Reaktanz

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Jörn Budesheim
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Mi 15. Jun 2022, 15:05

Nauplios hat geschrieben :
Mi 15. Jun 2022, 13:22
In einer Demokratie müssen nicht alle an einem Strang ziehen, wie es Timberlake fordert.
Ich sehe nicht das Timberlake das so gefordert hat. Ich bin auch dafür, dass wir an einem Strang ziehen. Dabei geht es jedoch um ein bestimmtes Thema und nicht die Demokratie im Allgemeinen, was du einfach weglässt: die globale Klimakrise. Das fehlt bei dir, weil du natürlich weißt, dass deinen Punkt bei einem direkten Bezug auf das Thema so gar nicht machen könntest. Ich sage, dass wir in Bezug auf die Klimakreise einen Ruck brauchen, der durch die gesamte Gesellschaft gehen muss. Hier wäre eine sehr breite Zustimmung wünschenswert, die Metapher dafür ist: "an einem Strang ziehen". Damit ist nicht das gesagt, was du daraus zu machen versuchst, indem du den Bezug unterschlägst.




Nauplios
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Ich wünsche mir eine Politik mit einer Vielzahl von Strängen. So wie wir sie jetzt haben. Und dann entscheide ich selbst, ob ich an einem Strang ziehe und an welcher Seite.




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Jörn Budesheim
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Mi 15. Jun 2022, 16:26

Ich auch. Aber das hindert mich nicht daran, bei dem Thema der Klimakatastrophe (dem Erhalt dieses Planeten) zu wünschen, dass viele an einem Strang ziehen. Das heißt nicht in eins, dass ich mir das für alle Themen wünsche.




Nauplios
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Mi 15. Jun 2022, 16:27

Die Grünen haben mit dem Verzicht auf den Status einer Volkserziehungspartei eine realistische Politik betrieben, die sie für viele Wähler attraktiv gemacht hat. Sie haben mit Baerbock, Habeck und Özdemir Leute mit Kompetenz und hohen Zustimmungswerten in ihren Reihen, die sich mit Ricarda Lang und Omid Nouripour fortsetzt. Ihr Erfolg gründet sich auf Kompetenz, auf Realismus, auf eine rhetorisch gute Vermittlung politischer Inhalte und auf Überzeugungskraft. Was Scholz "Zeitenwende" nennt, setzten Baerbock und Habeck in politische Tat um. - Der Absturz der Linken in die politische Bedeutungslosigkeit zeigt, wie man es nicht macht.




Timberlake
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Mi 15. Jun 2022, 17:56

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 15. Jun 2022, 15:05
Nauplios hat geschrieben :
Mi 15. Jun 2022, 13:22
In einer Demokratie müssen nicht alle an einem Strang ziehen, wie es Timberlake fordert.
Ich sehe nicht das Timberlake das so gefordert hat. Ich bin auch dafür, dass wir an einem Strang ziehen. Dabei geht es jedoch um ein bestimmtes Thema und nicht die Demokratie im Allgemeinen, was du einfach weglässt: die globale Klimakrise.
Demokratie funktioniert nur dann. .. so zumindest meine Meinung . .. , wenn eingeengte Freiheitspielräume als solches , wie auch immer , ob nun rational über den Verstand , Gefühlt oder auch nur eingebildet , auch unmittelbar wahrgenommen werden .


  • Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben), auflösbar und lautet so: »Eine Menge von vernünftigen Wesen, die insgesamt allgemeine Gesetze für ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber in Geheim sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, daß, obgleich sie in ihren Privatgesinnungen einander entgegen streben, diese einander doch so aufhalten, daß in ihrem öffentlichen Verhalten der Erfolg eben derselbe ist, als ob sie keine solche böse Gesinnungen hätten«.
    Kant ..Zum ewigen Frieden
.. so das selbst ein Volk von Teufel ( selbst wenn sie keinen Verstand haben) diesbezüglich gemeinsam an einem Strang ziehen (muss). Erst dann , so hart wie es auch klingen mag, ist in einer Demoktratie dieses Problem für den Staat auflösbar.


Die Klimakrise muss diesem Volk von Teufeln dermaßen unter den Nägel brennen , dass es darüber zu einem Volk von Engeln wird.

Es reicht eben nicht , wie von Kant angedacht, dass ein Staat seine allgemeinen Gesetze so ordnet und so verfasst, dass allein darüber der Eindruck entsteht , als hätte ein Volk keine böse Gesinnung. Als würde man eben nicht , im Gegensatz dazu , insgeheim geneigt sein , sich von diesen allgemeine Gesetze aus zu nehmen. Insbesondere wenn der Staat die Gesetzte so eingerichtet hat , dass dadurch .. um auf das Thema dieses Threasd zurück zu kommen .. Freiheitspielräume eingeschränkt werden. Beispielsweise Freiheitspielräume in der Mobilität.



Das beste Beispiel dafür ist bzw. war die DDR . Dort wurden eingeengte Freiheitspielräume als solches auch Wahrgenommen ..

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 15. Jun 2022, 11:16

Außerdem könnte man sich fragen, wie eine demokratische Regierung an die Macht kommen soll, wenn die Gesetze, die die Regierung verabschiedet, von den Menschen gar nicht getragen werden? Wie sagte ein früherer Bundespräsident mal: "Es muss ein Ruck durchs Land gehen." Wir brauchen nicht mehr und nicht weniger als einen radikalen Kulturwechsel.



..und zwar so wahrgenommen , dass tatsächlich 1989 ein solcher Ruck durchs Land ging und genau so ein Ruck bzw. Kulturwechsel brauchen wir im Hinblick auf die epochaltypischen Schlüsselprobleme, im Allgemeinen und der Klimakrise , im Besonderen. Wir brauchen , damit ein solcher Kulturwechsel stattfinden kann , einen dementsptechend großen Leidensdruck und davon kann ja wohl im Hinblick auf diese Schlüsselprobleme, zumindest hier in Deutschland keine Rede sein. Ganz im Gegentei , so wie wir von diesen Problemen sogar noch profitieren. ..
  • Deutsche verbrauchen fast drei Erden

    Würde zum Beispiel jeder Mensch so viele Ressourcen wie die Einwohner von Kanada, Luxemburg und den USA verbrauchen, wären mindestens fünf Erden erforderlich, teilte UNICEF mit. Auch in Deutschland sei der Ressourcenverbrauch zu hoch: Für die Lebensweise der Deutschen würden im Weltmaßstab 2,9 Erden benötigt.

Worauf würden denn der Verbrauch von nur einer Erde bzw. ein Erdüberlastungstag am 31.12 in Deutschland hinauslaufen, wenn nicht auf eingeengte Freiheitsspielräume und damit auf ein reaktantes Verhalten?
Wann hätte man denn jemals darüber im deutschen Bundestag debattiert, dass man denn daraus einen dementsprechenden Leidensdruck beim deutschen Volk ableiten könnte?




Nauplios
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"Als Poesie gut."
(Friedrich Wilhelm III)




Nauplios
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Ein "Volk von Engeln" ... "böse Gesinnung" ... "Leidensdruck beim deutschen Volk" ...

Ich ahne, worauf das Ganze hinausläuft. ;)




Nauplios
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 15. Jun 2022, 16:26
Ich auch. Aber das hindert mich nicht daran, bei dem Thema der Klimakatastrophe (dem Erhalt dieses Planeten) zu wünschen, dass viele an einem Strang ziehen. Das heißt nicht in eins, dass ich mir das für alle Themen wünsche.
Und wenn man jetzt nicht zum "Erhalt des Planeten" mit am Strang zieht, sondern weil man es für richtig hält, eine Klimakatastrophe zu verhindern, weil es in unserem Interesse ist, sie zu verhindern, zählt das dann auch? - Vielleicht hat man ja dann zwar eine richtige Einsicht, aber eine "böse Gesinnung" (Timberlake)?




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Jörn Budesheim
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Mi 15. Jun 2022, 19:39

@timberlake Nehmen wir an, die Menschen führen Auto, um von a nach b zu kommen. Daraus würde nicht folgen, dass jeder, der von a nach b kommen will Auto fährt.




Nauplios
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Timberlake hat geschrieben :
Mi 15. Jun 2022, 17:56

Es reicht eben nicht, wie von Kant angedacht, dass ein Staat seine allgemeinen Gesetze so ordnet und so verfasst, dass allein darüber der Eindruck entsteht, als hätte ein Volk keine böse Gesinnung. Als würde man eben nicht, im Gegensatz dazu, insgeheim geneigt sein, sich von diesen allgemeine Gesetze aus zu nehmen.
Vielleicht reicht es aber zum Verständnis dieser Passage, sie sich einmal langsam und mit Bedacht laut vorzulesen. :lol:




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Stefanie
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Mi 15. Jun 2022, 21:15

Hat auch nicht geholfen.



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Stefanie
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Mi 15. Jun 2022, 21:32

Ich hatte beim posten des Artikels eigentlich was anderes im Sinn gehabt. Reaktanz im Zusammenhang mit Wissenschaft, insbesondere mit den Naturwissenschaften, angefangen von den Reaktionen auf Galileo und Kopernikus, darüber, dass wir in ein letzten zwei Jahren lernen mussten, das Wissenschaften auch nicht immer alles wissen und dass die Gewinnung von neuen Erkenntnisse sehr schnell geht und die Folgen davon, bis hin zu dem in dem Artikel genannten Methode der Falsifikation. Letzteres im Zusammenhang mit Popper ist bei mir noch ein blinder Fleck.

Allerdings hatte ich nicht gedacht, dass das Thema dieses threads dies sein soll:
Insbesondere wenn der Staat die Gesetzte so eingerichtet hat , dass dadurch .. um auf das Thema dieses Threasd zurück zu kommen .. Freiheitspielräume eingeschränkt werden.

Nu gut, ich komme ja auch nicht Shangrila.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Nauplios
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Mi 15. Jun 2022, 21:37

Stefanie hat geschrieben :
Mi 15. Jun 2022, 21:15
Hat auch nicht geholfen.
Das Schlüsselwort ist unauffällig: "insgeheim".




Timberlake
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Do 16. Jun 2022, 01:01

Stefanie hat geschrieben :
Mi 15. Jun 2022, 21:32
Ich hatte beim posten des Artikels eigentlich was anderes im Sinn gehabt. Reaktanz im Zusammenhang mit Wissenschaft, insbesondere mit den Naturwissenschaften, angefangen von den Reaktionen auf Galileo und Kopernikus, darüber, dass wir in ein letzten zwei Jahren lernen mussten, das Wissenschaften auch nicht immer alles wissen und dass die Gewinnung von neuen Erkenntnisse sehr schnell geht und die Folgen davon, bis hin zu dem in dem Artikel genannten Methode der Falsifikation. Letzteres im Zusammenhang mit Popper ist bei mir noch ein blinder Fleck.

Allerdings hatte ich nicht gedacht, dass das Thema dieses threads dies sein soll:
Insbesondere wenn der Staat die Gesetzte so eingerichtet hat , dass dadurch .. um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen .. Freiheitspielräume eingeschränkt werden.
Wie wäre es denn für dich, wenn anstsatt dessen das Thema dieses Threads dies sein soll :
  • Insbesondere wenn die Natur ihre Naturgesetzte so eingerichtet hat , dass dadurch .. um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen .. Freiheitspielräume eingeschränkt werden.
Das durch Naturgesetze , wie übrigens auch durch Naturkonstanten und damit von den Naturwissenschaften Freiheitsspielräume eingeschränkt werden, sollte doch wohl außer Frage stehen. Die unterliegen als solches ganz sicher nicht der Falsifikation, um dir bei dieser Methode bzw. deinem blinden Fleck behilflich zu sein.
  • Reaktanz
    Psychologische Reaktanz ist die Motivation zur Wiederherstellung eingeengter oder eliminierter Freiheitsspielräume.[1] Reaktanz wird in der Regel durch psychischen Druck (z. B. Nötigung, Drohungen, emotionale Argumentation) oder die Einschränkung von Freiheits­spielräumen (z. B. Verbote, Zensur) ausgelöst. Als Reaktanz im eigentlichen Sinne bezeichnet man dabei nicht das ausgelöste Verhalten, sondern die zugrunde liegende Motivation oder Einstellung.
    Reaktanz liegt typischerweise dem „Reiz des Verbotenen“ zu Grunde. Sie ähnelt dem Trotz, der jedoch auch aus anderen Gründen als der Beschneidung von Freiheit auftreten kann.
In Zusammenhang damit .. so wie hier beschrieben .. von Reaktanz zu sprechen , würde ich allerdings , gelinde gesagt, für fragwürdig halten.

Deshalb habe ich übrigens gedacht , dass das Thema dieses threads dies sein soll:
  • Insbesondere wenn der Staat die Gesetzte so eingerichtet hat , dass dadurch .. um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen .. Freiheitspielräume eingeschränkt werden.

.. da macht der „Reiz des Verbotenen“ zumindest einen Sinn.

Ich komme übrigens nicht aus Shangrila , sondern aus Shangrila 2.0 . Ein Shangrila 2.0, in dem die eingeschränkten Freiheitsspielräume , durch die Naturwissenschaften eingepreist sind . Darauf würde ich schon sehr großen Wert legen. Zumal ich mitunter unter schon den Eindruck habe , dass man insbesondere in der Politik und der Klimakrise geneigt ist, dergleichen aus naheliegenden Gründen "insgeheim" aus zu preisen.
Nauplios hat geschrieben :
Mi 15. Jun 2022, 21:37
Stefanie hat geschrieben :
Mi 15. Jun 2022, 21:15
Hat auch nicht geholfen.
Das Schlüsselwort ist unauffällig: "insgeheim".




Nauplios
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Do 16. Jun 2022, 02:32

Stefanie hat geschrieben :
Mi 15. Jun 2022, 21:32

Reaktanz im Zusammenhang mit Wissenschaft, insbesondere mit den Naturwissenschaften, angefangen von den Reaktionen auf Galileo und Kopernikus, darüber, dass wir in ein letzten zwei Jahren lernen mussten, das Wissenschaften auch nicht immer alles wissen und dass die Gewinnung von neuen Erkenntnisse sehr schnell geht und die Folgen davon, bis hin zu dem in dem Artikel genannten Methode der Falsifikation.
Ich sehe (noch) nicht, wie die psychologische Disposition der Reaktanz für das Verständnis der "Reaktionen auf Galilei und Kopernikus" ein Zugewinn sein könnte. Der Gegenstand "Reaktionen-auf-Kopernikus" ist ein ideenphilosophischer, ein historischer. Um ihn in den Blick zu bekommen, ist Quellenstudium erforderlich und sind Studien heranzuziehen, die das historische Material aufbereiten und die Geschichte erzählen.

Die Theory of psychological reactance ist ein Buch von dem Sozialpsychologen Jack W. Brehm, erschienen 1966. In diesem Jahr erschien auch Hans Blumenbergs Die Legitimität der Neuzeit, 1975 dann Die Genesis der kopernikanischen Welt. In diesen beiden Büchern geht Blumenberg ausführlich auf die "Reaktionen auf Galilei und Kopernikus" ein - auf die philosophischen, vor allem theologischen, aber nicht auf die psychologischen - ,entfaltet das historische Material und bietet eine Erzählung und Auslegung an. Vehement widersprochen hat ihm darin Kurt Flasch, insbesondere in der Auslegung von Cusanus.

Worauf soll die Diskussion nun hinauslaufen? - Auf eine ideengeschichtliche Betrachtung der Entdeckungen des Astronomen Kopernikus aus dem 16. Jahrhundert? - Oder auf ein psychologisches Momentum, das zuerst Brehm in seiner Theory of psychological reactance entfaltet hat und das später Eingang in die Arbeits- und Verkaufspsychologie gefunden hat?

Es ist nicht so, daß man beides nicht behandeln könnte. Dann bräuchte es ein Verbindungsstück zwischen der "kopernikanischen Welt", ihrer ideengeschichtlichen Entfaltung zu Beginn der Neuzeit und einem Konzept aus der Psychologie des 21. Jahrhunderts.




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Jörn Budesheim
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Do 16. Jun 2022, 07:13

Timberlake hat geschrieben :
Do 16. Jun 2022, 01:01
Das durch Naturgesetze [...] Freiheitsspielräume eingeschränkt werden, sollte doch wohl außer Frage stehen.
Ich finde nicht, dass das außer Frage steht. Ich würde das jedenfalls nicht unterschreiben, bevor nicht erklärt wurde, was damit überhaupt gemeint ist.




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Jörn Budesheim
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Do 16. Jun 2022, 07:52

Soweit ich sehe, haben wir bisher keine gemeinsame Vorstellung davon, was der Ausdruck "Reaktanz" bedeutet. Aus der Philosophie wissen wir auch, wie schwierig es mitunter ist, Begriffe präzise zu definieren. Vielleicht hilft es, sich mal eine andere Definition anzuschauen:

Der Psychologe Günter W. Maier spricht von Reaktanz als dem "Phänomen des Widerstands gegen wahrgenommenen Beeinflussungsdruck".

In der ausführlichen Definition heißt es an derselben Stelle:

"Phänomen des Widerstands gegen wahrgenommenen Beeinflussungsdruck. Reaktanz tritt auf, wenn ein Individuum sich in seiner Meinungs- und Verhaltensfreiheit bedroht fühlt. Die Reaktanz wird um so intensiver, je größer der wahrgenommene Beeinflussungsdruck ist, je höher die erlebte Bedeutung der Erlebens- und Verhaltensweisen ist, die eingeschränkt werden und je weiter diese Einschränkung reicht.

In der Werbung kann Reaktanz bis zur völligen Ablehnung des angebotenen Produkts führen. Glaubwürdigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung, um Reaktanz in der Werbung zu vermeiden."


Quelle: Wirtschaftslexikon Gabler > https://wirtschaftslexikon.gabler.de/de ... tanz-45104




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Jörn Budesheim
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Do 16. Jun 2022, 08:06

Hier noch eine weitere Seite, die sich dem Begriff widmet. Es werden eine Reihe von Beispielen und verschiedene Versuche, den Begriff zu definieren, aufgeführt, z.b:

„Abwehrreaktion als Widerstand gegen Einschränkungen eigener Freiheitsspielräume, meist hervorgerufen durch Nötigung, Bedrohung oder eine als aggressiv empfundene Gesprächsführung – ähnelt der Trotzreaktion.“

In der Einleitung zu dem Artikel schreibt der Autor:

Reaktanztheorie: Was ist Reaktanz und wie lässt sie sich reduzieren?
  • Wir wehren uns, wenn man uns etwas wegnehmen will, was wir sicher glaubten.
  • Wir spüren innerlichen Widerstand, wenn man uns etwas verbietet, das wir wollen, ggf. vorher schon durften und/oder als selbstverständlich betrachten.
  • Wir wollen gerade die Option, die uns verwehrt wird.
  • Und wir wollen aus Prinzip und Trotz genau das nicht, wozu man uns eben manipulativ zu überreden versucht.


Trotz, mentale Abwehrhaltung, Widerstand gegen Beeinflussungsversuche – In der Psychologie wird ein bestimmter Effekt als REAKTANZ bezeichnet, der die Entscheidungsfindung massiv beeinflusst. Diesen und die Reaktanztheorie nach Jack Brehm wollen wir hier einmal genauer beleuchten ...


Quelle > https://www.soft-skills.com/reaktanz-ve ... eduzieren/




Nauplios
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Do 16. Jun 2022, 09:25

Vor allem haben wir keine Vorstellung davon, ob und wie das psychologisch verfaßte Phänomen der Reaktanz mit einer "Umänderung der Denkart" (Kant sieht in Kopernikus den Urheber dieser Denkart) eine die Geistesgeschichte erhellende Zugewinngemeinschaft bilden kann. Genau dies wird aber angedacht wenn es heißt "angefangen von den Reaktionen auf Galileo und Kopernikus".

Die Reaktionen auf Galilei und Kopernikus liegen vor, aber sie liegen nicht als psychologische Befunde vor, die eine Gruppe von Psychologen an der Epochenschwelle vom Mittelalter zur Neuzeit durch ihre Untersuchungen an Probanden festgestellt hätte und die uns nun in psychologischen Dossiers vorlägen. Solche Akten gibt es nicht. Was uns vorliegt sind beispielsweise die Akten eines Verfahrens der Inquisition gegen Galilei. Im Dekret der Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis (die Betaversion der heutigen Glaubenskongregation) von 1633 wird jede kosmologische Theorie verboten, in der die "Beweglichkeit" der Erde vertreten wird oder auch die "Unbeweglichkeit" der Sonne; das Dekret wurde 1820 aufgehoben. Die Gründe für das Verbot sind theologische. - Es gibt aber unter den Theologen des 16. Jahrhunderts durchaus auch Anhänger des heliozentrischen Weltbildes. Kopernikus selbst war "Doktor iuris canonici", also Kirchenrechtler, später Domherr des Fürstbistums Ermland. Kepler studierte Theologie, weil er protestantischer Geistlicher werden wollte. Galilei wurde maßgeblich gefördert durch den Kardinal Maffeo Barberini (später Papst Urban VIII.).

Also die Vorstellung, es habe dort eine Gruppe von modernen fortschrittlichen Naturwissenschaftlern gegeben, umgeben von dumpfen, "mittelalterlichen" Kirchenvertretern, ausgestattet mit üppiger Reaktanz gegen wissenschaftliche Vernunft, bildet die geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen Umbrüche nicht ab.




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Do 16. Jun 2022, 09:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 16. Jun 2022, 07:52
Soweit ich sehe, haben wir bisher keine gemeinsame Vorstellung davon, was der Ausdruck "Reaktanz" bedeutet. Aus der Philosophie wissen wir auch, wie schwierig es mitunter ist, Begriffe präzise zu definieren. Vielleicht hilft es, sich mal eine andere Definition anzuschauen:

Der Psychologe Günter W. Maier spricht von Reaktanz als dem "Phänomen des Widerstands gegen wahrgenommenen Beeinflussungsdruck".

In der ausführlichen Definition heißt es an derselben Stelle:

"Phänomen des Widerstands gegen wahrgenommenen Beeinflussungsdruck. Reaktanz tritt auf, wenn ein Individuum sich in seiner Meinungs- und Verhaltensfreiheit bedroht fühlt. Die Reaktanz wird um so intensiver, je größer der wahrgenommene Beeinflussungsdruck ist, je höher die erlebte Bedeutung der Erlebens- und Verhaltensweisen ist, die eingeschränkt werden und je weiter diese Einschränkung reicht.

In der Werbung kann Reaktanz bis zur völligen Ablehnung des angebotenen Produkts führen. Glaubwürdigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung, um Reaktanz in der Werbung zu vermeiden."


Quelle: Wirtschaftslexikon Gabler > https://wirtschaftslexikon.gabler.de/de ... tanz-45104
Es reicht doch häufig der auch nur eingebildeter "Beeinflussungsdruck", von der Wirklichkeit nicht gedeckter, um Menschen zum "Widerstand" zu motivieren. Demagogen u./o. Populisten befeuern dies noch, hetzen systematisch auf, damit die so dafür anfälligen, bereitwilligen Leute, entsprechend manipuliert und gesteuert, letztlich deren finsteren Zielen dienen. Für solche Menschen sind deren Auffassungen und Ziele mehr als nur glaubwürdig (Stichwort Glaubwürdigkeit). Sie (besagte Ziele usw.) werden zu einem nicht geringen Teil geradezu zu ihrer Weltanschauung, weswegen sie entsprechend fanatisch (und gerne auch aggressiv und gewaltaffin) diese ihre dies alles stützende "Reaktanz" weidlich ausagieren. Wehe den Andersdenkenden! Denn in ihren Augen schränken diese doch ihre "unantastbare", vermeintlich "absolute" Freiheit ein, sodass sie das Recht zu haben meinen, als "verfolgte und unterdrückte Minderheit" sich uneingeschränkt ohne jedes Maß "zur Wehr setzen" zu können. Und je mehr "Widerstand" (auch in Form rein rational geführter Diskurse) ihnen entgegenschlägt, desto radikaler. Usf. Das ist der ideale Nährboden für Faschismus (bzw. ist bereits ein Protofaschismus). Bei dem ist bekanntlich reaktionär (was sich ja z.T. semantisch usf. mit Reaktanz überschneidet) "drauf" zu sein lediglich der Anfang. Dessen "alternativen Fakten" werden nur um so glühender geglaubt, gerade auch je abstruser (und gerne gegen die objektiv eigenen Interessen). Das ist sozusagen von interessierter Seite kultivierte und schließlich einschlägig verwertete (etwa im Sinne von, wie im Agrarwesen die Biomaterialproduktion forciert wird), gelenkte, "kanalisierte", organisierte etc. Reaktanz.




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