Künstliche Intelligenz

Es gibt heute kaum Bereiche des alltäglichen Lebens, die nicht in irgendeiner Weise mit dem World-Wide-Web zusammenhängen. Das Gleiche gilt für "künstliche Intelligenz". Was hat die Philosophie dazu zu sagen?
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Lucian Wing
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Fr 2. Dez 2022, 17:24

sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 17:03
Lucian Wing hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 16:44
sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 16:34


Ja, dann geht es jetzt mit "Problem haben" weiter. Muss er nicht Nahrung finden und ist das nicht "ein Problem haben"?
Das ist ja genau Teil des interessanten Problems, wo endet die Beschreibung über Reiz/Reaktion-Systeme, über eine technische Beschreibung, über informationsverarbeitende Systeme? Für den Pilz ist es also angemessen, für den Regenwurm auch immer noch? Bauen Ameisen diese faszinierenden Bauten auf Grund eines Reiz/Reaktions-Systems? Gilt das nicht mehr für die Hauskatze, Ratte, Affe, Menschen? Wo ziehst du da die Grenze und warum?
Bei Intentionalität, also der Fähigkeit, sich bewusst auf ein Ziel ausrichten zu können. und nicht bloß blind einem inneren Programm zu folgen. Solange wir die Frage des Bewusstseins nicht geklärt haben, so lange würde ich an den Unterschieden festhalten.
Aber das dreht sich doch einfach mit neuen Begriffen im gleichen Kreis. Woher weisst du denn, dass du keinem inneren Programm folgst? Zweifellos unterliegen wir den Naturgesetzen, ob du willst oder nicht kann dich der Anästhesist ausknipsen. Unsere Handlungen und Verhaltensweisen sind letztlich "nur" weitaus komplexer und vielfältiger als jene des Schleimpilzes. Ständig kann mehr erklärt werden. Das, was wir "in uns", für uns selber, als Intentionalität wahrnehmen, könnte auch irgendeine Art von Artefakt eines computationalen Prozesses sein.
Ja, das hat der Schubert auch immer behauptet. :mrgreen:

Was immer wir sind - wir erfahren uns nicht als Ergebnis eines computationalen Prozesses, und das spiegelt sich in unserem Vokabular auch wieder. Unsere Begriffe sind in ein Netz von Bedeutungen eingebettet, in denen sich unsere Erfahrung widerspiegelt bzw. ausdrückt. Sie beziehen sich auf diese Erfahrung und unser Wissen - und es gibt kein Wissen und keine Erfahrung, die uns im Augenblick erlauben würden, von der Psyche eines Schleimpilzes oder einer KI zu sprechen.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

sybok
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Fr 2. Dez 2022, 18:17

Lucian Wing hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 17:24
Ja, das hat der Schubert auch immer behauptet. :mrgreen:
OSchubert war mir auch sehr sympathisch ;) .
Lucian Wing hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 17:24
Was immer wir sind - wir erfahren uns nicht als Ergebnis eines computationalen Prozesses, und das spiegelt sich in unserem Vokabular auch wieder. Unsere Begriffe sind in ein Netz von Bedeutungen eingebettet, in denen sich unsere Erfahrung widerspiegelt bzw. ausdrückt. Sie beziehen sich auf diese Erfahrung und unser Wissen - und es gibt kein Wissen und keine Erfahrung, die uns im Augenblick erlauben würden, von der Psyche eines Schleimpilzes oder einer KI zu sprechen.
Ok. Aber sind wir nicht auch in diesem Thread, um diese Begriffe zu "sezieren"? Um genau herauszufinden, welche Konzepte dahinter stecken? Um die Grenzen auszuleuchten und die Fragestellungen weiter zu entwickeln? "Die Begriffe beziehen sich auf unsere Erfahrungen", aber wir wissen nicht, wie es ist, eine Ratte oder ein Affe zu sein, trotzdem würden wir ihnen wohl Intentionalität und Intelligenz zuordnen?
Das Vokabular auf die Maschine angewandt, hat sich ja nicht grundlos durchgesetzt, auch wenn es womöglich schlecht für die mentale Hygiene ist, ein Gedankenfehler dahinter steckt oder wie auch immer. Denn wenn es eine prägnante Metapher ist, dann steckt in ihrem Kern doch etwas wahres, oder nicht? Der Begriff "Intelligenz" soll doch etwas charakterisieren, vereinfacht gesagt nach einem "Kriterienkatalog" zugeordnet werden können. "Eure" Herangehensweise, eine Zuordnungen ohne Entscheidungskriterium, ist letztlich eine Kategorisierung, wie etwa "Wirbeltiere".




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Jörn Budesheim
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Fr 2. Dez 2022, 18:59

sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 16:24
Das geht doch einfach nicht auf?
Ich finde, das geht sehr gut auf! Aus dem Umstand, das Begriffe unscharf sind, folgt meines Erachtens keineswegs, dass man nicht zwischen verschiedenen Gegenständen scharf begrifflich unterscheiden kann. Im Gegenteil, das machen wir andauernd. Der Begriff "Tier" ist unscharf und sehr weit. Der Begriff "Haus" ist unscharf und sehr weit. Dennoch gibt es überhaupt kein Problem zwischen einem Tier und einem Haus zu unterscheiden :)

Das Argument, ein Begriff sei unscharf, besagt also für sich allein genommen gar nichts. Man muss darüber hinaus erst einmal zeigen, warum das für das vorgelegte Thema ein Problem sein soll. Mit anderen Worten, wenn du mir vorwirfst, meine Begriffe seien unscharf, müsstest du mir darüber hinaus noch erklären, wieso es überhaupt ein Problem darstellt. Denn das ist ja eigentlich nicht von vornherein zu vermuten, wo doch nahezu alle Begriffe unscharf sind.

Ich hatte das Folgende weiter oben schon mehrfach erwähnt. In Bezug auf Bedeutung halte ich die externalistischen Semantiken für schlagend. Diese Theorie besagt, dass im Grunde die Gegenstände von Aussagen bestimmen, wovon die Aussagen handeln (deswegen "externalistisch"). Der einschlägige Slogan von Hilary Putman dazu lautet: die Bedeutungen sind nun mal nicht im Kopf. "Der biologische Externalismus behauptet [dementsprechend], dass die Ausdrücke, mittels derer wir unsere Denkvorgänge beschreiben und erfassen, sich wesentlich auf etwas beziehen, das biologisch ist." (Markus Gabriel)

Dass die Ausdrücke, mit denen wir uns auf unsere Denkvorgänge beziehen, unscharf sind und sogar historisch variabel, steht dem meines Erachtens nicht entgegen. Denn sie können unscharf sein und ihre Bedeutung verschieben, ohne sich jemals auf etwas anderes als biologisches zu beziehen.




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Fr 2. Dez 2022, 19:04

sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 17:03
Naturgesetzen
Wie lauten deiner Ansicht nach die Naturgesetze der Wahrheit/der Logik?




sybok
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Fr 2. Dez 2022, 19:23

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 18:59
Das Argument, ein Begriff sei unscharf, besagt also für sich allein genommen gar nichts. Man muss darüber hinaus erst einmal zeigen, warum das für das vorgelegte Thema ein Problem sein soll.
Weil man die Verwendung für die Maschine wiederum scharf ablehnt. Du erwiderst jetzt vielleicht, dass das wie "Rot vs. Grün" und deshalb trotz Unschärfe klar sei. Ich würde aber sagen wir sind da irgendwo in dem fliessenden Übergang "Rot bis Orange".
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 18:59
Dass die Ausdrücke, mit denen wir uns auf unsere Denkvorgänge beziehen, unscharf sind und sogar historisch variabel, steht dem meines Erachtens nicht entgegen. Denn sie können unscharf sein und ihre Bedeutung verschieben, ohne sich jemals auf etwas anderes als biologisches zu beziehen.
Einverstanden, aber warum sollten sie am Biologischen festhalten? Genauso gut könnten sie sich ja dann dahin verschieben, künstliches miteinzubeziehen. Insbesondere, wenn das Künstliche entsprechende Kriterien erfüllt. Wenn ich sage (zu einem Menschen(!)): "das ist intelligent", meine ich einen Typ von Verhalten das ich beobachtet habe, ich meine dann ja nicht "dieser Mensch hat ein Leben geführt und Erfahrungen gesammelt und mit Intentionalität gehandelt" - eine Beziehung der Bedeutungen schliesst sich zwar nicht aus, ist aber ja auch nicht unbedingt nötig.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 19:04
sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 17:03
Naturgesetzen
Wie lauten deiner Ansicht nach die Naturgesetze der Wahrheit/der Logik?
Ich verstehe die Frage nicht. In welchem Kontext? Du meinst logische Sätze und Axiome, Identitätsaxiom, Kompaktheitssatz, (Un-)Vollständigkeitssätze,...?




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Fr 2. Dez 2022, 20:15

sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 19:23
Einverstanden, aber warum sollten sie am Biologischen festhalten?
Diese externalische Sichtweise ist eben keine subjektivistische Sichtweise. Mir kommt diese Frage so ähnlich vor wie die folgenden: wieso will man daran festhalten, dass der Himmel manchmal blau ist und immer oben? Oder: wieso will man daran festhalten, dass Äpfel ungefähr faustgroß sind, vage kugelförmig und essbar.

Wenn du der Ansicht bist, dass die Maschinen sich zu uns verhalten wie orange zu rot, schuldest du mir sehr starke Argumente, finde ich. Und wenn du der Ansicht bist, dass das leblose sich zum lebendigen verhält, wie orange zu rot ebenso.

Ich sehe nicht, dass es hier um Kontinuitäten geht, eigentlich viel mehr um starke Gegensätze: selbstbestimmt/fremdbestimmt, lebendig/leblos, natürlich/künstlich, bewusst/unbewusst, agent/werkzeug,

Mir fällt gerade ein, dass ich dazu bereits einmal ein Diagramm gepostet habe, hier bringe ich es noch mal. Von Thomas Fuchs, aus "Verteidigung des Menschen: Grundfragen einer verkörperten Anthropologie (suhrkamp taschenbuch wissenschaft)" Nur, das, was wir auf der linken Seite finden ist wirklich Intelligenz. Rechts finden wir nur sogenannte oder "als ob" Intelligenz.

Bild

Wir sind hier keineswegs in einem orange rot Verhältnis sondern ziemlich deutlich in einem grüne rot Verhältnis.




sybok
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Fr 2. Dez 2022, 21:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 20:15
Wenn du der Ansicht bist, dass die Maschinen sich zu uns verhalten wie orange zu rot, schuldest du mir sehr starke Argumente, finde ich.
Lucian Wing hat geschrieben, die "Beweispflicht liege beim eliminativen Materialismus". Bei diesen Beweispflicht-Geschichten scheint mir die Lage nicht ganz so einfach, teilweise würde ich zustimmen. Mein Antwort wäre folgende:
1. Ich kann nichts beweisen, wenn ich die zu verwendenden Definitionen nicht verstehe. Für einen eigentlichen Beweis bräuchte ich einen formalen Rahmen, das kann man nicht in Alltagssprache durchführen, und für einen empirischen "Beweis" eine quantifizierbare Grösse. So oder so: Also was genau ist jetzt Intelligenz, was ist zu zeigen? "Intelligenz" an "Leben" zu koppeln macht es nur zu einem Synonym und verschiebt das Problem auf "Leben".
2. Kann ich auf dem jetzigen Stand grundsätzlich keine empirische Beweise liefern, "KI" ist für mich eine Hypothese.
3. Orange-Rot ist aus meiner Sicht sparsamer als Rot-vs-Grün. Ersteres schlüsselt in seinen Annahmen ununterscheidbares Verhalten nicht nach "Bauart" auf und erklärt beides unter einem Hut.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 20:15
Wir sind hier keineswegs in einem orange rot Verhältnis sondern ziemlich deutlich in einem grüne rot Verhältnis.

Ja, keine Einwände, denn die Tabelle spricht gemäss der letzten Zeile von Expertensystemen.

Ein anderer Ansatz. Eine Frage, hypothetisches Szenario:
Angenommen, wir könnten irgendwie die Aktivitäten des Nervensystems eines im Alltag lebenden Menschen 1:1 live in einem Computer spiegeln. Also ein Graphen-Modell im Computer erstellen, die Knoten als Neuronen und die Kanten als Verbindungen, die elektrische Signale simulieren. Sozusagen ein digital simuliertes Gehirn im Tank. Was würde passieren, wenn sich der Mensch mit dem gespiegelten Gehirn stürzt und sich sein Bein verletzt. "Hätte" die Simulation auch "Schmerzen im Bein"? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, ist das aber auf theoretischer Ebene ein Einfallstor für die Übertragung des mentalistischen Vokabulars, nicht?




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sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 21:22
Expertensystemen
Die Tabelle spricht von den Unterschieden zwischen menschlicher Intelligenz und sogenannter künstlicher Intelligenz. Sie zeigt meines Erachtens trifig, dass wir es hier keineswegs mit einem orange rot Fall zu tun haben, sondern klarerweise mit einem grün rot Fall. Was deine Einwände gegen diese Tabelle sind, habe ich leider nicht verstanden.

(Du sagst zwar, du hättest keine Einwände, aber offensichtlich schiebst dir die Tabelle doch einfach zur Seite, oder?)




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Fr 2. Dez 2022, 21:51

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 21:35
sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 21:22
Expertensystemen
Die Tabelle spricht von den Unterschieden zwischen menschlicher Intelligenz und sogenannter künstlicher Intelligenz. Sie zeigt meines Erachtens trifig, dass wir es hier keineswegs mit einem orange rot Fall zu tun haben, sondern klarerweise mit einem grün rot Fall. Was deine Einwände gegen diese Tabelle sind, habe ich leider nicht verstanden.
Expertensystem meint ein System, das ein konkretes Problem löst. Die Dinge, die momentan als "KI" bezeichnet werden, AlfaZero, selbstfahrende Autos, GPT-3, DeepL, etc. werden differnzierter als Expertensysteme bezeichnet. Wenn "generalistisch" nun "hochspezialisiert" gegenüber gestellt wird, identifiziert die Tabelle offenkundig "KI" eben mit Expertensystemen. Und ich argumentiere ja nicht für Expertensysteme.




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Fr 2. Dez 2022, 21:53

Dann streiche den letzten Teil einfach weg.




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Fr 2. Dez 2022, 22:17

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 21:53
Dann streiche den letzten Teil einfach weg.
:) Ja aber dann bleiben wir in diesem Kreis. "Lernen aus Erfahrung" vs. "Adaption durch Inputtraining" - ja wo ist in technischer Hinsicht jetzt der Unterschied? Wie genau funktioniert denn "lernen aus Erfahrung"? Gleiches gilt für "Wiedererkennung von Ähnlichkeiten" vs. "Selektion von Muster mittels Statistik", wie soll denn "Wiedererkennung von Ähnlichkeit" denn genau funktionieren? Etc.
Die Tabelle listet ja keine Gegensätze auf, sondern stellt technische Beschreibungen anderen Beschreibungen gegenüber, die wir eben beim Menschen verwenden.
Die Tabelle stützt dann ja so gesehen eher sogar noch meine Sichtweise, denn sie zeigt ja eigentlich, dass wir einen solchen Anforderungskatalog für "Intelligenz", mit Vokabular das wir auf den Menschen anwenden, in einer zweiten Spalte über technische Begriffe alternativ beschreiben können. ;)

Ich will dir ja in dieser Sache nicht durch die Hintertür das letzte Wort klauen, spannender fände ich aber das:
sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 21:22
Angenommen, wir könnten irgendwie die Aktivitäten des Nervensystems eines im Alltag lebenden Menschen 1:1 live in einem Computer spiegeln. Also ein Graphen-Modell im Computer erstellen, die Knoten als Neuronen und die Kanten als Verbindungen, die elektrische Signale simulieren. Sozusagen ein digital simuliertes Gehirn im Tank. Was würde passieren, wenn sich der Mensch mit dem gespiegelten Gehirn stürzt und sich sein Bein verletzt. "Hätte" die Simulation auch "Schmerzen im Bein"? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, ist das aber auf theoretischer Ebene ein Einfallstor für die Übertragung des mentalistischen Vokabulars, nicht?




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Fr 2. Dez 2022, 22:42

Wenn etwas de facto Schmerzen hat, dann müssten wir zumindest diese mentalistische Vokabel verwenden. Aber die Simulation von Schmerz ist kein Schmerz.

Wenn ich gemäß deiner eigenen Strategie antworten sollte, dann würde ich fragen, was Schmerz ist, wir bräuchten doch eine definitive Definition ... "Dass etwas weh tut", reicht dir ja nicht als Definition, denn das ist ja Alltagssprache. Und da gibst du vor, es nicht zu verstehen. Wenn wir unseren Alltag nach deiner Ansicht korrekt nur in Nicht-Alltagssprache beschreiben können, dann ist für mich schon das entscheidende schief gelaufen. Denn dann werden wir einfach weg gestrichen, ohne Begründung.




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Lucian Wing
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Fr 2. Dez 2022, 23:09

sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 21:22


Ein anderer Ansatz. Eine Frage, hypothetisches Szenario:
Angenommen, wir könnten irgendwie die Aktivitäten des Nervensystems eines im Alltag lebenden Menschen 1:1 live in einem Computer spiegeln. Also ein Graphen-Modell im Computer erstellen, die Knoten als Neuronen und die Kanten als Verbindungen, die elektrische Signale simulieren. Sozusagen ein digital simuliertes Gehirn im Tank. Was würde passieren, wenn sich der Mensch mit dem gespiegelten Gehirn stürzt und sich sein Bein verletzt. "Hätte" die Simulation auch "Schmerzen im Bein"? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, ist das aber auf theoretischer Ebene ein Einfallstor für die Übertragung des mentalistischen Vokabulars, nicht?
Wenn wir ein Nervensystem spiegeln könnten, könnten wir alle spiegeln. Würdest du dir denn in diesem Falle ein beliebiges "aufspielen" lassen? Und wüsstest du dann hinterher deiner Meinung nach vom Nervensystem davor? Wärst du noch sybok?



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Sa 3. Dez 2022, 01:12

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 1. Dez 2022, 06:29
einen Faden zum Thema menschenwürde gibt es hier: viewtopic.php?t=172

" ... 'die Würde des Menschen ist unantastbar', ein Satz, über den Bibliotheken geschrieben worden sind, konnte gerade wegen seiner Ungenauigkeit zur ersten Säule des Grundgesetzes werden. Dadurch wird er deutungsoffen und ist nicht abhängig vom bestimmten Vorstellung von Würde, die zu einer bestimmten Zeit gelten."

(Thomas Bauer, die Vereindeutigung der Welt)
Um "dazu" noch mal auf den Faden dieses Threads zurück zu kommen , nur noch mal zur Erinnerung ..
  • Intelligenz in anderen Disziplinen
    Künstliche Intelligenz
    Ein System, das offensichtlich intelligentes Verhalten zeigt, bleibt nur ein Werkzeug, so lange kein Selbstbewusstsein vorhanden ist und keine Motivation, aus „eigenem“ Antrieb zu handeln und „eigene“ Interessen zu verfolgen (s. a. Philosophischer Zombie). Eine ausreichend intelligente Technologie, welche auch diese Grenze überschritte und darüber hinaus womöglich Reaktionen zeigte, welche als emotional interpretierbar wären, würde diverse ethische Fragen bezüglich Rechten und Verantwortlichkeiten eines solchen Systems aufwerfen. Dabei wäre unter anderem zu diskutieren, ob eine „biologische“ Intelligenz grundsätzlich anders zu werten sei als eine „technologische“.
.. würde für den Fall , dass eine "ausreichend intelligente Technologie" über Selbstbewusstsein verfügt, für diese Technologie nicht auch die Würde unantastbar sein?
sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 21:51

Expertensystem meint ein System, das ein konkretes Problem löst. Die Dinge, die momentan als "KI" bezeichnet werden, AlfaZero, selbstfahrende Autos, GPT-3, DeepL, etc. werden differnzierter als Expertensysteme bezeichnet. Wenn "generalistisch" nun "hochspezialisiert" gegenüber gestellt wird, identifiziert die Tabelle offenkundig "KI" eben mit Expertensystemen. Und ich argumentiere ja nicht für Expertensysteme.
..wohlgemerkt eine "ausreichend intelligente Technologie" die als solches , nach der Argumentation von sybok , kein Expertensystem ist.




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Jörn Budesheim
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Sa 3. Dez 2022, 07:15

sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 22:17
Die Tabelle listet ja keine Gegensätze auf ...
An der Stelle kommen wir dann nicht weiter, wenn für dich beispielsweise "lebendig/unbelebt" keine Gegensätze sind. Nach meinem Verständnis für die deutsche Sprache und für die Dinge in der Welt listet die Tabelle praktisch ausschließlich Gegensätze auf.




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Sa 3. Dez 2022, 10:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 3. Dez 2022, 07:15
sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 22:17
Die Tabelle listet ja keine Gegensätze auf ...
An der Stelle kommen wir dann nicht weiter, wenn für dich beispielsweise "lebendig/unbelebt" keine Gegensätze sind. Nach meinem Verständnis für die deutsche Sprache und für die Dinge in der Welt listet die Tabelle praktisch ausschließlich Gegensätze auf.
Z.T. sind es Gegensätze, z.T. auch nicht.
Ich stimme sybok zu, dass die Tabelle sehr zu Expertensystemen passt, insgesamt ist die Tabelle mir zu schwarz-weiß. Ich wünschte mir eine dritte Spalte in der Mitte, die aktuelle oder mögliche Maschinen/KI besser darstellt.

Bei "lebendig/unlebt" z.B. stelle ich mir links Menschen u.ä. vor, rechts etwas wie Steine. Dazwischen wäre dann Maschinen, die nicht nur passiv in der Welt sind, sondern über ihren Antrieb (insbesondere physischen) Einfluss in der Welt haben, z.B. das programmierte Auto, das von A nach B fährt.

Bei "beziehungslos" würde man in der dritten mittleren Spalte beim das Auto z.B. seinen Bezug zur physischen Welt haben, vielleicht zu seinem Besitzer, gerne auch zu seinem Programmierer.

Genauso könnte ein Zukunftsbezug auf das Ziel seiner Programmierung gesehen sein (kurzfristig/direkt die Erreichung eines Ortes, längerfristig vielleicht Optimierung der Programmierung und/oder maschinellen Lernen...)

Und gerade was "generalistisch - hochspezialisiert" betrifft, ist gerade der mögliche Weg weg von einer festen Aufgabe sicher ein wichtiger Punkt (wobei ich mich frage, ob die Maschinenverkäufer dies wünschen, da sie lieber mehrere Maschinen verkaufen statt im Extremfall eine universelle, die sich ggf. nur einmal verkaufen ließe).



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 22:42
Wenn etwas de facto Schmerzen hat, dann müssten wir zumindest diese mentalistische Vokabel verwenden. Aber die Simulation von Schmerz ist kein Schmerz.
Eben. Schmerz ist doch nicht einfach nur Nervenimpulse. Es ist grundsätzlich falsch zu glauben man müsse einer Maschine nur das Pendant zu einem Nervenimpuls geben und schon läge hüben wie drüben das Gleiche vor.
Schmerz ist nicht nur ein Reiz. Jeder der schon mal Schmerzen hatte weiß dass Schmerz ein Erleben ist, das eine ganze Reihe von Zuständen auslöst.
Wenn wir Schmerzen haben sind wir weniger leistungsfähig. Wir können uns nicht mehr konzentrieren, wir fühlen uns verletzlich und schwach.
Insbesondere der fühlbare Teil ist überhaupt nicht umgesetzt, wenn man in einer Maschine einen Nervenimpuls simuliert.
Wenn die Maschine diesen Impuls registriert dann fühlt sie damit noch lange keinen Schmerz.

Was mir hier in der Diskussion fehlt ist Selbstreflexion. Es wird sich einfach zu wenig Gedanken darüber gemacht was Empfindungen für uns Menschen bedeuten.
Es sind doch nicht einfach nur registrierbare Impulse und damit hat sich das.
Das ist doch Quatsch.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 3. Dez 2022, 10:24
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 22:42
Wenn etwas de facto Schmerzen hat, dann müssten wir zumindest diese mentalistische Vokabel verwenden. Aber die Simulation von Schmerz ist kein Schmerz.
Eben. Schmerz ist doch nicht einfach nur Nervenimpulse. Es ist grundsätzlich falsch zu glauben man müsse einer Maschine nur das Pendant zu einem Nervenimpuls geben und schon läge hüben wie drüben das Gleiche vor.
Schmerz ist nicht nur ein Reiz. Jeder der schon mal Schmerzen hatte weiß dass Schmerz ein Erleben ist, das eine ganze Reihe von Zuständen auslöst.
Wenn wir Schmerzen haben sind wir weniger leistungsfähig. Wir können uns nicht mehr konzentrieren, wir fühlen uns verletzlich und schwach.
Insbesondere der fühlbare Teil ist überhaupt nicht umgesetzt, wenn man in einer Maschine einen Nervenimpuls simuliert.
Wenn die Maschine diesen Impuls registriert dann fühlt sie damit noch lange keinen Schmerz.

Was mir hier in der Diskussion fehlt ist Selbstreflexion. Es wird sich einfach zu wenig Gedanken darüber gemacht was Empfindungen für uns Menschen bedeuten.
Es sind doch nicht einfach nur registrierbare Impulse und damit hat sich das.
Das ist doch Quatsch.
Mich wundert, dass im Rahmen von KI überhaupt über Schmerzen gesprochen wird. Für mich war das jedenfalls nie (ernsthaft) ein Thema.



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Burkart hat geschrieben :
Sa 3. Dez 2022, 10:53
Mich wundert, dass im Rahmen von KI überhaupt über Schmerzen gesprochen wird. Für mich war das jedenfalls nie (ernsthaft) ein Thema.
Naja, das kommt daher, dass sich die hier aktiven KI-Kritiker nicht darum kümmern, was Intelligenz ist, sondern das Vorkommen von Intelligenz in den Mittelpunkt stellen.

Die obige Tabelle z.B. erfüllt exakt diesen Umstand.
Man kann diese Tabelle beliebig oft lesen, man wird nie herausziehen können, was Intelligenz ist.
Das ist ein Taschenspielertrick.

Verwendet man so eine Liste als Kriterium für das Erheben von Ansprüchen, dann verfährt man nach dem Motto: wenn die KI nicht beim Menschen vorkommt, dann ist es keine Intelligenz.
Das ist natürlich elementar dilettantisch und führt nirgendwohin.

Bei "Schmerz" ist zumindest interessant, dass dort in den Aussagen der KI-Kritiker zum ersten Mal das Nervensystem eine Rolle spielt.
Sie lehnen das Nervensystem dabei genauso ab, wie die KI.
Der Grund hierfür ist, dass die Funktionsweise des Nervensystems prinzipiell auch von einer künstlichen Einheit erreicht werden können sollte.
Mit dem Mensch-Bestandteil "Nervensystem" ist man also unmittelbar im Einzugsbereich der KI, insbesondere da über KNNs (künstliche neuronale Netze) eine Analogie zu den Zellabläufen angestrebt werden soll.

Eine wichtige Rückfrage an die Kritiker lautet deshalb:
wenn "der Nervenimpuls" nicht der Schmerz ist, was ist dann "der Nervenimpuls"?

Will man einen Anspruch gegenüber KI erheben, dann muss man die Karten auf den Tisch legen und sagen, was der Nervenimpuls ist.




sybok
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 3. Dez 2022, 07:15
An der Stelle kommen wir dann nicht weiter, wenn für dich beispielsweise "lebendig/unbelebt" keine Gegensätze sind. Nach meinem Verständnis für die deutsche Sprache und für die Dinge in der Welt listet die Tabelle praktisch ausschließlich Gegensätze auf.
Ja, stimmt, da war ich zu schnell mit tippen.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 3. Dez 2022, 07:15
Wenn ich gemäß deiner eigenen Strategie antworten sollte, dann würde ich fragen, was Schmerz ist, wir bräuchten doch eine definitive Definition ...
Ein wichtiger Unterschied ist aber, dass ich eine Frage stelle, kein vollständiges Wissen um die Sache suggeriere. Ich habe Vermutungen und Theorien, du aber "weisst", dass eine Maschine niemals Kriterien für Intelligenz erfüllen kann. Ja, was Schmerz genau ist, muss letztlich geklärt werden. Dass Schmerz aber irgend eine Art von neuralem Aktivierungsmuster ist, scheint mir aber - vom Prinzip her - sehr stark indiziert: Schmerzmedikamente etwa entfalten ihre Wirkung ja auf den neuronalen Verbindungen.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 3. Dez 2022, 07:15
Wenn wir unseren Alltag nach deiner Ansicht korrekt nur in Nicht-Alltagssprache beschreiben können, dann ist für mich schon das entscheidende schief gelaufen. Denn dann werden wir einfach weg gestrichen, ohne Begründung.
Das ist nicht meine Ansicht. Wir führen hier ja kein "Alltagsgespräch" sondern diskutieren eine technische Thematik (sicher nicht nur technisch, aber eben auch, zu einem wesentlichen Teil).
Lucian Wing hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 23:09
sybok hat geschrieben :
Fr 2. Dez 2022, 21:22


Ein anderer Ansatz. Eine Frage, hypothetisches Szenario:
Angenommen, wir könnten irgendwie die Aktivitäten des Nervensystems eines im Alltag lebenden Menschen 1:1 live in einem Computer spiegeln. Also ein Graphen-Modell im Computer erstellen, die Knoten als Neuronen und die Kanten als Verbindungen, die elektrische Signale simulieren. Sozusagen ein digital simuliertes Gehirn im Tank. Was würde passieren, wenn sich der Mensch mit dem gespiegelten Gehirn stürzt und sich sein Bein verletzt. "Hätte" die Simulation auch "Schmerzen im Bein"? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, ist das aber auf theoretischer Ebene ein Einfallstor für die Übertragung des mentalistischen Vokabulars, nicht?
Wenn wir ein Nervensystem spiegeln könnten, könnten wir alle spiegeln. Würdest du dir denn in diesem Falle ein beliebiges "aufspielen" lassen? Und wüsstest du dann hinterher deiner Meinung nach vom Nervensystem davor? Wärst du noch sybok?
Gute Frage! Neuronale Netze sind ja, aus computationaler Sicht, komplette Rechnermodelle, die Architektur gibt auch den Algorithmus vor.
Würde man meinem Gehirn sozusagen ein "wohlgeformtes" "Signalmuster" für die entsprechende Architektur aufspielen, würde ich vermuten, dass ich - weil eben die Architektur spezifisch ist - schon noch sozusagen sybok wäre, aber halt wohl ohne Kontinuität des mentalen Zustandes gegenüber dem Zeitpunkt unmittelbar vor der Aufspielung: Ich stelle mir einen unstetigen Wechsel des gerade gehaltenen Gedankens und der köperlichen Befindlichkeit vor.




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