"vor dem Computer sitzen "
Verfasst: So 21. Jun 2020, 07:49
Mir gefällt die Formulierung "vor dem Computer sitzen" nicht. Ähnlich ist es mit der Formulierung "aufs Handy schauen". Die beiden Formulierungen würden vielleicht Sinn machen, wenn die Geräte ausgeschaltet sind. Dann sitzt man tatsächlich "vor" dem Computer als einem Gegenstand und man schaut "auf" das Handy. Computer und Handy sind jedoch Werkzeuge mit denen man "etwas" macht. Und dieses "etwas" wird von der Formulierung verschluckt.V. Flusser hat geschrieben : "Vielleicht meinen wir nur, vor Computern zu sitzen, und sind tatsächlich daran, an den Kaukasus geschmiedet zu werden?
Und vielleicht wetzen sich schon einige Vögel die Schnäbel, um an unseren Lebern zu picken?"
Die Formulierung suggeriert, das Handy selbst sei der Gegenstand der Betrachtung. Das kann natürlich sein, wenn jemand sein Handy in der Hand hält und es von der Optik her begutachtet. Aber zumeistl ist es anders. wobei klar ist, dass der Gegenstand selbst auch eine gewisse Magie hat. Dennoch: Man schaut in der Regel nicht auf das Handy, sondern in das Handy, z.b. um einen Text zu lesen, um eine Mail zu schreiben, um die Nachrichten zu checken, und die Wetter Vorhersage zu überprüfen, um etwas bei Facebook zu schreiben, und bei Instagram die eigenen Bilder zu präsentieren und so weiter und so fort.
Formulierungen wie: "die ganze Zeit aufs Handy schauen" sind vielleicht nicht immer, aber oft Formulierungen, die die Diskussion in eine bestimmte Richtung treiben wollen, ohne dafür zu argumentieren zu müssen. Um den Ertrag nicht zu gefährden, sollte man vorsichtig sein: Es ist doch sicherlich ein riesiger Unterschied, ob jemand den ganzen Tag "aufs Handy schaut" und irgendein Ballerspiele spielt oder ob jemand "aufs Handy schaut" und Bücher liest? Der so Angesprochene findet sich dann plötzlich in der Rolle eines kleinen Jungen, dem die Mutter sagt, du sitzt den ganzen Tag vor dem Computer ...
Damit soll natürlich nicht bestritten werden, dass das Werkzeug selbst unsere Handlungen mitformt und eine Art Eigenleben entwickeln kann. Oder: Man "sitzt vor dem Computer" statt z.b. "draußen in der Natur" zu sein. Kleine Kinder sitzen "vor dem Rechner", statt auf der Wiese Fußball zu spielen. Aber es sind nicht allein die Geräte, die die Kinder in ihren Bann schlagen, sondern auch oder im Wesentlichen das, was sie damit tun.
Selbstverständlich kann man die Ausdrücke "Computer und Handy" als rhetorische Formel verwenden, die sich nicht auf den Gegenstand beziehen, sondern auf das, was man damit macht. Das sei alles zugestanden. Aber ich weiß aus Erfahrung, dass Diskussionen regelmäßig anders verlaufen ... Man sollte schon die Vielfalt der Handlungen, die man mit diesen Werkzeugen ausführen kann, unterscheiden. Sonst neigt man zu Übergeneralleistungen, die die Diskussion fehlleiten können.
Ein Beispiel: heute rümpft man gerne die Nase, wenn alle Leute in der U-Bahn "aufs Handy schauen". Würde man auch die Nase rümpfen, wenn sie alle in ein Buch schauen? Vermutlich nicht. aber da man nicht weiß, was die Leute wirklich machen, ist es nur ein Vorteil, oder?
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Zur Erläuterung: das Zitat ist aus einem Facebook Beitrag des Philosophen Nicolas Dierks. Er erläutert das Bild/Zitat so: Prometheus erschuf [...] die Menschen und brachte ihnen Feuer und Kultur - woraufhin Zeus zürnte, weil die Menschen den Göttern zu ähnlich wurden. Die Erfindung des Digitalen als Selbstermächtigung scheint mir eine klare Parallele - und die Strafe mit einer Beobachtung unseres Verhaltens zu analogisieren eine interessante Variation.