Können Apps etwas wissen?

Es gibt heute kaum Bereiche des alltäglichen Lebens, die nicht in irgendeiner Weise mit dem World-Wide-Web zusammenhängen. Das Gleiche gilt für "künstliche Intelligenz". Was hat die Philosophie dazu zu sagen?
Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23268
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 27. Mai 2018, 05:49

Alethos hat geschrieben :
Sa 26. Mai 2018, 22:13
Wahrheit liegt vor, sobald etwas über etwas wahr ist. Dazu braucht es nicht zwingend Ansichten, sondern Tatsachen, in denen vieles über vieles wahr ist.
Ja, so sehe ich das auch.
Alethos hat geschrieben :
Sa 26. Mai 2018, 22:13
aber ich bin sicher, dass du ungefähr weisst, was ich sagen wollte
Aber dein Informationsbegriff, der offenbar sehr dicht an dem "natürlichen" ist oder gar identisch damit, macht die Interpretationen schwierig. Meines Erachtens knirscht es da ziemlich.




future06
Beiträge: 24
Registriert: Mi 20. Dez 2017, 17:54

So 27. Mai 2018, 10:12

Alethos hat geschrieben :
Sa 26. Mai 2018, 16:08
future06 hat geschrieben :
Fr 25. Mai 2018, 10:38
"Meine Kritik daran lautete: Information kann falsch sein."

Ja, denn Bärenspuren können auch gefälscht sein.

Bärenspuren im Schnee sind also notwendige Bedingungen für im Schnee gelaufene Bären, aber keine hinreichenden.
Darum kann Information nie falsch sein: Eine Bärenspur im Schnee, die nicht von einem Bär im Schnee gezeichnet wurde, ist eben keine Bärenspur, sondern nur Fake News.

Und eine Lüge kann, wenn man sie isoliert betrachtet, keine Falschinformation sein, sondern nur mit Bezug auf eine Tatsache, die sich anders verhält, kann sie eine falsche Information sein.
Fake-News sind doch auch Informationen - eben falsche. Um den Wahrheitswert herauszufinden, wird zusätzliche Information benötigt.

Aus der Bärenspur (also den Abdrücken im Schnee) läßt sich nicht mit Sicherheit ablesen, dass es sich wirklich um die Spur eines Bären handelt. Wenn man die Begriffe genauer beleuchtet, wird es m.E. klarer:

Bärenspur = Abdrücke im Schnee, die bzgl. Form und Abdrucktiefe der Spur eines Bären entsprechen
Spur eines Bären = von einem Bär verursachte Abdrücke im Schnee



king - man + woman = queen

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23268
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 28. Nov 2019, 07:30

Markus Gabriel hat geschrieben : ...Das läuft so wie beim Informationsbegriff. Dieser Stuhl [zeigt darauf] umfasst die Information, dass er dahin getragen wurde. Die ist jetzt gerade nicht sichtbar, aber wenn wir dem Stuhl und alldem, was mit ihm zu tun hat, nachgehen, dann können wir herausfinden, wer ihn dorthin gestellt hat. Die Umzugsfirma, die ihn hier reingebracht hat. Diese Information ist in diesem Stuhl codiert, die ist nicht im Geist des Menschen, sondern hier in dem Stuhl selber. Die Tatsache, dass er hergestellt wurde, gehört zu diesem Stuhl dazu. Das heißt aber dann auch, dass die Information über diesen Stuhl, die wir erwerben können, im Stuhl selber ist. Sie ist buchstäblich »In-Formation«, also in der Form des Gegenstandes anwesend. So wird heute von vielen auch Kausalität verstanden, selbst in der »beobachterunabhängigen« Wirklichkeit, dass nämlich Elementarteilchen voneinander Informationen über ihren Aufenthaltsort haben, wenn sie zum Beispiel verschränkt sind. Obwohl da keiner etwas denkt; es ist nicht so, dass das Teilchen Bob und das Teilchen Nob denken: »Lass uns mal gemeinsam in die andere Richtung spinnen.« Da denkt keiner irgendetwas. Trotzdem sind da Information und Informationsverarbeitung am Werk. Der Informationsbegriff sieht gar nicht vor, dass es Sinn gibt in der von Ihnen gemeinten Weise, also Sinn für Beobachter. Deswegen umspannt der Sinnbegriff sowohl den Informationsbegriff als auch den Sinnbegriff, auf den Sie hinweisen, wenn Sie sagen: »Sinn ohne Beobachter gibt es doch nicht.« Ich würde sagen, das, was wir beobachten, wenn wir Sinn beobachten, das gibt es auch in der von uns nicht beobachteten Wirklichkeit. Der Aggregatzustand von »Sinn« in der nichtmenschlichen Wirklichkeit ist das, was die Informatiker heute Information nennen...
@Alethos

Unsere Diskussion zum Problemfeld Information habe ich gelegentlich im Hinterkopf, weil ich zunehmend in Zweifel gerate, ob ich nicht einen antiquierten informationsbegriff habe/hatte. Vielleicht kann man diese Frage in Zukunft noch mal erörtern :)




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Sa 21. Dez 2019, 10:50

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 28. Nov 2019, 07:30
Unsere Diskussion zum Problemfeld Information habe ich gelegentlich im Hinterkopf, weil ich zunehmend in Zweifel gerate, ob ich nicht einen antiquierten informationsbegriff habe/hatte. Vielleicht kann man diese Frage in Zukunft noch mal erörtern :)
Ich würde mir nie anmaßen zu denken, dass dein Informationsbegriff antiquiert wäre oder meiner gar moderner und richtiger. Ich finde nur, dass man bei definitorischen Fragen, z.B. derjenigen, was Wissen sei, einen sehr weiten Begriff benötigt, denn man läuft sonst Gefahr, etwas auszuschliessen, was nicht ausgeschlossen werden darf.

Wenn zu wissen bedeutet, etwas in einer ganz spezifischen Weise, z.B. einer menschlichen, zu erfassen, dann darf alle Informationsverarbeitung, die nicht-menschliche Qualität hat, nicht als 'Wissen' gelten. Dann gibt die spezifische Definition eben einen spezifischen Wissensbegriff vor, dann ist per definitionem Wissen eine menschliche Fähigkeit. Nun aber ist das doch die Frage, die der Thread-Titel aufwirft, eben die nach der Definition von Wissen: Ist Wissen eine spezifisch menschliche Art und Weise der Informationsverarbeitung?

Ich gebe zu, dass meine Frage eine Gleichsetzung von 'Wissen' und 'Informationsverarbeitung' vornimmt und damit einen nicht ganz unauffälligen Versuch darstellt, eine Definition von Wissen vorzugeben. :) Aber nehmen wir doch einmal an, zu wissen bedeute die Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten: Müssten dann nicht alle Vorgänge, die in und mit Tatsachen wechselwirken, somit die informationelle Konfiguration des Wirklichen 'lesen', aufnehmen, verarbeiten können, also alle Vorgänge der informationellen Reziprozität, als 'Wissen' durchgehen können? Ich meine, ja. Der Boden wüsste nach dieser Lesart, dass der Stein auf ihm liegt, einfach allein deshalb, weil er ihn sonst gar nicht trüge. Und der Stein wüsste nicht, dass er nicht mehr fallen kann, wenn er nicht wüsste, dass er aufliegt.

Das ist in meinen Augen kein naturalistischer Wissensbegriff, einfach allein deshalb, weil er auch lebendige Formen der Wissensverarbeitung einschliesst, explizit auch soziale, emotionale, kulturelle, historische usw. Formen des Wissens.

Wenn man den Dingen selbst kein Wissen zubilligt, dann wird es schwierig zu erklären, warum man die Billiardkugel genau mit dieser Kraft und in diesem Winkel zu treffen versucht, wenn man nicht darauf vertraut, dass sie weiss, wohin sie rollen soll. :)



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23268
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 22. Dez 2019, 06:21

Mein Problem dabei ist, dass der Stein sich nicht irren kann und zudem das, was er (nach deiner Definition) weiß, auch nicht begründen kann.

Ich habe früher viel mit einem Informatiker über Gott und die Welt diskutiert und der hat den Wissensbegriff dabei "ähnlich" verwendet wie du - sich jedoch sich immer bemüht, bei jeder dieser Veränderungen mit Zeige- und Mittelfinger virtuelle Anführungszeichen zu machen ;)




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23268
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 22. Dez 2019, 06:26

Ich habe an anderer Stelle ein kurzes Video von Brigitte Falkenburg gepostet an dessen Ende sie darauf hinweist, dass wir sorgsam zwischen verschiedenen Informations-Begriffen unterscheiden sollten, weil wir ansonsten in Teufels logische Küche geraten :)

Sie unterscheidet hier, wenn ich recht verstehe, zwischen dem informationsbegriff der Informatik und dem Begriff der Information, den wir im Alltag verwenden, wenn wir davon sprechen, dass wir es verstehen.




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

So 22. Dez 2019, 17:44

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 22. Dez 2019, 06:26
Ich habe an anderer Stelle ein kurzes Video von Brigitte Falkenburg gepostet an dessen Ende sie darauf hinweist, dass wir sorgsam zwischen verschiedenen Informations-Begriffen unterscheiden sollten, weil wir ansonsten in Teufels logische Küche geraten :)

Sie unterscheidet hier, wenn ich recht verstehe, zwischen dem informationsbegriff der Informatik und dem Begriff der Information, den wir im Alltag verwenden, wenn wir davon sprechen, dass wir es verstehen.
Klingt zunächst einmal vernünftig. Die Schwierigkeit ist die, dass wir uns so mit Blick auf die Definitionsfrage bereits Gänsefüsschen (in die höhe gehaltene, gewöhnlich mit je zwei Fingern vollzogene Geste des eigentlich Nichtmeinens :) ) "einkaufen". Je nachdem, welchen Wissensbegriff wir voraussetzen, können wir den anderen nur noch mit gewisser Verlegenheit verwenden.

Es ist aber wohl richtig auf den jeweiligen Unterschied zwischen den Wissensbegriffen zu verweisen, von denen man spricht, wenn man herausfinden will, wer oder was Wissen kann und wer oder was nicht. In der einen sehr einfachen, von mir favorisierten Lesart kann das Vorhandensein reiner Information schon als Wissen dargestellt werden. Wer weiss, der verfügt über Information, die wahr ist.

Wenn Wissen das blosse Haben von wahrer Information bedeutet, dann hat alles Existierende Wissen, sofern es nämlich vorkommt. Dann hat es nämlich Wirklichkeit und führt alles, was über ihn wahr ist, mit sich. Was über ihn wahr ist, das ist seine Information und der Inhalt des Gewusstwerdens, nämlich das Wissen über ihn als das Haben der wahren Information. Ein Stuhl oder ein Stein hat aber nichts als die wahre Information über sich und hat nach dieser Definition Wissen.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23268
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 24. Dez 2019, 10:03

Alethos hat geschrieben :
So 22. Dez 2019, 17:44
Wenn Wissen das blosse Haben von wahrer Information bedeutet, dann hat alles Existierende Wissen, sofern es nämlich vorkommt.
Ich weiß nicht, ob man so umstandslos vom informationsbegriff zum Wissensbegriff gelangen kann. Zum Wissensbegriff gehört meines Erachtens, dass jemand etwas weiß, der sich freilich auch täuschen kann, und dass dieser jemand, der etwas zu wissen vermeint, es auch darlegen und begründen kann.




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Di 24. Dez 2019, 12:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 24. Dez 2019, 10:03
Alethos hat geschrieben :
So 22. Dez 2019, 17:44
Wenn Wissen das blosse Haben von wahrer Information bedeutet, dann hat alles Existierende Wissen, sofern es nämlich vorkommt.
Ich weiß nicht, ob man so umstandslos vom informationsbegriff zum Wissensbegriff gelangen kann. Zum Wissensbegriff gehört meines Erachtens, dass jemand etwas weiß, der sich freilich auch täuschen kann, und dass dieser jemand, der etwas zu wissen vermeint, es auch darlegen und begründen kann.
Ich gebe zu, dass mir ein reiner informationsbasierter Wissensbegriff nicht ganz geheuer ist und mir in mancherlei Hinsicht auch falsch erscheint. Es fehlt einfach dieser Jemand. Ich teile deine Bedenken.

Aber auf die IIT von Tononi und Koch referenzierend: Welchen Phi-Wert muss ein Etwas haben, um Jemand genug zu sein? Ab welchem Komplexitätsgrad können wir Systemen Bewusstsein attestieren? Denn offenbar ist Bewusstsein nichts, das vom Menschsein abhinge oder vom Lebendigsein überhaupt, sondern von der Selbstwirksamkeit eines inferentiellen Systems. Auch ein System 'toter Materie' müsste nach diesen Prämissen wenigstens fähig sein zu wissen, dass es weiss.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23268
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 24. Dez 2019, 12:27

Den 2ten Absatz verstehe ich nicht recht?!




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Di 24. Dez 2019, 13:05

Der Phi-Wert ist doch die Messgrösse für inferentielle Integration eines Systems, wenn ich Tonini richtig verstanden habe. Dieser Wert findet auf alle Arten von Systemen Anwendung, womit es wenigstens der Theorie nach auch für ein nicht-lebendiges System möglich wäre, zu Bewusstsein zu gelangen. Und dieses, so habe ich dich verstanden, ist die Voraussetzung dafür, dass wir sagen können, dass jemand wisse. Es wäre nun aber kein Jemand der wüsste, falls so ein System Bewusstsein hätte, sondern ein Etwas. Das ist die Frage: Kann ein Etwas, z.B. eine App, wissen?



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23268
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 24. Dez 2019, 13:15

Ich bin kein Experte für diese Theorie. In einer gewissen Hinsicht handelt es sich dabei um eine Form von Panpsychismus. Zudem ist Bewusstsein eine graduelle Angelegenheit. Soweit ich die Autoren richtig verstanden habe, gehen Sie davon aus, dass die Maschinen entweder niemals zu Bewusstsein kommen oder höchstens ein flaches Bewusstsein haben können. In meinen Worten: entweder nichts oder gar nichts :)

Es ist recht schwierig etwas zu dieser Theorie auf Deutsch zu finden. Insbesondere vor folgendem Hintergrund: von einem der Vorträge bzw Interviews mit Markus Gabriel weiß ich, dass diese Theorie auch diverse turns und Wenden genommen hat. Aber ich weiß nicht, wann das war. Das heißt, bei älteren Texten ist es immer möglich, dass sie nicht mehr vom aktuellen Stand handeln, sondern von der Theorie-Zeit vor der Wende.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23268
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 24. Dez 2019, 13:31

Der Begriff "Wissen" ist meines Erachtens sehr anspruchsvoll, auch der Umstand zu wissen, dass man weiß, gehört dazu, finde ich. das ganze Thema ist äußerst schwierig. Ich erinnere mich vor ein paar Jahren mal einen längeren Aufsatz zu dem Thema gelesen zu haben. Ich erinnere mich im Grunde nur noch daran, wie sehr ich mit den Ohren geschlackert habe :)




Antworten