Michael Seemann zu Filterblasen, Fake News und Tribalismus

Es gibt heute kaum Bereiche des alltäglichen Lebens, die nicht in irgendeiner Weise mit dem World-Wide-Web zusammenhängen. Das Gleiche gilt für "künstliche Intelligenz". Was hat die Philosophie dazu zu sagen?
scilla
Beiträge: 71
Registriert: Mi 11. Apr 2018, 19:22

Di 5. Jun 2018, 10:28

früher
(zu Zeiten des Rock'nRoll)
hießen die einzelnen Netzwerk-Grüppchen
SZENEN

während man früher
(zu Zeiten des Rock'nRoll)
alle Menschen belächelt hat,
die nicht Teil einer Szene waren,
sind heute
die Schlager-Langweiler stolz darauf,
ohne Diskussion
(Adenauers 'keine Experimente')
das Niveau abzusenken

mit anderen Worten

die Blauen sind dumm
die Roten sind neugierig




scilla
Beiträge: 71
Registriert: Mi 11. Apr 2018, 19:22

Do 7. Jun 2018, 05:38

scilla hat geschrieben :
Di 5. Jun 2018, 10:28

die Blauen sind dumm
die Roten sind neugierig
die Meldung hat eingeschagen wie eine Bombe

die Wege sind kurz (wie bei einer Meldung üblich)
die Reaktion darauf ist eigentlich klar

nur die Blauen haben nicht verstanden,
wo der Hase läuft

die paar roten Pünkte innerhalb der Mainstream-Medien
und die Brisanz der Meldung
reichen nicht aus,
um die blaue Reaktion (= kommunistischer Ausdruck)
zu überstimmen




Benutzeravatar
Madison
Beiträge: 30
Registriert: Mi 25. Okt 2017, 19:22

Do 7. Jun 2018, 19:42

Was mir hier zu kurz kommt, ist der Typ des Laberers und Blenders. Ein Gedanke beschäftigt mich schon seit einiger Zeit. Lügenpresse, postfaktisch, alternative Tatsachen…zurzeit wird die Wahrheit verzerrt, verbogen bis zur Unkenntlichkeit. Faktenchecks helfen mitunter auch nicht immer weiter. Der Lügner, der bewusst Unwahrheiten verbreitet ist ein digitales Phänomen, klar, das ist nichts Neues; was mir aber auffällt ist, dass der sog. Bullshitter offenbar weniger –„negative Würdigung“ findet. Was mich zu der Frage führt, wer eigentlich das größere Problem darstellt?

Die Laberblasen sind nicht nur die Paradedisziplin von intellektuell Limitierten. Gerade auch in der Politik findet der Bullshit breite Anwendung. Würde man das Problem der Verletzung der Wahrheit phil. aufdröseln, käme man wohl um eine Neubewertung nicht herum.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 7. Jun 2018, 19:53

Nebenbei, das kleine Buch von Frankfurt ist kostengünstig und liest sich sehr angenehm, eine echte Empfehlung: https://www.dialogos-philosophie.de/viewtopic.php?t=110




scilla
Beiträge: 71
Registriert: Mi 11. Apr 2018, 19:22

Fr 8. Jun 2018, 07:29

das deutsche Wort für die bullshit-Motivation lautet 'hetzen'
dazu noch die 'üble Nachrede'

warum das alles?
die Zeitungen schrumpfen
die Redaktionen stehen unter dem Druck der politisch und ökonomisch denkenden Eigner
und daher sinkt das inhaltliche Niveau

die Leserkommentare sind inzwischen meist informativer als die Artikel




Benutzeravatar
Madison
Beiträge: 30
Registriert: Mi 25. Okt 2017, 19:22

Fr 8. Jun 2018, 19:43

scilla hat geschrieben :
Fr 8. Jun 2018, 07:29
as deutsche Wort für die bullshit-Motivation lautet 'hetzen'
dazu noch die 'üble Nachrede'
Der Duden sagt: Unsinn; etwas Dummes, Ärgerliches, Abzulehnendes.

Ich würde hier aber noch weiter gehen. Die sozial schwache Sanktionierung des Labertums verkennt die Gefährlichkeit. Der Bullshitter geriert sich als Überbringer der Wahrheit, obwohl gerade die ihm völlig gleichgültig ist. Er ist ein Blender, der Eindruck schinden und Stimmungen generieren will. Phrasen dreschen und Fragen ausweichen sind sein Handwerkszeug; ihm geht es nur um die Durchsetzung der Agenda, die Wahrheit spielt überhaupt keine Rolle.

Aus philosophischer Sicht finde ich die Nachsicht bedenklicher, als gegenüber Lügnern. Betrachtet man den Lügner genauer, so zeigt sich, dass er nicht den Respekt für die Wahrheit unterminiert, sondern „nur“ unsere Kenntnis von ihr. Ein Lügner thematisiert die Wahrheit, er nimmt sie ernst und deshalb will er sie – für seine Zwecke – verbergen. Dies ist natürlich ebenso wenig zu rechtfertigen, doch das unterscheidet ihn vom Blender, der den Respekt für die Wahrheit untergräbt. Der Bullshitter zersetzt also den Wert der Wahrhaftigkeit noch tiefgreifender als der Lügner….und er führt – da stimme ich Alethos zu – in einen Widerspruch. Wie im "richtigen" Leben steht zu befürchten, wie Bullshitter die Grundlagen der zivilisierten Kommunikation untergraben. Dies führt letztlich zu ihrer Selbstaufhebung.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 9. Jun 2018, 06:39

Madison hat geschrieben :
Fr 8. Jun 2018, 19:43
Der Bullshitter geriert sich als Überbringer der Wahrheit, obwohl gerade die ihm völlig gleichgültig ist. Er ist ein Blender, der Eindruck schinden und Stimmungen generieren will. Phrasen dreschen und Fragen ausweichen sind sein Handwerkszeug; ihm geht es nur um die Durchsetzung der Agenda, die Wahrheit spielt überhaupt keine Rolle.
Yepp. Das entspricht auch Frankfurts Sichtweise, der den Begriff Bullshit zu einem philosophischen Fachbegriff gemacht hat - schon 1986!

Bullshit ist nach Frankfurt etwas anderes als Lüge: "Wer eine Lüge erfinden will, muss glauben, die Wahrheit zu kennen." Den Bullshittern ist, wie du schreibst, die Wahrheit ganz egal: "Gerade in dieser fehlenden Verbindung zur Wahrheit – in dieser Gleichgültigkeit, wie die Dinge wirklich sind – liegt meines Erachtens das Wesen des Bullshits."

Das ist allerdings noch heute für viele Intellektuelle eine große Herausforderung. Und nach Susan Neiman (so wie ich sie gelesen habe) ein wichtiger Punkt auch im Kampf gegen Fake-News. "Die Wahrheit" stand ja lange unter Verdacht nicht im Vollsinne zu existieren oder gar ein Verbündeter der Macht zu sein. Wer klare Wahrheitsansprüche erhob, war im intellektuellen Diskurs nicht salonfähig und machte sich verdächtig ... Ohne eine "Rehabilitierung der Wahrheit" (Davidson) geht es aber nicht.

Dazu noch Mal das Zitat von ihr:
Susan Neiman hat geschrieben : ... der erfolgreiche rechtsradikale Website-Betreiber Mike Czernowitz, erklärte der Zeitschrift The New Yorker: »Sehen Sie, ich habe die postmoderne Theorie an der Uni gelesen. Wenn alles ein Narrativ ist, brauchen wir Alternativen zu den herrschenden Narrativen.« Er lächelt. »Ich sehe nicht aus wie ein Typ, der französische Theoretiker wie Lacan liest, oder?«

Schon 2004 hat der französische Philosoph Bruno Latour beschrieben, wie die Rechten postmoderne Theorien einsetzen:
  • »›Sollte die Öffentlichkeit zu dem Schluss kommen‹, schrieb ein republikanischer Stratege, ›dass die wissenschaftlichen Fragen geklärt sind, wird sich ihre Haltung zur Klimaänderung ändern. Also müssen (diejenigen, die gegen neue Regelungen sind) weiter die Abwesenheit wissenschaftlicher Gewissheit in den Vordergrund stellen.‹«
Latour fährt selbstkritisch fort:
  • »Dennoch gibt es ganze wissenschaftliche Institute, die Studenten beibringen, dass Fakten erfunden sind, dass es keinen natürlichen vorurteilsfreien Zugang zur Wahrheit gibt, dass wir stets von der Sprache gefangen sind, dass wir immer nur von einem bestimmten Standpunkt sprechen usw., während gefährliche Extremisten die gleichen Argumente benutzen, um feste Beweise zu zerstören, die unsere Leben retten könnten. Lag ich falsch, als ich zu diesen Studien beigetragen habe?«




Benutzeravatar
Madison
Beiträge: 30
Registriert: Mi 25. Okt 2017, 19:22

Sa 9. Jun 2018, 19:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 9. Jun 2018, 06:39
Das entspricht auch Frankfurts Sichtweise, der den Begriff Bullshit zu einem philosophischen Fachbegriff gemacht hat - schon 1986!
...oder noch älter....

"Bevor die Massenführer die Macht in die Hände bekommen, die Wirklichkeit ihren Lügen anzugleichen, zeichnet sich ihre Propaganda durch eine bemerkenswerte Verachtung für Tatsachen überhaupt aus"

Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1955)




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 9. Jun 2018, 19:16

Ja, das könnte ähnlich sein. Der Bullshitter jedoch verrachtet die Tatsachen jedoch eigentlich nicht, die sind ihm schlichtweg egal :)




Benutzeravatar
Madison
Beiträge: 30
Registriert: Mi 25. Okt 2017, 19:22

So 10. Jun 2018, 19:40

Genau, der kommunikative Zeitgeist läuft darauf hinaus, dass nicht die Wahrheit entscheidend ist, sondern wie viel Follower der Irrsinn hat. Leider kann sich aber auch der pol. "Diskurs" nicht zu einem No-Bullshit-Agreement durchringen mit der Folge eines teilweise erbarmungswürdigen Zustandes mancher Talksendungen, wo Phrasen und Worthülsen z. B. bei dem Thema "Fahrverbote von Diesel-KFZ" einen Spagat zwischen Autolobby und Umweltschutz zelebrieren.




Antworten