Das Schreiben im Internet

Es gibt heute kaum Bereiche des alltäglichen Lebens, die nicht in irgendeiner Weise mit dem World-Wide-Web zusammenhängen. Das Gleiche gilt für "künstliche Intelligenz". Was hat die Philosophie dazu zu sagen?
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Tosa Inu
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Sa 17. Mär 2018, 21:18

Wenn ich so lese, was Jörn für einen Output hat, dann kann ich - als notorischer Vielschreiber einst gefürchtet - nur sagen: Holla, die Waldfee.
Ich habe mal so überschlagen, was ich über die Jahre so ins Netz geschrieben habe und bin auf etwa 25.000 Beiträge gekommen.
Darunter glaube ich 15 - 20.000 (je nachdem, wie eng man Philosophie sieht), zur Philosophie.
Jörn schätzte ich mal so auf 30 - 40.000.

Aber warum tut man sowas? Über die Jahre ändern sich einige Motive, man sieht auch wie Schreiber, irgendwie ja auch Weggefährten, sich verändern. Manche entwickeln sich, andere stagnieren. Manchmal verändern sich auch die Charaktere.

Neben Eitelkeiten und Selbstdarstellung ist der echte Wissensdrang immer wieder ein Motiv. Es ist einfach schön, wenn man sieht, wie manche Großdiskussionen einen vorwärts bringen. Ein Stück weit ist es glaube ich auch der illusionäre Wunsch, die Welt zu verbessern. Man weiß im Grunde es geht nicht, schon gar nicht vom PC aus und doch sträubt man sich gegen die Einsicht. Ich finde es schön, hier und da etwas zu erklären, aber vielleicht ist das stärkste Motiv bei mir sogar, mir die Welt zu ordnen. Irgendwie klappt das auch ganz gut, weil etwas hinzuschreiben verbindlich ist, man muss sich wenigtens vor sich selbst rechtfertigen.

Ich weiß nicht, was stärker ist, vielleicht das oder der Wissensdrang, vermutlich ändert sich das dann und wann.
Noch was komisches. Schreibhemmungen sind mir eigentlich fremd. Was ich aber festgestellt habe, ist, dass ich manche Themen noch nicht mit letzter Gewalt angehen will. Ich habe mir zwar im soliden Größenwahn vorgenommen einige Dinge abschließend rauszufinden, aber bei manchem zucke ich noch zurück, weil ich irgendwie das Gefühl habe, dass es noch nicht dran ist.

Und wie ist das bei Euch?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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So 18. Mär 2018, 06:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Sep 2017, 11:39
Ich denke, die meisten User hier haben schon eine etwas längere "Forums-Karriere" hinter sich. Oder?

Zu meiner eigenen "Karriere": Ich schätze, dass ich schon um die 15 Jahre in Philoforen unterwegs bin. Wie kam es dazu? Bei mir war die Matrix Trilogie schuld! Ich hatte mir die erste Folge angeschaut, die mir ganz gut gefiel und danach ein wenig dazu im Spiegel (oder so) gelesen. Und darin fand ich, dass der Film in sog. Online-Philosophie-Foren sehr intensiv und kontrovers diskutiert würde. Ob es einen direkten Link auf so ein Forum gab, weiß ich nicht mehr ... aber wenig später war ich Mitglied in meinem ersten Forum. Da dieses aber mehr oder weniger nur so vor sich hindümpelte, bin ich irgendwann im Philosophie-Raum gelandet. (Damals war ich absolut auf dem Luhmann-Trip!)

Nebenher hab ich auch ein wenig in der Philo-Welt geschrieben und im www.denkforum.at (ich glaub sogar noch ein weiteres, was es nicht mehr gibt.) Aber irgendwann hab ich meine Aktivitäten auf den Philosophie-Raum konzentriert ... den Rest der Geschichte dürften die meisten hier kennen - und hier bin ich, ich kann nicht anders :-)
Holger Klein in seinem Aufsatz "die neue Mitteilungswut - über Blogs und Laien Reporter" hat geschrieben : Die meisten frühen Blogger und Bloggerin hatten ähnliche Gründe, um mit dem Bloggen anzufangen. Es existierte bereits vorher das Bedürfnis, Texte zu veröffentlichen, und [plötzlich gab es] eine neue Technologie, die dieses Bedürfnis zu befriedigen vermochte, ohne dass ich die Autoren erst besondere Programmierkenntnisse aneignen mussten. Die häufigste Antwort auf die Frage nach dem Warum lautet folglich: "Deshalb weil ich es kann." Hinterfragt wurde viel, so Andrea Diener:
Als Blogger muss man sich ständig erklären, aber als Schriftsteller muss man das nicht. Bloggen wird ständig hinterfragt, jeder will dauernd wissen, warum man das macht, weil es für Leute anscheinend ungewohnt ist, dass man sich so unmittelbar und so in Echtzeit präsentiert. In der Wahrnehmung der Außenwelt, der Nichtblogger, hat es immer so etwas undurchdachtes, so etwas Schnelles und auch sich nackt machendes. Und das ist anscheinend so erschreckend, dass man ständig auf Blogger zu geht und sie fragt. Warum bist du so exhibitionistisch? Warum machst du das? aber wie exhibitionistisch sie nun wirklich sind, fragt natürlich keiner.




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Jörn Budesheim
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So 18. Mär 2018, 06:57

Die Antwort lautet lautet also: "weil ich es kann."

Das erklärt jedoch nicht das Schreiben, sondern höchstens das Veröffentlichen. Schreiben kann man auch zu Hause im stillen Kämmerchen - für die Schublade zum Beispiel. Und warum ein Forum? Und nicht ein Blog? Ich habe auch schon einige Textblogs gemacht, aber die sind alle langsam aber sicher vertrocknet, weil ich nicht schreiben kann ohne dieses dialogische hin und her.

Das dialogische hin und her ist wichtig. Das ist aber nicht alles. Für mich gibt es eine sehr enge Verknüpfung zwischen Lektüre und Schreiben. Zu nahezu allen Themen, zu denen ich mich im Forum äußere, lese ich parallel Texte. Das ist für mich mittlerweile fast zu einer Einheit geworden. Wenn ich etwas lese, möchte ich dazu schreiben. Wenn ich schreibe, möchte ich etwas dazu lesen.

So auch bei dem vorliegenden Text. Bei dem Beitrag von Tosa Inu musste ich sofort daran denken, dass ich ein kleines Büchlein zu dem Thema habe, "Wir nennen es Wirklichkeit", habe es aus dem Regal gesucht und einen kleinen Aufsatz über Blogger gelesen...




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Jörn Budesheim
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So 18. Mär 2018, 07:04

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 21:18
Es ist einfach schön, wenn man sieht, wie manche Großdiskussionen einen vorwärts bringen
Ja, das ist richtig. Oft bringt einen die Diskussion voran. Wenn man gezwungen ist, Dinge niederzuschreiben, zu erklären, auf Einwände zu reagieren, dann ist es etwas ganz anderes als wenn man die Dinge alleine im Kopf hin und her wendet. Um es a la Kleist zu sagen: Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben und Antworten ist wichtig.




Tosa Inu
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So 18. Mär 2018, 08:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 06:57
Das erklärt jedoch nicht das Schreiben, sondern höchstens das Veröffentlichen. Schreiben kann man auch zu Hause im stillen Kämmerchen - für die Schublade zum Beispiel. Und warum ein Forum? Und nicht ein Blog? Ich habe auch schon einige Textblogs gemacht, aber die sind alle langsam aber sicher vertrocknet, weil ich nicht schreiben kann ohne dieses dialogische hin und her.
Stimmt, das ist bei mir auch ein wichtiger Aspekt. Kommt aber immer auf das Gegenüber an. Manche Nachfragen oder Hinweise bringen mich weiter, manche werfen mich eher zurück. Manche kann man auch als Impuls für eigene Texte nehmen, die man dann für sich schreibt oder als Blog, wenn man einen hat, veröffentlicht.

Ich brauche aber nicht alles der Welt zu präsentieren, vieles habe ich wieder gelöscht oder nie veröffentlicht. Zum Glück. :)

Bei mir war es ähnlich, wie bei Dir, ich habe mal eine Rezension zu Wilbers Eros Kosmos Logos gelesen und fand das Buch super und wollte natürlich drüber reden. Nur, gab es genau einen, den ich kannte, der es gelesen hatte und das war ich. Irgendwann kommt auch der Punkt, wo man merkt, dass das eigene Umfeld vielleicht aus Höflichkeit nickt, aber am Thema überhaupt interessiert ist und das ist dann für alle Seiten quälend. Zu dieser Zeit hat es zwar schon Internet gegeben, habe ich gehöre nicht zu denen, die Neues zuerst ausprobieren und so hörte ich immer wieder mal was davon und als ich zuerst reinschnupperte, war das an einer Unibibliothek, um an einen Beitrag zu kommen, von jemandem der ein Gehirn groß wie eine Walnuss hatte und dennoch normal funktionierte.

Irgendwann hatte ich einen eigenen Anschluss, da gab es noch AOL und die ersten Foren waren so Regioforen. Was ich da las, fand ich abstoßend, weil stinklangweilig, Menschen schilderten sich ihren Alltag. "Mein Man kommt gleich von der Arbeit, ich muss noch kochen." Dass noch die banalsten Seiten des Alltags heute der Renner sind, hätte ich nie gedacht. Talentfrei und voll normal, so ist die ideale Pojektionsfläche, der Influencer, die modernen Pop-Stars auf Youtube. Ich fand das damals schon grausam, es erinnerte mich an Funkamateure, die ich kannte, die die ersten waren, die über Distanz in Kontakt standen und sich dann auch sagten, dass sie sich gleich noch ein Schnitzel in Pfanne hauen und dann pennen gehen.

Ich brauche Themen, die mich flashen und das ist bei mir immer recht eng gewesen. Irgendwann sah ich dann, dass es tatsächlich ein Ken Wilber Forum gibt und dachte ich sei im Paradies. Auf einmal konnte ich miich mit den Leuten austauschen, die sich auch dafür interessierten und die wussten tatsächlich wovon sie reden. Ab da war das meine Welt. Spinner und Trolle waren damals die Minderheit.

Die Kombination Lesen und Schreiben bildet bei mir auch eine Einheit, wenn ich was lese, schreibe ich gerne darüber und umgekehrt.

Was mir zuvor zwar auch klar war, aber irgendwie noch mal bewusster wurde: Erkenntnis ist ja bei einigen von uns an mordsmäßiger Antrieb. Mit meinen 25.000 Beitrgägen lag ich schon ganz gut, viele Foren, in denn ich mal war, gibt es noch und so habe ich mal alles addiert und komme, einige musste ich schätzen, auf etwa 27.500, ich denke +/- 1000. In der Regel bekommt man darauf ja auch Antworten, was also 55.000 Austausche macht. Nimmt man dann noch dazu, was man so an Buchseiten gelesen hat, kann ich gerade schlecht schätzen, ich denke irgendwo zwischen 50. - 100.000 Seiten, dann bei mir, viele viele Stunden in denen ich mir Vorträge auf Kassette angehört habe, bis ich sie auswendig konnte, dazu hat man ja auch mal Gespräche geführt, oder war in Vorlesungen oder dergleichen. Und damit hört es längst noch nicht auf.

Erkentnis und Glück sind vermutlich unsere ... Triebe kann man nicht sagen, das sind ja Liebe und Aggression, also nehme ich mal das Biild vom Omegapunkt, das worauf es hinausläuft, das, was von der anderen Seite zieht. Und so wie Liebe und Aggresson einander durchdringen, ist es mit Erkenntnis und Glück wohl auch. Erkenntnisse sind schön, machen glücklich und auch anderen Glücksmometen, kann man Erkenntnisse ziehen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

scilla
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Do 12. Jul 2018, 07:22

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 21:18

Neben Eitelkeiten und Selbstdarstellung ist der echte Wissensdrang immer wieder ein Motiv.
der Drang garantiert noch kein Wissen

ein Vielleser ist ein Getriebener,
der keine eigenen Gedanken fassen kann,
weil er dazu keine Zeit hat

ein Autor sollte aber nur das schreiben,
was EIGENTLICH wichtig ist

umgekehrt folgt daraus,
daß ein Rezensent,
der zu sehr am Buch klebt,
keine Ahnung vom EIGENTLICHEN hat
(sonst hätte er ja kurz das EIGENTLICHE erläutert
und die Bedeutung des rezensierten Werkes für das EIGENTLICHE herausgestellt)




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