Ein paar kurze Bemerkungen zum Verzeihen

Im Zettelkasten können Zitate und Begriffe hinterlegt werden, auf die du andere Mitglieder des Forums aufmerksam machen möchtest.
Tosa Inu
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Fr 22. Sep 2017, 10:39

novon hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 21:54
Was hast du mir mitzuteilen?
Dass ich hier aussteige.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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novon
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Sa 23. Sep 2017, 00:14

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 22. Sep 2017, 06:13
@Novon, in dem Video oben ging es z.b. Völkermord und weitere sehr drastische Beispiele, bei denen sich die Frage ob eine Schuld tatsächlich vorliegt, gar nicht stellt. Es gab auch Beispiele, bei denen derjenige, der Schuld auf sich geladen hatte, die Schuld nicht anerkannte.
Die ethische oder metaethische Frage, ob eine Schuld, eine ethische Schuld tatsächlich vorliegen kann, wäre sicherlich einen eigenen Thread wert.
Mag ein Defizit darstellen, aber ich hab mir kein Video angesehen.
Reden wir von "Schuld" oder von "Verbrechen"? Ursprünglich las ich von "Verzeihen"...




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novon
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Sa 23. Sep 2017, 01:36

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 22. Sep 2017, 10:39
novon hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 21:54
Was hast du mir mitzuteilen?
Dass ich hier aussteige.
Na denn... Schuld akkumuliert sich wohl offenbar irgendwie in der Gleichsetzung von Fußpilz und Mord. Wem's gefällt... *g
https://www.youtube.com/watch?v=SeDVNgsYy0k




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Jörn Budesheim
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Sa 23. Sep 2017, 05:05

novon hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 00:14
Reden wir von "Schuld" oder von "Verbrechen"? Ursprünglich las ich von "Verzeihen"...
Wieso "oder"? Verbrechen begeht, lädt eine Schuld auf sich und das Opfer kann entweder verzeihen oder nicht.




Segler
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Sa 23. Sep 2017, 20:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 05:05
novon hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 00:14
Reden wir von "Schuld" oder von "Verbrechen"? Ursprünglich las ich von "Verzeihen"...
Wieso "oder"? Verbrechen begeht, lädt eine Schuld auf sich und das Opfer kann entweder verzeihen oder nicht.
Nicht jeder, der Schuld auf sich lädt, begeht ein Verbrechen. Da gibt es schon qualitative und quantitative Unterschiede.




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Jörn Budesheim
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Sa 23. Sep 2017, 20:33

Das nicht. Aber jeder, der ein Verbrechen begeht, lädt Schuld auf sich.




Segler
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Sa 23. Sep 2017, 20:40

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 20:33
Das nicht. Aber jeder, der ein Verbrechen begeht, lädt Schuld auf sich.
Stimmt. Verzeihen kann man aber auch Schuld unterhalb dieses Niveaus.




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novon
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So 24. Sep 2017, 00:19

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 05:05
novon hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 00:14
Reden wir von "Schuld" oder von "Verbrechen"? Ursprünglich las ich von "Verzeihen"...
Wieso "oder"? Verbrechen begeht, lädt eine Schuld auf sich und das Opfer kann entweder verzeihen oder nicht.
Wer Verbrechen begeht, lädt juristisch Schuld auf sich. Diese wird durch Strafe vergolten. Wer seine Strafe abgegolten hat ist entschuldet, unschuldig. Etwaiger Verzeihung bedarf es da nicht. Da es hier ursprünglich um "Verzeihen" ging, vermute ich, dass auch ein etwaig zugrunde gelegter Schuldbegriff nicht mit dem juristischen überein geht. In diesem Bezug dann aber Verbrechen anzuführen scheint mir irgendwie kurios.




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Alethos
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So 24. Sep 2017, 00:24

novon hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 00:19
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 05:05
novon hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 00:14
Reden wir von "Schuld" oder von "Verbrechen"? Ursprünglich las ich von "Verzeihen"...
Wieso "oder"? Verbrechen begeht, lädt eine Schuld auf sich und das Opfer kann entweder verzeihen oder nicht.
Wer Verbrechen begeht, lädt juristisch Schuld auf sich. Diese wird durch Strafe vergolten. Wer seine Strafe abgegolten hat ist entschuldet, unschuldig. Etwaiger Verzeihung bedarf es da nicht. Da es hier ursprünglich um "Verzeihen" ging, vermute ich, dass auch ein etwaig zugrunde gelegter Schuldbegriff nicht mit dem juristischen überein geht. In diesem Bezug dann aber Verbrechen anzuführen scheint mir irgendwie kurios.
Ja, zumal das Juristische nicht verzeiht. Es bestraft und begnadigt. Aber verzeihen kann nur das Opfer resp. der Geschädigte.



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Alle lächeln in derselben Sprache.

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Jörn Budesheim
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So 24. Sep 2017, 09:08

novon hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 00:19
Wer Verbrechen begeht, lädt juristisch Schuld auf sich. Diese wird durch Strafe vergolten. Wer seine Strafe abgegolten hat ist entschuldet, unschuldig. Etwaiger Verzeihung bedarf es da nicht. Da es hier ursprünglich um "Verzeihen" ging, vermute ich, dass auch ein etwaig zugrunde gelegter Schuldbegriff nicht mit dem juristischen überein geht. In diesem Bezug dann aber Verbrechen anzuführen scheint mir irgendwie kurios.
Wenn ein Mann eine Frau vergewaltigt, begeht er eine Straftat, er lädt eine schwere Schuld auf sich. Wird er verurteilt, muss er in der Regel eine Gefängnisstrafe verbüßen. Wie auch immer die Strafe aussah, verziehen ist die Tat dadurch nicht. Verzeihen kann nur das Opfer selbst. Ein Mörder kann vielleicht hoffen, dass die Angehörigen verzeihen, aber eine wirkliche Verzeihung kann er nicht erwarten.

In dem Video oben wird dieser Fall an den Überlebenden der KZ behandelt.

Wenn ein Verbrechen vorliegt, liegt auch eine Schuld vor. Doch nicht immer, wenn eine Schuld vorliegt, liegt auch ein Verbrechen vor: Wer den Liebsten betrügt, muss nicht grundsätzlich mit juristischen Folgen rechnen, eine Schuld hat er/sie möglicherweise dennoch auf sich geladen.




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novon
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Mo 25. Sep 2017, 00:19

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 09:08
novon hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 00:19
Wer Verbrechen begeht, lädt juristisch Schuld auf sich. Diese wird durch Strafe vergolten. Wer seine Strafe abgegolten hat ist entschuldet, unschuldig. Etwaiger Verzeihung bedarf es da nicht. Da es hier ursprünglich um "Verzeihen" ging, vermute ich, dass auch ein etwaig zugrunde gelegter Schuldbegriff nicht mit dem juristischen überein geht. In diesem Bezug dann aber Verbrechen anzuführen scheint mir irgendwie kurios.
Wenn ein Mann eine Frau vergewaltigt, begeht er eine Straftat, er lädt eine schwere Schuld auf sich. Wird er verurteilt, muss er in der Regel eine Gefängnisstrafe verbüßen. Wie auch immer die Strafe aussah, verziehen ist die Tat dadurch nicht. Verzeihen kann nur das Opfer selbst. Ein Mörder kann vielleicht hoffen, dass die Angehörigen verzeihen, aber eine wirkliche Verzeihung kann er nicht erwarten.

In dem Video oben wird dieser Fall an den Überlebenden der KZ behandelt.

Wenn ein Verbrechen vorliegt, liegt auch eine Schuld vor. Doch nicht immer, wenn eine Schuld vorliegt, liegt auch ein Verbrechen vor: Wer den Liebsten betrügt, muss nicht grundsätzlich mit juristischen Folgen rechnen, eine Schuld hat er/sie möglicherweise dennoch auf sich geladen.
Okay. Möchtest du Schuld inanspruch stellen, die nicht juristisch festgestellt wäre?




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Jörn Budesheim
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Ja, natürlich.




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novon
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2017, 05:06
Ja, natürlich.
Na ja... Das mit dem "natürlich" tut sich hier als Einfallstor der Willkür hervor. Oder kannst du so ohne weiteres irgendwie allgemein verbindliche Kriterien angeben, nach denen anzunehmen wäre, dass eine Schuld vorliegt? (Das mit dem Vergewaltigen hat Jahrhunderte lang völlig problemlos funktioniert und etwaige Schuldambitionen wurden, wenn, mit Gift, Dolch, Degen oder Schwert nivelliert. Wohl bekomm's quasi.)




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Stefanie
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Di 13. Feb 2024, 20:59

https://www.deutschlandfunkkultur.de/ph ... rf%20macht.

Warum wir nicht alles verzeihen sollten

„Ich glaube, beim Verzeihen geht es nicht nur darum, dass man wieder mit sich ins Reine kommt und dass man seine Wut hinter sich lässt“, sagt Boshammer. „Wenn wir jemandem verzeihen, erlauben wir dem anderen, dass er sich das, was er uns angetan hat, nicht mehr zum Vorwurf macht. Wir helfen ihm oder ihr also gewissermaßen dabei, das eigene Gewissen zu entlasten. Und ich glaube, dass es Situationen gibt, in denen wir das nicht tun sollten oder jedenfalls nicht zu voreilig.“

Für die Frage, ob wir jemandem verzeihen können oder sollten, sei zum Beispiel ganz entscheidend, ob dieser Schritt mit unserer Selbstachtung vereinbar sei, so Boshammer: „Wenn wir Menschen, die in einer bestimmten Weise mit uns umgegangen sind, entgegenkommen, dann können wir nicht mehr in den Spiegel gucken. Das heißt, wir müssen hier hart bleiben, damit wir uns selbst noch respektieren können, wenn es die oder der oder andere schon nicht getan hat.“

https://www.deutschlandfunkkultur.de/ve ... n-100.html

„Beim Verzeihen geht es nicht nur darum, dass man wieder mit sich ins Reine kommt und dass man seine Wut hinter sich lässt“, sagt Susanne Boshammer, Professorin für Praktische Philosophie an der Universität Osnabrück. „Wenn wir jemandem verzeihen, erlauben wir dem anderen, dass er sich das, was er uns angetan hat, nicht mehr zum Vorwurf macht. Wir helfen ihm oder ihr also gewissermaßen dabei, das eigene Gewissen zu entlasten.“
Verzeihen heiße allerdings nicht Versöhnen: „Man kann jemandem verzeihen und sich trotzdem von ihm trennen“, so die Wissenschaftlerin. Es könne auch Gründe geben, anderen nicht zu verzeihen: „Dazu gehört etwa der Respekt vor uns selbst. Eine Frau, die häusliche Gewalt erlebt und ihrem Mann immer und immer wieder verzeiht, riskiert, ihre Selbstachtung zu verlieren. Nicht immer zu verzeihen, heißt, dass ich eine Grenze setze und nicht alles mit mir machen lasse



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Jörn Budesheim
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Di 13. Feb 2024, 21:45

Da hast du aber einen alten Faden aufgetan - der ist ja über sechs Jahre alt.




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Stefanie
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Di 13. Feb 2024, 22:04

Stimmt, den Artikel bzw. die Artikel aber erst vor kurzem gefunden.

Den Aspekt, soll man verzeihen, kann man verzeihen, oder eben auch mal nicht, fand ich auf einmal interessant. Wobei ich die in dem Video angesprochenen Taten erstmal ausnehmen würde.
Nicht immer zu verzeihen, heißt, dass ich eine Grenze setze und nicht alles mit mir machen lasse.
Stimmt denn das so? Ich bin mir da unschlüssig.



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Goethe

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AufDerSonne
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Mi 14. Feb 2024, 16:19

Ich habe oft ein wenig Probleme mit Entschuldigen, Verzeihen und solchen Sachen, das ja das Unglück schon geschehen ist.
Handelt es sich dann nicht mehr um Schadensbegrenzung, wenn man sich entschuldigt oder verzeiht und so weiter?



Ohne Gehirn kein Geist!

Michael7Nigl
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Mi 14. Feb 2024, 17:23

Man kann das Verzeihen als eine Art Psycho-Hygiene betrachten. Das Gegenteil von Verzeihung wäre Rachsucht, ein unheilvoller Geisteszustand.

Der Buddha hat z.B. in seinem Gleichnis von der Säge (Majjhima Nikaya 21) sehr eindringlich davor gewarnt, Emotionen wie Wut, Ärger oder Hass zu kultivieren:

"sogar wenn Banditen euch barbarisch Glied für Glied mit einer Doppelgriffsäge in Stücke teilen würden, würde derjenige, der einen verdorbenen Geist ihnen gegenüber entstehen ließe, meine Lehre nicht befolgen. Darin, ihr Bhikkhus, solltet ihr euch so üben: 'Unser Geist wird unbeeinträchtigt bleiben, und wir werden keine bösen Worte äußern; wir werden in Mitgefühl für ihr Wohlergehen verweilen, mit einem Geist voll Liebender Güte, ohne inneren Haß. Wir werden verweilen, indem wir sie mit einem Herzen durchdringen, das von Liebender Güte durchtränkt ist; und mit ihnen als Objekt werden wir verweilen, indem wir die allumfassende Welt mit einem Herzen durchdringen, das von Liebender Güte durchtränkt ist, unerschöpflich, erhaben, unermeßlich, ohne Feindseligkeit und ohne Übelwollen.' Auf solche Weise solltet ihr euch üben"


Grenzen kann man auch setzen, ohne innerlich einen unheilvollen Geisteszustand zu haben; so wie eine Mutter, die ihr Kind schimpft oder streng ist, das Kind doch gleichzeitig liebt.




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Stefanie
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Mi 14. Feb 2024, 21:23

Es muss doch nicht gleich Rachsucht entstehen, wenn ein Mensch einem anderen Menschen nicht verzeiht. Rache ist für mich keine automatische Folge.
Ich denke auch, dass Rache niemals die Lösung ist, aber kann man von dem Opfer eine Gewalttat einfordern, den Täter oder Tätern mit liebevoller Güte zu begegnen? Das dreht irgendwie die Verantwortung in Richtung des Opfers.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Michael7Nigl
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Mi 14. Feb 2024, 23:01

Ich schrieb: "das Gegenteil von Verzeihung wäre Rachsucht", nicht dass automatisch Rachsucht entstünde, wenn man nicht verzeiht.

In der Lehrrede von Buddha wird auch nichts "eingefordert". Er weist lediglich darauf hin, dass Groll, Ärger, Hass, Wut, Rachsucht unheilsame Geisteszustände sind.

Mit anderen Worten: Wenn Du nicht verzeihen kannst, dann schadest Du Dir nur selbst. Es geht nicht um Verantwortung oder Opferumkehr. Es geht um die Kunst glücklich zu leben.




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