Ein paar kurze Bemerkungen zum Verzeihen

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Quk
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Mo 19. Feb 2024, 22:20

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 19. Feb 2024, 22:16
Quk hat geschrieben :
Mo 19. Feb 2024, 22:11
Das ist für mich kein Leben, kein Gefühlsleben, sondern reine Rechnerei und Berechnung. Das können auch Algorithmen.
Verstehe ich nicht.
Bist Du Vulkanier? :-)




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Stefanie
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Mo 19. Feb 2024, 22:34

Ich habe den Faden bei diesem Thema verloren, und finde ihn nicht wieder.



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Jörn Budesheim
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Mo 19. Feb 2024, 22:36

Ich habe keine Ahnung wie du auf "kein Gefühlsleben" und "reine Rechnerei" kommst.




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Jörn Budesheim
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Di 20. Feb 2024, 08:18

Stefanie hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 22:36
Gibt es eine Möglichkeit aus einem Video das Gesagte als Text herauszufiltern, dass es immer wieder lesbar ist? Also ein Video in einen Text umwandeln? Ich kann mir das Gesprochene nicht so gut merken.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 05:23
Außer abschreiben wüsste ich da leider nichts ... :)
6 Jahre, 5 Monate und 18 Tage später hat sich einiges getan, es gibt ein Transkript und eine KI könnte eine Zusammenfassung schreiben :-)




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Jörn Budesheim
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Di 20. Feb 2024, 08:56

Quk hat geschrieben :
Mo 19. Feb 2024, 18:54
Mein zweiter Punkt ist, dass das Verzeihen, meiner Vermutung nach, überhaupt keine moralische "Gut & Böse"-Angelegenheit ist, weder beim Menschen noch bei anderen Tieren, sondern ein Phänomen der Gefühlswelt ist.
Damit ist doch gesagt, dass etwas, was eine moralische "Gut & Böse"-Angelegenheit, kein Phänomen der Gefühlswelt sein kann, oder?

Nehmen wir ein Gegen-Beispiel. Empörung ist eine Emotion. Man empört sich zum Beispiel, wenn jemand ungerecht behandelt wird. Empörung ist also ein genuin moralisches Gefühl. Unser moralischer Kompass könnte uns ohne Gefühle niemals die Richtung weisen, denn viele Gefühle sind Wertwahrnehmungen.

Weiter oben habe ich argumentiert, dass Verzeihen eine sehr große intellektuelle Leistung ist. Ohne eine Theorie des Geistes wäre sie nicht möglich. Was befähigt uns dazu? Da ist zum Beispiel unsere Fähigkeit, uns in andere hineinzuversetzen, mitzufühlen, sogar mitzuleiden. Das sind meines Erachtens sehr komplexe und hohe intellektuelle Fähigkeiten. Wir haben schließlich nicht auf der einen Seite unseren Intellekt/Verstand und auf der anderen Seite unsere Gefühle. Gefühle sind oftmals, wenn auch nicht immer, selbst etwas Vernünftiges. Und eine Vernunft, die nicht in eine Gefühlswelt eingebettet ist, kann es nicht geben. Mit anderen Worten: Komplexe Gefühle sind gehören unverbrüchlich zu unseren intellektuellen Leistungen.

Es kommt noch etwas Wichtiges hinzu: Emotionen sind nicht grundsätzlich einfach so, wie sie sind, sondern sie sind dynamisch, der erlernte Umgang mit Emotionen gehört dazu. Nehmen wir das Beispiel Angst: Man "muss" lernen, damit umzugehen und lernen, welche Reaktionen angemessen sind, wovor man Angst haben sollte, wovor nicht, bzw. was als angemessen angesehen werden kann, auch wenn manches davon vielleicht fest verdrahtet ist. Ähnlich verhält es sich mit der "Verzeihen". Auch das will gelernt sein. Eltern (und andere Bezugspersonen) können hier z.B. Vorbilder sein. Kinder wachsen sozusagen langsam in solche Institutionen wie "Verzeihen" hinein, was das Verzeihen nicht zu einer Rechenaufgabe macht, sondern allen Beteiligten ermöglicht, mit solchen Gefühlen ggf. besser umzugehen. (Wir haben weiter oben gesehen, wie wichtig es für die eigene Gefühlshygiene sein kann, angemessen verzeihen zu können.)




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Stefanie
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Di 20. Feb 2024, 09:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Feb 2024, 08:18
Stefanie hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 22:36
Gibt es eine Möglichkeit aus einem Video das Gesagte als Text herauszufiltern, dass es immer wieder lesbar ist? Also ein Video in einen Text umwandeln? Ich kann mir das Gesprochene nicht so gut merken.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 05:23
Außer abschreiben wüsste ich da leider nichts ... :)
6 Jahre, 5 Monate und 18 Tage später hat sich einiges getan, es gibt ein Transkript und eine KI könnte eine Zusammenfassung schreiben :-)
Ich weiß. Vor kurzem hatte ich das mit einem Programm gemacht, aber man glaubt es kaum...vergessen, wie ich das gemacht hatte. Einfach vergessen.



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Jörn Budesheim
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Di 20. Feb 2024, 09:29

:-) Ich hab irgendwann im Browser eine Erweiterung installiert, sodass das dauerhaft aktiviert ist.




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Quk
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Di 20. Feb 2024, 11:43

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Feb 2024, 08:56
Quk hat geschrieben :
Mo 19. Feb 2024, 18:54
Mein zweiter Punkt ist, dass das Verzeihen, meiner Vermutung nach, überhaupt keine moralische "Gut & Böse"-Angelegenheit ist, weder beim Menschen noch bei anderen Tieren, sondern ein Phänomen der Gefühlswelt ist.
Damit ist doch gesagt, dass etwas, was eine moralische "Gut & Böse"-Angelegenheit, kein Phänomen der Gefühlswelt sein kann, oder?
Ja. -- Ratio ist nicht Gefühl. Gefühl ist nicht Ratio.

Vielleicht haben wir beide in diesem Thema weitgehend die gleichen Ansichten, benutzen aber nicht das selbe Vokabular:

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Feb 2024, 08:56
Empörung ist also ein genuin moralisches Gefühl.
Den Begriff "moralisches Gefühl" verstehe ich nicht. Das klingt für mich wie "berechnetes Gefühl" oder "gesetzliches Gefühl". Gibt es gesetzliches Trauergefühl, gesetzliches Freudengefühl? Moral ist meiner Ansicht nach eine Sammlung moralischer Sätze, wie etwa "du sollst im Aufzug nicht pupsen". Moralische Sätze werden konstruiert, und sie sind nicht universal. Diejenigen, die wir als unmoralische Verbrecher bezeichnen, bezeichnen uns ebenso. Wessen Moral ist also die "richtige"? Unterschiede mag man darin erkennen, dass Moral A in der Evolution besser überlebt als Moral B. Diese bessere Überlebenstaktik als die richtigere zu bezeichnen, ist aber auch nur eine Konstruktion. Die Gegenseite kann argumentieren, dass das Aussterben besser sei. -- Am Anfang einer Moralkonstruktion stehen jedenfalls die Gefühle, denke ich. Die waren zuerst da. Und ein Lebewesen will im Prinzip am Ende nur eins: Sich wohlfühlen.

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Feb 2024, 08:56
Weiter oben habe ich argumentiert, dass Verzeihen eine sehr große intellektuelle Leistung ist. Ohne eine Theorie des Geistes wäre sie nicht möglich. Was befähigt uns dazu? Da ist zum Beispiel unsere Fähigkeit, uns in andere hineinzuversetzen, mitzufühlen, sogar mitzuleiden. Das sind meines Erachtens sehr komplexe und hohe intellektuelle Fähigkeiten.
Hier würde ich differenzieren. Gefühlsmäßig in den anderen sich hineinzuversetzen, bezeichne ich als Empathie. Das ist keine Rechenkunst. Den Intellekt bezeichne ich als Rechenapparat, nicht als Gefühlsapparat. Gedanken hingegen sind etwas intellektuelles, würde ich sagen. In die Gedanken des anderen sich hineinzuversetzen, also die eigenen Gedanken mit denen des anderen mutmaßlich zu synchronisieren, ja, das sehe ich auch als intellektuelle Leistung. Das ist aber keine Empathie, meine ich.

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Feb 2024, 08:56
Wir haben schließlich nicht auf der einen Seite unseren Intellekt/Verstand und auf der anderen Seite unsere Gefühle. Gefühle sind oftmals, wenn auch nicht immer, selbst etwas Vernünftiges.
Den Punkt hatten wir schon ein paar Mal im Forum. Du hast mal geschrieben, Verstand und Vernunft seien für Dich dasselbe. Des weiteren hast Du mehrmals geschrieben, dass Gefühle rational sein könnten oder seien. Ich denke, ich verstehe, was Du damit meinst. Aber ich würde die Begriffe so nicht anwenden. Meiner Ansicht nach ist der Verstand der intellektuelle Erkenner von Zusammenhängen, und die Vernunft ist die intellektuelle Handlungsplanerin. Einen Zusammenhang zu erkennen ist noch kein Handlungsplan. So verwende ich diese Begriffe. Ich vermute, Du benutzt das Wort "vernünftig" synonym zu "nützlich" oder "sinnvoll". Ein Angstgefühl ist Deiner Sprache nach vernünftig, weil es nützlicherweise oder sinnvollerweise eine Verletzung vermeidet. In meiner Sprache hingegen, kommt in diesem Angstgefühl keine Vernunft vor, sondern eben nur ein Gefühl. Parallel dazu kann durchaus die Vernunft mitarbeiten, aber sie ist eine andere Instanz; sie ist nicht dieses Angstgefühl; sie ist ein Rechenapparat.

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Feb 2024, 08:56
Und eine Vernunft, die nicht in eine Gefühlswelt eingebettet ist, kann es nicht geben.
Da nähern wir uns sprachlich dann wieder. "Einbetten in Gefühlen". Ja. "Vernunft gleich Gefühl"? Nein.

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Feb 2024, 08:56
Mit anderen Worten: Komplexe Gefühle sind gehören unverbrüchlich zu unseren intellektuellen Leistungen.
"Gehören zu ..." im Sinne von "Gefühle sind intellektuelle Leistungen" -- Da gehen wir wieder ein bisschen auseinander :-) Ich möchte jetzt aber keine Haare spalten.

(Ich meine, komplexe Gefühle gehören zu unserem Geist. Der Geist enthält Gefühl, Intellekt und weitere interaktive Sachen. Gefühl ist kein Intellekt. Beide arbeiten miteinander, sind aber nicht das selbe. Die Gesamtleistung unseres Geistes besteht unter anderem aus Gefühlsleistungen und intellektuellen Leistungen. So würde ich das beschreiben.)

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Feb 2024, 08:56
Es kommt noch etwas Wichtiges hinzu: Emotionen sind nicht grundsätzlich einfach so, wie sie sind, sondern sie sind dynamisch, der erlernte Umgang mit Emotionen gehört dazu. Nehmen wir das Beispiel Angst: Man "muss" lernen, damit umzugehen und lernen, welche Reaktionen angemessen sind, wovor man Angst haben sollte, wovor nicht, bzw. was als angemessen angesehen werden kann, auch wenn manches davon vielleicht fest verdrahtet ist. Ähnlich verhält es sich mit der "Verzeihen". Auch das will gelernt sein. Eltern (und andere Bezugspersonen) können hier z.B. Vorbilder sein. Kinder wachsen sozusagen langsam in solche Institutionen wie "Verzeihen" hinein, was das Verzeihen nicht zu einer Rechenaufgabe macht, sondern allen Beteiligten ermöglicht, mit solchen Gefühlen ggf. besser umzugehen. (Wir haben weiter oben gesehen, wie wichtig es für die eigene Gefühlshygiene sein kann, angemessen verzeihen zu können.)
Dem kann ich folgen. Aber unter meiner Lupe sehe ich beim Verzeihenlernen eine berechnete Beeinflussung der eigenen Grollgefühle oder Wutgefühle etc. "Ich muss mir irgendwie überlegen, wie ich dieses Grollgefühl loswerden kann." Man muss sich andere intellektuelle Haltungen überlegen und diese dann üben, wodurch dann hoffentlich bessere Gefühle ausgelöst werden. Meinetwegen seien diese intellektuellen Übungen ebenfalls als "Verzeihens-Prozesse" zu betrachten. Erfolgreich sind diese aber nur, wenn tatsächlich das Grollgefühl verschwindet. Wenn es nicht verschwindet, ist die Verzeihung unecht; man redet sich die Verzeihung dann nur ein. Und darauf wollte ich hinaus: Bei der Frage, ob wirklich verziehen wurde, geht es am Ende halt dann doch um das wahre Verschwinden des Grollgefühls oder Wutgefühls etc. Die Vernunft kann dabei helfen. Aber das letzte Wort hat das Gefühl. Das muss wohlig sein.




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Jörn Budesheim
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Di 20. Feb 2024, 12:07

Quk hat geschrieben :
Di 20. Feb 2024, 11:43
Den Begriff "moralisches Gefühl" verstehe ich nicht.
Ich habe bereits ein Beispiel für ein "moralisches Gefühl" gegeben: Eine Empörung ist eine "gefühlte Bewertung", etwas (z.B. eine Handlung) wird als unmoralisch, z.B. als ungerecht bewertet. Ein solches Gefühl hat gewissermaßen eine propositionale Struktur (X ist ungerecht), die intensiv erlebt wird. Oder anders ausgedrückt: Ein solches Gefühl ist eine Form der Rationalität, die wir besonders intensiv erleben. Gefühle sind Teil unseres Intellekts, ohne wäre er stumpf und komplexe soziale Institutionen wie "Verzeihen" wäre undenkbar.




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Quk
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Di 20. Feb 2024, 12:32

Ich würde diesen Bewertungseffekt nicht als Leistung des Gefühls auffassen, sondern als Leistung des Intellekts.

Gefühle sind Teil unseres Geistes, ohne wäre er stumpf und komplexe soziale Institutionen wie "Verzeihen" wäre undenkbar.




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Jörn Budesheim
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Di 20. Feb 2024, 12:57

Zur Vernunft: Sie ist für mich im Wesentlichen die Fähigkeit, Gründe* zu erkennen und sich an ihnen zu orientieren. Zu solchen Gründen gehören natürlich auch moralische Gründe. Der Ausdruck "rechnen" passt für mich nicht wirklich, weil damit das normative Element der Vernunft nicht zum Ausdruck kommt.

*Gründe sind Tatsachen, die für etwas sprechen. Es ist diese relationale Struktur, die Gründe ausmacht: Etwas spricht für etwas.




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Jörn Budesheim
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Di 20. Feb 2024, 13:03

Quk hat geschrieben :
Di 20. Feb 2024, 12:32
Ich würde diesen Bewertungseffekt nicht als Leistung des Gefühls auffassen, sondern als Leistung des Intellekts.
Und aus meiner Sicht hat dieser Satz überhaupt keinen guten Sinn, weil das Gefühl selbst etwas Vernünftiges sein kann. Ich glaube, unser Menschenbild liegt so weit auseinander, wie es nur geht :-) Hier noch ein Beispiel: In meiner Sicht ist Moral gerade zu selbstverständlich universal.




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Quk
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Di 20. Feb 2024, 13:48

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Feb 2024, 13:03
Quk hat geschrieben :
Di 20. Feb 2024, 12:32
Ich würde diesen Bewertungseffekt nicht als Leistung des Gefühls auffassen, sondern als Leistung des Intellekts.
Und aus meiner Sicht hat dieser Satz überhaupt keinen guten Sinn, weil das Gefühl selbst etwas Vernünftiges sein kann. Ich glaube, unser Menschenbild liegt so weit auseinander, wie es nur geht :-) Hier noch ein Beispiel: In meiner Sicht ist Moral gerade zu selbstverständlich universal.
Ich denke, dass wir eher sprachlich auseinander liegen, weniger in der Sache an sich. Das sieht man unseren unterschiedlichen Auffassungen des Begriffs "Vernunft". In der Sache ändert das wenig. Ich denke, da muss man nicht gleich das ganze Menschenbild in schwarz und weiß aufteilen. Du isst Karotten, ich esse Möhren. Wir beide essen das gleiche.

Ich hoffe, Du hast meinen Beitrag ...
https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... 348#p74348
.. vollständig gelesen. Am Ende steht da etwas wichtiges. Vielleicht möchtest Du darauf auch eingehen?




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Jörn Budesheim
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Di 20. Feb 2024, 14:19

"Ich muss mir irgendwie überlegen, wie ich dieses Grollgefühl loswerden kann." (Quk)

Man kann Als-ob-Verzeihen strategisch einsetzen, um den anderen zu besänftigen und/oder das eigene "wohlig sein" wieder herzustellen. So etwas gibt es. Aber das ist dann kein wirkliches Verzeihen, sondern eine Trickserei, ein Betrug.

Meiner Meinung nach geht es um etwas ganz anderes. Es geht darum, dass jemand tatsächlich Schuld auf sich geladen hat. Das ist der Kern. Wenn dieser moralische Aspekt nicht im Zentrum der Betrachtung steht, dann reden wir über alles Mögliche, aber nicht über Verzeihen. Auf diese wirkliche Verfehlung müssen beide Seiten eine ehrliche Antwort finden, die dieser Verfehlung Rechnung trägt.




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Quk
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Di 20. Feb 2024, 14:24

Und wenn der Täter nicht mehr lebt?




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Di 20. Feb 2024, 14:43

Dann gibt es kein Verzeihen. Darüber hat Michael7Nigl weiter oben etwas geschrieben.




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Di 20. Feb 2024, 15:00

Ich sehe zweierlei Richtungen des Verzeihens: Erstens: Ich verzeihe dem Täter (innerer Vorgang). Zweitens: Mein Verzeihen teile ich dem Täter mit (äußerer Vorgang).
Erstere Richtung kann ich mit mir selbst ausmachen.
Zweitere Richtung geht nur zu zweit.

Beide Richtungen bezeichne ich als Verzeihung. Sollte darauf bestanden werden, dass dazu immer zwei gehören, dann möchte ich folgendes vorschlagen:

Wenn der Täter nicht mehr lebt und ich ihm verzeihen möchte, dann stelle ich mir den Täter und sein Verhalten in meinem Geist vor. So sind wir wenigstens in meinem Geist zu zweit. Ist dieser Vorschlag akzeptabel?




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Mi 21. Feb 2024, 00:33

Quk hat geschrieben :
Mo 19. Feb 2024, 22:11
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 19. Feb 2024, 19:36
Ich würde sagen, dass "um Verzeihung bitten/vergeben" ähnlich wie "Versprechen geben" eine (vage) geregelte soziale Institution ist, die eine wichtige soziale Funktion hat. Eine solche Institution "auszuüben" bedeutet, die für sie charakteristischen Begriffe und ihre Regeln zu verwenden und anzuerkennen, sich auf sie zu berufen. Und zu den charakteristischen Begriffen der Institution "Vergebung erbitten/gewähren" gehören meines Erachtens zentral die Begriffe der Schuld, der Reue und andere. Solche Institutionen werden tradiert, d.h. wir bringen unseren Kindern bei, wann es angemessen ist, sich zu entschuldigen, wann es angemessen ist, sich zu entschuldigen und in welcher Form dies geschehen kann.
Das ist für mich kein Leben, kein Gefühlsleben, sondern reine Rechnerei und Berechnung. Das können auch Algorithmen.


Wenn Institutionen lediglich werden tradiert, in dem wir unseren Kindern bei bringen , wann es angemessen ist, sich zu entschuldigen und in welcher Form dies geschehen kann, dann stellt sich wohl tatsächlich die Frage , wo bleibt da das Gefühlsleben? Wer hat diesen innneren Konflikt nicht schon selbst austragen müssen? Zum Einem dem gerecht zu werden , was man u.U. als Kind diesbezüglich beigebracht bekam und zum Anderen dem Gerecht zu werden , was man diesbezüglich gerade fühlt. Wenn man beispielsweise , weil so von den Institutionen so tradiert, jemanden .. wider des eigen Gefühlsleben! .. verzeihen muss.

Das kommt quasi einer Vergewaltigung gleich!

Es sei denn , man nimmt dergleichen als "reine Rechnerei und Berechnung (Quk)" hin , weil "Verzeihung bitten/vergeben" ähnlich wie "Versprechen geben" eine (vage) eine geregelte soziale Institution ist, die eine wichtige soziale Funktion hat ( Jörn) ". Weil als solches aus reiner Berechnung getätigt und eben nicht gefühlt , könnten das tatsächlich auch Algorithmen. Das ist kein Leben, kein Gefühlsleben, da hat @Quk völlig recht.




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Jörn Budesheim
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Mi 21. Feb 2024, 08:12

Einem Kind etwas beizubringen bedeutet, dass es letztlich versteht, worum es geht. Das macht sie nicht zu Rechenmaschinen, sondern im Gegenteil zu freien Menschen, die z.B. auch zu ihren Fehlern stehen und um Entschuldigung bitten können, das ist nicht selbstverständlich.




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Jörn Budesheim
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Mi 21. Feb 2024, 08:22

Ob ich Hans verzeihe oder einem vorgestellten Hans, ist etwas anderes, finde ich. Wenn Hans tot ist, bleibt womöglich nur die Vergebung.




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