Künstliche Intelligenz

Es gibt heute kaum Bereiche des alltäglichen Lebens, die nicht in irgendeiner Weise mit dem World-Wide-Web zusammenhängen. Das Gleiche gilt für "künstliche Intelligenz". Was hat die Philosophie dazu zu sagen?
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Jörn Budesheim
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Do 1. Dez 2022, 09:11

sybok hat geschrieben :
Mi 30. Nov 2022, 21:44
"Maschine" ... "Computer" ... "Superorganismus" ... "juristische Person"
Ja, wir nutzen oft Metaphern, Übertragungen und ähnliches. Aus verschiedenen Gründen, etwa um sich Sachen anschaulich zu machen oder weil ein Phänomen neu ist und uns (noch) die Worte fehlen. Ich glaube jedoch nicht, dass es möglich ist, darüber ein "generelles" Urteil zu fällen. Also etwa nach dem Muster: "Da sprechen wir doch von 'juristischen Personen', warum nicht hier auch von 'künstlichen Intelligenzen'?" Man muss wohl jeden Fall einzeln ins Visier nehmen. Wenn das Bild, das man nutzt, noch als Bild zu erkennen ist, dann liegen die Dinge anders als wenn das nicht mehr der Fall ist, zum Beispiel.
sybok hat geschrieben :
Mi 30. Nov 2022, 21:44
Ich würde, das hab ich ja glaube ich in weniger konkreter Form hier auch schon erwähnt, diesen Topos von der "künstlich geschaffenen Lebensform" also eigentlich lieber als Teil der Suche nach Antworten auf "die grosse Fragen" verstehen wollen, als Teil der Auseinandersetzung des Menschen mit sich selber.
Ja, das kann ich gut nachvollziehen, da ist auf jeden Fall was dran.




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Lucian Wing
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Do 1. Dez 2022, 09:49

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 08:08
Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 30. Nov 2022, 22:11
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 30. Nov 2022, 21:54

Würdest Du denn sagen, dass z.B.die Idee der Menschenwürde keine Geltung haben sollte, weil wir ihre Richtigkeit nicht beweisen können?
Also, das wird jetzt zu spezifisch und themenfremd hier.
Mir geht es gar nicht so sehr um die Würde, sondern um diese, Deine Aussage:
Erstens sind die Folgen einer Sache kein Einwand gegen ihre Richtigkeit, zumal wir uns zweitens tatsächlich gar nicht sicher sein können, ob unser Selbstbild und damit die mentalistische Sprache auch tatsächlich das, was ist, richtig repräsentiert. Dazu müssten wir das, was sybok wissen möchte ...
Ich denke nämlich nicht dass das stimmt. Die Folgen sind sehr wohl ein berechtigter Einwand.
Sie sind ein berechtigter Einwand, aber die Folgen einer Sache sagen uns nicht notwendig etwas darüber, ob sie richtig oder falsch ist. Ich kann den eliminativen Materialismus in seinen Argumenten nicht dadurch widerlegen, dass ich den Vertretern sage, was das für Folgen hätte. Ich habe in einem Papier übers moralische Argumentieren eine hübsche Passage gefunden (aus einem Roman von Henry James):

"Meiner Meinung nach sollte man etwas mögen oder eben nicht. Selbstverständlich kann man nicht alles mögen. Aber deswegen braucht man doch nicht immer alles gleich logisch zu begründen und auszudiskutieren. Man weiß ja nie, wo einen das hinführt. Es gibt sehr gute Gefühle, die oft sehr schlechte Gründe haben, oder etwa nicht? Und dann gibt es sehr schlechte Gefühle, die wiederum gute Gründe haben. Verstehen Sie denn nicht, was ich meine? Begründungen sind mir völlig egal, aber ich weiß, was ich mag."

Was sybok wissen will, halte ich für berechtigt. Es geht doch nur darum, inwiefern wir den Reduktionismus des eliminativen Materialismus akzeptieren und dann daraus die Schlussfolgerung ziehen, man gewähre einer KI den Status eines Menschen mit den entsprechenden Rechten. Aber das lässt sich einfach lösen: Die Beweispflicht liegt beim eliminativen Materialismus. So wie die Beweispflicht über die Existenz Gottes bei den Gläubigen liegt. Und das wiederum kann man dann auf der Basis der Einsicht in die Folgen argumentativ sauber begründen. Wer der KI einen anderen Status als einem sonstigen materiellen Eigentum verleihen will, muss syboks Frage beantworten. Erst dann können wir feststellen, ob unser Selbstbild eine Illusion ist oder nicht.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Jörn Budesheim
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Do 1. Dez 2022, 10:15

Lucian Wing hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 09:49
Was sybok wissen will, halte ich für berechtigt.
Ich hingegen halte es in der Sache für verfehlt. Ich hab weiter oben dafür argumentiert. Die Sache des Denkens können wir nur aus dem Denken selbst heraus erkennen. Um ein Bild von John McDowell zu verwenden: Das, worum es hier geht, erkennen wir nicht vom Spielfeldrand aus, sondern nur, wenn wir selbst auf dem Spielfeld sind. Unser mentalistisches Vokabular handelt von dem Spiel auf diesem Spielfeld.




Körper
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Do 1. Dez 2022, 11:40

Lucian Wing hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 09:49
Was sybok wissen will, halte ich für berechtigt.
Um welche Frage soll es gehen und wie sehr berücksichtigt die Frage, dass der Mensch ein Nervensystem hat?
Ich frage nach dem Nervensystem, weil so gut wie niemand darüber redet, obwohl der Mensch exakt dort aktiv ist, wenn es um "das Ziel" des "mentalistischen Vokabulars" geht.
Lucian Wing hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 09:49
Es geht doch nur darum, inwiefern wir den Reduktionismus des eliminativen Materialismus akzeptieren und dann daraus die Schlussfolgerung ziehen, man gewähre einer KI den Status eines Menschen mit den entsprechenden Rechten. Aber das lässt sich einfach lösen: Die Beweispflicht liegt beim eliminativen Materialismus. So wie die Beweispflicht über die Existenz Gottes bei den Gläubigen liegt.
Der Einsatz des Begriffes "Reduktion" würde voraussetzen, dass etwas vorhanden ist, das man reduzieren kann.
Genau hier kommt man aber anhand des "mentalistischen Vokabulars" nicht über das Erheben eines Anspruchs hinaus.
Das ist zu wenig, als dass man von einem "Ausgangspunkt" sprechen kann.

Zudem kommt unmittelbar das Nervensystem ins Spiel, das als eindeutig vorhandener Menschanteil gegen diesen Anspruch vorgebracht werden kann.
Ich habe das schon einige Male geschrieben: die Ansprüche, die aus philosophischer Richtung erhoben werden, kann noch nicht einmal der Mensch erfüllen.

Gerade eben zeigt sich wieder, wo die Reise bei (so manchem) Philosophen hingehen soll: das Denken alleine soll ausreichend sein.
Das ist aber leider dilettantisch, denn der Mensch hat ein Nervensystem und aus dem Denken heraus, weiss er davon rein gar nichts.




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Jörn Budesheim
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Do 1. Dez 2022, 12:02

Körper hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 11:40
Der Einsatz des Begriffes "Reduktion" würde voraussetzen, dass etwas vorhanden ist, das man reduzieren kann.
Körper hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 11:40
das Erheben eines Anspruchs
"Das Erheben eines Anspruches" gehört aber schon genau zu dem, von dem du leugnest, dass es vorhanden ist.




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Do 1. Dez 2022, 12:47

Das Erheben eines Anspruches ist Reaktion, die im Nervensystem abläuft.
Es gibt keinerlei Grund, das zu leugnen.




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Lucian Wing
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Do 1. Dez 2022, 12:59

Körper hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 12:47
Das Erheben eines Anspruches ist Reaktion, die im Nervensystem abläuft.
Es gibt keinerlei Grund, das zu leugnen.
Dann fehlt nur noch der Grund, warum das Nervensystem den Anspruch erhebt. Harmonie kann der Grund nicht sein, sonst könnten wir hier nicht disharmonisch diskutieren. Da verbraucht das Nervensystem nach deiner Lesart völlig sinnlos Energie, etwas, was eigentlich widerläufig ist.



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Körper
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Do 1. Dez 2022, 13:58

Lucian Wing hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 12:59
Dann fehlt nur noch der Grund, warum das Nervensystem den Anspruch erhebt.
Nein, im Nervensystem baut der Mensch die (für ihn) gerade relevanten Zusammenhänge auf.
Lucian Wing hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 12:59
Harmonie kann der Grund nicht sein, sonst könnten wir hier nicht disharmonisch diskutieren.
Im Nervensystem geht es nicht um "Körper zu Körper"-Harmonien, sondern um Reaktionsharmonien.
Der menschliche Körper konfrontiert/belastet jedoch sein Nervensystem mit seinen Umständen durch das Anstossen von Reaktionen.
Diese ganzen Umstände (Reaktionseinspeisungen/Reaktionsbeeinflussungen) versucht das Nervensystem in einer harmonischen Zellreaktion zu verwalten.
Das "Ergebnis" (die "Ergebnisreaktion") ist ein fortgesetztes/aufbauendes Berücksichtigen der Zusammenhänge der aktuellen Körpersituation.
Durch ein ständiges Feedback "handelt" der Körper in seinem Nervensystem und ist letztlich auch dort von "Mentalumständen" überzeugt.
In der fortgesetzten Reaktion des Nervensystems werden die Zusammenhänge einer "Subjektivitäts-Überzeugung" aufgebaut.
Durch Drogeneinfluss kann man die "Subjektivitäts-Überzeugung" beeinflussen und sogar auflösen (Anästhesie).

Das Nervensystem ist tatsächlich der argumentative Hammer, nach dem du verlangst.
Lucian Wing hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 12:59
Da verbraucht das Nervensystem nach deiner Lesart völlig sinnlos Energie, etwas, was eigentlich widerläufig ist.
Nein, eine körperliche Disharmonie, die in der Körper in seiner Wahrnehmungsreaktion korrekt verwaltet, ist im Nervensystem eine harmonische Reaktion.




Henk
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Do 1. Dez 2022, 17:50

sybok hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 14:56
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 12:59
Was soll das heißen: "'Wo" sind meine Gedanken?"
Hm, schwierig zu beschreiben: Wenn ich konkret was denke, etwa "heute Abend esse ich Kartoffeln", und mir die Situation vorstelle wie ich heute Abend Kartoffeln esse, "wo" ist dieser Gedanke? Irgendwie "höre" ich ja den Satz "in" meinem Kopf obwohl es keine Schallwellen gibt und sehe ein Bild, wie man sagt, "vor meinem geistigen Auge". Aber dieses Bild, das ich von mir habe, Kartoffeln essend, das ich ja irgendwie schon tatsächlich "sehe", worauf ist es gezeichnet, woraus besteht die "Leinwand" und "wo" ist sie?
Kurz: Was ist das Trägermedium von Gedanken?
Der Mind, der Geist. Du selbst




Burkart
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Do 1. Dez 2022, 21:00

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 08:08
Die Prämisse mit der KI-Forscher arbeiten, also dieses Menschenbild nach dem der Mensch nur eine biologische Maschine sei die man nur nachbauen müsse, finde ich hochgradig fragwürdig.
Nur gut, dass viele KI-Forscher den Menschen nicht als biologische Maschine ansehen :)



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

sybok
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Fr 2. Dez 2022, 11:48

Lucian Wing hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 11:10
Erstens sind die Folgen einer Sache kein Einwand gegen ihre Richtigkeit, zumal wir uns zweitens tatsächlich gar nicht sicher sein können, ob unser Selbstbild und damit die mentalistische Sprache auch tatsächlich das, was ist, richtig repräsentiert.
Lucian Wing hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 09:49
Erst dann können wir feststellen, ob unser Selbstbild eine Illusion ist oder nicht.
Ja genau das ist der Punkt. Ich glaube mittlerweile einige Aspekte von den Argumenten bezüglich diesem "mentalisitschen" Vokabular verstehen zu können. Aber ich kann diese, für mich so wirkende, in Anspruchnahme einer Art Deutungshoheit über völlig unklare Begriffe nach wie vor nicht vollständig nachvollziehen, nach wie vor wirkt das auf mich irgendwie destruktiv, "Wege absperrend".

Intelligenz wurde mal mit der Fähigkeit assoziiert, eine Partie Schach spielen zu können. Das mag aus heutiger Sicht ein bisschen lustig sein, aber die Leute waren ja keine Vollidioten. Dann geht es halt weiter: Was, wenn keine vollständige Information gegeben und die Umwelt stochastisch ist - Auto fahren? Konzeptuell ebenfalls abgehakt und auch nicht Intelligenz. Es ist Tesler's Theorem: Wenn wir was implementieren können, wissen wir, wie es funktioniert und es kann demnach nicht mehr "Intelligenz" sein (wie würden wohl die Menschen in der Antike auf die Roboterhunde der DARPA und Boston Dynamics reagieren?). Das Problem ist ja noch nicht mal ein rein technisch-naturwissenschaftliches: "Intelligenz ist, was der IQ-Test misst", auch nicht restlos befriedigend.
Man kann sich fragen, was von diesem Begriff, wenn wir so weitermachen, schlussendlich noch übrig bleiben wird. Mittlerweile wird "Intelligenz" ja mit völlig anderen, vorerst/ursprünglich wahrscheinlich "artfremden" Kategorien verknüpft, um ihn gewissermassen noch retten zu können: "Für Intelligenz braucht es Kreativität", aber auch das hat ja bereits angefangen zu bröckeln.
In der Biologie / Verhaltensforschung gibt es glaube ich ein ähnliches Phänomen: Wir sind nicht die Einzigen, die Werkzeuge benutzen. Andere Lebensformen erkennen sich auch im Spiegel. Wir sind nicht die Einzigen, die Pläne machen. Wir sind nicht die einzigen metakognitiven Lebewesen. Etc. Immer mehr bröckelt weg.

Die KI-Forschung, würde ich meinen, könnte uns auch helfen, über diese Konzepte, Intelligenz, Kreativität, Bewusstsein, etc. mehr Klarheit zu gewinnen. Eben unser Selbstbild besser zu fundieren, besser verstehen zu können, was es ist, dass uns glauben oder vermuten lässt, resp. was wirklich der konkrete Faktor ist, dass sich der Mensch doch irgendwo abhebt. Das ist doch etwas Positives, dabei fällt uns doch kein Zacken aus der Krone.
Zuletzt geändert von sybok am Fr 2. Dez 2022, 12:02, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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Fr 2. Dez 2022, 12:02

Die "Deutungshoheit" liegt meines Erachtens nicht bei Personen oder Gruppen, sondern bei derjenigen Realität, auf die sich diese Begriffe ursprünglich beziehen. Intelligenz bezieht sich beispielsweise auf die Fähigkeiten von Lebewesen, ihre Probleme in knapper Zeit zu lösen. Dass diese Begriffe vage sind, haben sie mit nahezu allen anderen Begriffen gemein, das liegt in ihrer "Natur" und spricht keineswegs dafür, dass man ihre Referenz nach Belieben abändern kann, sodass der Kern der Sache verloren geht.

Ich finde den Begriff "Deutungshoheit" unangemessen und auch etwas ärgerlich, da ich für meine Ansicht seit 64 Seiten argumentiere, auf einschlägige Literatur verweise und Beispiele bringe und nicht einfach Hoheitsansprüche geltend mache. Das gibt den Verlauf der Diskussion nicht gut wieder, finde ich.




sybok
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Fr 2. Dez 2022, 12:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 12:02
Ich finde den Begriff "Deutungshoheit" unangemessen und auch etwas ärgerlich, da ich für meine Ansicht argumentiere und Beispiele bringe und nicht einfach Hoheitsansprüche geltend mache. Das gibt den Verlauf der Diskussion nicht gut wieder, finde ich.
Ok, dann bitte ich um Entschuldigung. Das ist mir nicht so wichtig, ich werde das nicht mehr so verwenden.
Aber es ist doch klar, was ich meine oder? Jeder Definitionsversuch ist an irgendeiner Stelle unbefriedigend:
Der Schleimpilz ist ein Lebewesen und er löst "seine Probleme" in "knapper Zeit", ist er intelligent?



---------
EDIT:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 12:02
Die "Deutungshoheit" liegt meines Erachtens nicht bei Personen oder Gruppen, sondern bei derjenigen Realität, auf die sich diese Begriffe ursprünglich beziehen.
Das stimmt doch nicht, dafür ist Sprache doch viel zu dynamisch. Sprichst du von der Waffe der Deutschen im ersten Weltkrieg, wenn du "Nullachtfünfzehn" verwendest?




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Jörn Budesheim
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sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 12:26
Jeder Definitionsversuch ist an irgendeiner Stelle unbefriedigend
Nehmen wir ein Beispiel, stellen wir uns einen Farbverlauf vor. Der Übergang zwischen rot und orange ist fließend. Es gibt also in diesem Verlauf Bereiche, wo es unklar ist, ob wir noch von orange oder schon von rot sprechen können. Aber folgt daraus, dass es nicht auch eindeutige Fälle gibt? Nein. Folgt daraus, dass unsere Begriffe nach Belieben verwendet werden können? Nein. Daraus, dass rot ein vager Begriff ist, folgt zum Beispiel nicht, dass wir ohne Weiteres grün rot nennen können oder sollen. Der Hinweis darauf, dass Begriffe vage sind, bringt meines Erachtens in der Regel nicht viel, wenn man nicht mit weiteren Argumenten erläutert, was damit für die jeweils vorliegende Frage gesagt ist.

Auch der Hinweis auf Grenzfälle oder Fälle, wo wir nicht entscheiden können, ob der Begriff korrekt angewendet ist, wie bei dem Pilz, sagt für sich allein nicht viel. Nehmen wir "for the sake of argument" an, dass wir nicht wissen, ob wir diesen Einzeller intelligent nennen können. Was sagt das für unsere Fragestellung? Meines Erachtens gar nichts. Warum auch? Wir kennen ziemlich eindeutige Fälle und das sind die Fälle, aus denen wir den Begriff ziehen.

Und hier können wir uns fragen, was in diesen Fällen für Eigenschaften vorliegen, die uns dazu bringen, von Intelligenz zu sprechen. Bei den Fällen, von denen der Begriff ursprünglich abgeleitet ist, handelt es sich um Lebewesen, die sich in einer besonderen Art und Weise in ihrer Umwelt verhalten. Das heißt für mich, dass sie Probleme lösen. Probleme, die in ihrer Lebensform begründet sind und ihrem Selbstbezug, sagen wir: ihrer Selbstsorge. Sie knacken Nüsse, sie spielen manchmal, sie schützen sich vor Feinden und ähnliches. Es geht dabei im Kleinen wie im Großen um ihr Leben, oft gar ihre "Weiterexistenz". Um etwas, was für sie selbst (und ggf. Ihresgleichen) von Bedeutung ist. In diesen Fällen steht etwas auf dem Spiel. Alles vage Begriffe, aber ich finde sie gut nachvollziehbar, weil sie aus unserem Leben entnommen sind. Was es heißt, dass etwas auf dem Spiel steht, was man, wenn man es schon mal erlebt hat.

Das ähnelt meines Erachtens in praktisch nichts den Maschinen, die jetzt intelligent genannt werden sollen. (Warum eigentlich sollen sie so genannt werden? Marketing? Projektgelder?)

Von diesen mehr oder weniger eindeutigen Fällen aus können uns zwar Fälle begegnen, die unklar sind, aber das gibt uns nicht den geringsten Grund dafür, einen Computer intelligent zu nennen. Auch der Hinweis darauf, der hier gelegentlich vorgebracht wurde, dass die Computer ja mal so werden könnten, bringt nicht viel, finde ich. Dann, das spricht nicht dafür, sie jetzt intelligent zu nennen. Was du ja selbst ablehnst, wenn ich recht sehe.




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Jörn Budesheim
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Fr 2. Dez 2022, 13:12

sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 12:26
Sprichst du von der Waffe der Deutschen im ersten Weltkrieg, wenn du "Nullachtfünfzehn" verwendest?
Wir sollten hier unbedingt Gegenstände, Begriffe und Wörter/Ausdrücke unterscheiden.




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Lucian Wing
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Fr 2. Dez 2022, 15:56

sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 12:26

Der Schleimpilz ist ein Lebewesen und er löst "seine Probleme" in "knapper Zeit", ist er intelligent?
Nein. Das ist so ein Satz, bei dem man, mit John Searle gesprochen, in einem Als-Ob-Modus der Intentionalität spricht. Wir reden über den Schleimpilz so, als hätte er Intentionalität. Das hilft uns beim Verstehen der Welt auch ganz gut. Aber der Schleimpilz hat, nach allem, was wir wissen, keine Intentionalität und keine Probleme. Hier wäre die Sprache angemessen, die Körper verwendet (Reiz-Reaktion usw.).



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sybok
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Fr 2. Dez 2022, 16:24

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 13:09
Auch der Hinweis auf Grenzfälle oder Fälle, wo wir nicht entscheiden können, ob der Begriff korrekt angewendet ist, wie bei dem Pilz, sagt für sich allein nicht viel. Nehmen wir "for the sake of argument" an, dass wir nicht wissen, ob wir diesen Einzeller intelligent nennen können. Was sagt das für unsere Fragestellung? Meines Erachtens gar nichts. Warum auch?
Doch, für mich schon: Es sagt mir, dass die Definition für einen formalen Rahmen nichts taugt. "Intelligenz" wurde ursprünglich im Kontext des Menschen verwendet, ok, hab ich verstanden. Die Anwendung auf die Maschine als Metapher ist eine Verlegenheitslösung, kann ich auch nachvollziehen und hab ich was gelernt. In der angewandten Alltagssprache sind Begriffe nicht scharf und das gilt auch für Intelligenz, seh ich auch so.
Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, wenn man in einem formalen Rahmen, in einer Diskussion bei der der Fokus geradezu auf dem Begriff liegt und seine exakte Bedeutung wesentlich ist, wo man ein formales Entscheidungskriterium braucht, einerseits Schärfe und exaktes Wissen um die Bedeutung des Begriffes suggeriert, andererseits bei Nachfrage nach exakter Definition und Entscheidungskriterien wiederum die allgemeine Unschärfe von Begriffen im Alltagskontext anführt. Das geht doch einfach nicht auf?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 13:09
Warum eigentlich sollen sie so genannt werden? Marketing? Projektgelder?
Meiner Meinung nach ja, leider ja.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 13:09
Auch der Hinweis darauf, der hier gelegentlich vorgebracht wurde, dass die Computer ja mal so werden könnten, bringt nicht viel, finde ich.
Das sehe ich als gedankliches Werkzeug, "Intelligenz", "Kreativität", "Bewusstsein", "Lernen", etc. besser sortieren zu können, ausdifferenzieren und sich mehr Klarheit verschaffen zu können.
Einerseits kann man das in die SciFi verschieben, dem ich schon was abgewinnen kann. Andererseits, aus meiner Perspektive, grenzt das, was wir mit dem Computer anstellen können, an Wunder. Und es gibt Indizien, wie etwa dass sowas wie der "Schachtürke" tatsächlich realisiert wurde.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 13:09
Dann, das spricht nicht dafür, sie jetzt intelligent zu nennen. Was du ja selbst ablehnst, wenn ich recht sehe.
Ja, bei derzeitgen, konkreten Systemen würde ich von ML, oder noch lieber von angewandter Statistik oder statistischen Algorithmen, sprechen. Das ist für mich eben sozusagen eine "Kernfrage": Wo, wenn es eine gibt, ist die Grenze und wodurch wird sie charakterisiert?
Ich glaube übrigens sogar, dass ein neuer sogenannter "AI Winter" vor der Tür steht. Das ist scheisse und passiert eben auch deshalb, weil man das Marketing mit der Realität verwechselt. Unzulässig pauschalisierend ;) : Die Leute aus "meinem Bereich", falls ich das so sagen kann, wollen diesbezüglich Dinge verkaufen und Start-Ups mit Ping-Pong-Tischen in den Büros gründen. Die wollen gar nicht wirklich "KI", die wollen kein Navi bauen das dir sagt: "Bin gerade beschäftigt, schau doch selber auf der Karte nach!". Ich bin für mich zum Schluss gekommen, dass ich meine Hoffnungen auf die Philosophen setze (*).

(*)
Das Metapher-Video war spitze, auf das Konzept des "china brain" bin ich auf "philosophie-raum.de" von einem User hingewiesen worden. Auch die "Selbtsentfremdung"-Geschichte, kann man vielleicht sagen, hat irgendwo "meinen gedanklichen Horizont" erweitert ;) .




sybok
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Fr 2. Dez 2022, 16:34

Lucian Wing hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 15:56
sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 12:26

Der Schleimpilz ist ein Lebewesen und er löst "seine Probleme" in "knapper Zeit", ist er intelligent?
Nein. Das ist so ein Satz, bei dem man, mit John Searle gesprochen, in einem Als-Ob-Modus der Intentionalität spricht. Wir reden über den Schleimpilz so, als hätte er Intentionalität. Das hilft uns beim Verstehen der Welt auch ganz gut. Aber der Schleimpilz hat, nach allem, was wir wissen, keine Intentionalität und keine Probleme. Hier wäre die Sprache angemessen, die Körper verwendet (Reiz-Reaktion usw.).
Ja, dann geht es jetzt mit "Problem haben" weiter. Muss er nicht Nahrung finden und ist das nicht "ein Problem haben"?
Das ist ja genau Teil des interessanten Problems, wo endet die Beschreibung über Reiz/Reaktion-Systeme, über eine technische Beschreibung, über informationsverarbeitende Systeme? Für den Pilz ist es also angemessen, für den Regenwurm auch immer noch? Bauen Ameisen diese faszinierenden Bauten auf Grund eines Reiz/Reaktions-Systems? Gilt das nicht mehr für die Hauskatze, Ratte, Affe, Menschen? Wo ziehst du da die Grenze und warum?




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Lucian Wing
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Fr 2. Dez 2022, 16:44

sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 16:34
Lucian Wing hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 15:56
sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 12:26

Der Schleimpilz ist ein Lebewesen und er löst "seine Probleme" in "knapper Zeit", ist er intelligent?
Nein. Das ist so ein Satz, bei dem man, mit John Searle gesprochen, in einem Als-Ob-Modus der Intentionalität spricht. Wir reden über den Schleimpilz so, als hätte er Intentionalität. Das hilft uns beim Verstehen der Welt auch ganz gut. Aber der Schleimpilz hat, nach allem, was wir wissen, keine Intentionalität und keine Probleme. Hier wäre die Sprache angemessen, die Körper verwendet (Reiz-Reaktion usw.).
Ja, dann geht es jetzt mit "Problem haben" weiter. Muss er nicht Nahrung finden und ist das nicht "ein Problem haben"?
Das ist ja genau Teil des interessanten Problems, wo endet die Beschreibung über Reiz/Reaktion-Systeme, über eine technische Beschreibung, über informationsverarbeitende Systeme? Für den Pilz ist es also angemessen, für den Regenwurm auch immer noch? Bauen Ameisen diese faszinierenden Bauten auf Grund eines Reiz/Reaktions-Systems? Gilt das nicht mehr für die Hauskatze, Ratte, Affe, Menschen? Wo ziehst du da die Grenze und warum?
Bei Intentionalität, also der Fähigkeit, sich bewusst auf ein Ziel ausrichten zu können. und nicht bloß blind einem inneren Programm zu folgen. Solange wir die Frage des Bewusstseins nicht geklärt haben, so lange würde ich an den Unterschieden festhalten.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

sybok
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Fr 2. Dez 2022, 17:03

Lucian Wing hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 16:44
sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 16:34
Lucian Wing hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 15:56


Nein. Das ist so ein Satz, bei dem man, mit John Searle gesprochen, in einem Als-Ob-Modus der Intentionalität spricht. Wir reden über den Schleimpilz so, als hätte er Intentionalität. Das hilft uns beim Verstehen der Welt auch ganz gut. Aber der Schleimpilz hat, nach allem, was wir wissen, keine Intentionalität und keine Probleme. Hier wäre die Sprache angemessen, die Körper verwendet (Reiz-Reaktion usw.).
Ja, dann geht es jetzt mit "Problem haben" weiter. Muss er nicht Nahrung finden und ist das nicht "ein Problem haben"?
Das ist ja genau Teil des interessanten Problems, wo endet die Beschreibung über Reiz/Reaktion-Systeme, über eine technische Beschreibung, über informationsverarbeitende Systeme? Für den Pilz ist es also angemessen, für den Regenwurm auch immer noch? Bauen Ameisen diese faszinierenden Bauten auf Grund eines Reiz/Reaktions-Systems? Gilt das nicht mehr für die Hauskatze, Ratte, Affe, Menschen? Wo ziehst du da die Grenze und warum?
Bei Intentionalität, also der Fähigkeit, sich bewusst auf ein Ziel ausrichten zu können. und nicht bloß blind einem inneren Programm zu folgen. Solange wir die Frage des Bewusstseins nicht geklärt haben, so lange würde ich an den Unterschieden festhalten.
Aber das dreht sich doch einfach mit neuen Begriffen im gleichen Kreis. Woher weisst du denn, dass du keinem inneren Programm folgst? Zweifellos unterliegen wir den Naturgesetzen, ob du willst oder nicht kann dich der Anästhesist ausknipsen. Unsere Handlungen und Verhaltensweisen sind letztlich "nur" weitaus komplexer und vielfältiger als jene des Schleimpilzes. Ständig kann mehr erklärt werden. Das, was wir "in uns", für uns selber, als Intentionalität wahrnehmen, könnte auch irgendeine Art von Artefakt eines computationalen Prozesses sein.




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