vieles über Farben beibringen, sie können zum Beispiel in unseren Sprachgebrauch hineinwachsen auch wenn sie "phänomenal behindert" sind. Dass sie das Grünsein der Wiese nicht vollständig erkennen können, heißt nicht, dass sie gar nichts darüber wissen können finde ich.




Wojtek Skowron
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Do 28. Sep 2017, 14:36

Qualia sind dann so gesehen ab einem gewissen Punkt irrelevant für den intersubjektiven Begriff, der nur ein solcher ist, weil er mehreren Subjekten gegeben ist. Und nur das Intersubjektive kann kommuniziert werden resp. nur wenn es kommuniziert wird, ist es intersubjektiv und nur darüber kann gesprochen werden.
Das ist goldrichtig aber das Leben besteht nicht nur aus Kommunizierbaren.
Das ganze Gedankenspiel mit "Falschfarbenseher" dient mir nur dazu, zu zeigen, dass wir gar nicht wissen können, wie der Andere wirklich sieht.

In meinem Heft http://www.wojtexkowron.de/Privatansichten.pdf
habe ich gezeigt wie jemand das Bild von Seite 35 sehen könnte (Seite 37) ohne dass es je jemand von dieser Andersartigkeit Notiz nehmen würde.




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Herr K.
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Do 28. Sep 2017, 14:38

Segler hat geschrieben :
Do 28. Sep 2017, 13:17
Das Mary-Experiment soll zeigen, dass sich "wissen wie" und "wissen wie es ist" nicht auf "Wissen, dass" reduzieren lassen. Dieses wird nämlich von einigen Philosophen behauptet.
So wie ich das bislang verstanden habe, ist das Mary-Experiment ein Argument gegen Physikalismus. Physikalismus beinhaltet jedoch nicht die These, dass sich "wissen wie" und "wissen wie es ist" auf "wissen dass" reduzieren lasse - im Gegenteil beruhen sogar einige Gegenargumente darauf, dass das nicht der Fall sei - z.B. die Behauptung, dass Mary zwar neue Fähigkeiten erlange, aber kein neues "wissen dass".

Es stimmt nun zwar, dass es Philosophen gibt, die meinen, "wissen wie" ließe sich auf "wissen dass" reduzieren, siehe z.B. SEP - Knowledge How - Intellectualism, aber das hat mE nichts mit dem Mary-Experiment zu tun, s.o. (Die Ansicht, man könne "wissen wie" auf "wissen dass" reduzieren, hört sich zumindest prima facie reichlich absurd an. Aber das ist wie gesagt hier mE nicht das Thema.)




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