Filterblasen: Was ist das? Gibt es sie wirklich?

Es gibt heute kaum Bereiche des alltäglichen Lebens, die nicht in irgendeiner Weise mit dem World-Wide-Web zusammenhängen. Das Gleiche gilt für "künstliche Intelligenz". Was hat die Philosophie dazu zu sagen?
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Jörn Budesheim
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Sa 10. Mär 2018, 09:37

Googles personalisierte Suche führt - so hört und liest man allenthalben - dazu, dass wir nur noch angezeigt bekommen, was uns nach “Googles Ansicht” interessiert. Auch andere Seiten - etwa Facebook - passen das, was wir dort zu sehen bekommen, auf unsere persönlichen Vorlieben hin an. Nach Ansicht des Autors und Netzkritikers Eli Pariser hat das eine gefährliche Folge: Wir werden in einer sogenannten "Filter-Blase" eingeschlossen. Informationen, die unsere Weltsicht herausfordern oder erweitern könnten, bekommen wir demnach nicht mehr zu Gesicht. Im Mai 2011 kam sein Buch "Filter Bubble" in den USA auf den Markt. Die These traf offenbar den Zeitgeist und das Buch wurde ein Bestseller. Auch hierzulande ist der Begriff seither weit verbreitet.

Welche Daten liegen dafür vor?

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Die These hat jedoch einen Makel. Sie ist nicht empirisch abgesichert, es gab kaum Belege dafür. Forscher der Universität Amsterdam haben Abhilfe geschaffen. Sie fassten diverse Untersuchungen zum Thema zusammen und kamen zu dem Schluss, “dass es derzeit nur wenige empirische Belege gibt, die Sorgen um Filterblasen rechtfertigen.”

Quelle: Mehrere deutschsprachige Zeitungen berichteten (online) darüber. Unter anderem die Zeit und die Neue Zürcher Zeitung.

Tin Fischer weist in der Zeit auf einen interessanten Umstand hin: Ungefähr zu der Zeit als Eli Parisers Buch zum Bestseller wurde, berechneten Ökonomen der University of Chicago, wie wahrscheinlich es ist, dass in den USA zwei Personen aufeinander treffen, die gegensätzliche politischen Meinungen hegen. Dazu haben sie verschiedene Bereiche ausgewertet: Unter Freunden war die Wahrscheinlichkeit mit ca 35% erwartungsgemäß am Niedrigsten. In der Familie war sie etwas größer. Dass Nachbarn gegensätzliche politische Meinungen haben, kommt in 40% der Fälle vor, unter Arbeitskollegen ist es ein klein wenig mehr: 42 Prozent. Und auf Nachrichtenseiten im Internet? 45 Prozent! Mit anderen Worten: diese Untersuchung stützt die Filterblasen Theorie nicht nur nicht, sie besagt im Grunde sogar das Gegenteil. Im Internet trifft man sogar eher auf Andersgesinnte!

Wie gut ist die Personalisierung?

In der NZZ fragt derselbe Autor (Tin Fischer) Wie gut Facebook und Google eigentlich tatsächlich darin sind, mithilfe von Personalisierung Produkte zu verkaufen? Die Antwort ist “ernüchternd” oder “befreiend” je nach Sichtweise: Im Zusammenhang mit der Untersuchung des angeblichen Phänomens der Filterblasen wiesen die Amsterdamer Forscher darauf hin, dass auf die Klickraten von 0,1 bis 0,5 Prozent bei Online-Werbung nicht gerade hoch sind. Das heißt entgegen dem allgemeinen Vorurteil können die “Algorithmen von Unternehmen die Interessen von Leuten nicht besonders akkurat vorhersagen”.

Ein Selbsttest

Tin Fischer findet die Filterblasen-Theorie “ein bisschen erstaunlich”. Warum? nach seiner Einschätzung genügen fünf Minuten im Internet, um Zweifel daran zu bekommen: “Besuchen Sie mal eine beliebige Nachrichtenseite, beispielsweise das linksliberale ZEIT ONLINE. Klicken Sie auf den erstbesten Politik-Artikel (Thema ist wahrscheinlich Trump). Lesen Sie die ersten drei Leser-Kommentare. Und? Haben Sie den Eindruck, dass da nur linksliberale Akademiker sich selbst bejahen? Anderes Experiment: Haben Sie schon mal Euro-Rettung oder Flüchtlinge gegoogelt? Ja? Und stimmten Sie wirklich allem zu, was Sie fanden? Oder auch nur der Hälfte?”

„Die Filterblasen-Theorie ist erstmal geplatzt“

Auch diese Untersuchung spricht nicht unbedingt für die Filterblasen-Theorie: Wissenschaftler haben drei Monate lang Daten gesammelt. Die Studienteilnehmer installierten dafür ein Plugin, das die Ergebnisse von Google aufzeichnete. Dazu stelle es automatisierte Suchanfragen. Es sollte geklärt werden, ob und wie stark Google die Suchergebnisse wirklich personalisiert also auf den jeweiligen Nutzer zuschneidet. Dabei zeigte sich, dass Google seinen Nutzern meistens dieselben Ergebnisse präsentiert.

Der Deutschlandfunk berichtete darüber.




Tosa Inu
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Habe gestern etwas Ähnliches gehört, ich glaube sogar im philosophischen Radio.

These: Filterbubbles,Blasen, Echokammern ... gibt es gar nicht, im Gegenteil, die Blase des anderen sei immer nur einen Mausklick weit weg.
Stimmt, aber ist für mich keine Widerlegung der Idee, zumindest so wie ich sie verstehe: Denn die anderen, die gewohhnten Feinde meiner Meinung, wegen denen ich ja erstmal in Wallung gerate, sind stets notwendiger Teil meiner Blase. Der rechte Hater braucht und konstruiert die Existenz den linken Gutmenschen und umgekehrt.

Die andere Blase ist nicht die konträre Meinung, der glühende Veganer weiß, dass es Leute gibt, die Fleisch essen und Pelze tragen, das braucht er, um auf Touren zu kommen und seine Position zu konstituieren. Die wirklich andere Blase, ist derjenige, der bei dem Thema überhaußt keine große emotionale Ladung spürt und gar nicht in eine extreme Ecke drängen lässt.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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So 11. Mär 2018, 07:04

So, wie du den Begriff verwendest, könnte man ihn im Grunde ohne Verlust streichen. Denn er wäre dann einfach synonym mit den Begriffen Gruppe, Clique, Netzwerk, Freundeskreis, Gemeinschaft et cetera. Der Begriff Filterblase besagt aber nicht nur, dass es bestimmte Gruppen etc. gibt, die z.b. dadurch zusammengehalten werden, dass sie in bestimmten Aspekten einer Meinung sind oder ähnliche Ziele verfolgen und so weiter und so fort. Er besagt etwas, was darüber hinausgeht.

Zum Begriff der Gruppen etc. gehört es nämlich nicht, dass die Algorithmen von Facebook, Google, Twitter und Co diese Gruppen weitgehend von anderen Gruppen, von konkurrierenden Gruppen isolieren, so dass man im Wesentlichen nur noch Meinungen zu Gesicht bekommt, die die eigene Meinung stützen.




Tosa Inu
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 11. Mär 2018, 07:04
So, wie du den Begriff verwendest, könnte man ihn im Grunde ohne Verlust streichen. Denn er wäre dann einfach synonym mit den Begriffen Gruppe, Clique, Netzwerk, Freundeskreis, Gemeinschaft et cetera.
Nein, genau das Gegenteil habe ich gesagt. ;)
Meine Filterblase sind gerade nicht nur meine Freunde, sondern meine Freunde + meine Feinde. Damit ich Traffic absondere und überhaupt mein Bild von der Welt konstituieren kann, gehören die unbedingt dazu.
Also Blase = Freund + Feind, die aber, darum in derselben Blase sind, weil sie im wesentlichen dieselben Überzeugungen teilen, nur jeweils von der anderen Seite des Spektrums her gesehen.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 11. Mär 2018, 07:04
Der Begriff Filterblase besagt aber nicht nur, dass es bestimmte Gruppen etc. gibt, die z.b. dadurch zusammengehalten werden, dass sie in bestimmten Aspekten einer Meinung sind oder ähnliche Ziele verfolgen und so weiter und so fort. Er besagt etwas, was darüber hinausgeht.
Meiner auch, Du hast ihn nur falsch gedeutet.
Kann sein, dass ich ihn nicht klar genug erklärt habe, dann aber spätestens jetzt.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 11. Mär 2018, 07:04
Zum Begriff der Gruppen etc. gehört es nämlich nicht, dass die Algorithmen von Facebook, Google, Twitter und Co diese Gruppen weitgehend von anderen Gruppen, von konkurrierenden Gruppen isolieren, so dass man im Wesentlichen nur noch Meinungen zu Gesicht bekommt, die die eigene Meinung stützen.
Richtig, darum ist meine These ja auch eine andere: Die Filterblasen bestehen aus zwei Komponenten. Die Datenkraken haben nur ein Interesse, nämlich Daten zu sammeln und immer bessere Profile zu erstellen. Damit das möglich ist, muss der User etwas von sich geben. Nach allem was man untersucht hat, sind Menschen um Modus der Wut und des Hasses am ehesten dazu bereit, aktiv zu werden. Also ist Polarisierung der Stoff, aus dem Aktivitäten generiert werden.
Statistisch! D.h. es kann durchaus sein, dass Du und ich, gegen den Trend, viel mehr Vorschläge über Philosophie oder Teilchenphysik kriegen, als jemand in einer fb Gruppe, die ich nicht kenne, weil ich dort nicht bin.
D.h. Genehmes, dem eigenen Weltbild und den Erwartungen Entsprechendes ist nicht Kuschel-Puschel heile Welt in denen man glücklich mit seinen 5 Katzen lebt und Schokolade schlürft, sondern wenn ich so drauf bin, werde ich auch immer wieder was über böse Hunde oder böse Kalorien eingespielt bekommen. Die heile Welt und ihre permamente Gefährdung ist die Blase, die so konstruiert wird.

Blase ist für mich ohnehin die Übersetzung eines Phänomens aus der integralen Welt. Laut Wilbers AQAL Theorie, besteht die Konstruktion von Welt aus einer Mischung als Quadranten (innen/außen, individuell/kollektiv), Linien (Kognition, Emotion, Moral, Ästethik + 20 weitere), Ebenen/Hierarchien und zuletzt Zuständen (Tiefschlaf,Wachen, Träumen, außergewöhnliche Zustände).
Die Betonung eines jeden Bereichs kann man überziehen, z.B. die der Ebenen, was dort dann Ebenenabsolutismus genannt wird.
Eine der Ebenen, die bei uns vermutlich die häufigste ist, ist die mythisch-rationale, bei der man im Grunde rational agiert, aber einen zentralen Mythos oder Glauben daran, dass es einen Bereich gibt, der für uns alle in Deutschland, Europa oder weltwelt der wichtigste ist, nicht abstreifen kann. Die Welt wäre ein besserer Ort, so die Überzeugung der mythisch-rationalen Ebene, wenn alle Menschen so dächten, denn dann würde sofort jeder Streit aufhören, von ein paar Alltagsproblemen ml abgesehen. Der Inhalt ist beliebig, kann politisch links oder rechts sein, veganes Essen und seine Gegner, Patriarchat oder Matriarchat umfassen, Religion oder Atheismus, Kapitalismus vs. Kommunismus und erkennbar braucht jede Gruppe auch hier ihre Gegner und Feindbilder, damit die eigenen Reihen geschlossen werden können. Sieht man sich selbst als marginale Minderheit, die eben an einem bestimmten Thema mehr interessiert ist, als der Rest der Welt, dann ist das für viele nicht sexy, geht es aber um alles und kämpft man, verkannt aber tapfer, gegen den Untergang der Welt, mindestens aber für eine bessere, so profitiert man selbst natürlich auch ungeheuer von dieser Gewissheit. Das ist die andere Komponente.
Kann gut sein, dass jemand am Rand steht, kurz mit den Achseln zuckt, dass Thema vielleictht sogar noch interessant findet, aber nicht diese emotionale Wucht und Wurt dabei spürt. Für den in der Blase ist dieser dann stets ein Lauwarmer, dumm, feige oder ignorant (oder Teil des Systems), der die Zeichen der Zeit einfach nicht erkannt hat.
Zwischen den Ebenen/Blasen kommt es zu keinem nennenswerten Austausch, weil der eine meint, der andere bausche ein wenig zu sehr auf und der andere, man habe einfach die Dimensionen nicht erfasst. Aber in der Blase tobt ein Weltkrieg, meinetwegen über den Klimawadel. Flüchtlinge etc. pp.



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Tosa Inu
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Fr 23. Mär 2018, 12:43

Habe überlegt, wo diese Gedanken am besten hingehören, vermutlich hier.

Der Wirbel um facebook ist einerseits berechtigt, andererseits gehört er für mich in die lange Liste jener Ereignisse, von denen ich schwer glauben kann, dass man das nicht vorher schon wusste: Im Spitzensport wird gedoped. "Ach?", möchte man sagen. Soldaten, auch deutsche, bauen nicht nur Brunnen, sondern kämpfen gelegentlich, mit totschießen und so.
Ich vermute, wie Tommy, dass die Folgen überhaupt keine sein werden. Man empört sich, fb & Co. geben sich reuig und alles läuft weiter, wie bisher. Kafkaesk ist heute eher putinesk: Sage A und tue B.* Wie nach dem Finanzcrash von 2007/8. Alles sollte anders werden, schnell wurde klar, man zockt weiter, wie bisher. Naja, usw. die meisten Skandale (ADAC... was war da noch mal?, Wie hieß noch mal die junge Frau, die vor McD. totgeschlagen wurde und die wir nie vergessen werden?), über die wir uns hell empörten (für viele ein Wert an sich) haben wir längst wieder vergessen, denn unsere Empörungssucht verlangt immer neue Skandale, Empörung ist ein Strohfeuer und verträgt keine längeren Diskussionen. Wird dann ja auch anstrengend. Wir sind übersättigt, einerseits. Andererseits haben wir ein Recht auf eine Welt(sicht), eine Insel, eine Blase, die uns hilft, das alles zu verarbeiten. Denn das beruhigt.

Dass beruhigende Element ist nicht die Ausblendung von Bösem, Feindlichem, sondern, dass man weiß, wer der Gute und der Böse in dem Spiel ist.
Ambivalenzen akzeptieren zu können, ist wichtig und richtig, aber Ambivalenzen müssen erfahren werden. Sie können als Ambivalenz nicht von klein auf trainiert werden, weil dies nur ein so tun, als ob ist.

M.E. liegt die Spannung unserer Zeit zwischen den Lagern, die Ambivalenzen als eine Art Glaubenssatz präsentieren (was dem Wesen der Ambivalenzen widerspricht) und jenen, die diese Blase zum Platzen bringen wollen, indem die dort hineinstechen und mit einer gewissen Lust eine eindeutige Position beziehen.
Gut an den Provokatueren ist, dass sie den Automatismus hinterfragen, mit dem wir ganz selbstverständlich all unsere guten Einstellungen runterrassseln, ohne noch so recht begründen zu können, wieso wir eigentlich die Meinung haben, die zu haben wir vorgeben.

Was übrigens nicht zwingend bedeutet, dass man seine Werte, die man angeblich hat, danach revidiert, vielleicht versteht man sie einfach nur besser. Wäre doch schön, wenn man seine gesammelten Gutheiten nicht als braver Soldat auslebt, sondern als Philosoph.


*Womit nach meinem Dafürhalten, der ernsthafte Glaube daran verbunden ist, dass "der Westen" es genauso macht. Man spielt, dass man der ganz Gute ist, wie gesagt, ist es eine Frage ob der Eurozentrismus jemals wirklich aufgegeben wurde und dann macht man es eben genauso. Verlogen und doppelmoralisch. Sage A und tue B. Spalte, trenne und herrsche. Klappt. RT und Sputnik sind richtig gut. Russlands Hacker gelten als die besten.
Vor allem aber, wird vielleicht in Russland das Modell der "Diebe im Gesetz" offener gelebt und akzeptiert. Verbrecher und ehrenwerter Mensch zu sein, ist kein so großer Widerspruch, wie bei uns, obwohl die Möglichkeit besteht, dass das bei uns tatsächlich ein Mythos ist.



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Jörn Budesheim
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So 25. Mär 2018, 07:44

Böll.de hat geschrieben : Während das Phänomen Filter Bubble oder Echokammer in der öffentlichen Wahrnehmung momentan eine sehr große Aufmerksamkeit bekommt, ist die Medienwirkungsforschung da deutlich gelassener. Zwar gibt es nur wenige aktuelle Studien zum Thema, aber einfache Wahrheiten und direkte Zusammenhänge gibt es wohl nicht. Professor Martin Emmer:

„Ich habe vor einigen Jahren eine kleine Studie gemacht, wo wir geguckt haben, ob denn Leute, die sich stärker aus Internetquellen informieren über politische Themen, denn tendenziell andere individuelle Themenagenden entwickeln als Menschen, die sich aus Massenmedien informieren. Und da haben sich interessanterweise relativ wenige Unterschiede gezeigt, weniger starke als wir ursprünglich vermutet hätten. Die Studien, die es zu Social Media gibt, zu Facebook, deuten ein bisschen auch in diese Richtung. Man kann da sicher Effekte finden, die sind aber oft nicht so stark, wie man sich das vorstellt. Weil man immer ein bisschen unterschätzt, wenn man auf so ein Phänomen starrt, in wie viele Kommunikationsnetzwerke wir in unserem Alltag eingebunden sind. Wir kriegen immer - trotzdem wir vielleicht intensive Social-Media-Nutzer sind - auch noch Informationen aus traditionellen Medien mit. Wir unterhalten uns auch Face-to-Face mit Leuten. Das ist immer ein Gegengewicht, das wahrscheinlich auch dauerhaft immer eine Rolle spielen wird.


Lesenswerter Artikel, der unterschiedliche Sichtweisen und Quellen zusammen trägt.

Quelle: https://www.boell.de/de/2017/02/08/filt ... -fake-news




Tosa Inu
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So 25. Mär 2018, 11:14

Ja und nein.

Zunächst mal - aber das nur aus reiner Rechthaberei - werden die Begriffe Filterblase und Echokammer hier synonym gebraucht.

Davon aber abgesehen, glaube ich auch nicht, dass die Filterblasen alles sind, sie sind lediglich Verstärker. Nur, da das Phänomen ein Bündel von Ursachen hat, dei vielleicht sogar einen roten Faden haben, schiebt es der eine auf den anderen. Es sind nicht die Medien, es sind die Schulen. Nein, die soziale Spaltung. Ach was, es sind die Eltern. Oder die fehlenden Perspektiven.

Bei einem multikausalen Geschehen muss man aber irgendwo auch anfangen, um die Abwärtsspirale wieder in eine Aufwärtsspirale zu verwandeln. Wenn dahnter eine Linie sichtbar wiird, was ich ja glaube: wunderbar. Weist man auf die rote Linie hin, passiert nach meiner Erfahrung, weil niemand was damit anfangen kann, vor allem damit, was das denn nun für die Praxis heißt.



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Jörn Budesheim
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So 25. Mär 2018, 12:07

Tosa Inu hat geschrieben :
So 25. Mär 2018, 11:14
Davon aber abgesehen, glaube ich auch nicht, dass die Filterblasen alles sind, sie sind lediglich Verstärker.
Wieso glaubst du das? Es gibt dieses Buch "Filter Bubble", was diese These in die Welt gesetzt hat. Es gab darüber hinaus weitere Quellen, die behauptet haben, dass Suchergebnisse von Google sehr personalisiert sind. Ich selbst hab das lange Zeit für eine Tatsache gehalten, weil ich es seriösen Quellen entnommen habe. Wenn die Untersuchen, die ich weiter oben zitiert habe stimmen, dann liegen die Dinge anders als ich dachte. Ich für meinen Teil ziehe daraus die Konsequenz, dass ich das mit der Personalisierung der Google-Ergebnisse nicht mehr in der Weise glaube, wie ich es zuvor getan habe. Es scheint das Phänomen zu geben, aber wohl nur in sehr kleinem Ausmaß.

Das mit die Theorie mit den Filterblasen glaube ich daher auch nicht mehr. Die Untersuchungen geben das einfach nicht her. Manche dieser Untersuchungen besagen, dass es die Blasen zwar gibt, aber sie nicht besonders stark sind. Andere besagen, dass es sie gar nicht gibt, sondern dass sogar das Gegenteil der Fall ist. Warum soll ich das jetzt noch für bare Münze nehmen? Warum soll ich mich diesen Ergebnissen verschließen? Ich sehe dafür keinen Anlass.




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So 25. Mär 2018, 12:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 25. Mär 2018, 12:07
Wieso glaubst du das?
Das genannte Buch habe ich gar nicht gelesen und meiner Erfahrung nach gibt es zu zig Fragen divergierende Einstellungen, so dass ich auf die neuesten Erkenntnisse zu x erst mal nicht so viel gebe, aus der Erfahrung, dass das eine Ping Pong spiel ist. Die große Gefahr von heute gibt es morgen gar nicht mehr, übermorgen ist es sogar gesund udn überübermorgen dann doch wieder gefährlich.
Vom Kaffee über Salz, das Internet und 'Killerspiele' usw.

Es ist wie das Fernsehen, macht die Klugen klüger, die Dummer dümmer. Dass Werbung nicht personalisiert ist, ist m.E. falsch, der Beweis ist mein Browser, der mir ständig was vorschlägt, was mir vermeintlich entspricht, und mein e-mail Konto, wo ich trotz einiger Absurditäten (ständig will man mir Flaggenmasten verkaufen) immer wieder sehe, dass da ein System hintersteckt.

Zwei Wissenschaflter die ich schätze, einen aus der Ferne, Kernberg, einen anderen, ein Schmerzexperte aus der Nähe, die beide Maßstäbe setzten und auf jahrzehntelange Erfahrung in und mit der Wissenschaft zurückblicken, rieten beide zur Vorsicht bei neuen Studien in der Wissenschaft. Wenn man nach drei Jahren immer noch darüber redet, kann man mal genauer hinschauen, ansonsten kann man zur Kenntnis nehmen, dass das untersucht wurde.
Ausführlicher habe ich das im meinem Thread über Qualität unter Erkenntis- und Wissenschaftstheorie behandelt.



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So 25. Mär 2018, 12:38

Wie sieht es mit meiner eigenen Interneterfahrung aus? Die scheint die Sache mit der Blase zwar auf den ersten Blick zu bestätigen. Ich habe nämlich viele FB-Freunde, die selbst Künstler sind und/oder sich für Kunst interessieren. Gibt es also diese Blase, so wie der Autor sie darzustellen scheint also doch? Nicht wirklich, denn diese Leute kannte ich zu einem guten Teil lange vor FB, diese Freundschaften können sich also nicht dem Blaseneffekt verdanken. Und viele andere, die ich via FB kennengelernt habe, habe ich mir höchstpersönlich zusammen gesucht/geklickt. Das heißt, der Umstand, dass ich bei FB mit Künstlern umgeben bin, lässt sich völlig problemlos ohne die Blasentheorie erläutern. Sie ist auch für viele andere Dinge aus meiner Lebenserfahrung ohne Verlust streichbar. Ich bin (war) in meinem Leben oft mit Menschen umgeben (gewesen) mit denen ich Interessen teile. Das geht sicher nicht nur mir so. Aber das sind keine Effekte ein Filterbubble, sondern das gibt es ganz ohne solche Technologien. Das passiert in jedem Studium, wenn man in den Kleingärter-Verein geht, wenn man mit Freunden Boule spielt und sich mit Philosophie-Interessenten zum Diskutieren zusammen findet. Für keins dieser Phänomene braucht man das Theorie-Stück Filter Bubble. Als ziehe ich Ockhams Messer ...




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So 25. Mär 2018, 12:44

Tosa Inu hat geschrieben :
So 25. Mär 2018, 12:29
Vorsicht bei neuen Studien in der Wissenschaft.
Nach meiner Recherche gibt es zu den Filter-Blasen nicht alte und neue Studien. Sondern erstmal gar keine Studien (aber eine These) und dann Studien, die die These nicht wirklich bestätigen. Welchen Sinn hat es dann an der Theorie fest zu halten? Oder hast du alte (vertrauenswürdiger) Studien, die du zitieren kannst?




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So 25. Mär 2018, 12:51

Mal andersrum gefragt: Du fragst öfter mal, ob irgendwer Studien hat, die x belegen.
Andererseits bist Du ein Vertreter der Idee, dass der Naturalismus, wenn nicht abgedankt hat, so doch angeschossen ist.
Dieses: Hast Du Studien?, ist m.E. ein Rheotrik aus der Hardcoreabteilung des Naturalismus und meine Kritik am N. ist gerade, dass Studien sehr sehr geduldig sind und sehr sehr häufig genau das heraus kommt, was herauskommen soll und das alles ist insgesamt sehr sehr ärgerlich.

Wie kriegst Du beides unter einen Hut?



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So 25. Mär 2018, 13:10

Dass man versucht, mit Studien zu erforschen, ob Google tatsächlich personalisierte Suchergebnisse (etc. p.p.) präsentiert oder nicht, hat meines Erachtens nichts mit Naturalismus zu tun. Es hat einfach etwas mit der Frage zu tun, ob es Filterblasen wirklich gibt. Diese Frage ist im wesentlichen eine empirische Frage und sollte daher mit empirischen Mitteln behandelt werden, meine ich.

Wenn mehrere unabhängige Studien zu dem Ergebnis kommen, dass die Theorie nicht stichhaltig ist, weil der Effekt entweder gering ist, gar nicht besteht oder sogar das Gegenteil zu beobachten ist, dann bin ich geneigt, die ursprüngliche Theorie fallen zu lassen. Wenn es jedoch andere belastbare Beobachtungen gibt, will ich die gerne zur Kenntnis nehmen.




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Alethos
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So 25. Mär 2018, 14:34

Es erstaunt, dass diese wenigen Studien die Filterblasen-Theorie nicht zu bestätigen scheinen. Mir würde es durchaus einleuchten, wenn es durch Internettechnolgien verstärkt zu Blasenbildung kommen würde. Schliesslich würde man meinen, dass es durchaus denkbar ist, dass gezielte Ansprache die Gruppierung von Interessensphären beschleunigen, in denen dann diese und jene Ansichten vermehrt vorkommen. Dass dies nicht so ist, stimmt zuversichtlich. Denn vielleicht ist das ein Grund zur Hoffnung, dass Menschen nicht wie Eisenspäne funktionieren, die sich einfach an einer Feldladung ausrichten lassen? Mit dem Phänomen der Blasenbildung geht ja auch die Befürchtung einher, dass Individuen innerhalb der Blase gleichgerichtet werden, nun scheinen diese Studien zu zeigen, dass es (vielleicht natürliche) pluralistische Abwehrreflexe gibt, die dieser Gefahr entgegenwirken?



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Alle lächeln in derselben Sprache.

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Jörn Budesheim
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So 25. Mär 2018, 15:21

Mit dem Handy in der Hosentasche hat man jederzeit Zugang zu vielen Wahrheiten mit etwas Glück, und gleichwohl zu jeder Art von Bullshit, der die eigene Ansicht bestätigt, wie wirr sie auch sein mag. Es ist keineswegs ausgemacht, dass jeder sofort zum Bullshit greift, oder?




Tosa Inu
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Mo 26. Mär 2018, 10:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 25. Mär 2018, 13:10
Dass man versucht, mit Studien zu erforschen, ob Google tatsächlich personalisierte Suchergebnisse (etc. p.p.) präsentiert oder nicht, hat meines Erachtens nichts mit Naturalismus zu tun. Es hat einfach etwas mit der Frage zu tun, ob es Filterblasen wirklich gibt. Diese Frage ist im wesentlichen eine empirische Frage und sollte daher mit empirischen Mitteln behandelt werden, meine ich.
Diese Haltung ist für mich insofern verwirrend, als ich sie ebenfalls nicht sonderlich konsistent finde.
Bei der Frage nach dem "gibt es" und Sinnfeldern kommt mir Deine Einstellung anders vor und nach diesen Kategorien würde des Filterblasen in jedem Fall geben, der Begriff "empirisch" ist darüber hinaus auch mehrdeutig.
Aber nun hattest Du ja mich gefragt und bei der Gabriel Baustelle kommen wir vorerst ohnenin nicht zusammen, also vergessen wir das mal, für diese Diskussion.

Wenn Du mich fragst, muss es im Grunde entweder um das gehen, was ich zu dem Phänomen meine. Das habe ich dargestellt, ich benutze Filterblase, Blase und Echokammer annäherend synonym und noch mal zur Wiederholung, weil es wichtig ist: Ich benutze die Begriffswolke nicht als reine Echokammer/Blase von Freunden, die mir zustimmen, sondern ich meine eine Wolke von Weltsichtgewohnheiten, d.h.: Ich und meine Freunde hier, meine Feinde oder neutraler, die anderen, da.
Es ist jenen, die vom Mainstream abweichen ja bewusst, dass sie es tun, sie sind stolz darauf, beziehen sich in der Konstitution ihres Weltbildes daher so gut wie immer auf den Mainstream, den sie für verführt halten und von dem sie sich absetzen.

Nun gibt es aber abweichende Bedeutungen und Differenzierungen des Begriffs Filterblase.
So wie ich ihn benutze ist er nicht ganz der Version von Eli Pariser entsprechend, sondern erweitert, ich habe das hier im Thread aber mehrfach und genauer angegeben. Eli Pariser versteht, als These, unter FIlterblase das Phänomen, dass Internetgiganten, bei Suchanfragen zum Klientel passend vorselektieren, so dass viele Menschen andere, personalisierte Suchantworten eingespielt bekommen.
Bei der Lektüre diverser, auch von Dir verlinkter Artikel, wird der Begriff Blase häufig breiter und mit Echokammer überlappend verwedent, so wie ich ihn im Grunde auch verwende.
Aber man kann das natürlich trennen, dann wäre eine

Filterblase = die Verengung des Horizonts durch vorselektierte Einspielungen/Suchergebnisse.

Und die

Echokammer = die Verengung des Horizonts durch Bestätigung aus der eigenen Gruppen der Weltanschauungen.

Beide Begriffe werden mal mehr, mal weniger überlappend verwendet.

Untersucht wurden nun die FIlterblase im Sinne der Beschreibung von Eli Pariser, dazu unten weiter.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 25. Mär 2018, 13:10
Wenn mehrere unabhängige Studien zu dem Ergebnis kommen, dass die Theorie nicht stichhaltig ist, weil der Effekt entweder gering ist, gar nicht besteht oder sogar das Gegenteil zu beobachten ist, dann bin ich geneigt, die ursprüngliche Theorie fallen zu lassen. Wenn es jedoch andere belastbare Beobachtungen gibt, will ich die gerne zur Kenntnis nehmen.
Und ich bin dann geneigt, in dem Fall, wo ich es geauer wissen will, mir die Studie einfach mal anzuschauen. Oft will ich es nicht genauer wissen.
In dem Fall habe ich mir die Studie, oder deren Zusammenfassung, die der von Dir verlinkten Deutschlandfunk Reportage zugrunde liegt, angeschaut.

Unter #Datengeschenk findet man die Studie, was gemacht wurde, ist hier recht gut erläutert, daraus:
Dies ist das Ergebnis der Auswertung des ersten Monats unseres Datenspendeprojekts, gefördert von 6 Landesmedienanstalten. Fast 4.000 Nutzerinnen und Nutzer haben sich das Plug-In bereits heruntergeladen. Davon spenden uns tagsüber regelmäßig zwischen 300 und 600 ihre Suchergebnisse zu 16 Suchbegriffen – insgesamt haben wir damit 3 Millionen gespendete Datensätze gespeichert, die wir der Öffentlichkeit für weitere Analysen zur Verfügung gestellt haben. In unserer ersten Analyse „Datenspende: Personalisierung geringer als gedacht – Hauptsächlich regionale Effekte“ haben wir anhand der Daten für einen einzelnen Suchzeitpunkt analysiert, wie unterschiedlich die Suchergebnisse der Nutzer voneinander sind.
(Quelle oben verlinkt)
Das klingt erst mal gut, weil die Zahl der Studienteilnehmer mit 4.000 groß genug ist und das ist eine der wichtigsten Größen, um einer Regression zum Mittelwert (in Folgestudien) vorzubeugen.
Unklarheiten bleiben hinsichtlich der Methodik und damit einer möglichen Vorselektion: Das Setting ist so, dass Menschen durch ein Download ein kleines Programm auf ihrem Rechner installieren und dieses Pogramm senden dann, ich glaube 4x am Tag Suchanfragen an Google: Alle Suchanfragen bestehen aus führenden Repäsentanten deutscher Partein und deutschen Partein, insgesamt 16 Suchbegriffe, als Alleinbegriff.

Nun stellt sich aber die Frage, wer solche Programme freiwillig auf seinem Rechner installiert. Extremere Vertreter des rechten und linken Lagers zeichnen sich dadurch aus, dass sie dem 'Mainstream' abgrundtief misstrauen, der Regierung, der (mal von diesem, dann von jenem angeblich 'gleichgeschalteten') Presse und öffentliche Institutionen und ihrer Wissenschaft ebenfalls, mit der üblichen Terminologie und Begründung: Für Linke bis Ganzlinke sind das Projekte des Kleinbürgertums und Instrumente zur Stabilisierung ihrer Herrschaft und der transatlantischen Verbindung, für Rechte bis Ganzrechte sind es Projekte linksgrün gleichgeschalteter Gutmenschen mit dem Ziel die Deutschen (oder die weiße 'Rasse') irgendwie zu beseitigen.

Ich bin im Zweifel, ob sich die einen, wie die anderen im übergroßen Maße dazu bereiterklären aktiv an Forschung teilzunehmen, deren Grundintention sie bereits misstrauen. Vielleicht wurde das erkannt und berücksichtig, in dem was ich insgesamt dazu gelesen habe, habe ich aber nichts dazu gefunden und hier wäre mein EInwand der eine möglichen (und wenn das nicht berücksichtigt wurde, recht wahrscheinlichen) Verzerrung der Daten. (Dann ist auch eine große Zahl unerheblich, man kann problemlos 20.000 BVB Fans über die besten Fußballspieler interviewen, sollte dann nur keine repräsentativen Ergebnisse erwarten und um die ginge es.)
Übrig blieben als freiwillige Downloader, nach den Kategorien des gesunden Menschenverstandes, Menschen, die von diesen Studien lesen, sie positiv bewerten und sie durch Teiilnahme aktiv unterstützen wollen. Die Motive, ein aktives Interesse an politischer Aufklärung, Stärkung der Demokratie, Forschung und Wissenschaft, würde ich eher dem gebildeteren Mainstream so wie einem linksliberal, progressiven (oder einem gebildeten, und gemäßigt konservativen) Klientel unterstellen.
Wenn Blasen den Erwartungen (auf der Grundlage vorheriger Suchanfragen und Klicks, Verweildauer ...) entsprechen sollen, würde ich nicht erwarten, dass diese Menschen billigen Populismus hart linker oder rechter Genese wünschen, sondern das was man unter die Rubrik sachliche Informationen fassen würde.
Selbst als gut informierter treuer Sozialdemokrat will dann nicht lesen, dass Merkel kleine Kinder frisst und an schwarzen Messen zur Ausrottung des 'teutschen Volkes' teilimmt. Da will ich den gediegenen Zeit-Artikel, Jakob Augstein nannte die Zeit kürzlich "das Zentralorgan des deutschen Bürgertums".
Dieser Zusammenhhnag müsste m.E. in jedem Fall geklärt werden.

Der andere, leichtere Einwand ist, dass man beachten muss, wie bzw. was gelesen und dann geteilt wird.
Wirklich der Artikel oder nur die Überschrift? Zu 90% in sehr rechten Kreisen nur die Überschrift. Das betrifft eher die Echokammern, weil lesen und teilen aktive Vorgänge sind, aber wenn Algorithmen einspielen, was gewünscht wird, dann sollte man dort mal schauen. Wiederum ist nicht zu erwarten, dass hier ein hoher Grad an freiwilliger Zustimmung zur Untersuchng vorliegt.

Ich glaube, wie ja fürher ausgeführt, dass man das (zur Erforschung einzelner Segmente schon) in letzter Konsequenz trennen kann. Eine Affinität zu Echokammern ist on- und offline gegeben, natürlich spielen weitere Faktoren wie Familiensituation, Peergroup, Zeit im Internet, Bildung usw. eine Rolle und insofern sehe ich das Internetverhalten und ggf. die Filterblasen, aber auch die dortige Möglichkeit der exzessiven Selbstdarstellung ... als Verstärker an, nicht im monokausalen Sinne als Verursacher.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 26. Mär 2018, 10:21
Bei der Frage nach dem "gibt es" und Sinnfeldern kommt mir Deine Einstellung anders vor und nach diesen Kategorien würde des Filterblasen in jedem Fall geben.
Das ist zwar hier offtopic, ich will es aber dennoch kurz erklären. Tatsächlich gibt es gemäß der Sinnfeld-Ontologie alles. Aber, das ist ja der Clou: Es gibt alles, aber nicht alles im selben Sinnfeld. Sich über die Existenz von etwas irren ist natürlich dennoch ohne inneren Widerspruch möglich. Man kann nämlich meinen, X befände sich im Sinnfeld S, während es sich dort nicht befindet, sondern nur in der eigenen Einbildung (z.B.).




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Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 10. Mär 2018, 14:22

These: Filterbubbles,Blasen, Echokammern ... gibt es gar nicht, im Gegenteil, die Blase des anderen sei immer nur einen Mausklick weit weg.

Stimmt, aber ist für mich keine Widerlegung der Idee, zumindest so wie ich sie verstehe: Denn die anderen, die gewohhnten Feinde meiner Meinung, wegen denen ich ja erstmal in Wallung gerate, sind stets notwendiger Teil meiner Blase. Der rechte Hater braucht und konstruiert die Existenz den linken Gutmenschen und umgekehrt.

Die andere Blase ist nicht die konträre Meinung, der glühende Veganer weiß, dass es Leute gibt, die Fleisch essen und Pelze tragen, das braucht er, um auf Touren zu kommen und seine Position zu konstituieren. Die wirklich andere Blase, ist derjenige, der bei dem Thema überhaußt keine große emotionale Ladung spürt und gar nicht in eine extreme Ecke drängen lässt.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 11. Mär 2018, 07:04
So, wie du den Begriff verwendest, könnte man ihn im Grunde ohne Verlust streichen. Denn er wäre dann einfach synonym mit den Begriffen Gruppe, Clique, Netzwerk, Freundeskreis, Gemeinschaft et cetera. Der Begriff Filterblase besagt aber nicht nur, dass es bestimmte Gruppen etc. gibt, die z.b. dadurch zusammengehalten werden, dass sie in bestimmten Aspekten einer Meinung sind oder ähnliche Ziele verfolgen und so weiter und so fort. Er besagt etwas, was darüber hinausgeht.

Zum Begriff der Gruppen etc. gehört es nämlich nicht, dass die Algorithmen von Facebook, Google, Twitter und Co diese Gruppen weitgehend von anderen Gruppen, von konkurrierenden Gruppen isolieren, so dass man im Wesentlichen nur noch Meinungen zu Gesicht bekommt, die die eigene Meinung stützen.
Michael Seemann hat zu der Fragstellung eine datengestützte Theorie entwickelt. Auch er steht dem Begriff Filterblase skeptisch gegenüber und erklärt das Phänomen nicht im wesentlichen durch die Algorithmen von Google, Facebook & Co, sondern mit dem Konzept der Stammeszugehörigkeit, den er auf die digitale Zeit überträgt und digitalen Tribalismus nennt. Damit es sich reimt, konnte man sagen: Die Gruppe entsteht nicht durch Technologie, sondern Ideologie.

Hier gibt es dazu einen Thread > https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... 400#p20400




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Es gibt keine Filterblasen! Es gibt Filterblasen!

Bild

Ein Zwischenfazit aus persönlicher Sicht.

Vorweg: Der Begriff "Filterblase" besteht aus zwei Elementen, die beide ziemliche Defizite aufweisen.

Blase: Die Metapher "Blase" ist im Grunde ganz ungeeignet. Sie suggeriert einen klar abgezirkelten Bereich, ein deutliches Innen und Außen. So etwas dürfte es überhaupt nicht geben. Falls es Blasen gibt, dürften sie ganz verschieden sein, viele eher inhomogen, wolkenartig, manche eher scharf, andere eher unscharf, manche zeitlich versprenkelt, andere auf einen bestimmten Moment hin fokussiert oder ähnliches sein.

Filter: Das Problem des Begriffs "Filter" ist anders gelagert. Aus ihm geht nicht deutlich erkennbar hervor, wer bzw. was denn filtert. Was kommt als Filter-Instanz in Frage? Nach Eli Pariser liegt die Filterleistung auf Seiten der Google-, Facebook- & Co-Algorithmen. Diese Algorithmen ändert sich jedoch regelmäßig. Sie sind heute nicht mehr so, wie sie zu der Zeit waren, als Pariser sein Buch herausgebracht hat. Die Zahl der Faktoren, die entscheiden, was auf einer Facebook-Timeline zu sehen ist, ist unüberschaubar groß. Wie die Algorithmen genau aussehen ist zwar geheim. Aber das Ziel ist sicher nicht "Meinungskonformität" (die Blase) sondern "Engagement" - das ist intensive Beschäftigung mit den Inhalten, die dargeboten werden - also: hohe Verweildauer = Erreichbarkeit für Werbeinhalte. Dieses Ziel lässt sich auf vielfältige Weise erreichen. Dem User nur das zu zeigen, was seine eigene Ansicht wiederspiegelt, kann, muss aber nicht zu den tausenden von Parameter gehören.

Nach meiner Einschätzung aufgrund der Lektüre diverser Artikel gibt es so eine Filterblase, wie Pariser sie sich ausgemalt hat, nicht oder nur in deutlich geringerem Maße. Ich meine sogar, dass das mittlerweile weitgehend Konsens ist.

Blasen in den Köpfen?

Wenn der Filter (falls es einen geben sollte) nicht (allein) da liegt ... Wo dann? Der Filter liegt in unseren Köpfen lautet eine gängige Antwort. Das halte ich für deutlich plausibler, auch wenn das keine Formulierung nach meiner "Geschmacksrichtung" ist :-) Das kleine Problem damit: Das ist jedoch ein alter Schuh. Dass wir uns zu Gruppen mit ähnlichen Interessen zusammentun, dürfte als Phänomen fast so alt sein wie die Menschheit selbst. Als größere Gruppen sind wir doch immer arbeitsteilig organisiert und das dürfte sich auch darin wieder spiegeln.

Dazu vier Fragen: (1) hat der "wahre Filtermechanismus" also gar nichts mit dem Internet zu tun? (2) führt das automatisch zu "Meinungskonformität"? (3) Führt das automatisch zu Fake News Blasen? (4) Liegt Eli Pariser völlig daneben?
  1. Vermutlich spielt das Internet hier sogar eine sehr große Rolle. Jedoch nicht als "Hervorbringer" sondern als "Verstärker". Die Tendenz gab es schon immer. Doch die Möglichkeiten, sich zu vernetzen sind durch die neuen Technologien jedoch deutlich größer. Jetzt wächst zusammen, was früher nicht hätte zusammen wachsen können.
  2. Ich meine, das führt nicht zwingend zu "Meinungskonformität". Das beste Beispiel sind wir selbst. Wir werden hier vage zusammengehalten durch unser Interesse an der Philosophie. Aber "Meinungskonformität" ist natürlich keineswegs die Folge, wie fast jeder einzelne Thread zeigt.
  3. Auch hier hoffe ich, dass wir selbst ein Beispiel sind :-) Zwar irren wir alle oft und oft auch gewaltig. Aber irren ist menschlich. Fake News in dem heute bekannten Ausmaß ist etwas ganz anderes, denke ich.
  4. Jein. Pariser dürfte falsch liegen, wenn man unterstellt, dass die Algorithmen die hauptsächliche treibende Kraft sind bei der Grüppchen-Bildung. Wenn man es jedoch als einen Faktor von mehreren sieht, dürfte an der Theorie ein wenig dran sein.




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Stefanie
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Do 7. Jun 2018, 19:52

Mir scheint, ich habe einen mal wieder einen Beitrag verstanden. Hoffentlich.

Zur Methaper Blase noch mal.

Eine Blase ist doch etwas, was nicht sehr langlebig ist. Ein Piks und die Blase ist hin, oder sie trocknet aus.
Filterblasen könnten daher auch etwas sehr unbeständiges sein, wechselnde Grüppenchenbildung, weil Blasen entstehen, und wieder kaputt gehen. Wenn eine Blase nicht mehr da ist, können sich die Insassen der nicht mehr vorhandenen Blase in anderen Blasen mit unterschiedlichen Personen mit unterschiedlichen Meinungen, als in der alten Blase zusammenfinden.
Nur so ein Gedanke.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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