#filosofix > Was ist Zeit?

Philosophische Gedankenexperimente in Form von Videos.
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Jörn Budesheim
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Fr 2. Mär 2018, 06:05

Alethos hat geschrieben :
Do 1. Mär 2018, 13:27
Aber mir will noch nicht ganz in den Kopf, wie lange dieses Jetzt dauert.
Wie lange dauert das Jetzt? Wie lange dauert ein Fußballspiel? Beide Fragen haben dieselbe Form und deswegen erwartet man vielleicht, dass man sie auch in derselben Art und Weise beantworten können müsste. Es gibt ja auch Versuche, die Länge des Jetzt zu messen. Das findet man bestimmt bei Google, ich meine mich zu erinnern, dass es ca 3 Sekunden sein sollen. Ich halte solche Versuche für grundsätzlich verfehlt, denn es macht keinen Sinn, einen Teil einer Relation zu messen, um herauszufinden, wie es um die gesamte Relation steht. Das Jetzt der Langeweile und das Jetzt des Rausches dürften gewisse Unterschiede aufweisen, gelinde gesagt... Einstein soll - wie bereits erwähnt - gesagt haben, Zeit ist das, was die Uhr misst. Beim Jetzt sind wir selbst die Uhr. Und wir ticken nicht mechanisch und messen das Verschiedene gleich.

Das Jetzt ist unsere Gondel am Zeitstrahl. Wenn man sie sich wie eine wirkliche Gondel aus Metall und Glas vorstellt, dann wird man sie vermessen wollen. Wenn man sie sich eher wie einen wolkigen Körper vorstellt, der in sich selbst in dauernder Bewegung und Veränderung ist, dann wird es mit dem Messen vielleicht schwerer :) das Jetzt ist gewiss kein Punkt, sondern eine Weile, die nicht verweilt.




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Jörn Budesheim
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Welche Grenze hat das erlebte Gesichtsfeld? Welche Grenze hat das Jetzt? Beide sind ohne Grenze aber nicht grenzenlos ...




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Stefanie hat geschrieben :
Do 1. Mär 2018, 11:56
das Sehen und die Zeit
Was bedeutet eigentlich der Ausdruck "Augenblick"? geht es dabei nicht um Sehen und Zeit?




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Jörn Budesheim
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Zeitreise: von t nach t




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Stefanie
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Fr 2. Mär 2018, 21:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Mär 2018, 07:29
Stefanie hat geschrieben :
Do 1. Mär 2018, 11:56
das Sehen und die Zeit
Was bedeutet eigentlich der Ausdruck "Augenblick"? geht es dabei nicht um Sehen und Zeit?
Aber ich sehe doch etwas, das Auge stellt doch seine Funktion nicht ein.
Wenn ich novon richtig verstanden habe, ist ein Sehen ohne Zeit nicht möglich.
Was weiß das Auge von der Zeit?
Ich verstehe es nicht. Und kann es nicht beschreiben und erklären, was ich genau nicht verstehe.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Alethos
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Fr 2. Mär 2018, 22:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Mär 2018, 06:05
Alethos hat geschrieben :
Do 1. Mär 2018, 13:27
Aber mir will noch nicht ganz in den Kopf, wie lange dieses Jetzt dauert.
Wie lange dauert das Jetzt? Wie lange dauert ein Fußballspiel? Beide Fragen haben dieselbe Form und deswegen erwartet man vielleicht, dass man sie auch in derselben Art und Weise beantworten können müsste. Es gibt ja auch Versuche, die Länge des Jetzt zu messen. Das findet man bestimmt bei Google, ich meine mich zu erinnern, dass es ca 3 Sekunden sein sollen. Ich halte solche Versuche für grundsätzlich verfehlt, denn es macht keinen Sinn, einen Teil einer Relation zu messen, um herauszufinden, wie es um die gesamte Relation steht. Das Jetzt der Langeweile und das Jetzt des Rausches dürften gewisse Unterschiede aufweisen, gelinde gesagt...
Da sind wir aber bei den Empfindungen von Dauer, also bei einem subjektiven Zeitmaß. Ob die letzten 5 Minuten eines spannenden, engen Spiels als viel länger empfunden werden als 5 Minuten eines langweiligen Spiels, das ändert ja nichts am Umstand, dass 5 Minuten immer 5 Minuten sind. Die empfundene Dauer ist demnach eine bestimmte Form des Involviertseins mit Ereignissen.

Zeitmessung hingegen (die immer gleichen 5 Minuten) bedeutet, Referenzereignisse einer bestimmten Dauer (Sekundenzeigerschläge, Atomzerfallsraten, Vollmonde etc.) abzuzählen. Diese Ereignisse haben eine bestimmte, objektive, unbeeinflussbar gleichbleibende Dauer, besser gesagt, eine nominale Dauer. Setzen wir nun diese Referenzereignisse in Bezug zu einem anderen Ereignis, sagen wir, es habe so und so lange gedauert. 5 Minuten bedeuten demnach die Summe der nominalen Ereignisse. Die Einheit, durch die die Zeit ausgedrückt wird, ist eine gesetzte. Deshalb ist gemessene Zeit ja auch eine objektive Relation, weil sie das Verhältnis von Ereignissen durch ein metrisches Raster ausdrückt, das unabhängig davon, wie wir auf sie schauen, immer diese 'Abmessungen' vornimmt.

Dass wir ein Raster anlegen, lässt meines Erachtens nur den Schluss zu, dass unser Zeitbegriff eine chronometrische Grösse ist. Sie wäre, so verstanden, eine durch ein Maß ausgedrückte Ausdehnung, nämlich die Ausdehnung der sich vollziehenden Bewegungen der Dinge. Dabei wird sie als Relation ausgedrückt zwischen dem Messenden (Subjekt bei der empfundenen Zeit, Raster bei der objektiven Zeit).

Aber deshalb haben wir doch noch immer nichts darüber ausgesagt, was Zeit ist, entweder nun deshalb, weil wir es vermöge unserer Erkenntnisfähigkeit nicht können, weil Zeit die Erkenntnis bedingt, sie also der Erkenntnis immer vorgelagert bleibt, oder aber, weil Zeit gar nichts anderes bedeutet als die Erscheinungsform der Ereignisse zu sein, deren Wandel wir wahrnehmen. Demnach gäbe es keine Zeit, die nicht mit dem Begriff des Wandels zusammenfiele. Zeit ist Wandel.

Wenn es richtig ist, dass Zeit in dieser Form immer nur als sich wandelnde Dinge verstanden werden kann, deren Ereignisfolgen wir durch Zeitmessung erfassen, haben wir einen objektiven Zeitbegriff erarbeitet, durch den sich Zeit an den Tatsachen in der Welt vollzieht und als dieser Vollzug denken lässt.

Ich denke, wenn wir die Zeit als Wandel der Dinge denken, erkennen wir, dass sie an sich selbst kein Jetzt haben kann. Denn das Jetzt ist ja eine Relation, die eines denkenden Subjekts bedarf resp. eines Bewussteins, das die relationale Verbindung seiner selbst mit den Dingen feststellt. Das Jetzt wäre so gesehen ein gleichmässiges Mitgehen des präsentischen Daseins mit dem Seienden. Wir denken: 'Jetzt' und geben der Relationalität der Zeit mit einem Subjekt Ausdruck. Ein Jetzt bedeutet somit eine Ausdehnung des Ichs in der Zeit und der Umfang dieser Ausdehnung ist die Gegenwart des Ichs. Das Jetzt wäre damit gleichbedeutend mit der Vergegenwärtigung des Ichs, der diesen Ort in dieser Zeit einnimmt. Die Gegenwart ist dehnbar, insofern das Ich über einen längeren Zeitraum hinweg gegenwärtig sein und sich bewusst sein kann, dass es hier und jetzt ist. Das Jetzt kann demnach auch viel länger dauern als 3 Sekunden, es dauert so gesehen möglicherweise ein Leben lang.

Aber das Gewahrwerden meiner Selbst im Hier und Jetzt als meine Gegenwart (die die Gegenwart aller zugleich seiender Subjekte sein muss), kann nicht das Jetzt bedeuten, das wir als Mitte zwischen der Vergangenheit und der Zukunft der Dinge meinen. Denn das hiesse ja, dass es ohne subjektive Präsenz keine Vergangenheit geben könnte, insofern das Vergangene und das Künftige in Bezug auf das Jetzt vergangen und künftig sind. Wenn aber das Jetzt zur Bedingung hat ein Subjekt, dann hat auch Vergangenheit und Zukunft zur Bedingung ein Subjekt. Aber das Zuvor, was vor dem Jetzt lag und das danach, das nach dem Jetzt kommt, das hängt ja nicht an meiner Gegenwart oder an der Gegenwart eines Anderen, sondern es muss als chronologisches Mittelding (wahrscheinlich kein isoliertes, sondern ein kontinuierliches) bestehen im Nacheinander der sich wandelnden Dinge. Sonst
hätte es ja nie ein sich expandierendes Weltall und abkühlende Planeten etc. geben können, denn wodurch hätte sich das vorher Warme und nachher Kalte einstellen können, wenn nicht dadurch, dass ein Wandel stattgefunden hat, dessen Mittelpunkt ein Jetzt war, vor dem es wärmer war als danach? Also muss es das Jetzt geben auch ohne Relation zu einem Subjekt

Mit anderen Worten: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehören zusammen nur in diesem Sinn des Begriffs von Gegenwart, in welchem gemeint ist, dass ein Subjekt das Vergangene und das Zukünftige aus der Perspektive seines Jetzt reflektiert. Oder aber das Vergangene und das Zukünftige existieren durch das Nacheinander der Dinge, so dass es aber auch ein Jetzt geben muss, das nichts mit der Relation eines Subjekts mit der Zeit zu tun hat, sondern eine Relation der Dinge zueinander bedeutet. In letzterem Fall aber müsste das Jetzt eine zeitliche Ausdehnung haben, die unmöglich klein wäre (denn wie klein ist das noch immer Kleinere?), so dass zu sagen wäre: Es gibt entweder kein Jetzt (weil es unendlich kurz ist) oder es gibt nur ein einziges Jetzt, in welchem es nur Raum und Dinge gibt und deren Wandel. Dann aber wäre nichts vergangen und künftig, sondern immer schon da.

Dann hätte ich aber nicht später als mein Grossvater existiert, er aber auch nicht früher als ich. Und niemals hätte ich plötzlich nicht mehr existiert, wenn ich in diesem einzigen grossen Jetzt an jenen Ort gegangen wäre, an welchem er war, wo ich nicht zugleich mit ihm war, um ihn zu töten, so dass ich nicht hätte geboren werden können. Das Zeitparadoxon wäre so gesehen keines, weil ich keine Zeitlinie gebrochen hätte, sondern lediglich einen anderen Weg durch den Raum abgeschritten wäre, so dass ich ihm hätte begegnen können dort, wo er und ich zugleich nie waren. Das Zeitparadoxon wäre ein Raumparadoxon :)



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Jörn Budesheim
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Vielleicht ist es nicht falsch, sich an dieser Stelle noch einmal das Start-Video anzuschauen, denn die meisten Fragen, die wir bisher besprochen haben, werden dort bereits behandelt.




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Sa 3. Mär 2018, 06:22

Alethos hat geschrieben :
Fr 2. Mär 2018, 22:10
Oder aber das Vergangene und das Zukünftige existieren durch das Nacheinander der Dinge, so dass es aber auch ein Jetzt geben muss, das nichts mit der Relation eines Subjekts mit der Zeit zu tun hat, sondern eine Relation der Dinge zueinander bedeutet.
Da wir unsere Begriffe offenbar an unserem Zeiterleben bilden, führen uns diese subjektiv gefärbten Begriffe leicht in die Irre, wenn wir die objektive Zeit betrachten wollen. Die Begriffe Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind offenbar subjektiv gefärbte Begriffe. Das sieht man leicht daran, finde ich, dass das, was vor zehn Minuten noch in der Zukunft lag, jetzt bereits zur Vergangenheit gehört. Das ist zwar objektive Zeitfolge, aber von mir aus betrachtet. Und der Ort der Betrachtung ist der einer bestimmten Person und ihrer ganz speziellen Zeitreise. Vergangenheit und Gegenwart sind relativ auf Personen.

Die Begriffe früher und später sind zwar auch relativ, aber nicht auf Personen. Diese Begriffe beziehen sich nur auf die zeitliche "Relation der Dinge zueinander", wie du es oben ausdrückst. (Und diese Relation scheint ziemlich kompliziert zu sein, wenn man sich die Relationalitätstheorie - besser bekannt als Relativitätstheorie - anschaut) Und die beiden Begriffe früher und später fordern keineswegs ein Jetzt. Ich für meinen Teil kann jedenfalls nicht erkennen, warum der Umstand, dass der Urknall früher und die Entstehung der Erde später stattfand, dazu führen sollte, dass es ein Jetzt geben muss.

Zwischen Vergangenheit und Zukunft liegt zumindest sprachlich die Gegenwart; zwischen früher und später liegt weder sprachlich noch sonst wie ein Jetzt.




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Sa 3. Mär 2018, 06:36

Alethos hat geschrieben :
Fr 2. Mär 2018, 22:10
Zeit ist Wandel.
Wenn ich richtig sehe, nach Betrachtung des Videos, bist du damit auf der Seite von Aristoteles :)

Mir ist allerdings noch nicht ganz klar, welche Frage damit überhaupt beantwortet ist. Geht es um den Begriff oder um seinen Gegenstand? Ich meine, der Begriff Zeit ist primitiv und lässt sich nicht auf andere Begriff zurückführen. Der Satz "Zeit ist Wandel" zeigt es meines Erachtens recht schön. Denn der Begriff Wandel erklärt nicht viel, weil er den Begriff Zeit bereits voraussetzt.

Anders verhält es sich wohl, wenn es um die Frage geht, über die Newton und Leibniz gestritten haben. Ist die Zeit, analog zum Raum, so etwas wie ein absoluter Behälter, so etwas wie ein absoluter Fluss, in denen die Dinge bloß hinein gelegt sind? Oder gibt es Zeit und Raum nur wenn es auch die Dinge gibt. Vor diesem Hintergrund klingt die Antwort so, als hätte man sich für die Leibnizsche Option entschieden.




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Sa 3. Mär 2018, 06:48

Alethos hat geschrieben :
Fr 2. Mär 2018, 22:10
Dass wir ein Raster anlegen, lässt meines Erachtens nur den Schluss zu, dass unser Zeitbegriff eine chronometrische Grösse ist.
Hier müsste man über den Unterschied von Chronos und Kairos sprechen, was bei manchen intellektuellen sehr beliebt ist... Dazu vielleicht später mehr? :mrgreen:

Was ist eine chronometrische Größe? Betrachtet man sich eine altertümliche, analoge Uhr bei der sich die Zeit im Kreis dreht, ist man vielleicht dichter an unserem Zeitempfinden und unserem Zeitbegriff als beim Betrachten einer digitalen Uhr. Ist unser Zeiterleben, unser Zeitbegriff nicht durch vielfältig verknüpfte Zyklen geprägt? Tag und Nacht. Ebbe und Flut. Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Die Wiederkehr bestimmter Daten, z.b. unser Geburtstag, gewisse Feste wie Ostern und Weihnachten, der Hochzeitstag etc. Die Wahlen, die Olympischen Spiele, die documenta... Die Abfolge der Generationen, Geburt, Kindheit, Jugend, Erwachsensein, Alter, sterben, Tod.




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Sa 3. Mär 2018, 17:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 3. Mär 2018, 06:36
Alethos hat geschrieben :
Fr 2. Mär 2018, 22:10
Zeit ist Wandel.
Ich meine, der Begriff Zeit ist primitiv und lässt sich nicht auf andere Begriff zurückführen. Der Satz "Zeit ist Wandel" zeigt es meines Erachtens recht schön. Denn der Begriff Wandel erklärt nicht viel, weil er den Begriff Zeit bereits voraussetzt.
Dieser Einwand entspringt natürlich der Annahme, dass Zeit so etwas wäre, das Wandel erst möglich macht. Vielleicht ist aber Wandel das, was zeitliche Abfolge erst ermöglicht. Es ist doch nämlich sonderbar, dass sich Zeit nirgends anders zeigt als in der räumlichen Veränderung. Sie ist immer nur feststellbar durch den Wandel, vielleicht ist sie ja der Wandel und nicht das dem Wandel Vorgelagerte? Möglich ist es und nicht undenkbar :)



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Sa 3. Mär 2018, 17:48

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 3. Mär 2018, 06:22
Die Begriffe früher und später sind zwar auch relativ, aber nicht auf Personen. Diese Begriffe beziehen sich nur auf die zeitliche "Relation der Dinge zueinander", wie du es oben ausdrückst. (Und diese Relation scheint ziemlich kompliziert zu sein, wenn man sich die Relationalitätstheorie - besser bekannt als Relativitätstheorie - anschaut) Und die beiden Begriffe früher und später fordern keineswegs ein Jetzt.
Die Begriffe, die wir nutzen, haben Implikationen und diese müssen wir kritisieren :) Früher und später, das sind doch Begriffe, die eine Relation zueinander darstellen. Es liegt eine zeitliche Relation vor, vielleicht aber nur eine räumliche (das können wir später vielleicht diskutieren).

Nehmen wir einen Tautropfen auf einem morgendlichen Baumblatt. Er glitzert an seiner Spitze. Er fällt und liegt auf dem Boden, bis die Frühlingssonne ihn verdampft. Es gibt hier eine Relation zwischen einem Zustand und dem anderen, denn es gibt offensichtlich das Nacheinander der Dinge. Aber diese Zustände, wann hören sie auf und wann beginnen sie? Offenbar implizieren sie nämlich, dass die Zeit stillsteht, wenn man sie als Zustände feststellt. Der 'Tropfen an der Blattspitze' kommt immer vor dem 'Tropfen am Boden', das scheint klar zu sein, aber dennoch gibt es ja nicht den eingefangenen Moment x, der vorher liegt und Moment y, der ihm folgt. Es gibt eine Bewegungsrichtung von x nach y, die beide Zustände nur scheinbar miteinander verbindet, denn diese Zustände sind wann? Entweder sie sind als diese Zustände gar nicht oder sie sind eine Momentaufnahme, denn diese Momentaufnahmen wären die Teile der Relation, die die Dinge miteinander eingehen. Ihr Nachheinander wird nur bestimmbar durch ihre Lokalisierung, aber ihre Lokalisierung ist ihr jeweiliges Jetzt. Das Nacheinander wird nicht denkbar sein ohne die Verortung der Dinge in ihrem Jetzt.

Wenn das stimmt, dann müssen wir aber die gleichen Fragen stellen an die Dauer dieses Jetzt wie zuvor: Ist es unendlich gross oder ist es unendlich klein? Letzteres würde bedeuten, dass die Dinge sich unendlich rasch wandeln würden, Zustände also immer nur Messungen wären, die nichts von irgendeiner Dauer feshielten, ersteres würde bedeuten, dass Zeit eine Illusion der Dinge ist, die sich wandeln.



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Mo 5. Mär 2018, 05:48

Alethos hat geschrieben :
Sa 3. Mär 2018, 17:48
Aber diese Zustände, wann hören sie auf und wann beginnen sie? Offenbar implizieren sie nämlich, dass die Zeit stillsteht, wenn man sie als Zustände feststellt.
Wenn ich feststelle, dass der Fluss fließt... ? Mir ist nicht klar, wie du auf diese Schlussfolgerungen oben kommst. Es sieht fast so aus als würdest Du von der Form der Wörter auf die Form der Dinge schließen. Als müssten die Dinge etwas "feststehendes" (oder wie immer man es nennen möchte) sein, weil die Wörter etwas feststehendes sind.




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Mo 5. Mär 2018, 11:02

Der Verdacht, hier würde ich vom Begriff auf die Ontologie schliessen, ist sicherlich nicht ganz unbegründet. Dennoch müssen wir ja angeben können, was wir meinen, wenn wir sagen, x komme vor y. Dazu gehört für mein Verständnis eine klare Vorstellung darüber, wann x stattfindet und aufhört. Oder sehe ich das zu eng?



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Franz Maria Arwee
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Di 6. Mär 2018, 00:17

Unendlichkeit & Ewigkeit.
Beides hat weder einen Anfang, noch ein Ende, noch eine Grenze.

Beides hat _keinen_ Maßstab, damit auch keine Größe und ist unbestimmt.

Sprachlich kann ich nur sagen, was keine Zeit sein kann.

Beispielsweise ist ein Takt, ein Anfang, ein Ende, eine Grenze, zwingend ohne Zeit, denn diese müßten bleiben, wie sie sind und könnten daher keine Folge und damit auch keine Zeit haben.




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Di 6. Mär 2018, 05:28

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit;
pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;
töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit;
abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;
weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit;
klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;
Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit;
herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit;
suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit;
behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;
zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit;
schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;
lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit;
Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.

Quelle: Altes Testament.




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Di 6. Mär 2018, 05:34

Franz Maria Arwee hat geschrieben :
Di 6. Mär 2018, 00:17
Sprachlich kann ich nur sagen, was keine Zeit sein kann.

Beispielsweise ist ein Takt, ein Anfang, ein Ende, eine Grenze, zwingend ohne Zeit, denn diese müßten bleiben, wie sie sind und könnten daher keine Folge und damit auch keine Zeit haben.
Nehmen wir den Sekundentakt. Nach deiner Ansicht kann er keine Zeit sein, weil?




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Di 6. Mär 2018, 05:41

Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Mär 2018, 11:02
[Wir müssen] angeben können, was wir meinen, wenn wir sagen, x komme vor y. Dazu gehört für mein Verständnis eine klare Vorstellung darüber, wann x stattfindet und aufhört. Oder sehe ich das zu eng?
Wenn wir sagen der Mittag kommt vor dem Abend, was genau müssen wir dann noch weiteres angeben, um klarzustellen was wir meinen? Es gibt meines Erachtens nicht für alle Begriffe noch grundlegende Begriffe, um zu erklären was sie bedeuten.




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Di 6. Mär 2018, 05:51

Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Mär 2018, 11:02
Dazu gehört für mein Verständnis eine klare Vorstellung darüber, wann x stattfindet und aufhört. Oder sehe ich das zu eng?
Bild

Nehmen wir dieses kleine Farbspektrum als Beispiel oder wie immer man es nennen möchte. So etwas wie einen Farbverlauf würde ich als Kontinuität bezeichnen. Wo das eine endet und das andere anfängt, das ist nicht klar bestimmt. Doch obwohl es Momente des Übergangs und Unbestimmtheit gibt, folgt daraus meines Erachtens nicht, dass es nicht grundsätzlich möglich ist, zu sagen dass diese Farbe links von jener Farbe liegt. Es ist z.b. nicht ganz klar wo die blaue Fläche links beginnt und wo sie endet. Dennoch ist es offensichtlich leicht möglich zu sagen, dass die blaue Fläche links von der rotorangenen Fläche am Rand des Bildes liegt.




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Di 6. Mär 2018, 06:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 6. Mär 2018, 05:41
Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Mär 2018, 11:02
[Wir müssen] angeben können, was wir meinen, wenn wir sagen, x komme vor y. Dazu gehört für mein Verständnis eine klare Vorstellung darüber, wann x stattfindet und aufhört. Oder sehe ich das zu eng?
Wo das eine endet und das andere anfängt, das ist nicht klar bestimmt. Doch obwohl es Momente des Übergangs und Unbestimmtheit gibt, folgt daraus meines Erachtens nicht, dass es nicht grundsätzlich möglich ist, zu sagen dass diese Farbe links von jener Farbe liegt.
Ja, nur eben meine ich, dass die Perspektive auf etwas, das es als Vorheriges oder Nachheriges zeigt, keinen Beweis für Zeit liefert. Es könnte sich bei Zeit auch um eine räumliche Relativität handeln.

Übrigens: Schönes Spektrum. Es weist fliessende Übergänge auf und repräsentiert die fliessende Zeit. Damit hast du mich überzeugt, dass es das Jetzt zwischen Rot und Blau, Grün oder Gelb an der Sache nicht geben muss, damit sie nacheinander erscheinen. :)

Das bedeutet nun, wie oben schon eimal
gemeinsam festgestellt, dass Vergangenheit und Zukunft nur relativ zum
Subjekt als eine Perspektive des Subjekts auf die Zeit vom Jetzt her gesehen, sozusagen einen Blick nach 'Links und Rechts' darstellt. Dass etwas vor etwas anderem liegt heisst demnach festzustellen, dass es jetzt nicht mehr ist oder noch nicht ist, aber nicht zwangsläufig, dass es deshalb nirgends mehr ist. Wenn das Jetzt, wie du sagtest, nur 3 Sekunden dauerte, würde alles nur 3 Sekunden existieren, um dann bereits in den Verfall überzugehen. Es ist doch leicht zu denken, dass das Vergangene auch noch ist. Sein und Jetzt das gehört nicht zwingend zusammen, oder?



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