Scobel über Komplexität

Hier werden Vorträge diskutiert, die online als Video verfügbar sind.
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Jörn Budesheim
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Do 27. Jul 2023, 07:46

Quk hat geschrieben :
Di 25. Jul 2023, 18:28
Eine Geschichte wird unter bestimmten Bedingungen gestartet, und all ihre Ereignisse werden notiert.
Derselbe Start wird nochmal ausgeführt; dieselbe Geschichte läuft ab. Man erkennt, dass die selben Ereignisse stattfinden.
Die Geschichte wird weiterhin wiederholt, und sie ist jedes Mal dieselbe. Sie ist vorhersehbar.
Ich stelle mir das jetzt mal etwas anders vor. Wir fangen wieder bei Null an. Und alles wiederholt sich ständig. Immer wieder derselbe Anfang, immer wieder die gleiche Geschichte. Alles bleibt immer gleich. (Ich glaube keine Sekunde, dass es tatsächlich so wäre, es geht nur um die logische Möglichkeit).

Nun, erstens: Niemand muss erkennen, dass sich die gleichen Ereignisse abspielen, denn die Erkennenden sind selbst Teil derselben Geschichte und können sie nicht von "außen" betrachten. Und sie haben natürlich keine Informationen über die vielen Wiederholungen, sie sind ja Teil dieses einen Systems und kommen in den anderen nicht vor.

Zweitens: Irgendwann - so stelle ich mir das vor - entstehen spontan neue "Schachregeln", die es vorher nicht gab. Sie ergeben sich auch nicht aus den alten "Schachregeln" - aber in jedem neuen Prozess entsteht genau dieses neue Regelwerk immer wieder spontan. Ich denke, das ist logisch möglich. Oder ist es inkohärent?

Berührt das nicht die Frage nach dem Ursprung der Naturgesetze? Könnte es nicht sein, dass sie beim Urknall (oder wie auch immer) einfach spontan entstanden sind? Dann würde die Entstehung dieser Gesetze keinem vorhergehenden Gesetz folgen. Kämen wir ansonsten nicht sowieso in einen Regress, der unbewegte Beweger hat spontan bewegt :-)




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Jörn Budesheim
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Do 27. Jul 2023, 08:00

Quk hat geschrieben :
Mo 24. Jul 2023, 01:56
Was den Sozialwissenschaften in diesem Kontext [= der Faden zu den großen Kränkungen der Menschheit] meiner Ansicht nach fehlt, ist eine tiefergehende Interdisziplin mit den Naturwissenschaften, und die Einsicht, dass die Menschheit viel komplexer ist, als bisher angenommen.
Eiwa hat geschrieben :
Fr 21. Jul 2023, 20:50
Ich habe zwar noch nicht alles vollumfänglich gelesen, aber das schien mir auch sehr interessant dazu: Wissenschaft im Spannungsfeld von Disziplinarität und Interdisziplinarität
Wissenschaft im Spannungsfeld von Disziplinarität und Interdisziplinaritä hat geschrieben : Im Wissenschaftssystem stehen Disziplinarität und Interdisziplinarität als Pole eines Kontinuums in einer engen Wechselbeziehung. Die disziplinäre Ordnung der Wissenschaft, wie sie sich an Hochschulen und in Fachgesellschaften etabliert hat, bildet einen für die Herausbildung, Festigung und Weiterentwicklung wissenschaftlicher Wissensbestände und Methoden notwendigen Rahmen. Zugleich bedarf es des Zusammenwirkens von Disziplinen, um in Forschung und Lehre fachübergreifende Frage- und Problemstellungen zu bearbeiten. Im wissenschaftspolitischen Diskurs der letzten Jahrzehnte hat Interdisziplinarität einen hohen Stellenwert gewonnen.
Ja, das klingt vernünftig. Wenn es komplexe Systeme in vielen ganz verschiedenen Bereichen gibt, dann ist das ein Motiv für "Interdisziplinarität".




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Eiwa
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Do 27. Jul 2023, 13:22





Fand ich ebenfalls ganz interessant. Das erste Video ist von Herrn Strunk von Complexity-Research
Im zweiten Video werden auch ein Paar der Complexity Explorables, die Sybok erwähnte, gezeigt.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 25. Jul 2023, 07:49

Was genau ist bei 18:55 mit "Unvorhersehbarkeit" gemeint? Unvorhersehbar, weil es für uns zu kompliziert ist? (Könnte ein allwissender Gott es vorhersehen?) Oder unvorhersehbar, weil es tatsächlich akausale Ereignisse im System gibt? Also: epistemische oder ontologische Unvorhersehbarkeit?
Diese Frage bereitet mir momentan viel Kopfzerbrechen. Am Anfang hätte ich noch voller Überzeugung die ontologische Unvorhersehbarkeit gewählt, mittlerweile bin ich mir da aber gar nicht mehr so sicher und frage mich, ob nicht sogar beides zutreffend sein könnte.

  • "Obwohl wir alle Informationen über ein System haben können und es sogar mathematisch beschreiben können, ist es auf Dauer in seinem Verhalten unberechenbar"
  • "Die Begrenzung des Wissens ist nicht die Folge eines Mangels an Information, sondern das Ergebnis ihrer nicht linearen Struktur und ihrer Fähigkeit zu emergenten Verhalten"
  • "Und diese Unvorhersehbarkeit unterstreicht den Bedarf an neuen, immer besseren Ansätzen zur Modellierung, um die Dynamik komplexer Systeme wenigstens in Umrissen besser zu verstehen, auch wenn sie sich am Ende unserer Beschreibung - nicht immer - aber häufig entziehen"
  • [...]"und uns dabei zu helfen, Vorhersagen darüber zu treffen, wie diese Systeme auf Veränderungen - in Form von verschiedenen Einflüssen, Eingaben, Reizen - vielleicht reagieren werden" (-> Wahrscheinlichkeiten?)
Diese Sätze erschienen mir wichtig.
Das zweite Video von 1+1=3 muss ich mir noch anschauen, vielleicht hilft das ja noch zur Erkentnis :)

Ich habe noch diesen Artikel gefunden, indem Wolf Singer erklärt:
Zum zweiten sind wir unfähig, nichtlineare Phänomene zu erfassen. Das klingt zwar abstrakt, erklärt sich aber aus der Evolution: Im Kleinen, und nur darauf ist unser Gehirn eingestellt und nur daran ist es angepasst, verhält sich die Welt linear. Diese Unfähigkeit sei auch kein Wunder, denn nichtlineare Vorgänge sind nicht vorhersagbar, das Hirn als prädiktives System wäre also überfordert.
Dritter Punkt: Das Hirn ist selbst ein komplexes, nichtlineares System, das sich nicht von einer Hierarchie steuern lässt, sondern selbst organisieren muss.




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Quk
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Do 27. Jul 2023, 16:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 27. Jul 2023, 07:46
Ich stelle mir das jetzt mal etwas anders vor. Wir fangen wieder bei Null an. Und alles wiederholt sich ständig. Immer wieder derselbe Anfang, immer wieder die gleiche Geschichte. Alles bleibt immer gleich. (Ich glaube keine Sekunde, dass es tatsächlich so wäre, es geht nur um die logische Möglichkeit).
Ja, es geht nur um die logische Möglichkeit.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 27. Jul 2023, 07:46
Nun, erstens: Niemand muss erkennen, dass sich die gleichen Ereignisse abspielen, denn die Erkennenden sind selbst Teil derselben Geschichte und können sie nicht von "außen" betrachten. Und sie haben natürlich keine Informationen über die vielen Wiederholungen, sie sind ja Teil dieses einen Systems und kommen in den anderen nicht vor.
Genau, es geht nur um die logische Möglichkeit.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 27. Jul 2023, 07:46
Zweitens: Irgendwann - so stelle ich mir das vor - entstehen spontan neue "Schachregeln", die es vorher nicht gab. Sie ergeben sich auch nicht aus den alten "Schachregeln" - aber in jedem neuen Prozess entsteht genau dieses neue Regelwerk immer wieder spontan. Ich denke, das ist logisch möglich. Oder ist es inkohärent?
So stelle ich mir das auch vor. Den Begriff "spontan" verwende ich gleichbedeutend mit akausal, indeterminiert, ursachenfrei, anstoßlos. Ob wir dieses Neue ein "neues Ereignis" nennen oder ein "neues Gesetz" oder "Emergenz", halte ich für eine reine Sprachfrage; sie betrifft, denke ich, nicht die Tatsache, dass Etwas aus dem Nichts anstoßlos zu sein beginnt.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 27. Jul 2023, 07:46
Berührt das nicht die Frage nach dem Ursprung der Naturgesetze? Könnte es nicht sein, dass sie beim Urknall (oder wie auch immer) einfach spontan entstanden sind? Dann würde die Entstehung dieser Gesetze keinem vorhergehenden Gesetz folgen. Kämen wir ansonsten nicht sowieso in einen Regress, der unbewegte Beweger hat spontan bewegt :-)
Ja, das würde ich schon sagen. Bereits der Urknall ist ja ein anstoßloses Ereignis. Man mag diesem Ereignis die spontane Entstehung von Gesetzen zuschreiben, aber das ist nur Schrift, die an dem Vorhandensein von Spontaneität per se nichts ändert. Die Geschichte seit dem Urknall ist wohl durchdrungen von Kausalität (klassische Mechanik, Makrokosmos) als auch Akausalität (Quantenphysik, Mikrokosmos) -- ohne letztere wäre wohl der spontane Urknall in buchstäblich Nullkommanix zu einer regelmäßigen Geometrie kristalliert, etwa zu einer idealen Kugel oder einem idealen Würfel, je nach dem, wie lange Nullkommanix dauert, beziehungsweise, je nach dem, wie lange die chaotische präkausale Ära dauert. Um ein fruchtbares, thermodynamisches Mischungsverhältnis aus Kausalität und Akausalität zu gewährleisten, muss das Universum, denke ich, hier und da Spontanes einstreuen, damit es nicht zu einem regelmäßigen Muster verkommt, damit es nicht in einem Selbst-Ping-Pong endet wie eine hängende Schallplatten-Rille in Dauerschleife. Um das Leben zu erhalten, müssen vermutlich immer wieder winzige, gesetzlose Anstößchen erfolgen. -- Prösterchen :-)




1+1=3
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Fr 28. Jul 2023, 10:58

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 24. Jul 2023, 08:20
Wenn etwas spontan auftaucht (emergiert), dann deshalb, weil es sich nicht nach den bisher geltenden Naturgesetzen abgespielt hat, sondern weil ein neues Naturgesetz entstanden ist. Das heißt, wenn man die Zeit zurückdrehen würde, würde es genau so wieder passieren. Es ist also kein Zufall. Möglicherweise ist es aber kontingent (in meinem Sinne), weil es nach den bis dahin geltenden Naturgesetzen nicht notwendig war.

Klingt seltsam, ist es vielleicht auch. Ich muss einfach mal sehen, was die einschlägige Literatur dazu sagt.
Wenn's komplexer wird, kommt "emergent" ja etwas Neues hinzu (scheinbar paradoxerweise wenn nichts Neues hinzukommt - nämlich nichts Materielles!). Allein der neuen (!) speziellen Konstellation, Anordnung, Organisation usf. sind die neuen "System(!)eigenschaften" geschuldet. Hieraus "emergieren" sie (und zwar unausgesetzt mithilfe/über/qua/per/mittels/durch etc. oder unter buchstäblicher Beteiligung ihrer Komponenten, versteht sich). Das erwähnte "neue Naturgesetz" steht dabei für mich synonym für die "neue Organisation" und den, wie oben beschrieben, sich daraus ergebenden neuen Systemeigenschaften. Ich nenne das immer "Eigengesetzlichkeiten" (im Gegensatz zu den - "üblichen"/bekannten - "Naturgesetzlichkeiten" - welche auf diese Weise übrigens ergänzt oder "spezifiziert" usw. werden - und also nicht nur nicht "verletzt", "gebrochen" oder gar "ersetzt", sondern völlig unangetastet bleiben - mehr noch: unabdingbare Voraussetzung / notwendige Bedingung für all dies darstellen. Und von daher kommt auch mein Votum FÜR den s.g. "Kompatibilismus". Aber das ist bereits ein anderes Thema...).




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Jörn Budesheim
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Fr 28. Jul 2023, 18:12



Ich glaube, das ist das erste Video aus der Serie zum Thema Komplexität von Scobel. Wie in dem ersten streift er darin auch die Frage, warum sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen. Warum eigentlich?




Fritzle
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Mi 20. Sep 2023, 13:28

Ich glaube, dieses Video vom PhrasenDrescher sagt alles über Scobel: https://www.youtube.com/watch?v=i9T0Ty3mMVw




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Jörn Budesheim
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Mi 20. Sep 2023, 15:53

Wo/wann geht es da um Komplexität? Stattdessen scheint es um Gendern zu gehen?




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