Ein paar kurze Bemerkungen zum Verzeihen

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Quk
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Do 15. Feb 2024, 12:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 15. Feb 2024, 11:59
Dann sind wir nicht einig. Wenn keine Schuld vorkommt, kann es kein Verzeihen geben.
Stellst Du Dich jetzt absichtlich so vertunnelt?

Wo schreibe ich, dass keine Schuld vorkommt? Nirgends.

Es ist blanker Unfug, mir zu unterstellen, ich würde die Abwesenheit von Schuld feststellen, bloß weil ich gerade über etwas anderes als Schuld rede.

Ich unterstelle Dir doch jetzt auch nicht, Du würdest die Existenz von Liebe ablehnen, bloß weil der Begriff Liebe in Deinem Text gerade nicht vorkommt.

Es gibt 99 Zillionen Sachen in der Welt. Ich kann nicht alle ständig erwähnen. Ich anerkenne deren Existenz ständig, auch wenn ich sie nicht ständig erwähne.




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Jörn Budesheim
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Do 15. Feb 2024, 12:13

Ich meine, Schuld kommt wesenhaft vor! Es ist nicht so, dass sie vorkommen kann oder nicht, also nur kontingent ist, sie ist ein notwendiger Teil.




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Quk
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Do 15. Feb 2024, 12:23

Quk hat geschrieben : Vorgang 3: Person A bereut ihre Tat und möchte ehrlich um Entschuldigung bitten.
Diese Reue impliziert doch, dass Person A sich schuldig fühlt. A hat das Leid verursacht. A ist schuld an der Tat. Diese Schuld ist doch überhaupt die Voraussetzung, dass A die Tat bereuen kann.

Wie explizit willst Du es denn noch haben? Wenns regnet muss ich extra für Dich noch erwähnen, dass Wolken am Himmel sind?


Falls Dir meine Begründung immer noch nicht reicht:
Quk hat geschrieben : Vorgang 3: Person A bereut ihre Tat und möchte ehrlich um Entschuldigung bitten.
Ich schrieb extra das Wort "ehrlich", um zu betonen, dass es A nicht um Berechnung oder so geht, sondern um eine ehrlich gemeinte Ent-Schuld-igung. Da hast Du das gesuchte Wort, eingebettet zwischen Ent- und -igung.




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Jörn Budesheim
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Do 15. Feb 2024, 12:36

So wie du es in deiner Liste und zuvor darstellst, könnte es sein (so hab ich es gelesen und verstanden) dass deiner Ansicht nach Personen nur bereuen, weil ihnen "Mitmenschenliebe" entzogen wurde. Punkt 5 unterstützt diese Vorstellung. Weiter oben sprichst du dementsprechend von "Zuckerbrot und Peitsche".

Bei den meisten Dingen verstehe ich jetzt nicht mehr, warum du sie nicht nur vorbringst, sondern hervorhebst: Warum "Zuckerbrot und Peitsche", warum der Hinweis auf das Tierreich? Warum Liebesentzug?




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Quk
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Do 15. Feb 2024, 12:58

Der Kontext war der Buddha und seine Empfehlung, schlechte Gefühle zu vermeiden, und die Frage, wie "rein" diese Vermeidung sein kann bei gleichzeitiger Anwendung des Rüffels gegen Mönche. Es ging um die Untersuchung des Rüffels, nicht der Schuld.

Außerdem schrieb ich extra, dass Vorgang 3 auch direkt nach 1 erfolgen kann; die Reihenfolge sei egal. Die Reue kann also schon vor dem Liebesentzug erscheinen.




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Jörn Budesheim
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Do 15. Feb 2024, 13:04

Irgendwie verstehe ich das alles nicht. Ein Rüffel ist doch auch kein Liebesentzug. ... Aber egal, lassen wir es darauf beruhen.




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Quk
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Do 15. Feb 2024, 13:34

Ein Rüffelsender kann den Empfänger ...

... zum Lachen bringen.

... zum Schulterzucken bringen.

... verletzen. Solche Empfänger empfinden meist jedwede negative Kritik als persönlichen Angriff. Sie brauchen ständig den Lob, als Liebesbeweis.

... zu unendlich vielerlei Reaktionen anregen, also nicht nur zu den oben drei erwähnten.




Michael7Nigl
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Do 15. Feb 2024, 19:05

Quk hat geschrieben :
Do 15. Feb 2024, 07:36
Ich stelle mir gerade sein Gesicht vor. Wie muss man sich das vorstellen? Wenn der Buddha beim Rüffeln, also bei der Zurechtweisung, lächelte, würde ich das eher als fürsorgliche Hilfe bezeichnen, weniger als Rüffel. Benutzt Du bewusst den Begriff "Rüffel"? Wenn er bei der Zurechtweisung nicht lächelte, unterstelle ich ihm eine Emotion des Ärgers, auch wenn der nur ein paar Sekunden dauerte. -- Wenn ein Kind seine Hand auf einen glühenden Ofen zubewegt und ich das sehe, versuche ich reflexartig, den Schaden zu verhindern. Dabei habe ich keinen rüffelartigen Gesichtsausdruck oder Sprechton. Das Adrenalin wird mir reinschießen und ich werde tiefe Sorge empfinden. Ich denke, so ein Vorgang ist kein Akt des Rüffels. Wenn meine Sorge in Angst umschlägt, steht auch schon die Wut vor der Tür. Mein Gesichtsausdruck und Sprechton werden dann böse. Ich möchte jetzt nicht Haare spalten angesichts der Glatze des Buddha; ich will nur untersuchen, wie "rein" so eine menschliche Angelegenheit wirklich sein kann, und wie viel davon eigentlich übermenschlich sein müsste, wenn man genau hinschaut.
Du fragtest mich nach der Autorität des Buddha, zum Thema "Verzeihen" passt das Verhalten einer erleuchteten Person aber eigentlich nicht. Buddha hat unheilsame Geisteszustände wie Groll, Ärger, Hass, Wut, Zorn, Rache vollkommen überwunden, er ist frei davon. Deshalb kann er auch nicht verzeihen, alles ist von vornherein bereits "verziehen".

Seine Reaktionen auf äußere Umstände, z.B. das Fehlverhalten eines Mönches, sind alleine dadurch motiviert und danach ausgerichtet, wie er dabei helfen kann, seine Weisheit weiterzugeben. Der Eine braucht vielleicht nur ein Lächeln, der Andere braucht einen ordentlichen Rüffel, damit er kapiert, worum es geht. Im Buddhismus glaubt man daran, dass der Buddha die Herzen der Menschen vollkommen durchschauen konnte und deshalb auch jederzeit wusste, wie man ihn am besten belehren kann.

Den Begriff "Rüffel" habe ich bewusst verwendet. Denn es gibt etliche Lehrreden, in denen er einen fehlgeleiteten Mönch geradezu rund macht. Dabei darf man jedoch nicht außer Acht lassen, dass der Buddha niemals ärgerlich ist, sondern nur aus Mitleid spricht und handelt. Ein unerleuchteter Mensch ist dazu meistens nicht fähig.

Falls Dich das "Rüffeln" des Buddha interessiert, habe ich hier ein Beispiel für Dich: https://www.palikanon.com/majjhima/m038n.htm

"Von wem hast du denn, du betörter Mann, gehört, daß ich eine solche Lehre verkündet hätte? Habe ich nicht, o Tor, auf mannigfaltige Weise die bedingte Natur des Bewußtseins erklärt:
'Ohne zureichenden Grund entsteht kein Bewußtsein'?
Aber mißverständigen Sinnes, o Tor, willst du uns verbessern und gräbst dir selbst das Grab und schaffst dir schwere Schuld. Das wird dir, o Tor, lange zum Unheil, zum Leiden gereichen."

Hier eine weitere Übersetzung dieser Textstelle:

„Du fehlgeleiteter Mensch, wen sollte ich jemals das Dhamma auf solche Weise gelehrt haben? Du fehlgeleiteter Mensch, habe ich nicht in vielen Lehrreden bedingt entstandenes Bewußtsein dargelegt: ,Getrennt von Bedingungen gibt es keine Entstehung von Bewußtsein?‘ Aber, du fehlgeleiteter Mensch, du hast uns durch dein falsches Verständnis falsch dargestellt und dich dadurch selbst verletzt und viel Unverdienst angehäuft; denn dies wird dir lange zum Schaden und zum Leid gereichen.“




Michael7Nigl
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Do 15. Feb 2024, 19:37

AufDerSonne hat geschrieben :
Do 15. Feb 2024, 09:31
Michael7Nigl hat geschrieben :
Mi 14. Feb 2024, 23:01
In der Lehrrede von Buddha wird auch nichts "eingefordert". Er weist lediglich darauf hin, dass Groll, Ärger, Hass, Wut, Rachsucht unheilsame Geisteszustände sind.
Ja, aber es gibt sie, diese unheilsamen Gefühlszustände. Und es muss einen Grund haben, dass es sie gibt.
Ich finde es zu einfach, einfach zu sagen, dass Groll, Ärger und Hass nicht gut sind. Ich meine, das ist ja klar.
Es muss eher darum gehen, mit solchen Gefühlen umgehen zu lernen.
Der Grund dafür, dass es Emotionen gibt, ist in meinen Augen die Evolution. In einem anderen Thread ("Ethische Regel", Beitrag 74035) habe ich bereits ein Video gepostet, in welchem der Historiker Harari den Zusammenhang erklärt.

Die Evolution ist auf Arterhaltung ausgelegt, dass sich also Individuen in einer Weise verhalten, welche den Fortbestand (und Weiterentwicklung) der Art am besten gewährleistet. Sie kümmert sich überhaupt nicht darum, die Individuen glücklich zu machen. Angenehme und unangenehme Gefühle sind nur ein Mittel zum Zweck der Evolution.

Der Mensch hat dank seines Bewusstseins die Möglichkeit, andere Ziele als die Evolution zu verfolgen. Er kann sich zum Ziel setzen glücklich zu leben, anstatt nur ein Werkzeug zur Arterhaltung zu sein. Der Buddha zeigt einen Weg auf, wie man das höchste Glück verwirklichen kann.

Im Buddhismus geht es überhaupt nicht darum, ob etwas gut oder schlecht ist. Es geht vielmehr um die Kategorien "heilsam" und "unheilsam". Der Buddha lehrte, dass z.B. Ärger unheilsam ist, d.h. es verursacht Leiden. Wer also glücklich sein will, sollte sich bemühen, den Ärger zu überwinden. In der Lehre finden sich Methoden, wie man unheilsame Geisteszustände überwinden kann.

Wer die Buddhalehre vollkommen verwirklicht hat, ist ein Erleuchteter. Dieser ist frei von unheilsamen Geisteszuständen. Das glauben jedenfalls die Buddhisten.




Michael7Nigl
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Do 15. Feb 2024, 20:07

Stefanie hat geschrieben :
Do 15. Feb 2024, 09:54
Verzeihen ist bei schweren Taten wohl keine Geste nach dem Motto "Ich habe dich wieder liebt" und Verzeihen ist auch nicht (immer) ein Versöhnungsangebot.

Aus dem mir zitierten Artikeln:
Wenn wir jemandem verzeihen, erlauben wir dem anderen, dass er sich das, was er uns angetan hat, nicht mehr zum Vorwurf macht. Wir helfen ihm oder ihr also gewissermaßen dabei, das eigene Gewissen zu entlasten.“
Verzeihen heiße allerdings nicht Versöhnen: „Man kann jemandem verzeihen und sich trotzdem von ihm trennen“, so die Wissenschaftlerin. Es könne auch Gründe geben, anderen nicht zu verzeihen: „Dazu gehört etwa der Respekt vor uns selbst. Eine Frau, die häusliche Gewalt erlebt und ihrem Mann immer und immer wieder verzeiht, riskiert, ihre Selbstachtung zu verlieren. Nicht immer zu verzeihen, heißt, dass ich eine Grenze setze und nicht alles mit mir machen lasse
Ernsthaft, die Frau in dem Bespiel sollte wegen ihrer "Psycho-Hygiene" dem Mann verzeihen? Der sich vielleicht noch nicht mal ent-schuldigt (mit Absicht so geschrieben) hat?
Sie muss aus der Opferrolle raus, und dabei kann vielleicht ein Verzeihen helfen, aber auch nicht.
Sie soll dem Täter dabei helfen, das eigene Gewissen zu entlasten. Was ja nur wirklich helfen würde, wenn ein Täter ein Gewissen hätte.
Es ist für mich schwer nachvollziehbar, in welcher Weise Du meine Gedanken auslegst. Wenn ich bspw. den Ausdruck "Ich verzeihe Dir." als "versöhnliche Worte" bezeichne, welche einen Übeltäter evtl. zu weiteren Übeltaten anspornen mögen, dann unterstellst Du mir, dass ich die Begriffe "Verzeihung" und "Versöhnung" nicht korrekt unterscheiden würde. Darum geht es doch gar nicht und das war mit dem Wort "versöhnlich" an jener Stelle wohl kaum gemeint.

Die von Dir zitierte Wissenschaftlerin gebraucht das Wort "Verzeihung" in einem ganz anderen Sinn, als ich das - explizit! - getan habe. Ich kann Grenzen setzen, obwohl ich einem Menschen verzeihe! Verzeihung bedeutet, jemandem etwas nicht nachzutragen und innerlich nicht weiter gekränkt zu sein; es bedeutet nicht, dass man keine Konsequenzen zieht und dem Übeltäter weiterhin gestattet, mich zu verletzen. Zu verzeihen bedeutet nicht, dass ich alles mit mir machen lasse.

Wohlgemerkt - ich sage es lieber dreimal an dieser Stelle - gebrauche ich das Wort "Verzeihung" in einem anderen Sinn als in dem von Dir angeführten Zitat.

Innerlich Groll gegen einen Menschen zu hegen, ist eine natürliche Reaktion und mag auch gerechtfertigt sein. Im Sinne der Buddhalehre ist es allerdings töricht, einen Groll zu hegen. Klug ist es, keinen Groll zu hegen. Das meint aber nicht, dass man Übeltaten akzeptiert und gutheißt.




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AufDerSonne
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Do 15. Feb 2024, 21:55

Michael7Nigl hat geschrieben :
Do 15. Feb 2024, 19:37
Im Buddhismus geht es überhaupt nicht darum, ob etwas gut oder schlecht ist. Es geht vielmehr um die Kategorien "heilsam" und "unheilsam".
Heilsam ist gut, unheilsam ist schlecht. Also wir verschieben damit nur das Problem. Ich sehe, ich muss mich doch einmal damit beschäftigen, was eigentlich gut und schlecht ist. Die alten Griechen hatten es dort noch einfacher. Nach Platon war das Gute unhinterfragt das Ziel allen Strebens. Ich frage mich leider immer wieder, was denn das Gute sein soll. Bin wohl selbst schuld, dass ich mich das frage. :D



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Michael7Nigl
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Do 15. Feb 2024, 22:02

AufDerSonne hat geschrieben :
Do 15. Feb 2024, 21:55
Michael7Nigl hat geschrieben :
Do 15. Feb 2024, 19:37
Im Buddhismus geht es überhaupt nicht darum, ob etwas gut oder schlecht ist. Es geht vielmehr um die Kategorien "heilsam" und "unheilsam".
Heilsam ist gut, unheilsam ist schlecht. Also wir verschieben damit nur das Problem. Ich sehe, ich muss mich doch einmal damit beschäftigen, was eigentlich gut und schlecht ist. Die alten Griechen hatten es dort noch einfacher. Nach Platon war das Gute unhinterfragt das Ziel allen Strebens. Ich frage mich leider immer wieder, was denn das Gute sein soll. Bin wohl selbst schuld, dass ich mich das frage. :D
"Gut" ist eine moralische Kategorie. "Heilsam" ist keine moralische Kategorie. Deshalb ist "heilsam" nicht mit "gut" gleichzusetzen.

Bei gut und schlecht geht es um die Bewertung der Sittlichkeit, diese ist abhängig von der Gesellschaft.

Ob etwas heilsam oder unheilsam ist, bemisst sich daran, ob es Glück oder Leiden zur Folge hat. Das muss nicht mit den gesellschaftlichen Vorstellungen von Sittlichkeit übereinstimmen, kann es aber natürlich.




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AufDerSonne
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Do 15. Feb 2024, 22:13

Michael7Nigl hat geschrieben :
Do 15. Feb 2024, 22:02
Bei gut und schlecht geht es um die Bewertung der Sittlichkeit, diese ist abhängig von der Gesellschaft.
Lassen wir es so stehen! Ich weiss zwar nicht, ob das Wort "gut" nur gebraucht wird, wenn es um die Sittlichkeit geht. "Gut" könnte doch auch im Sinn von "positiv" gebraucht werden.
Was heute gut ist, ist morgen schlecht. So will es die Veränderung. :D



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Michael7Nigl
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Do 15. Feb 2024, 22:35

AufDerSonne hat geschrieben :
Do 15. Feb 2024, 22:13
Michael7Nigl hat geschrieben :
Do 15. Feb 2024, 22:02
Bei gut und schlecht geht es um die Bewertung der Sittlichkeit, diese ist abhängig von der Gesellschaft.
Lassen wir es so stehen! Ich weiss zwar nicht, ob das Wort "gut" nur gebraucht wird, wenn es um die Sittlichkeit geht. "Gut" könnte doch auch im Sinn von "positiv" gebraucht werden.
Was heute gut ist, ist morgen schlecht. So will es die Veränderung. :D
Da hast Du natürlich recht, dass das Wort "gut" nicht nur im Sinne der Moral gebraucht wird. Ich wollte lediglich den Kontrast aufzeigen zwischen der abendländischen Moral (gut / schlecht) und der buddhistischen Lehre.

Wenn Du dasjenige als "gut" bezeichnen willst, was Dir wahrhaft nützt oder was Dich glücklich macht, dann ist "gut" und "heilsam" gleichbedeutend.




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Stefanie
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Fr 16. Feb 2024, 21:03

In diesem Artikel wird auch behandelt, wann Verzeihen nicht "gut" sein kann.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/ku ... e-100.html
"Denn eine dauerhafte Befreiung kann beispielsweise nicht gelingen, wenn die verletzende Situation anhält und sich immer wieder erneuert.
„Zum Beispiel Verzeihen in einer Beziehung, wo man immer wieder ständig gekränkt wird durch die gleiche Person. Da gibt es Grenzen, weil wenn ich immer wieder verzeihe, dann setze ich mich der Kränkung wieder aus. Oder auch sehr schwierige Kränkungen und Verletzungen: Da ist diese Perspektivenübernahme, das Verstehen-Wollen, gar nicht so hilfreich“, sagt Mathias Allemand.
Gerade vor dem Hintergrund fehlender Reue und Einsicht und wenn die Verletzung schwer in das eigene Leben eingegriffen hat, kann es ein Mensch brauchen, unversöhnlich zu bleiben. Auch um die eigene Integrität zu wahren."
Der Philosoph Oliver Hallich möchte das Übelnehmen rehabilitieren:
„Auf jeden Fall ist es ein Motiv, das auch in der Philosophie eine Rolle spielt, dass das Übelnehmen etwas ist, was man nicht zu früh als rein anachronistisch und als etwas, dessen wir uns schämen müssten und das wir möglichst zu überwinden hätten, diskreditieren sollte. Übelnehmen ist ja gerade eine Weise, jemanden ernst zu nehmen. Es heißt auch, ihm zu signalisieren, dass man ihn für einen Menschen hält, der moralischen Standards entsprechen kann und von dem man das auch erwartet.“
Wut, Empörung, Übelnehmen, so betont er darin, zeugen von der gesunden Selbstachtung einer verletzten Person. Außerdem habe das Übelnehmen eine wichtige soziale Steuerungsfunktion, das sagt auch Oliver Hallich: Es ist eine informelle Strafe, die hilft, eine moralbasierte Ordnung aufrecht zu halten.
Ob in Soziologie, Psychologie oder Philosophie – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen heute, Verzeihen realistisch zu bewerten:
Einerseits hat es die Kraft, beschädigte menschliche Beziehungen wieder herzustellen und Opfer von schwierigen Erfahrungen insoweit zu heilen, als sie aus dem ständigen Grübeln und den Gefühlen einer anhaltenden Kränkung in eine neue Lebensphase eintreten können. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die genau das auch können, ohne zu verzeihen. Und es steht die Frage im Raum, ob verzeihen können immer der beste Weg ist, die moralische Basis des Zusammenlebens intakt zu halten.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Jörn Budesheim
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So 18. Feb 2024, 10:39

Ich lese gerade das Buch Moral von Hanno Sauer, in dem es auch um die Evolution der Moral geht und um die Frage, wie in der "gnadenlosen" Evolution so etwas wie Moral überhaupt Platz finden kann. Er beschreibt dort ein (mir bis dato un-)bekanntes soziales Experiment, bei dem die Strategie Tit for Tat oder quit pro quo oder wie du mir so ich dir gewonnen hat. Vereinfacht und damit natürlich verkürzt dargestellt, funktioniert das ungefähr so - ich hoffe, meine Darstellung ist einigermaßen korrekt:

........................................

Das Gefangenendilemma und Tit-for-Tat
Experiment: Computerprogramme spielen iterativ das Gefangenendilemma.

Strategien:
Immer kooperieren: Nett, aber ausnutzbar.
Immer betrügen: Maximiert kurzfristigen Gewinn, schadet langfristig.
Tit-for-Tat: In Runde 1 kooperieren, dann die Aktion des Gegners spiegeln.

Resultat:
Tit-for-Tat gewinnt langfristig.

Warum?
Tit-for-Tat ist fair und fördert die Kooperation.
Kooperation wird belohnt.
Betrug wird bestraft.
Vergebung ermöglicht einen Neuanfang.

Fazit: Tit-for-Tat zeigt, wie Kooperation durch kluge Strategien in einem kompetitiven Umfeld gedeihen kann.

........................................

Und das entspricht im Prinzip dem oben beschriebenen Vorschlag. Man ist bereit zu verzeihen, also Kooperation zu zeigen, aber eben nicht um jeden Preis, unkooperatives Verhalten wird "gespiegelt". Mit anderen Worten: Man ist kooperativ, lässt sich aber nicht naiv ausnutzen.

Diese spieltheoretische Rekonstruktion erklärt meines Erachtens zwar nicht, warum man verzeihen, sich aber nicht ausgenutzen lassen soll, aber sie erklärt, warum diese moralisch wünschenswerte Strategie irgendwie in die Welt "passt".
Hanno Sauer hat geschrieben : TIT FOR TAT ist erstaunlich intuitiv und entspricht größtenteils unserem eigenen moralischen Empfinden, wie kooperativ man sich anderen gegenüber verhalten sollte und wo die Grenzen unseres guten Willens liegen. Intuitiv erscheint es richtig, zunächst Kooperation anzubieten, sich andererseits aber auch nicht ausbeuten zu lassen. Des Weiteren sollte man dazu bereit zu sein, nach einem entsprechenden Versöhnungsangebot der anderen Partei wieder auf Kooperation einzuschwenken. Dass diese Strategie uns emotional angemessen erscheint, ist ein Hinweis darauf, dass wir evolutionär mit einem Kooperationsrezept ausgestattet sind, das in etwa TIT FOR TAT entspricht.

[...]

Damit konnte [das Experiment] zeigen, dass sich eine auf Kooperation zugeschnittene Moralpsychologie unter bestimmten Bedingungen evolutionär durchsetzen kann.




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Quk
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So 18. Feb 2024, 11:42

Ja, und bei der "wie du mir so ich dir"-Spiegelung würde ich noch einen, wie mir scheint, wichtigen Faktor hinzufügen:

Damit die Evolution in diese Richtung weitergehen kann, ohne zu stocken oder sich selbst auszulöschen, muss die Spiegelung der Nichtkooperation (oder der Schadenzufuhr) in ihrem Ausmaß immer etwas kleiner sein als das, was sie spiegelt. So rollt die Murmel stets innerhalb des Tellers und stürzt nicht über den Rand.

Selbststabilisierung.

Beispielsweise Mord stets mit Gegenmord zu spiegeln, also 100% oder mehr gegen 100%, führt zu Labilität und Instabilität.


(Kann sein, dass ich das im Forum irgendwo schon mal erwähnt habe. Bin mir nicht sicher.)




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Stefanie
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So 18. Feb 2024, 19:29

Ist das Ergebnis dieses Tit-for-Tat bezogen auf das Verzeihen dann das, dass man Verzeihen muss, wenn jemand um Verzeihung bittet? Und man als unkooperativ gilt, wenn jemand nicht verzeiht? Oder wie ist das zu verstehen?



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Jörn Budesheim
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So 18. Feb 2024, 19:38

Nein, das genaue Gegenteil, das bezieht sich auf den letzten Beitrag.




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Stefanie
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So 18. Feb 2024, 20:00

O.k. dann habe ich den Zusammenhang nicht verstanden. Der letzte Beitrag war doch meiner, in dem es um das nicht verzeihen geht.
Man ist bereit zu verzeihen, also Kooperation zu zeigen, aber eben nicht um jeden Preis, unkooperatives Verhalten wird "gespiegelt". Mit anderen Worten: Man ist kooperativ, lässt sich aber nicht naiv ausnutzen.
Diese spieltheoretische Rekonstruktion erklärt meines Erachtens zwar nicht, warum man verzeihen, sich aber nicht ausgenutzen lassen soll, aber sie erklärt, warum diese moralisch wünschenswerte Strategie irgendwie in die Welt "passt".
Was ist denn dann die moralisch gewünschte Strategie?


Und Herr Sauer schreibt:
Des Weiteren sollte man dazu bereit zu sein, nach einem entsprechenden Versöhnungsangebot der anderen Partei wieder auf Kooperation einzuschwenken.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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