das Fremde

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Jörn Budesheim
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So 7. Mär 2021, 17:54

Albert Camus hat geschrieben : eine Welt, die man - selbst mit schlechten - erklären kann, ist eine vertraute Welt. Aber in einem Universum, dass plötzlich der Illusionen des Lichts beraubt ist, fühlt sich der Mensch fremd... Diese Entzweiung zwischen dem Menschen und seinem Leben, zwischen dem Handelnden und seinem Rahmen, genau das ist das Gefühl der Absurdität.




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Jörn Budesheim
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So 7. Mär 2021, 18:01

In der Kunst und in der Philosophie (und sicher auch in weiteren Bereichen) kann das Fremde in Form der Verfremdung auch als Methode des Erkenntnisgewinns dienen. Wenn das Vertraute plötzlich in ungewöhnlicher Form vor einem steht, ist man manchmal gezwungen, es neu zu betrachten und dann vielleicht Aspekte zu entdecken, die man zuvor nicht gesehen hat.




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Jörn Budesheim
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So 7. Mär 2021, 18:29

Albert Camus hat geschrieben : Es kommt gleichwohl ein Tag, da stellt der Mensch fest oder sagt, dass er 30 Jahre alt ist. Damit beteuert er seine Jugend. Zugleich aber situiert er sich im Verhältnis zur Zeit. Ende mit mir sein Platz ein. ... Er gehört derzeit, und bei jedem Kram, das sind dabei packt, erkennt er seinen schlimmsten Feind. ... Dieses Aufbegehren des Fleisches ist das Absurde.
Letztlich finden sich hier drei verschiedene Fäden zusammen: der Faden über das Fremde, wo wir gerade sind, der Faden über die Fantasie und der Faden zum Tod.

Der Autor interpretiert Camus interessanterweise so: "Camus verlangt von den Menschen, sich trotzig gegen die Zumutung der Absurdität aufzulehnen, weiterzuleben und jeden Tag aufs Neue gegen die Sinnlosigkeit zu revoltieren. Selbstmord wäre die vorzeitige und unerlaubte Flucht aus der bewussten Revolte:..." Camus selbst: "Diese Auflehnung gibt dem Leben seinen Wert... Es geht darum, unversöhnt und nicht aus freiem Willen zu sterben. Der Selbstmord ist ein Verkennen. Der absurde Mensch hat nur die Möglichkeit, alles auszuschöpfen und sich selbst zu erschöpfen."

"Ein aufrichtiger Mensch dürfe sich aber der Erkenntnis der Absurdität weder durch Selbstmord, noch durch Religion, noch durch Ideologie entziehen. Alle drei Versuche, der Absurdität zu entkommen, sind unzulässig, denn die Absurdität ist ein fundamentaler Lebensumstand", so Ziegler.




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infinitum
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So 7. Mär 2021, 18:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 6. Mär 2021, 12:24
Ist "Konditionierung" für diese Art der Erfahrungen ein gutes Wort?
hm, wenn diese Frage kommt, wohl vielleicht nicht. So hatte ich aber dies verstanden, dass die Auswirkungen von Erfahrungen eine Form von konditioniertem Verhalten bewirken, sodass dies bestimmt, wie ein Mensch sich gegenüber etwas Fremden verhält.
Ein Beispiel wäre eine Familie, die ihrem Kind den Umgang mit Fremden oder Anderen untersagt. Es wird eine skeptische Grundhaltung entwicklen, wohingegen eine Familie, die einen offenen Austausch mit vielen Fremden, die zu Bekannten dann werden, pflegt, auch eine Erfahrung schaffen, dass das Fremde zu etwas Vertrautem werden kann.



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infinitum
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So 7. Mär 2021, 19:11

Stefanie hat geschrieben :
Sa 6. Mär 2021, 23:43
Das Thema macht mich etwas kirre.
Mir fehlt sowas wie eine Definition, was das Fremde ist. Ich finde das nicht. Es werden Arten von Fremdheit beschrieben, es gibt Beschreibungen wie anders, vertraut, weit Entferntes. Relative Fremdheit, radikale Fremdheit. Aber so richtig klarer wird das nicht.
Oder sowas:
"Das Fremde bezeichnet etwas, das als abweichend von Vertrautem wahrgenommen wird, das heißt, als etwas tatsächlich oder vermeintlich Andersartiges oder weit Entferntes. Das Gefühl der Fremdheit kann durch den Ethnozentrismus, über den sich jede Ethnie definiert und von anderen Gruppen abgrenzt, entstehen. "
Oder alleine schon der Andere, anders, Andersartigkeit.
ich finde, das ist wirklich eine gute Frage. Ich bin auch dabei, zu versuchen, das Fremde zu definieren. Es gelingt mir ähnlich schlecht.
Am ehesten hatte ich zu Beginn durch Camus´Brille gesehen, so wie in dem Zitat:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 7. Mär 2021, 17:32
Walter Ziegler über Albert Camus hat geschrieben : Das Gefühl des Absurden kann sogar morgens am Frühstückstisch aufkommen, wenn uns ein vertrauter Mensch auf einmal völlig fremd erscheint. Camus beschreibt hier die surreale Empfindung eines Mannes, der beim Frühstück seine langjährige Partnerin betrachtet. Irgendwie gelingt es ihm einfach nicht mehr, sie in der gewohnten Art wahrzunehmen.

... für einen Augenblick bricht die gewohnte Welt zusammen. Man wollte wie jeden Morgen gemütlich frühstücken, doch anstelle der vertrauten Harmonie ist man – und sei es auch nur für einen kurzen Moment – auf die Fremdheit und Absurdität des Lebens gestoßen, in der alles aus den Fugen gerät. Das Absurde kann uns für einen kurzen Moment, aber auch über einen längeren Zeitraum erfassen und sogar zur inneren Gewissheit werden.
es ist eine Form von Entfremdung, die aber nicht auf natürliche Weise entstanden ist. So, wie man es kennt, dass sich Personen auseinanderleben oder durch wenig Interaktion eine Entfremdung stattfindet. Es ist auch nicht der Effekt, der gegenüber etwas Unbekanntem auftritt. Es ist vielmehr ein Effekt, der urplötzlich ohne Vorwarnung auftritt, was in jedem Augenblick vorkommen kann. Es muss sich auch nicht zwingend auf den Partner beziehen sondern kann überall geschehen. Ich gehe zur Arbeit und fahre den üblichen Weg und mich erschleicht das Gefühl, dass ich nicht ich bin und alles um mich herum erscheint fremd und ist in diesem Augenblick angsteinflössend, da nichts Vertrautes mehr da ist, obwohl alles vertraut sein sollte. Ich treffe Kollegen, die ich gut kenne, die ich aber plötzlich nicht kenne....Es hat einen Effekt, wie im Traum, man träumt von bekannten Sachen, die aber trotzdem fremd erscheinen. Hier wäre ich wieder beim Eingangspost, dass das Fremde als etwas aufgefasst wird, was man bekämpft. Also da das plötzliche Auftauchen dieses Vertrautseins-Gefühls sich so anfühlt, dass zeitgleich die Angst in einem aufsteigt, könnte es schon darauf hindeuten, dass das Fremde schon nicht so angenehm ist....
Hier mal ein Bild von Dali, das einen ähnlichen Effekt erzeugt, vertraute Elemente erscheinen plötzlich in einem unvertrauten Kontext, es ist fremd, trotz dessen man die einzelnen Elemente kennt.
Bild



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TsukiHana
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So 7. Mär 2021, 19:49

Interessant, welche Aspekte hier inzwischen zusammengetragen wurden.
Wie man dem Fremden begegnet, hängt wohl immer von verschiedenen Faktoren ab. Bei "Konditioniereng" bin ich mir nicht ganz sicher, denn das wäre ja eher ein Resultat "schwarzer Pädagogik", die ich für überwunden halte.
Jedoch spielen Erziehung und Sozialisation eine wichtige Rolle, die sich auch beeinflussen lässt, was den späteren Umgang mit dem Fremden nachhaltig prägen kann.
Dem Fremden steht ja immer das Eigene gegenüber.
Das Eigene kenne ich, es ist mir vertraut. Wie gehe ich mit dem unbekannten Fremden um?
Lehne ich es grundsätzlich ab, weil es mich vielleicht beängstigt?
Oder bin ich neugierig auf das Neue im Fremden?

Ich gestehe, meine Neugierde war immer größer, als meine Furcht! :D



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(Ф.М. Достоевский)

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Alethos
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So 7. Mär 2021, 20:39

transfinitum hat geschrieben :
So 7. Mär 2021, 19:11
Ich bin auch dabei, zu versuchen, das Fremde zu definieren. Es gelingt mir ähnlich schlecht.
Da seid ihr nicht allein, auch ich habe meine liebe Mühe, das Fremde zu definieren. Vielleicht liegt genau darin die Schwierigkeit, dass wir es begreifen wollen. Vielleicht können wir 'das Fremde' nicht begreifen, weil es seinem Wesen nach unbegreiflich ist.

Das Fremde wirkt, indem es die vertraute Selbstverständlichkeit "stört", indem es sich nicht einfügt in unsere gängigen Bilder. Es spricht unsere Sinne auf Aussergewöhnlichkeit an. Das Fremde hat "Störungs- und Irritationspotenzial", weshalb der Surrealismus wunderbar funktioniert, wie das Bild von Dalí, das du gepostet hast, zeigt: Es ist ein Blick in eine eine verfremdete Welt, weil in ihr das Unwirkliche, das Erträumte, das in keiner Weise üblich Reale Ausdruck findet. Überhaupt scheint das gut mit dem übereinzustimmen, was Jörn schrieb, dass "das Fremde in Form der Verfremdung auch als Methode des Erkenntnisgewinns dienen" kann, weil das Fremde sozusagen dafür sorgt, dass "das Andere" immer einen Platz hat und uns somit andere Perspektiven eröffnet.



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Jörn Budesheim
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So 7. Mär 2021, 20:48

Eine "Definition" muss nicht immer am Anfang einer Untersuchung stehen, sie kann auch das Ziel sein!




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