#filosofix > Was Mary nicht wissen konnte

Philosophische Gedankenexperimente in Form von Videos.
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Dia_Logos
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Mo 25. Sep 2017, 05:54

IMPULSBEITRAG

Frank Jackson in »Epiphänomenale Qualia«:

"Mary ist eine brillante Neurowissenschaftlerin, die - aus welchen Gründen auch immer - gezwungen ist, die Welt aus einem schwarzweißen Raum heraus und mit Hilfe ei­nes schwarzweißen Monitors zu erforschen. Sie spezialisiert sich auf die Neurophysiologie der Farbwahrnehmung und erwirbt auf diesem Gebiet, so nehmen wir an, ein voll­ständiges Wissen darüber, was in uns vorgeht, wenn wir reife Tomaten oder den Himmel betrachten und Ausdrücke wie >rot<, >blau< usw. verwenden. Sie findet beispielsweise heraus, exakt welche Kombination von Wellenlängen des vom Himmel emittierten Lichts die Retina [die Netzhaut] stimulieren und auf exakt welchem Weg diese Stimulie­rung über das zentrale Nervensystem das Zusammenzie­hen der Stimmbänder und das Austreten von Luft aus der Lunge veranlasst, was dann letztlich in der Äußerung der Worte >Der Himmel ist blau< resultiert.

[... ]

Was wird pas­sieren, wenn Mary diesen schwarzweißen Raum verlassen darf oder einen Farbmonitor bekommt? Wird sie etwas lernen oder nicht? Es scheint einfach offensichtlich zu sein, dass sie etwas über die Welt und über unser visuelles Erle­ben der Welt lernen wird. Dann ist es jedoch unvermeid­lich, dass ihr vorheriges Wissen unvollständig war. Da sie über alle physikalischen Informationen verfügte, muss es folglich mehr zu wissen geben als das, und der Physikalis­mus ist falsch."

(Zitiert nach: Philosophische Gedankenexperimente, Reclam, Seite 171)





"Mit anderen Worten, stellen wir uns eine Wissenschaftlerin vor, die alles weiß, was es in der Wissenschaft der Farbwahrnehmung zu wissen gibt, die aber nie Farbe erlebt hat. Die interessante Frage, die Jackson aufwirft, lautet: Lernt diese Wissenschaftlerin etwas Neues, wenn sie zum ersten Mal eine Farbwahrnehmung außerhalb ihres schwarzweißen Gefängnisses hat?"

(Wikipedia)

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Mögliche Einwände:

Georg W Bertram, der Herausgeber des Reclam-Buches “Philosophische Gedankenexperimente” fragt sich zunächst, was genau Mary eigentlich lernt und welche These des Physikalismus denn überhaupt widerlegt wird/werden soll.

Dazu unterscheidet er zwei Kandidaten:
  1. es gibt nur physikalische Tat­sachen in der Welt gibt
  2. man kann Tatsachen nur auf eine physikalische Weise beschreiben und erfas­sen
Bertram wendet ein: “Man könnte meinen, dass zwar alle Tatsachen in der Welt letztlich als physikalische Sachver­halte beschrieben werden können, dass es aber auch nicht im Vokabular der Physik ausdrückbare Auffassungsweisen von diesen Sachverhalten gibt”

Mit anderen Worten: Es ist ein physikalischer Sachverhalt ist, dass der Himmel blau ist. Der bestehende Sachverhalt ist Mary nun in einer qualitativ beson­dere Weise bekannt. Das würde bedeuten, dass Mary gar kein neues Wissen hat, son­dern nur eine neue (eben subjektive) Auffassungsweise von etwas Bekanntem gelernt hat.

Bertram gibt jedoch gleich zu bedenken, dass der Versuch den Physikalismus auf diese Weise zu verteidigen, das philosophische Problem nur verschiebt. Denn nun stellt sich eine andere Frage: Wie kann es zwei so verschiedene Auffassungsweisen ein und desselben Sachverhalts geben, “die dennoch nicht unterschiedliches Wissen darstellen”.

Er fügt hinzu: “Und man muss erklären, warum eigentlich »der Sachverhalt« als solcher durch seine physikalische Beschreibung definiert wird.”

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Einen weiteren Einwand findet man in dem Wikipedia-Artikel, auf den weiter oben schon verwiesen wurde:
Wikipedia hat geschrieben : Der Philosoph Daniel Dennett bezeichnet das Gedankenexperiment von Mary als eine „intuition pump“, als ein Gedankenexperiment, das einfach zu verstehen und intuitiv eingänglich ist und uns dazu ermutigt, seine Voraussetzungen allzu leichtfertig misszuverstehen und einfach unserer Intuition zu verfallen, dass der Ausgang des Gedankenexperiments „offensichtlich“ der ist, dass Mary etwas Neues lernen wird bei ihrem ersten Farbexperiment. In seiner Monographie „Consciousness explained“ schreibt Dennett hierzu:

„Die ausschlaggebende Prämisse ist, dass ‚sie alle physikalischen Informationen hat‘. Das lässt sich nicht leicht vorstellen, weswegen niemand sich die Mühe macht. Sie stellen sich einfach vor, dass sie sehr viel weiß – vielleicht stellen sie sich vor, dass sie alles weiß, was heute überhaupt irgendjemand über die Neurophysiologie des Farbsehens weiß. Aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und es ist nicht überraschend, dass Mary etwas Neues lernen würde, wenn das alles wäre, was sie wüßte.“ (Lit.: Dennett 1991, S. 399)

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Segler
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Mo 25. Sep 2017, 08:49

Dia_Logos hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2017, 05:54
IMPULSBEITRAG


Einen weiteren Einwand findet man in dem Wikipedia-Artikel, auf den weiter oben schon verwiesen wurde:
Wikipedia hat geschrieben : Der Philosoph Daniel Dennett bezeichnet das Gedankenexperiment von Mary als eine „intuition pump“, als ein Gedankenexperiment, das einfach zu verstehen und intuitiv eingänglich ist und uns dazu ermutigt, seine Voraussetzungen allzu leichtfertig misszuverstehen und einfach unserer Intuition zu verfallen, dass der Ausgang des Gedankenexperiments „offensichtlich“ der ist, dass Mary etwas Neues lernen wird bei ihrem ersten Farbexperiment. In seiner Monographie „Consciousness explained“ schreibt Dennett hierzu:

„Die ausschlaggebende Prämisse ist, dass ‚sie alle physikalischen Informationen hat‘. Das lässt sich nicht leicht vorstellen, weswegen niemand sich die Mühe macht. Sie stellen sich einfach vor, dass sie sehr viel weiß – vielleicht stellen sie sich vor, dass sie alles weiß, was heute überhaupt irgendjemand über die Neurophysiologie des Farbsehens weiß. Aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und es ist nicht überraschend, dass Mary etwas Neues lernen würde, wenn das alles wäre, was sie wüßte.“ (Lit.: Dennett 1991, S. 399)

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Solange Dennet nicht sagt, welche konkreten physikalischen Eigenschaften es May ermöglichen würden in ihrem schwarz/weißen Raum Farben zu erfassen, bleibt sein Einwand schwach.




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Jörn Budesheim
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Mo 25. Sep 2017, 13:22

Ich bin mir nicht 100% sicher, ob ich verstehe, worauf du damit hinaus willst. Ich selbst finde das Argument von Frank Jackson übrigens schlagend. Und weitere vergleichbare ebenso. Die Grundstruktur der diversen Argumente scheint mir diese zu sein: Die Physik kann mit ihren Mittel nur einige Korrelate von Erlebnissen erfassen, aber nicht alle Merkmale, wie zum Beispiel das berühmte "wie es ist". Wir wissen jedoch sicher, dass die Wirklichkeiten diese Merkmale aufweisen. Da es also offenbar Merkmale der Wirklichkeiten gibt, die die Physik nicht erfassen kann, ist der Physikalismus falsch.




Wojtek Skowron
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Mo 25. Sep 2017, 14:27

Die Physik kann mit ihren Mittel nur einige Korrelate von Erlebnissen erfassen, aber nicht alle Merkmale, wie zum Beispiel das berühmte "wie es ist". Wir wissen jedoch sicher, dass die Wirklichkeiten diese Merkmale aufweisen. Da es also offenbar Merkmale der Wirklichkeiten gibt, die die Physik nicht erfassen kann, ist der Physikalismus falsch.
Damit bin ich völlig einverstanden.
Falls ich das verlinken darf: hier ich habe meine Sicht dargelegt (ab Seite 36): www.wojtexkowron.de/Privatansichten.pdf




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Jörn Budesheim
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Mo 25. Sep 2017, 14:33

Ich hab das PDF erst mal nur angeschaut und noch nicht gelesen. Die Bilder sind den Klick auf jeden Fall schon wert!




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Friederike
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Mo 25. Sep 2017, 15:03

Jörn Budesheim hat geschrieben : Ich hab das PDF erst mal nur angeschaut und noch nicht gelesen. Die Bilder sind den Klick auf jeden Fall schon wert!
Ja! Und dann gleich am Ende der ersten Textseite dieser Satz: "Um zu sehen muss man mit dem Universum uneins sein". Dies auch nur als Kostprobe. Mehr schaffe ich jetzt nicht. Danke Wojtek.




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Friederike
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Mo 25. Sep 2017, 15:48

Das vorletzte Bild - als hätte das Auto Augen.




Segler
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Mo 25. Sep 2017, 18:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2017, 13:22
Die Grundstruktur der diversen Argumente scheint mir diese zu sein: Die Physik kann mit ihren Mittel nur einige Korrelate von Erlebnissen erfassen, aber nicht alle Merkmale, wie zum Beispiel das berühmte "wie es ist". Wir wissen jedoch sicher, dass die Wirklichkeiten diese Merkmale aufweisen. Da es also offenbar Merkmale der Wirklichkeiten gibt, die die Physik nicht erfassen kann, ist der Physikalismus falsch.
Professor in der Vorlesung zur Erkenntnistheorie:

Wenn der Physikalismus wahr ist, muss es möglich sein, den Geschmack eines großen Weines, sagen wir eines Château Latour 1961, so zu beschreiben, dass man beim Lesen der Beschreibung den Geschmack des Weines auf der Zunge hat. Das würde mir eine Menge Geld sparen.




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Jörn Budesheim
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Mo 25. Sep 2017, 18:45

Sehr schönes Beispiel!




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novon
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Mo 25. Sep 2017, 22:15

Segler hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2017, 18:38
Wenn der Physikalismus wahr ist, muss es möglich sein, den Geschmack eines großen Weines, sagen wir eines Château Latour 1961, so zu beschreiben, dass man beim Lesen der Beschreibung den Geschmack des Weines auf der Zunge hat.
Mal abgesehen davon, dass dem Herrn wohl durchaus zuzutrauen sein sollte, den Konjunktiv zu beherrschen: Wie kommt man auf so etwas? Ginge das quasi auf einen substitutiven Physikalismus, oder wovon ist da die Rede?




Segler
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Mo 25. Sep 2017, 22:37

novon hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2017, 22:15
Segler hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2017, 18:38
Wenn der Physikalismus wahr ist, muss es möglich sein, den Geschmack eines großen Weines, sagen wir eines Château Latour 1961, so zu beschreiben, dass man beim Lesen der Beschreibung den Geschmack des Weines auf der Zunge hat.
Mal abgesehen davon, dass dem Herrn wohl durchaus zuzutrauen sein sollte, den Konjunktiv zu beherrschen: Wie kommt man auf so etwas? Ginge das quasi auf einen substitutiven Physikalismus, oder wovon ist da die Rede?
So gut wie alle Physikalisten bestreiten, dass es so etwas wie eine eigenständige Perspektive der 1. Person gibt. Sie behaupten, dass sich die Welt aus der Perspektive der 3. Person vollständig beschreiben lässt. Qualia gibt aber nur in der Perspektive der 1. Person. Darauf zielt das Beispiel mit dem Wein.




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novon
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Mo 25. Sep 2017, 22:50

Segler hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2017, 22:37
novon hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2017, 22:15
Segler hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2017, 18:38
Wenn der Physikalismus wahr ist, muss es möglich sein, den Geschmack eines großen Weines, sagen wir eines Château Latour 1961, so zu beschreiben, dass man beim Lesen der Beschreibung den Geschmack des Weines auf der Zunge hat.
Mal abgesehen davon, dass dem Herrn wohl durchaus zuzutrauen sein sollte, den Konjunktiv zu beherrschen: Wie kommt man auf so etwas? Ginge das quasi auf einen substitutiven Physikalismus, oder wovon ist da die Rede?
So gut wie alle Physikalisten bestreiten, dass es so etwas wie eine eigenständige Perspektive der 1. Person gibt. Sie behaupten, dass sich die Welt aus der Perspektive der 3. Person vollständig beschreiben lässt. Qualia gibt aber nur in der Perspektive der 1. Person. Darauf zielt das Beispiel mit dem Wein.
Hast du mal ein paar Beispiele in denen eine derartige "Vollständigkeit" behauptet oder auch nur vorausgesetzt wird...?




Segler
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Di 26. Sep 2017, 03:22

Mal so auf die Schnelle ein paar kurze Aufsätze:

Austen, Clark, A Physicalist Theory of Qualia, in: The Monist 68 (1985), 491–506.
Hardcastle, Valerie Gray, The why of consciousness: A non-issue for materialists, in: Journal of Consciousness Studies 3 (1996), 7–13.
Hardin, Clyde L., Qualia and Materialism. Closing the Explanatory Gap, in: Philosophy and Phenomenological Research 48 (1987), 281.
Lewis, David, Should a materialist believe in Qualia?, in: Australasian Journal of Philosophy 73 (1995), 140–144.




Wojtek Skowron
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Di 26. Sep 2017, 12:05

Friederike,
Vielleich klingt der Satz etwas aufgeblasen, war aber eher ironisch, trotzig und antyesotherisch gemeint.

Zum eigentlichem Thema schreibe ich an anderer Stelle. Ich füge unten die entsprechende Textpassage ein.
Ich habe, ehrlich gesagt, bis vor Kurzem gar nich gewusst, dass dieses "Problem" (das mich schon sehr lange beschäftigt) einen Namen (Qualia) hat.
Die Qualia sind intersubjektiv nicht zugänglich also natürlich auch der Wissenschaft nicht, die eine intersubjektive Prüfung zwingend verlangt.
Was für mich aber besonders wichtig ist, ist nicht etwa, dass dadurch das monistisch-materialistische Weltbild, der "Physikalismus" widerlegt wird, sondern dass sie für jeden Anderen nicht zugänglich sind. Das Leben besteht nicht nur aus Kommunikation, sondern auch aus prinzipiell nicht Kommunizierbaren.
Übrigens berührt Wittgenstein das Thema in seinem "Privatsprachenargument" (die Käfer-Matapher), wenngleich die Interpretation hier umstitten ist.



Einem Farbenblinden kann man erzählen, was alles rote Farbe hat, das Rot selbst, das innere Erlebnis des Rot-Sehens kann man ihm nicht beschreiben.
In gewissem Sinn ist jeder farbenblind – für die Farben des Anderen.
Man kann die Farben, die man selbst sieht, einem beliebigen Anderen sowenig beschreiben wie einem Farbenblinden.
Man stelle sich vor, jemand leidet an einer Sehstörung, infolge der er die Farben vertauscht sieht: Anstatt Rot sieht er Blau, anstatt Blau Grün, und anstatt Grün Rot.
Es gibt keine Möglichkeit diese Anomalie festzustellen. Denn obwohl er Tomaten als blau sieht, so hat er doch gelernt, dass die Farbe der Tomaten „Rot“ heißt, die der Tomatenstaude (die er als rot sieht), „Grün“ und die des (für ihn grünen) Himmels „Blau“. Auch beim Farbmischen würde er das Ergebnis immer richtig benennen. So benutzt er immer den richtigen Farbnamen und deshalb wird sein „Gebrechen“ weder von ihm selbst noch von irgendjemand sonst je aufgedeckt werden. Er würde das Bild von Seite 35 wie hier, auf Seite 37 sehen. In solch bizarrer Welt lebt dieser Mensch und niemand nimmt davon Notiz!
Es wäre auch möglich, dass jemand nicht nur Grundfarben vertauscht, sondern an ihrer Stelle ganz andere, anderen Menschen unbekannte Farben sieht. Solange sein Farbspektrum aus drei additiven und drei, zu diesen jeweils komplementären, subtraktiven Farben besteht, und ihr Platz auf dem Farbkreis sich mit den Grundfarben, die andere Menschen sehen, deckt, wird seine „Sehstörung“ keine in der Praxis beobachtbaren Konsequenzen haben. Sie wäre auch mit keinerlei Apparaten feststellbar.
Technische Apparate können nur quantifizierbare physikalische Eigenschaften, wie Lichtwellenlänge oder neuronale Aktivität messen, aber sie können nicht deren Epiphänomene im Bewusstsein, die inneren Erlebnisse, die „Qualia“, zur intersubjektiven Anschauung freilegen. Kein bildgebendes Verfahren hilft dabei zu sehen, wie ein Anderer wirklich sieht. Da müsste man schon selbst zu diesem Anderen werden, in seine „Peepshow-Kabine“ eintreten, was aber, ohne die eigene zu verlassen, nicht geht.
Auch bei anderen sinnlichen Eindrücken wie Hören, Schmecken, Schmerz Empfinden usw. sind elementare Erlebnis-Qualitäten privat und nicht mit denen der Anderen vergleichbar, weil es keine Möglichkeit gibt sie einander gegenüberzustellen.
Natürlich können wir uns über Empfindungen austauschen, über Gerüche und Geschmack reden (dem Arzt den Schmerz zu beschreiben kann allerdings gelegentlich sehr schwer werden). Doch wir reden dabei nur von den Relationen der Phänomene zu einander, die Phänomene selbst werden dabei nicht berührt.
Es ist wie „Schiffe Versenken“ via Email spielen: Die Spielenden könnten sich zuhause als mentale Hilfe „analoge“ Spielfelder gebastelt haben, auf denen sie ihre und des Gegners Spielzüge vollziehen. Als Spielfiguren – Schiffe – könnten sie mit Schnaps gefüllte Gläser, Pralinen oder Wurstbrote einsetzen. Was aber, da für das gespielte Spiel völlig irrelevant, dem Gegner nicht mitgeteilt wird.
Am Ende des Spiels weiß der Sieger alles Spielrelevante – von der materiellen Beschaffenheit der „Schiffe“ des Gegners und dem Geschmack ihres Inhalts weiß er natürlich gar nichts. Das braucht er auch nicht – für das gespielte Spiel ist das vollkommen bedeutungslos.
So ist es auch in dem Spiel „Über Empfindungen reden“: Es werden nur die Erlebnis-"Koordinaten“ ausgetauscht. Die elementaren sinnlichen Erlebnisse werden einander nicht gezeigt."




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Friederike
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Di 26. Sep 2017, 13:05

@Wojtek, da Du mich direkt ansprichst, traue ich mich, Dich auch direkt anzusprechen (jalachnur, die Laiin, die den Künstler kaum anzusprechen wagt). Und auch gar kein Wort zu Deinen Worten, sondern zu Deinen Bildern bzw. Fotos, die ich mir gestern noch ein zweites und drittes Mal in Ruhe betrachtet habe. Das stärkste Erlebnis ist mein Erkennen gewesen, ein einziger Satz, der mir nicht mehr aus dem Kopf ging: "S o ist es also, wenn man sieht". Es kam mir so vor, als würde ich in den Fotos erkennen können, wie es ist, wenn man wirklich sieht ... und daß ich überhaupt nicht sehe, obwohl ich natürlich ständig sehe. Man müßte zwei unterschiedliche Wörter dafür haben.




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Jörn Budesheim
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Di 26. Sep 2017, 13:49

Ich hab das mit dem Sehen mal hierhin umgelenkt :-)




Wojtek Skowron
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Di 26. Sep 2017, 13:53

Danke Friederike




Tosa Inu
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Di 26. Sep 2017, 19:03

Wojtek Skowron hat geschrieben :
Di 26. Sep 2017, 12:05
Einem Farbenblinden kann man erzählen, was alles rote Farbe hat, das Rot selbst, das innere Erlebnis des Rot-Sehens kann man ihm nicht beschreiben.
In gewissem Sinn ist jeder farbenblind – für die Farben des Anderen.
Man kann die Farben, die man selbst sieht, einem beliebigen Anderen sowenig beschreiben wie einem Farbenblinden.
Man stelle sich vor, jemand leidet an einer Sehstörung, infolge der er die Farben vertauscht sieht: Anstatt Rot sieht er Blau, anstatt Blau Grün, und anstatt Grün Rot.
Es gibt keine Möglichkeit diese Anomalie festzustellen.
Doch, anhand der jeden Begriff begleitenden Assoziationen.
Man lernt, dass bestimmte Farben warm oder kalt, grell oder dezent oder in Kombination mit anderen flirrend oder was auch immer sind.
Das würde irgendwann Fragen aufwerfen, weil der assoziierte Begriff (z.B. kalt) ja auch nicht allein steht, sondern seinerseits Assoziationen mit sich bringt, die nicht wahllos sind.

Wenn nur die Wahrnehmung von Farben gemeint ist, könnte das etwas dauern, aber wenn Farben als Metapher für Wahrnehmungen aller Art stünden, ginge das sehr schnell.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Segler
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Di 26. Sep 2017, 19:54

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 26. Sep 2017, 19:03

Wenn nur die Wahrnehmung von Farben gemeint ist, könnte das etwas dauern, aber wenn Farben als Metapher für Wahrnehmungen aller Art stünden, ginge das sehr schnell.
Der Allquantor ist gefährlich. Ersetzen wir "Farbe" durch "Geruch" haben wir wieder die selben Probleme.




Wojtek Skowron
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Di 26. Sep 2017, 20:38

Doch, anhand der jeden Begriff begleitenden Assoziationen.
Man lernt, dass bestimmte Farben warm oder kalt, grell oder dezent oder in Kombination mit anderen flirrend oder was auch immer sind.
Das würde irgendwann Fragen aufwerfen, weil der assoziierte Begriff (z.B. kalt) ja auch nicht allein steht, sondern seinerseits Assoziationen mit sich bringt, die nicht wahllos sind.

Wenn nur die Wahrnehmung von Farben gemeint ist, könnte das etwas dauern, aber wenn Farben als Metapher für Wahrnehmungen aller Art stünden, ginge das sehr schnell.
Die Assozationen funktionieren nur deshalb, weil zB. "warme" Farben den Farben des Feuers ähneln.
In meinem Gedankenspiel bleibt das aber genauso. Der Mann sieht die Tomate blau, ein rotes Feuer aber sieht er auch blau. Blau (das er "Rot" nennt) ist für ihn also eine "warme" Farbe.
Es ist "wasserdicht" – es gibt keinen Weg dieses "Falschfarben-Sehen" empirisch nachzuweisen.

Farben dienen mir hier nicht als Metapher sondern als Beispiel, pars pro toto, für elemantare sinnliche Eindrücke - Qualia - aller Art.




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