Ethik des Sterbens, Philosophie und vorsätzliche Selbsttötung

Hier werden Vorträge diskutiert, die online als Video verfügbar sind.
sokrates_is_alive
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Mi 10. Mär 2021, 08:15

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 6. Mär 2021, 07:51
sokrates_is_alive hat geschrieben :
Fr 5. Mär 2021, 14:20
eine gehörige Portion Angst
Gibt die Aussicht auf den möglichen Suizid einem nicht in einer gewissen Hinsicht eine Art Sicherheit: wenn die Dinge zu arg kommen, kann man sich ihnen durch Selbsttötung entziehen.
Entgegen landläufiger Meinung sind die meisten Selbstmordarten nicht schmerzfrei; so sorgt z.B. die Überdosis Schlaftabletten eben nicht für ein sanftes "Entschlafen", sondern man wacht noch einmal mit unmenschlichen Schmerzen auf. Insofern erscheint mir persönlich die Perspektive nicht sehr verlockend oder haltgebend.



"Der Teufel ist ein Optimist. Er glaubt, er könnte die Menschen schlechter machen." (nach Karl Kraus) :roll:

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Jörn Budesheim
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Mi 10. Mär 2021, 19:43

Bild

Vor kurzem hat bei Facebook der Künstler Karl Heinz Rummeny an seinen Freund und Künstler Ali Altin erinnert, der vor einem Jahr gestorben war. Sowas lässt einen natürlichen nicht kalt. Als ich es gelesen habe ist mir (überraschenderweise) sofort die Frage durch den Kopf geschossen, was jetzt mit Ali Altins Arbeit ist? Niemand kann sie fortführen und vermutlich war sie auch nicht beendet...

Kurzer Szenenwechsel: heute habe ich mir bei YouTube ein Video angeschaut, bei dem zwei Astrophysiker und zwei Philosophen über das Universum diskutiert haben. Dabei erzählte einer der Physiker - nahezu beiläufig - von einem Kollegen, der vor kurzem verstorben sei, dessen Arbeit aber natürlich fortgeführt würde...

Und das hat mich zu der Frage der Zeichung zurückgebracht.




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iselilja
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Mi 10. Mär 2021, 19:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 10. Mär 2021, 19:43
Kurzer Szenenwechsel: heute habe ich mir bei YouTube ein Video angeschaut, bei dem zwei Astrophysiker und zwei Philosophen über das Universum diskutiert haben.
Auch wenn die Frage jetzt weniger das hiesige Thema berührt.. weißt Du evtl. noch den Titel des Videos? Oder hast vielleicht sogar einen Link?




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Jörn Budesheim
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Mi 10. Mär 2021, 19:59

Ich habe das Video dann nicht weiter geschaut, weil ich ja die Zeichnung machen musste https://youtu.be/dAUJ8IB3N_0




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iselilja
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Mi 10. Mär 2021, 20:02

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 10. Mär 2021, 19:59
Ich habe das Video dann nicht weiter geschaut, weil ich ja die Zeichnung machen musste https://youtu.be/dAUJ8IB3N_0
Die Zeichnung ist übrigens cool.. ich würde aber von alleine niemals darauf kommen, was sie bedeuten soll, wenn es nicht unten stehen würde. Liegt aber vermutlich daran, dass ich kein sonderlicher Kunstliebhaber oder -kenner bin. :-)




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infinitum
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 10. Mär 2021, 19:43
Bild



Und das hat mich zu der Frage der Zeichung zurückgebracht.
vielleicht gehört das dann zur Kunst dazu, dass diese Gemälde dann nicht fertig gestellt werden...



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https://t.me/franzphilo

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Jörn Budesheim
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Do 11. Mär 2021, 07:06

Lydia Haider (Hg.) UND WIE WIR HASSEN! 15 Hetzreden hat geschrieben : Sophia Süßmilch

Vollständige und faire Liste aller Dinge, die ich hasse

...

Ich hasse den Tod.

WIE KÖNNT IHR ALLE SO TUN ALS OB NICHTS WÄRE WIR WERDEN ALLE STERBEN. WIE KÖNNT IHR STRICKEN LERNEN UND JAPANISCH UND EUCH JEDEN TAG ANZIEHEN UND AUSZIEHEN UND FRESSEN UND SCHLAFEN UND LACHEN ES KÖNNTE JEDEN MOMENT AUS SEIN IHR VOLLIDIOTEN.

Haltet inne und weinet.




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NaWennDuMeinst
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Do 11. Mär 2021, 11:42

:-)
Gerade weil ich weiß, dass es jeden Moment aus sein kann, versuche ich so viel ich kann zu lachen und zu tanzen und mich meines Lebens zu freuen.
Denn wenigstens darf ich das Leben erleben. Das ist nicht nichts. Das ist einfach alles.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

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NaWennDuMeinst
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Do 11. Mär 2021, 11:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 10. Mär 2021, 19:43
Und das hat mich zu der Frage der Zeichung zurückgebracht.
Meine Hoffnung ist, dass die Bilder des verstorbenen Künstlers bei anderen Künstlern etwas bewirken. Dass sie vielleicht als Inspiration dienen. Wenn das geschieht, dann ist das, auch wenn daraus etwas Neues, Eigenständiges entsteht, in gewissser Weise auch eine Fortführung.
Ich glaube fast jeder Künstler wird, wenn man ihn fragt, sagen, dass er Vorbilder hat... oder zumindest Künstler deren Arbeit er bewundert, die ihm vielleicht auch Anstösse und Impulse gegeben haben.
Das einzelne Werk bleibt vielleicht unvollendet. Aber wenn die Arbeit aufgegriffen wird, dann existiert sie auch fort. Im nächsten Künstler.



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(William Butler Yeats)

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Jörn Budesheim
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Fr 12. Mär 2021, 07:03

Ja!




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Jörn Budesheim
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Thomas Macho, in "das Leben nehmen" hat geschrieben : ... Die Leiden des jungen Werther. Das Ende des Romans berichtet detailliert vom Freitod des jungen, unglücklich verliebten Titelhelden:

Als der Medikus zu dem Unglücklichen kam, fand er ihn an der Erde ohne Rettung, der Puls schlug, die Glieder waren alle gelähmt. Über dem rechten Auge hatte er sich durch den Kopf geschossen, das Gehirn war herausgetrieben. Man ließ ihm zum Überfluß eine Ader am Arme, das Blut lief, er holte noch immer Atem. Aus dem Blut auf der Lehne des Sessels konnte man schließen, er habe sitzend vor dem Schreibtische die Tat vollbracht, dann ist er heruntergesunken, hat sich konvulsivisch um den Stuhl herumgewälzt. Er lag gegen das Fenster entkräftet auf dem Rücken, war in völliger Kleidung, gestiefelt, im blauen Frack mit gelber Weste. […] Von dem Weine hatte er nur ein Glas getrunken. »Emilia Galotti« lag auf dem Pulte aufgeschlagen.

Schon Werther stirbt nicht nur durch einen Pistolenschuss, sondern auch an gefährlicher Lektüre. Die genaue Beschreibung der Szene schien geradezu zur Nachahmung einzuladen: die »Werther-Tracht« (der blaue Frack mit gelber Weste), der Schreibtisch, das aufgeschlagene Buch – wobei Lessings Trauerspiel von 1772, in dem zum Schluss der Vater die verzweifelte Tochter ersticht, um ihre Ehre zu wahren (und ihren Suizid zu verhindern), natürlich ersetzt wurde durch Goethes Roman. Zwar wurde der Begriff »Werther-Effekt« erst rund zweihundert Jahre später, in soziologischen Untersuchungen über kausale Korrelationen zwischen Suizidraten und der Ausstrahlung von Filmen und TV-Nachrichten geprägt, doch in der Sache selbst wurden bereits zu Goethes Zeit engagierte Diskussionen über das »Werther-Fieber«, die »Werther-Seuche«, geführt: Quellenmäßig belegt ist in jedem Fall eine zweistellige Zahl von Suiziden in verschiedenen europäischen Ländern, die in direkter Verbindung mit Goethes Buchpublikation stehen. Das Phänomen der Nachahmung des literarischen Vorbildes war bei diesen Fällen insofern evident, als sich die Suizidenten genau wie die tragische Romanfigur mit blauer Jacke und gelber Weste kleideten oder das Buch direkt beim Suizid bei sich führten, wie im Fall eines jungen Mannes namens Karstens, der sich bei aufgeschlagenem Buch erschoss, oder Christine von Lassberg, die sich mit dem Buch in der Tasche ertränkte. Nach der Selbsterschießung des 18-jährigen Karl von Hohenhausen im Jahre 1833 klagte dessen Mutter Goethe sogar nach dessen Tod als Schuldigen an: »Auch mein Sohn hatte mehrere Stellen im Werther angestrichen. […] Von euch wird Gott Rechenschaft fordern über die Anwendung eurer Talente.« Goethe selbst erkannte ebenfalls die fatalen Wirkungen seines Briefromans, war persönlich bei der Bergung der Leiche von Christine von Lassberg anwesend und schrieb rückblickend:

»Die Wirkung dieses Büchleins war groß, ja ungeheuer« und verglich sie mit einem »geringen Zündkraut«, das eine »gewaltige Mine« zur Explosion brachte.




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Jörn Budesheim
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Sa 13. Mär 2021, 07:00

Regula Venske bespricht in einer Mehrfachrezension vier Bücher, die sich mit dem Thema Suizid befassen
1.)...
2.)...
3.)...
4.) Gerd Mischler: "Von der Freiheit, das Leben zu lassen" (Europa Verlag)
Bei diesem Buch sieht Venske die Gefahr einer zu großen "Romantisierung" des Freitods. Sie hält zwar die Forderungen an die Gesellschaft, "tolerant und sachverständig mit dem Problem umzugehen", prinzipiell für gerechtfertigt. Doch müsse man hier deutlich unterscheiden: Ihrer Ansicht nach ist der Suizid nur selten eine "hoch individuelle Privatangelegenheit eines aufgeklärten und rational handelndes Subjekts". Darüber hinaus bedeute ein Suizid auch immer einen "gewaltsamen Eingriff in das Leben anderer" - ein Aspekt, der ihrer Ansicht nach offenbar in dem vorliegenden Buch nicht ausreichend berücksichtigt wurde
Suizid ist (fast) immer auch ein gewaltsamer Eingriff in das Leben anderer.




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Jörn Budesheim
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Sa 13. Mär 2021, 12:05

Bild

Bei facebook wurde ich gefragt, warum ich bei den Hinterbliebenen eine Frau und die Tochter ausgewählt hätte. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass Selbstmord "Männersache" ist, ohne genauer darüber nachgedacht zu haben. Und es scheint tatsächlich so zu sein, ich habe gerade mal danach gegoogelt:

https://de.statista.com/infografik/1538 ... r-laender/

"Jedes Jahr nehmen sich laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) fast 800.000 Menschen das Leben. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen handelt es sich sogar um die zweithäufigste Todesursache. Um dem etwas entgegenzusetzen hat die WHO am 10. September 2003 den seitdem jährlich stattfindenden Welttag der Suizidprävention ausgerufen. Wie die Grafik von Statista zeigt, begehen Männer deutlich häufiger Selbstmord als Frauen. Am höchsten sind die Fallzahlen in Russland, wo je 100.000 Einwohner 48,3 Männer und 7,5 Frauen Suizid begehen. In Deutschland haben sich letzten von der amtlichen Statistik erfassten Jahr (2017) 9.241 Menschen selbst getötet, darunter 6.990 Männer."




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iselilja
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Sa 13. Mär 2021, 15:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 13. Mär 2021, 07:00


Suizid ist (fast) immer auch ein gewaltsamer Eingriff in das Leben anderer.
Ist das nicht bei jeder Art des Todes so? Der Tod schafft die Fakten ohne uns (die anderen also) zu fragen. Es wäre seltsam, wenn uns das nicht jedesmal wie ein gewaltiger (gewaltsamer?) Eingriff in unser Leben vorkäme.. denn genau das ist es doch.




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iselilja
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So 14. Mär 2021, 08:58

Suizid wirkt sich aber dennoch irgendwie anders auf die Hinterbliebenen aus. Ich denke, dass es schwer ist, jemanden in "guter Erinnerung" zu halten, wenn man weiß, dass er/sie das Leben nicht mehr achtete. Wie kann etwas gut sein ohne zu leben (ohne leben zu wollen)?

Wir merken das auch daran, dass eine sog. Selbstaufopferung völlig anders bewertet wird als der "bloße" Suizid. Noch schlimmer der Suizid, bei dem andere mit sterben müssen.


Für den letzten Menschen auf Erden dürfte sich der Suizid womöglich schnell erhellen, denn welchen Sinn hätte dieses eine Leben noch? Solange es aber Hinterbliebene oder Mitmenschen (oder tierische Gefährten?) gibt, sieht die Sache ganz anders aus.




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Jörn Budesheim
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Einige meiner Wegbegleiter und Wegbegleiterinnen sind bereits tot. Einige davon auch von eigener Hand. Die gute Erinnerung an sie ist davon unberührt.




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infinitum
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iselilja hat geschrieben :
So 14. Mär 2021, 08:58
Wir merken das auch daran, dass eine sog. Selbstaufopferung völlig anders bewertet wird als der "bloße" Suizid.
wie wird das jeweils bewertet?



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iselilja
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So 14. Mär 2021, 11:13

transfinitum hat geschrieben :
So 14. Mär 2021, 10:34
iselilja hat geschrieben :
So 14. Mär 2021, 08:58
Wir merken das auch daran, dass eine sog. Selbstaufopferung völlig anders bewertet wird als der "bloße" Suizid.
wie wird das jeweils bewertet?
Unterschiedlich.. manchmal baut man ein Denkmal, manchmal ist die Trauer um diesen Menschen umso größer, weil er das Leben anderer gerettet hat. Der Schmerz den man verspürt, ist ein anderer.. würde ich jedenfalls so sehen. Der "bloße" Suizid hinterlässt ein seltsames Gefühl des Nichtverstehens warum/wozu.




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iselilja
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So 14. Mär 2021, 11:33

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 14. Mär 2021, 09:47
Einige meiner Wegbegleiter und Wegbegleiterinnen sind bereits tot. Einige davon auch von eigener Hand. Die gute Erinnerung an sie ist davon unberührt.
Dann überwiegt etwas, was Dich zu dieser Bewertung geführt hat. Vermutlich haben sie niemanden mitgerissen? Irgendetwas wird Dich dazu gebracht haben. Möglicherweise meinst Du auch mit "guter Erinnerung" so etwas wie die Erinnerung an die schöne Zeit, die man zusammenerlebt hat.

Kann ich einen Menschen in guter Erinnerung behalten, unabhängig davon was er getan hat? Irgendeine Relation ist immer da. Frag mal die Töchter, die von ihren Vätern vergewaltigt wurden, ob sie sie in guter Erinnerung behalten, wenn sie sich daraufhin das Leben nehmen.




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Jörn Budesheim
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So 14. Mär 2021, 12:11

Der eine oder andere hatte in diesen Faden ja die Ansicht vertreten, dass die ethische Bewertung des Suizid nicht von Belang ist, weil man schließlich Tote nicht mehr bestrafen oder in anderer Form zur Verantwortung ziehen kann. Jetzt sieht man dass diese Einschätzung offensichtlich verfehlt ist.




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