Emergenz

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Burkart
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Mo 19. Sep 2022, 13:31

sybok hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 10:20
Burkart hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 08:40
Daher ist die Philosophie keine Wissenschaft auch wenn heutige wissenschaftliche Arbeit eben verlangt sich an Standards zu halten, die vereinbart wurden (und an die sich auch Philosophen halten, zitieren, etc). Die Finalität worauf Philosophie aber abzielt ist nicht Wissen zu schaffen, sondern Wissen selbst wieder zu hinterfragen."
Das würde ich als viel zu eng empfinden. Philosophie ist doch sozusagen unser Metasystem. Philosophie schafft mMn schon auch Wissen, und hinterfragt, konsolidiert und verwaltet Wissen. Darum ist sie doch ja auch fähig, die wissenschaftlichen Standards und Methodiken überhaupt erst zu setzen, woher sollen die sonst auch kommen? Diese typischen Ansprüche die wir stellen, Falsifizierbarkeit oder Replizierbarkeit, das sind ja Forderungen die aus der Philosophie heraus an die Wissenschaften herangetragen wurden.
Ist damit Philosophie nicht vor allem eine Metawissenschaft?
Klar, man kann sie damit auch als Element aller Wissenschaften integriert sehen (vielleicht wie Mengen von Mengen auch Mengen sind).

Es scheint mir, dass es mit Abstand keine andere Wissenschaft gibt, in der soviel gestritten werden kann, u.a. weil die Philosophen sich nicht hinreichend auf eine gemeinsame Basis einigen können (wie z.B. dass unsere Philosophie vom Menschen als Philosophierenden ausgeht). Natürlich ist Streit auch hilfreich, aber z.T. auch nervig und Zeitverschwendung.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Jörn Budesheim
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Mo 19. Sep 2022, 13:48

"Die Philosophie ist das Mikroskop des Gedankens." (Victor Hugo) Das ist sicher nicht alles, was die Philosophie ist, aber es ist ein Aspekt, den sie mit keiner anderen Wissenschaft teilt.




Nauplios
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Mo 19. Sep 2022, 14:39

Ähnlich wie Burkart kann es auch bei mir sein, daß es in den nächsten Tagen zu zeitlichen Einschränkungen kommt; im Moment zur Diskussion um Wissenschaft/Philosophie nur kurz:

Es hat in der Philosophie selbst die Versuche gegeben, ihr den "sicheren Gang einer Wissenschaft" (Kant) zu weisen. Entsprechende Programmschriften hat es gegeben (Husserl, Neukantianismus, Carnap und der Wiener Kreis ... ) und man hat versucht, "Scheinprobleme" zu entlarven und die Philosophie in die Richtung einer strengen oder exakten Wissenschaft, frei von "Metaphysik", umzubauen. Bauvorhaben in diese Richtung gab es einige, oft verbunden mit Neuanfängen und Einplanierungen dessen, was als "Metaphysik" für erledigt gehalten wurde.

Vielfach sind von diesen Projekten nur Rohbauten übrig geblieben, manchmal Ruinen; die Architekten sind verstorben, Fachkräftemangel und unzureichende Bausubstanz haben eine Vollendung der Vorhaben verhindert. Zeit und Witterung sind darüber hinweggegangen und immer noch gibt es keine einheitliche Methode in der Philosophie, die den "sicheren Gang einer Wissenschaft", nach Maßgabe der Naturwissenschaften, befördern würde. So ist die Philosophie bis auf weiteres ist nichts Halbes und nichts Ganzes.

Man kann sie allerdings im Fächerverbund der Geisteswissenschaften verorten und dann könnte man sagen: als akademische Disziplin, die an Universitäten und Akademien gelehrt wird samt Leistungsnachweisen ist sie eine Wissenschaft. Das will ich gerne zugestehen. Darüber dürfte weitgehend Konsens bestehen. Als akademisches Fach sind entsprechende Konventionen wie das richtige Zitieren, das zum "wissenschaftlichen Arbeiten" gehört selbstverständlich.

Worum es mir hier in diesem Zusammenhang allerdings ging ist nicht die Seriosität des Fachs zu bezweifeln, auch nicht die "Strenge" des philosophischen Denkens, sondern die Erwartungen, die an die Leistungsfähigkeit dieses Denkens herangetragen werden (genau definierte Begriffe, Philosophie aus "axiologischen" Grundsätzen u.ä.). - Deshalb schlage ich den Weg über das "Handwerk" der Philosophie vor: zuschauen: wie machen die das, die Philosophen?




Nauplios
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Mo 19. Sep 2022, 17:24

Nauplios hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 14:39

... Erwartungen, die an die Leistungsfähigkeit dieses Denkens herangetragen werden (genau definierte Begriffe, Philosophie aus "axiologischen" Grundsätzen u.ä. ...
Dazu zählen auch Falsifikation, Formalisierungen, Formel ... Mathematik ... Einstein hattest Du im Nachbarthread erwähnt, AufDerSonne ... da schwingt womöglich die Hoffnung mit, die Philosophie möge sich doch die Relativitätstheorie Einsteins zum Vorbild nehmen ... Ich denke, daß all das das "Handwerk" der Philosophie nicht betrifft.




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AufDerSonne
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Mo 19. Sep 2022, 18:19

Nauplios hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 17:24
Nauplios hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 14:39

... Erwartungen, die an die Leistungsfähigkeit dieses Denkens herangetragen werden (genau definierte Begriffe, Philosophie aus "axiologischen" Grundsätzen u.ä. ...
Dazu zählen auch Falsifikation, Formalisierungen, Formel ... Mathematik ... Einstein hattest Du im Nachbarthread erwähnt, AufDerSonne ... da schwingt womöglich die Hoffnung mit, die Philosophie möge sich doch die Relativitätstheorie Einsteins zum Vorbild nehmen ... Ich denke, daß all das das "Handwerk" der Philosophie nicht betrifft.
Nein, diese Hoffnung schwingt nicht mit. Aus einem einfachen Grund. Die Physik braucht Formeln, damit sie funktioniert. Diese sind für die Philosophie unbedeutend. Aber ich wage zu sagen: Ohne Formeln keine Physik und auch keine Mathematik. Ich sage ja, die großen drei, Philosophie, Physik und Mathematik bestehen getrennt voneinander. Wobei die Physik natürlich die Mathematik braucht, das schon.



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Körper
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Mo 19. Sep 2022, 19:02

Was genau hat euch dazu gebracht, von Emergenz, die hier im Thread über Videos von überdurchschnittlich aktiven Gott-Gläubigen vorgestellt wird, zu einer Diskussion "was kann Philosophie" zu wechseln?

Wenn Philosophie so dolle hinterfragen können soll, dann hinterfragt halt mal Emergenz.

Ich bringe jetzt einfach mal einen dritten Philosophen herein, der auch ein heftiger Religionssportler ist (Godehard Brüntrup - Jesuit und katholisches Theologiestudium):
Er erhebt in Bezug auf Bewusstsein auch eine Emergenzbehauptung, kombiniert diese aber mit dem Anspruch "Geist ist überall":
Zitat (siehe Video unten):
"... weil niemals Geistiges aus rein Ungeistigem hervorgeht, sondern der Geist alle Ebenen der Wirklichkeit durchdringt"

Man benötigt keine drei Finger, um einzuschätzen, worauf das in Bezug auf Religion hinauslaufen soll.

Hier ein Video von ihm:



Hier wird wieder Religion bedient und das mit der Aufschrift "Hochschule für Philosophie München".

In diesem Video geht es nicht so sehr um Hinterfragen, sondern der Höhepunkt ist ganz am Ende und dieser zeigt in Richtung Religion.




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AufDerSonne
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Mo 19. Sep 2022, 19:29

Körper hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 19:02

"... weil niemals Geistiges aus rein Ungeistigem hervorgeht, sondern der Geist alle Ebenen der Wirklichkeit durchdringt"
Nun, dass niemals Geistiges aus Ungeistigem hervorgeht, ist einfach einmal eine Behauptung. Behaupten kann man alles.
Dann, vergisst der gute Mann komplett, dass sich unser Gehirn langsam entwickelt hat im Verlauf der Evolution.
Deshalb gibt es wohl die heutige Mathematik, zum Beispiel, nicht schon seit 10'000 Jahren. Und auch alles andere.
Da ist rein gar nichts plötzlich geschehen. Die Natur macht keine Sprünge.

Für mich persönlich haben nur Menschen, eventuell noch ein paar Tiere, einen Geist. Jedenfalls braucht es dazu ein Gehirn, das nun einmal beim Menschen relativ groß ist.
Deshalb hat der Mensch relativ viel Geist. Die Größe des Gehirns ist zwar nicht eins zu eins gleich der Größe des Geistes, aber so ein bisschen spielt sie wohl eine Rolle.
Und abgesehen davon, ist mir nach diesem Video immer noch nicht klar, was Emergenz sein soll.



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Nauplios
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Mo 19. Sep 2022, 19:43

Körper hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 19:02

Was genau hat euch dazu gebracht, von Emergenz, die hier im Thread über Videos von überdurchschnittlich aktiven Gott-Gläubigen vorgestellt wird, zu einer Diskussion "was kann Philosophie" zu wechseln?
Ich habe uns dazu gebracht. Aber Du hast recht, Körper, ich hatte es gestern schon erwähnt: wir sind vom Wege (der Emergenz) abgekommen.

Ich werde einen Thread eröffnen, in dem wir die Fragestellungen, die wir hier angerissen haben, vielleicht noch ein wenig vertiefen können. Vielleicht kann ja die Moderation dann die entsprechenden Beiträge von hier dorthin verschieben.

Und vielleicht können wir bei der Gelegenheit auch mal erörtern, welchen Hintergrund dieser verächtliche Sound hat, Körper, der in manchen Deiner Beiträge der Philosophie (in ihrer tradierten Form), aber auch der Theologie gegenüber zu hören ist. ;)




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AufDerSonne
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Mo 19. Sep 2022, 20:03

Nauplios hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 19:43

Und vielleicht können wir bei der Gelegenheit auch mal erörtern, welchen Hintergrund dieser verächtliche Sound hat, Körper, der in manchen Deiner Beiträge der Philosophie (in ihrer tradierten Form), aber auch der Theologie gegenüber zu hören ist. ;)
@Körper. Ein guter Tipp. Lass dich nicht auf ein Gespräch über Theologie mit einem Theologen ein. Da ziehst du den Kürzeren.
Der liebe Gott steckt immer gerade dort, wo man ihn nicht vermutet. Die Moral ist eine rein menschliche Angelegenheit, würde ich sagen.
Ich begnüge mich damit, dass die Theologie Bibelwissenschaft ist. Was Religion bedeutet, weiß ich nicht genau. Meistens will sie irgendetwas erklären, das man sich nicht erklären kann.



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Körper
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Mo 19. Sep 2022, 22:52

AufDerSonne hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 19:29
Und abgesehen davon, ist mir nach diesem Video immer noch nicht klar, was Emergenz sein soll.
Im Grunde ist es ganz einfach.
Dir ist sicherlich bekannt, dass man beim Analysieren von materiellen Objekten (z.B. Tisch) immer weiter ins Detail geht und bei jedem Schritt wird "das Vorhandene" (so wie wir es uns halt vorstellen) durch noch kleinere Anteile ersetzt (-> Atome, Elektron/AtomKern, Proton/Neutron usw. usf.).
Das geht so weit, bis gar kein neues Teil mehr als Erklärung angenommen werden kann (-> Quantenexperimente). In einem anderen Thread hat ein Physiker nur noch von Feldern gesprochen.

Emergenz soll nun philosophisch die andere Richtung betreffen.
Anstatt also, dass man beim Ergebnis aus dem Absteigen bleibt und Existenz als etwas ansieht, das man letztlich nicht erreicht, sondern es nur mit den Wechselwirkungen von Existenz zu tun hat, schlägt man philosophisch einen aufsteigenden Behauptungsweg ein.
Ziel dieser Strategie ist es, in den einzelnen Auflösungen, die wir uns beim Absteigen zusammengereimt haben, wieder Existenzen ins Spiel zu bringen.

Deshalb geht es bei Emergenz darum, dass sich aus Einzelteilen, Systeme mit neuen Eigenschaften bilden sollen.
Da liegt das Augenmerk scheinbar auf "neue Eigenschaften" und man ist leicht verleitet zu sagen "ja, stimmt es ergibt sich ja ein neues Verhalten, eine neue Wechselwirkung".
Tatsächlich aber liegt der Trick in der Aufteilung "Einzelteile" und "System", denn hierin liegt die eigentliche Objektbildung, was ganz schnell zu Existenz-Behauptungen verwendet wird.

Das, was dann beim Aufsteigen bis zum Tisch eher harmlos daherkommt (harmlos, weil man es ja vom Absteigen her bereits kennt), kippt dann ganz schnell in Richtung "alles Mögliche existiert".
Plötzlich tauchen dann "Argumentationen" auf à la "wenn eine höhere Ebene/System auf eine untere Ebene/Einzelteile rückwirkt - "top/down" - dann ist die System-Ebene existent".
Alles, was bei drei nicht auf den Bäumen ist, ist dann halt eine Ebene - lalala.

Emergenz ist das uralte philosophische Ontologie-Spiel.

Unsere drei religiösen Spezialisten aus den Videos treiben es so weit, dass aus ihren Suggestionen zielsicher "Gott entsteigen kann" (na, das erstaunt uns jetzt aber).

Von einer Hinterfragung (lassen wir Philosophie als Begriff mal heraus) erwarte ich, dass man den Vorgang des Aufsteigens grundsätzlich kritisch bewertet.

Die Einteilung in "Einzelteile/System" und das Filtern von "neuen Eigenschaften" wird immer nur von einem Beobachter durchgeführt.
Das Aufsteigen liegt aber dann lediglich im Bereich "Wahrnehmung" und nicht im Bereich "Existenz".
Den Begriff "Existenz" muss man nach wie vor ganz unten lassen, in der Unerreichbarkeit.

Das hat man in der Philosophie wiederum nicht so gerne, denn wie soll man da zum "Mentalen" kommen, das man bei "Geisteswissenschaft" schon irgendwie als Existenz beanspruchen möchte.
Dieses Ziel hat sehr grosse Verwandtschaft zum dem, was die Religiösen anstreben.




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AufDerSonne
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Mo 19. Sep 2022, 23:08

Körper hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 22:52
AufDerSonne hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 19:29
Und abgesehen davon, ist mir nach diesem Video immer noch nicht klar, was Emergenz sein soll.
Im Grunde ist es ganz einfach.
Dir ist sicherlich bekannt, dass man beim Analysieren von materiellen Objekten (z.B. Tisch) immer weiter ins Detail geht und bei jedem Schritt wird "das Vorhandene" (so wie wir es uns halt vorstellen) durch noch kleinere Anteile ersetzt (-> Atome, Elektron/AtomKern, Proton/Neutron usw. usf.).
Das geht so weit, bis gar kein neues Teil mehr als Erklärung angenommen werden kann (-> Quantenexperimente). In einem anderen Thread hat ein Physiker nur noch von Feldern gesprochen.

Emergenz soll nun philosophisch die andere Richtung betreffen.
Anstatt also, dass man beim Ergebnis aus dem Absteigen bleibt und Existenz als etwas ansieht, das man letztlich nicht erreicht, sondern es nur mit den Wechselwirkungen von Existenz zu tun hat, schlägt man philosophisch einen aufsteigenden Behauptungsweg ein.
Ziel dieser Strategie ist es, in den einzelnen Auflösungen, die wir uns beim Absteigen zusammengereimt haben, wieder Existenzen ins Spiel zu bringen.
Vielen Dank für die recht anschauliche Erklärung. Es ist mir jetzt klarer, was Emergenz bedeutet, aber noch nicht ganz.
Dieses Ab- und Aufsteigen. Wer sagt denn, was oben und was unten ist? Also im Bereich der Materie scheinen unten die ganz kleinen Teilchen zu sein und oben die makroskopischen Objekte, die wir sehen können, bzw. berühren.
Ich könnte mir vorstellen, dass beim Absteigen genau das Gleiche passiert wie beim Aufsteigen, wenn man denn alle "Variablen" im Griff hätte.
Nehmen wir Wasser. Da kommt man zum H2O-Molekül, dann weiter zum Wasserstoff und zum Sauerstoff. Umgekehrt, fügen wir H und O zusammen, kommen wir zum H2O-Molekül und dann wieder zum Wasser.
Was ist jetzt gewonnen?



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Jörn Budesheim
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AufDerSonne hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 23:08
Wer sagt denn, was oben und was unten ist?
Ich habe ja einige Videos in diesem Faden gepostet, wenn mich nicht alles täuscht, dann sind sie alle voller Beispiele.




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Jörn Budesheim
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Di 20. Sep 2022, 07:46





Burkart
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AufDerSonne hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 23:08
Wer sagt denn, was oben und was unten ist? Also im Bereich der Materie scheinen unten die ganz kleinen Teilchen zu sein und oben die makroskopischen Objekte, die wir sehen können, bzw. berühren.
Genau, du hast unten und oben/höherer ja schon wie üblich interpretiert.
"Unten" ist halt üblicherweise die Basis aus sehr vielen Elementen bestehend (viele kleine Teilchen), die nach oben hin zu weniger Objekten werden, vielleicht ähnlich wie ein Berg unten breiter ist (aus mehr Gestein besteht) als oben.
Würde man das umdrehen (oben und unten), hätte man leicht etwas, was auf der Spitze steht; sowas fällt gedanklich zu leicht um ;)



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Körper
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Di 20. Sep 2022, 10:59

AufDerSonne hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 23:08
Dieses Ab- und Aufsteigen. Wer sagt denn, was oben und was unten ist?
Das ist durch unser Nervensystem festgelegt.
Wir haben über dieses System einen "Zugang zur Welt" (Körper + Umwelt), der ganz bestimmte Details umfasst.
Wichtig: Das sind nicht alle Details, sondern "Grobdetails", die uns sozusagen körperlich auffallen müssen.
Aus diesen Grobdetails erschliessen wir uns (an Hand des Nervensystems) die plausibelste Reaktion auf diese Details - Beispiel: "vor mir steht ein Tisch"
In diesen Grobdetails ist es sinnvoll, Objekte und Handlungen zu unterscheiden.

Wenn wir uns nun fragen, woraus so ein Objekt besteht, dann verwenden wir Glas-Mikroskope, Elektronen-Mikroskope, Atomabtaster und immer feinere Experimente.
D.h. wir wechseln von unserer Perspektive her vom "Groben ins Feine", vom "Grossen ins Kleine" -> "Absteigen".

Von der physikalischen Analyse her, ist es nur ein Absteigen im untersuchten Raumumfang, nicht in den Existenzbehauptungen.
In der Physik ist klar, dass die einzelne Stufe, die wir bisher erschlossen haben, nicht die eigentliche Existenz ist, sondern wieder nur ein für uns erreichbarer Detaillierungsgrad.
AufDerSonne hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 23:08
Ich könnte mir vorstellen, dass beim Absteigen genau das Gleiche passiert wie beim Aufsteigen, wenn man denn alle "Variablen" im Griff hätte.
Nehmen wir Wasser. Da kommt man zum H2O-Molekül, dann weiter zum Wasserstoff und zum Sauerstoff. Umgekehrt, fügen wir H und O zusammen, kommen wir zum H2O-Molekül und dann wieder zum Wasser.
Richtig, von den physikalischen Erkenntnissen und vom Nutzen dieser Erkenntnisse her, ist es völlig egal, welche Richtung man einschlägt, es funktioniert.
In der Physik geht es auch nicht um Existenzbehauptungen, sondern nur um das Jonglieren mit den herausgefundenen Details.
AufDerSonne hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 23:08
Was ist jetzt gewonnen?
Einen Vorteil wollen sich die Phliosophie-Emergenz-Anhänger dadurch verschaffen, dass sie Existenzen ins Spiel bringen.
Aus dem physikalischen "wir stellen in dieser und jener Analyse-Detaillierung diese und jene Zusammenhänge fest" machen solche Philosophen "Existenzen bilden sich".

Das philosophische Ziel ist hierbei natürlich nicht H2O und Wasser, sondern "das Mentale" und je nach Religionsbegeisterung dann auch noch "Engel, Dämonen, Gott" und was auch immer dort in der Wunschvorstellung gerade angesagt ist.




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Jörn Budesheim
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Sa 24. Sep 2022, 15:39

Wolfram Hogrebe hat geschrieben : Welche Eigenschaften wir einem Ding zuschreiben können, hängt auch von Nähe und Distanz ab. Bild und Ausführung von Hobbes [Text zu Nähe und Distanz] stammen natürlich, wie in der Geschichte der Philosophie meistens, nicht erst von ihm. Gewicht hat dieses Bild aber vor allem auch deshalb, weil es gerade negativ die Beschränkung unserer Erkenntnismöglichkeiten durch das Verfehlen der rechten Distanz verdeutlicht. Wer zu nahe herangeht oder zu weit entfernt bleibt, verliert unweigerlich Phänomenbestände, die für bestimmte Fragestellungen von Bedeutung sind. Wer nur körperliche Eigenschaften analysieren will, kann weit von dem Ding entfernt bleiben. Wer mehr von ihm wissen will, also nicht nur über körperliche Eigenschaften informiert sein möchte, sondern auch über mentale oder geistige, benötigt zweifellos eine größere Nähe. Solche Eigenschaften gehen aber im Abgang wieder verloren, wenn wir uns vom Menschen also entfernen, wie es heute reduktionistische Programme verlangen. Reduktionistische Programme sind daher am Kriterium der sachgerechten Distanz bemessen methodisch inkonsistent: Unter der Hand gehen sie von einem Vollbild des Menschen aus, wie sie es aus vorwissenschaftlichen Erfahrungen mitbringen, über der Hand soll dies aber nur über körperliche Segmente thematisiert werden.
Auch wenn das wahrscheinlich weder von Thomas Hobbs noch von Wolfram Hogrebe so gemeint ist, passt das meines Erachtens wunderbar hierher. Es kann schließlich gut sein, dass unsere Fähigkeit sich den Dingen zu nähern bzw auf Distanz zu gehen hervorragend mit der Ontologie zusammenspielt, die wir unter dem Begriff Emergenz fassen können.

Wer zu dicht an ein Bild tritt, bekommt es nicht mehr zu sehen, stattdessen könnte er sich über die Materialität der Farben vergewissern. Kaum besser geht es jemandem, der sich zu weit davon entfernt. Der rechte Abstand ist in diesem Fall Teil der Ontologie des Bildes.

Wer dicht an einen Baum geht, bekommt andere Aspekte des Baumes zu sehen, als jemand, der sich weit entfernt und den Wald vor lauter Bäumen sieht.

Wer sich mit einem Teilchen-Beschleuniger den ganz kleinen Skalen-Bereichen zuwendet, bekommt eine andere Ordnung in den Blick als jemand, der mit einem Teleskop in die Milchstraße schaut.

Das heißt unsere Fähigkeit, unsere Registraturen auf Nah- oder Fernsicht zu stellen, kann im Erfolgsfall ein ontologischer Bereich der Wirklichkeit an sich selbst entsprechen.




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NaWennDuMeinst
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Mo 26. Sep 2022, 16:17

Burkart hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 13:31
sybok hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 10:20
Burkart hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 08:40
Daher ist die Philosophie keine Wissenschaft auch wenn heutige wissenschaftliche Arbeit eben verlangt sich an Standards zu halten, die vereinbart wurden (und an die sich auch Philosophen halten, zitieren, etc). Die Finalität worauf Philosophie aber abzielt ist nicht Wissen zu schaffen, sondern Wissen selbst wieder zu hinterfragen."
Das würde ich als viel zu eng empfinden. Philosophie ist doch sozusagen unser Metasystem. Philosophie schafft mMn schon auch Wissen, und hinterfragt, konsolidiert und verwaltet Wissen. Darum ist sie doch ja auch fähig, die wissenschaftlichen Standards und Methodiken überhaupt erst zu setzen, woher sollen die sonst auch kommen? Diese typischen Ansprüche die wir stellen, Falsifizierbarkeit oder Replizierbarkeit, das sind ja Forderungen die aus der Philosophie heraus an die Wissenschaften herangetragen wurden.
Ist damit Philosophie nicht vor allem eine Metawissenschaft?
Klar, man kann sie damit auch als Element aller Wissenschaften integriert sehen (vielleicht wie Mengen von Mengen auch Mengen sind).

Es scheint mir, dass es mit Abstand keine andere Wissenschaft gibt, in der soviel gestritten werden kann, u.a. weil die Philosophen sich nicht hinreichend auf eine gemeinsame Basis einigen können (wie z.B. dass unsere Philosophie vom Menschen als Philosophierenden ausgeht). Natürlich ist Streit auch hilfreich, aber z.T. auch nervig und Zeitverschwendung.
Das ist kein ungewollter Nebeneffekt. Das ist Absicht.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

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