David Deutsch über die Schönheit der Blumen

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Jörn Budesheim
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So 29. Dez 2019, 14:57

Geschmacksurteile können nicht falsch ausfallen, denke ich. Wir können uns ja nicht darin irren, dass wir etwas gerade sehr mögen.

Es kann aber natürlich sein, dass das, was wir mögen, zugleich auch das ist, was gut ist. schwieriger, oft aber auch interessanter, wird es da wo Geschmacksurteil und ästhetisches Urteil konfligieren. Manche denken auch, dass gute Kunst da anfängt, wo der Geschmack aufhört. Ich meine hingegen, dass es auch so etwas wie Wow-Kunst gibt, etwas was man schlagartig liebt und was "dennoch" gut ist.

Hier muss man die Bedeutungsänderung des Begriffs über die Jahrhunderte berücksichtigen. Bei den "Standards of Taste" (18.jhd) ging es tatsächlich um das Objektive, heute ist Geschmack ja Geschmackssache :)




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Alethos
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So 29. Dez 2019, 15:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 29. Dez 2019, 14:57
Geschmacksurteile können nicht falsch ausfallen, denke ich. Wir können uns ja nicht darin irren, dass wir etwas gerade sehr mögen.

Es kann aber natürlich sein, dass das, was wir mögen, zugleich auch das ist, was gut ist. schwieriger, oft aber auch interessanter, wird es da wo Geschmacksurteil und ästhetisches Urteil konfligieren.
Das ist interessant. Dann bedeutet es aber, dass die Aussage "Das ist schön" kein Geschmacksurteil ist, sondern ein Urteil anderer Art. Denn man kann sich ja irren, wenn man etwas für schön hält, das nicht schön ist, aber man kann nicht darin irren, dass man es schön im Sinne eines Geschmackurteils empfindet. Da tun sich Diskrepanzen auf zwischen Geschmacks- und Schönheitsurteil.



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Jörn Budesheim
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So 29. Dez 2019, 15:48

Alethos hat geschrieben :
So 29. Dez 2019, 13:51
Beweis
an anderer Stelle habe ich schon darauf hingewiesen, dass wir es bei der Schönheit und natürlich auch bei der Kunst ja nicht mit einer Art mathematischen Kalkül zu tun haben. Nach Beweisen zu fragen, dürfte verfehlt sein. (Was du schließlich auch nicht tust.)
All dies war das Resultat einer elementaren Intuition – Raum und Feld sind ein und dasselbe – und einer einfachen Gleichung, die ich nicht umhinkann, hier niederzuschreiben, auch wenn meine Leser sie sicher nicht entschlüsseln können, aber ich möchte wenigstens deren große Einfachheit sichtbar machen.

Rab − ½ R gab = Tab

Das ist alles. Natürlich muss man eine Ausbildung absolvieren, um die Riemann’sche Mathematik zu verstehen, und sich die Technik aneignen, um diese Gleichung lesen zu können. Ein gewisses Maß an Fleiß und Mühe ist dafür erforderlich. Allerdings weniger, als man braucht, um die seltene Schönheit eines der letzten Beethoven-Quartette hören zu können. Belohnt aber wird man im einen wie im andern Fall mit Schönheit und einem neuen Blick auf die Welt vor unseren Augen.
So ähnlich sehe ich es auch. Vom Prinzip kann jeder die seltene Schönheit eines der letzten Beethoven-Quartette verstehen. Ich könnte es sicherlich nicht, aber ich könnte es vermutlich lernen. Kunst steht jedem offen, aber sie ist nicht voraussetzungslos. Das wird oft verwechselt. Alte Meister sind übrigens oft voraussetzungsreicher als zeitgenössische Kunst, die manchmal einfach nur an unsere Erfahrungen mit ihr appelliert.




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Jörn Budesheim
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So 29. Dez 2019, 15:52

Alethos hat geschrieben :
So 29. Dez 2019, 15:46
Dann bedeutet es aber, dass die Aussage "Das ist schön" kein Geschmacksurteil ist, sondern ein Urteil anderer Art.
Das kommt sicherlich auf den Zusammenhang an :) manchmal meint man es sicherlich als Urteil, von dem man denkt, jeder könnte darin einstimmen. Manchmal sagt man jeoch auch: das finde ich schön, um deutlich zu machen dass es hier eher um ein Geschmacksurteil geht.




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Alethos
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So 29. Dez 2019, 16:12

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 29. Dez 2019, 15:52
Alethos hat geschrieben :
So 29. Dez 2019, 15:46
Dann bedeutet es aber, dass die Aussage "Das ist schön" kein Geschmacksurteil ist, sondern ein Urteil anderer Art.
Das kommt sicherlich auf den Zusammenhang an :) manchmal meint man es sicherlich als Urteil, von dem man denkt, jeder könnte darin einstimmen. Manchmal sagt man jeoch auch: das finde ich schön, um deutlich zu machen dass es hier eher um ein Geschmacksurteil geht.
Dann haben wir es bei der Schönheit mit einem vielschichtigen Phänomen zu tun. :) Einmal haben wir es mit etwas zu tun, das sich uns durch Kenntnis erschliesst, weil wir die richtige Registratur haben und etwas davon verstehen etc.. Einmal mit etwas, das ein Schönheitsempfinden ist, das wir gar nicht genau erklären können. Zwar können wie sagen, was uns gefällt, aber nicht warum. Das eine ist ein fachkundiges Vermögen, das andere ein natürliches Empfindungsvermögen.



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Jörn Budesheim
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So 29. Dez 2019, 16:31

Ja, sicher, das ist ziemlich kompliziert :) jedenfalls deutlich komplizierter als die Idee, alles ist einfach bloß subjektiv :) was leider, leider heute viele Menschen tatsächlich glauben.




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Jörn Budesheim
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Mo 30. Dez 2019, 07:33

Ist das nicht auch hier, wie so oft, z.b. bei der Frage nach den Gründen, der Streit zwischen Psychologismus und Antipsychologismus?




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Alethos
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Mo 30. Dez 2019, 11:41

Ob man das wirklich alles als Psychologismus-/Antipsycholgismus-Problem klassifizieren kann, kann ich nicht sagen. Aber es ist schon ein durchs Band auftauchendes Bedürfnis, Wahrheiten zu haben, die durch sich selbst Bestand haben und nicht Konventionen, Setzungen usw. sind. Im Grunde drückt sich dabei die Hoffnung aus nach der Autorität des Objektiven über die Willkür des Vorurteils :)



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Di 31. Dez 2019, 07:56

Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Dez 2019, 11:41
Ob man das wirklich alles als Psychologismus-/Antipsycholgismus-Problem klassifizieren kann, kann ich nicht sagen
Ich auch nicht.

Im Grunde geht es, nach meinem Verständnis, dabei doch immer um die Frage ob bestimmte Gegenstände, z.b. Logik, Gründe, das Schöne, das Gute,... mentale Zustände eines Individuums sind, oder ob wir mit verschiedenen Bereichen eigenen Rechts rechnen müssen.




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Alethos
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Di 31. Dez 2019, 11:19

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 31. Dez 2019, 07:56
Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Dez 2019, 11:41
Ob man das wirklich alles als Psychologismus-/Antipsycholgismus-Problem klassifizieren kann, kann ich nicht sagen
Ich auch nicht.

Im Grunde geht es, nach meinem Verständnis, dabei doch immer um die Frage ob bestimmte Gegenstände, z.b. Logik, Gründe, das Schöne, das Gute,... mentale Zustände eines Individuums sind, oder ob wir mit verschiedenen Bereichen eigenen Rechts rechnen müssen.
Ich denke, die Ansicht, das Gute basiere auf Konvention oder Tradition, ist weit verbreitet. Auch, dass je nach Kontext einmal dies, einmal das gut sei, scheint ein Kassenschlager zu sein. Das halte ich jedoch nicht für einen (reinen) Psychologismus. Es macht ja schon einen Unterschied, ob etwas 'nur in den Köpfen' vorkommt oder aber bspw. in historischer Praxis intersubjektiv manifest geworden ist. Jemanden nicht töten zu sollen, weil es gegen die Integrität von Leib und Leben geht, das ist so ein "eingefleischter", moralischer Lehrsatz, der nicht bloss Wahrheit in den Köpfen entfaltet, sondern Bezug nimmt auf die real vorkommende Würde eines real vorkommenden Menschen. Bei der Menschenwürde handelt es sich also um einen extramentalen Gegenstand.

Und doch ist die Ansicht dann antirealistisch, wenn sie behauptete, dass eine moralische Norm nicht vom Gegenstand selbst ausginge, sondern sozusagen durch Reflexion oder Gutheissung 'in den Gegenstand gelegt' sei. Das geschieht oft, insbesondere der Schönheit sagt man nach, dass sie gar nicht am Gegenstand selbst vorkomme, sondern im Auge des Betrachters liege. Das halte ich dann für Vorformen der Realitätsverweigerung.



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Jörn Budesheim
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Di 31. Dez 2019, 11:22

Realitätsverweigerung ist ein guter Begriff dafür. Und welche Realität wird verweigert? Dass wir Menschen sind!




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Alethos
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Ja. Es gibt auch diesen schönen Begriff der Abstrahlung. Wenn an einer logischen, schönen, moralischen usw. Tatsache etwas wahr ist, dann durch sie selbst und nicht, weil man sich damit einverstanden erklärt oder sie versteht. Diese Tatsachen strahlen ihre Wahrheit ab und es ist für diese Wahrheiten nicht existenziell wichtig, dass jemand da ist, der sie begreift.

Aber es ist natürlich entscheidend, dass man sie akzeptiert, weil man sich sonst unwissender macht als nötig. Deswegen ist Philosophie eigentlich ein genauso unverzichtbares Geschäft der Wahrheitsforschung, wie Physik oder Biologie.



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Jörn Budesheim
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Mo 8. Feb 2021, 17:20

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 1. Dez 2019, 17:32


Leider auf englisch. Mein Englisch reicht dafür eigentlich nicht, aber das was ich bisher verstehe, ist sehr interessant.

(Deutsch studierte Mathematik und Physik in Cambridge, Oxford und Austin und ist seit 2009 Inhaber eines Lehrstuhls an der Universität Oxford. Er erhielt den Dirac-Preis 1998 für seine Arbeiten zum Quantencomputer u. a. darüber, wie diese Maschinen durch Quantengatter realisiert werden könnten. Für 2017 wurde ihm die Dirac-Medaille (ICTP) zuerkannt.)
Josef H. Reichholf hat geschrieben : Schönheit ist keine Einbildung des Menschen. Sie ist kein Konstrukt. Es gibt sie wirklich. Und das nicht nur, weil unsere Augen möglicherweise das sehen, was wir sehen wollen und in das optische Bild hineininterpretieren, sondern auch, weil andere Augen offenbar grundsätzlich ähnlich wie wir Schönheit sehen. So ist das Prachtgefieder von Vogelmännchen nicht für uns bestimmt. Es sind die Augen der Weibchen von Pfauen und Paradiesvögeln oder Birkhähnen, die auf die Prachtentfaltung ihrer Männchen blicken. Die großartige Geweihe tragenden Hirsche wirken auf die Hirschkühe. Hätten diese andere Bevorzugungen, würden die Hirschgeweihe auch keine bevorzugten Jagdtrophäen für Jäger abgeben. Die Schönheit des Nachtigallengesangs richtet sich nicht an unser Ohr, sondern an ihre Weibchen und die anderen Männchen ihrer Art, wie auch der erhebende Gesang der Lerche den anderen Lerchen gilt. Die Pracht der Blüten lockt Insekten, die «ein Auge dafür» haben müssen. Unsere Begeisterung, die wir für die Blumen empfinden, bedeutet oft ihren verfrühten Tod in der Vase und nicht Fortsetzung ihres Lebens durch erfolgreiche Fortpflanzung.

Prof. Dr. Josef H. Reichholf, Evolutionsbiologe, war Leiter der Wirbeltierabteilung an der Zoologischen Staatssammlung München und lehrte an beiden Münchner Universitäten. 2007 wurde Reichholf mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet. Gemäß Cicero-Ranking von 2009 gehört er zu den 40 wichtigsten Naturwissenschaftlern Deutschlands. Zuletzt erschien von ihm bei C.H.Beck «Die Zukunft der Arten. Neue ökologische Überraschungen»
Wenn ich morgens die Krähen höre, denke ich immer, dass sie - metaphorisch gesprochen - in einer ganz anderen Welt leben als wir. Aber vielleicht stimmt das gar nicht?




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NaWennDuMeinst
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Mo 8. Feb 2021, 17:42

Alethos hat geschrieben :
Di 31. Dez 2019, 11:19
Und doch ist die Ansicht dann antirealistisch, wenn sie behauptete, dass eine moralische Norm nicht vom Gegenstand selbst ausginge, sondern sozusagen durch Reflexion oder Gutheissung 'in den Gegenstand gelegt' sei. Das geschieht oft, insbesondere der Schönheit sagt man nach, dass sie gar nicht am Gegenstand selbst vorkomme, sondern im Auge des Betrachters liege. Das halte ich dann für Vorformen der Realitätsverweigerung.
Das ist lustig, denn ich sehe das genau umgekehrt. Wer den Objekten einfach eine "objektive Schönheit" andichtet sagt vielleicht etwas über sich selber aus. Aber nicht über das Objekt.
:-) So ist das. Hat alles zwei Seiten, kann man so und so sehen. Aber genau damit hat der Realist ja meist Probleme. So schliesst sich dann der Kreis.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

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Jörn Budesheim
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Mo 8. Feb 2021, 17:59

Wir müssen das nicht ewig diskutieren. Ich gehe einfach davon aus, dass es so ist, und du gehst davon aus, dass es nicht so ist.




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