"Landschaft"

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Friederike
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Mo 11. Sep 2017, 11:48

Eine Philosophie der "Landschaften".
Die Metapher von der "Landschaft" des Seins, in die die Menschen hinein"geworfen" werden.
"Landschaft" ein Begriff, mit dem die Natur geordnet wird.
"Landschafts"-Malerei als der Begriff einer ästhetischen Reflexion.
Stimmungs-"Landschaften" als Metapher für Gefühlsatmosphären.
Zuletzt Denk-"Landschaften" für theoretische Konzepte, die sich mit (An)-Ordnungkategorien befassen.
"Landschaft" als philosophischer Begriff, mit dem Mensch und Kultur synthetisiert werden könnten,
systematisch zusammen-"gesehen" ("kultürlich", Janich).

Falls Ihr Ideen habt ...




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Friederike
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Mo 11. Sep 2017, 12:53

"Topologie des Seins" ist ein Begriff Heidegger ("Hüttenbüchlein 1954). Damit meint H. das Bezeichnen der oder die Kunde von der Ortschaft als einem Seinsverhältnis, in dem wir uns als Menschen befinden. Unter "befinden" versteht H. zum einen das Befinden innerhalb des Bezugs- und Verweisungsgefüges Welt, zum anderen die Befindlichkeit im physiologisch, psychisch und mentalen Sinne. Befindlichkeit wird immer von einem mehr oder weniger bewußten bzw. reflektierten Seinsverständnis begleitet. "Geviert" nennt H. auch die "Welt", weil es die vier Koordinaten einer Ortschaft oder einer Landschaft sind, in der der Mensch sich verortet, und zwar zwischen der "Erde" als seiner materiellen Existenz, dem "Himmel"‹ als einer übergeordneten, transzendenten Bereich und dem "Göttlichen" und dem Zukünftigen" als eine überzeitliche Perspektive. "Geviert" bedeutet also in der Landschaft des Daseins in materieller, psychischer und geistiger Hinsicht zu leben.

Gibt es eigentlich berühmte Landschaftsgemälde jüngeren Datums? Mir fällt doch nur wieder Friedrichs "Mönch und Meer" ein. :lol: Wenn ich das Bild zum Beispiel nehme, dann würde ich, H.'s "Geviert", angewendet auf eine sehr grobe Unterteilung von philosophischen Strömungen, als Ausdruck von einer mentalistisch ausgerichteten oder subjektorientierten Grundbefindlichkeit lesen. Der Mensch ist alleine.




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Jörn Budesheim
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Mo 11. Sep 2017, 13:29

Friederike hat geschrieben :
Mo 11. Sep 2017, 12:53
Gibt es eigentlich berühmte Landschaftsgemälde jüngeren Datums?
Bild

Da dürfte sich durchaus was finden. Mir fällt (aus biografischen Gründen) dazu zuerst Per Kirkeby ein - von dem dieses Bild ist :-) Berühmt ist dabei weniger dieses besondere Werk, sondern der Künstler.

Bild

Ein ganz anderer "Landschaftsmaler" ist Anselm Kiefer, der sich viel mit deutscher Geschichte beschäftigt - wenn man so will deutsche Geschichtslandschaften. Was sich in so einer kleinen Abbildung jedoch nicht wirklich erschließt. Kiefer ist wohl weniger ein en Passant Maler, den man also nur mal im Vorbeigehen "versteht" ...




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Friederike
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Mo 11. Sep 2017, 13:53

Puh ... wie eng und dunkel. Aha, interessant, "Landschaft" ist für mich also verbunden mit Weite und Überblick. Ein Art überdachter vorspringender Höhleneingang, der einen verschlucken will, das ist keine "Landschaft". Und selbst das Grün davor wirkt düster, es sieht naß und schwer aus.

Falls andere außer mir von Per Kirkeby noch nicht gehört haben - ich darf "wiki" zur Kurzinformation nehmen?




Tosa Inu
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Mo 11. Sep 2017, 17:11

Friederike hat geschrieben :
Mo 11. Sep 2017, 12:53
Gibt es eigentlich berühmte Landschaftsgemälde jüngeren Datums?
Beühmt ist ja immer relativ.
Ich habe zwei Fischerhuder Maler im Gepäck.
Christian Modersohn, der Sohn von Otto Modersohn, der wiederum der Mann von der vielleicht bekanntesten Malerin aus der Ecke (Worpswede und so) Paula Modersohn-Becker ist. Christian Modersohn hat überwiegend Landschafts-Aquarelle gemalt: http://www.washausen.de/fischerhude/deutsch/fku51c.htm#

Mein persönlicher Fischerhuder Liebling ist der zu wenig bekannte Hermann Angeremyer (die Originale sind wie immer um Längen eindrucksvoller als die Fotos): http://www.washausen.de/fischerhude/deutsch/fku63c.htm#. Der müsste berühmter sein.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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Di 12. Sep 2017, 13:50

Tosa Inu hat geschrieben : Mein persönlicher Fischerhuder Liebling ist der zu wenig bekannte Hermann Angeremyer (die Originale sind wie immer um Längen eindrucksvoller als die Fotos): http://www.washausen.de/fischerhude/deutsch/fku63c.htm#. Der müsste berühmter sein.
"Berühmt" hätte ich wohl besser in Anführungstüttelchen gesetzt ... :lol:
Angermeyer kannte ich nicht. Nachdem ich mir die Bilder angesehen habe (Aquarell kommt besser rüber als Öl, scheint mir) ... zu einer fachlichen Bewertung finde ich mich nicht berufen, aber was das Gefallen angeht - oja, Angermeyer gefällt mir entschieden besser als Ch. Modersohn. Ich glaube, für mich sind Landschaftsbilder sowas wie für andere Menschen "Lore-Romane" o.ä. Zumindest die Landschaftsbilder, von denen ich sage, daß sie mir gefallen, Träume, Sehnsüchte wachrufen ... jetzt, genau dort in dieser Landschaft zu sein, sie sehen, atmen, riechen.




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Stefanie
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Di 12. Sep 2017, 16:58

"Lore-Romane" musste ich googlen... o.k. Groschenromane.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Stefanie
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Di 12. Sep 2017, 17:34

Eine andere Art der Kulturlandschaft bzw. auf die das hier
Friederike:
Landschafts"-Malerei als der Begriff einer ästhetischen Reflexion.
Stimmungs-"Landschaften" als Metapher für Gefühlsatmosphären.
Zuletzt Denk-"Landschaften" für theoretische Konzepte, die sich mit (An)-Ordnungkategorien befassen.
"Landschaft" als philosophischer Begriff, mit dem Mensch und Kultur synthetisiert werden könnten,
systematisch zusammen-"gesehen" ("kultürlich", Janich).
auf den ersten Blick zutreffen könnte.

Insel Hombroich
http://www.inselhombroich.de

Ich war einmal dort, ein Betriebsausflug von meinem Vorarbeitgeber, was solange her ist, dass es die Bauten von dem von Jörn ins Spiel gebrachten Per Kirkeby noch nicht gab.

Ab und an spiele ich mal mit den Gedanken, noch mal hinzufahren. (nur nicht bei Regen).



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Tosa Inu
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Di 12. Sep 2017, 18:16

Friederike hat geschrieben :
Di 12. Sep 2017, 13:50
"Berühmt" hätte ich wohl besser in Anführungstüttelchen gesetzt ... :lol:
Ja, "gut" ist das passende Kriterium.
Friederike hat geschrieben :
Di 12. Sep 2017, 13:50
Angermeyer kannte ich nicht. Nachdem ich mir die Bilder angesehen habe (Aquarell kommt besser rüber als Öl, scheint mir) ... zu einer fachlichen Bewertung finde ich mich nicht berufen, aber was das Gefallen angeht - oja, Angermeyer gefällt mir entschieden besser als Ch. Modersohn. Ich glaube, für mich sind Landschaftsbilder sowas wie für andere Menschen "Lore-Romane" o.ä. Zumindest die Landschaftsbilder, von denen ich sage, daß sie mir gefallen, Träume, Sehnsüchte wachrufen ... jetzt, genau dort in dieser Landschaft zu sein, sie sehen, atmen, riechen.
Ich liebe auch Landschaftsbilder. Meine Zuneigung zu Spitzweg beruht nicht zuletzt auch auf seinen eindruckvollen Landschaftsbildern, die oft auch großformatiger sind, als die Zigarrenschachtelbildchen. Z.B.: https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Spit ... ebirge.jpg
Aber der ist ja nun schon älter.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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Mi 13. Sep 2017, 11:30

Stefanie hat geschrieben : "Lore-Romane" musste ich googlen... o.k. Groschenromane.
Hihi, mir fiel das Wort "Lore-Romane" ein, und anschließend habe ich einige Minuten überlegt und nach dem allgemeineren Wort für diese Heftchen-Romane gesucht, weil ich wußte, es gibt dieses allgemeinere Wort. Es wollte mir nur partout nicht einfallen. You say it. :lol:




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Friederike
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Mo 19. Mär 2018, 08:38

Die diesjährige Preisträgerin des Buchpreises der Leipziger Buchmesse Esther Kinsky hat ihren Roman "Hain" einen "Geländeroman" genannt. Damit habe sie den Begriff der Landschaft umgehen wollen. "Weil Landschaft immer gewisse Erwartungen weckt, entweder von Spektakulärem oder zu sehr mit der Natur verbunden ist". "Gelände" hingegen sei ein ganz offenes Wort. "Es geht um die Oberfläche. Es geht um die Fläche, der man sich sehend annähert, in der man Spuren findet."

Wenn ich dem Unterschied nachgehe, dann fällt mir zur "Landschaft" ein, daß sie ein rundes abgeschlossenes Ganzes bildet. Es ist ein vollständiges Bild, gleich, ob es sich um eine Natur- oder Industrielandschaft handelt. Ja, und dreidimensional. Darin stimme ich Kinsky zu. "Gelände" dagegen ist eher wie ein Teil einer Landschaft, ein unfertiger Ausschnitt. Ich benutze das Wort selten, und ich suche nach Sätzen, in denen man üblicherweise von "Gelände" spricht. Nicht nur unmetaphorisch, d.h. auf sichtbaren Raum bezogen, sondern auch metaphorisch wie zum Beispiel in Bezug auf das Denken.




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Friederike
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Mo 19. Mär 2018, 11:36

Geländewagen, Werksgelände, vertrautes Gelände, unbekanntes Gelände.
"Gelände" scheint tatsächlich weniger mit "Natur" oder "Natürlichkeit" verbunden. Es ist zwar auch ein Raum "draußen", der aber auf irgendeine Weise mehr zum von Menschenhand gestalteten Raum als die Landschaft gehört. So ein Zwischending zwischen gestaltet und nicht gestaltet.




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Jörn Budesheim
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Mi 21. Mär 2018, 06:08

Friederike hat geschrieben :
Mo 19. Mär 2018, 08:38
Wenn ich dem Unterschied nachgehe, dann fällt mir zur "Landschaft" ein, daß sie ein rundes abgeschlossenes Ganzes bildet. [...] "Gelände" dagegen ist eher wie ein Teil einer Landschaft, ein unfertiger Ausschnitt.
Bild

Der Begriff Landschaft dürfte in vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen vorliegen, unter anderem bezeichnet er das, was die Landschaftsplaner planen, die Maler malen und Politologen als Parteienlandschaft untersuchen. Ich würde es so ähnlich sehen wie du, Landschaft ist tendenziell etwas Ganzes, etwas erfassbares und ggf. geformtes. Ein undurchdringlicher Dschungel ist ganz sicher keine Landschaft, denn eine Landschaft tritt einem eher freundlich und offen entgegen. Ich kann mich sehr vage an einen Vortrag zum Thema Landschaft erinnern und meine, dass es ein sehr junger Begriff ist. Um Landschaften als ästhetischen Gegenstand zu begreifen, braucht es z.b. Zeit zur Muse und Kontemplation.

Der Begriff Gelände ist einerseits sehr viel offener, meine ich. Andererseits aber auch eingeschränkter. Denn zur Landschaft können Dinge zählen, die wir nicht zum Gelände rechnen würden. Die Landschaft, da sie tendenziell ein Bild-Phänomen ist, kann den Horizont und den Himmel umfassen... Ein Gelände ist eher etwas, worauf man seinen Fuß setzen kann, denn einen See oder das Meer würde man nicht Gelände nennen, schätze ich. Und der Himmel gehört auch nicht dazu. (Die Zeichnung, ich schätze, es ist eine Radierung, ist von Rembrandt.)

Was ist kein Gelände? Jedes Stück mehr oder weniger fester Boden ist auch Gelände, oder?




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Jörn Budesheim
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Mi 21. Mär 2018, 06:45

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Mär 2018, 06:08
freundlich
Das ist vermutlich nicht der passende Ausdruck, ich bin noch am grübeln, wie man es besser nennen könnte...




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Friederike
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Mi 21. Mär 2018, 10:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Mär 2018, 06:45
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Mär 2018, 06:08
freundlich
Das ist vermutlich nicht der passende Ausdruck, ich bin noch am grübeln, wie man es besser nennen könnte...
Hm, ich finde den Ausdruck paßgenau. Jemand hat ein freundliches und offenes Gesicht. Vielleicht also deswegen, weil es eine redensartliche adjektivische Kombination ist. Obgleich es auch abweisende Landschaften gibt. Das sind die, die eher nicht begehbar sind. Nicht der menschliche Blick wird abgewiesen, sondern der Fuß.




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Friederike
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Mi 21. Mär 2018, 15:29

Soeben lese ich in in der Leseprobe des Buches von E. Kinsky, die mich auf das reizvolle Thema des Unterschiedes zwischen einem "Gelände" und einer "Landschaft" gebracht hat, folgendes Zitat von Wittgenstein, das sie ihrem Roman vorangestellt hat:
PhG hat geschrieben : Hat es Sinn, auf eine Baumgruppe zu zeigen und zu fragen »Verstehst Du, was diese Baumgruppe sagt?« Im allgemeinen nicht; aber könnte man nicht mit der Anordnung von Bäumen einen Sinn ausdrücken, könnte das nicht eine Geheimsprache sein?
Den Wittgenstein-Thread habe ich nicht mitgelesen. Wohin mit dem Zitat? Und wo könnte der Bezug zur "Landschaft" oder einem "Gelände" sein? Die Baumgruppe spricht nicht. Eine Anordnung von Bäumen kann für mich eine Landschaft sein, für jemand anderen ein Gelände. Für mich kann diese Anordnung den Sinn "das ist mein Lebensverlauf" haben, ich sehe in der bestimmen Ordnung der Bäume diesen Sinn. Für jemand anderen kann die Anordnung den Sinn "das ist der Laufparcour" haben, in diesem Fall benützt der andere die bestimmte Ordnung der Bäume zum Laufen. Das ist der Sinn. Was das mit der Geheimsprache zu tun haben könnte, da hakt es bei mir aus. Der jeweilige Sinn als geheimer Sinn? Aber das ist ganz sicher nicht gemeint.




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Friederike
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Do 22. Mär 2018, 11:00

Ich glaube, der "Landschafts"-Zettelkasten entwickelt sich zu einer Art von persönlichem Notizbuch. Es war nicht geplant, aber nun schreibe ich die Einfälle, die mir im Kontext des Wortes in den Sinn kommen, hier hinein. So unverbunden und ziellos wie sie mir derzeit noch scheinen. Damit will ich diesen Zettel im Zettelkasten nicht für mich alleine reklamieren, denn gegen Kommentare usw. habe ich überhaupt nicht das Mindeste. :lol: Hauptsächlich allerdings sollen die Zettelchen meiner Erinnerung dienen, damit der Weg mir jederzeit ablesbar und auf diese Weise zugänglich ist.

M.L. Kaschnitz hat eines ihrer Bücher "Orte" genannt und ein anderes, etwas später Veröffentlichtes, "Orte und Menschen". Etappen ihres Lebens, die sie in oder an "Orte" verankert. "Ort", "Landschaft", "Gelände". "Ort" ist eigentlich ein so allgemeines Raumwort, daß es fast nichtssagend erscheint. Und trotzdem ist es zugleich ein Wort, das wie auf einen Raumpunkt einengt. Selbst wenn man eine Stadt oder ein Dorf denkt, dann ist die gesamte Fläche der Stadt der Ort. Möglicherweise hängt es auch damit zusammen, daß jede Stadt einen Namen hat. Der Name wird der Ort.

Warum sagt man "Seelenlandschaft" oder "Gemütslandschaft" und nicht "Seelen- oder Gemütsgelände" und "Seelen- oder Gemütsort" sind auch keine Wörter, die ich jemals gehört oder gelesen habe (mag sein, daß sie lit. irgendwo von irgendwem erfunden worden sind).




Tosa Inu
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Fr 23. Mär 2018, 08:31

Ort klingt für mich begrenzt: Hier, dieser Ort. Mit der Seele assoziiere ich Weite.
Gelände finde auch ich technisch. Geländegewinn bei einer Schlacht. Planquadrate.
Landschaft klingt weit und poetisch, obwohl es karge Landschaften gibt. Da fühlt sich die Seele wohler.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Alethos
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So 25. Mär 2018, 13:35

Gut, dass dieser Thread noch lebt, ich habe ihn von Anfang an gemocht. Ich habe mich mit Schreiben unter anderem deshalb zurückgehalten, weil ich mich erstens nicht berufen fühle, mich über Literatur und Kunst zu äussern, und ich auch viel zu wenig kenne und beitragen könnte, aber ich habe mich auch zurückgehalten im Wissen um meinen Überschwang bei solchen Themen. Ich werde bei Begriffen wie 'Landschaft', 'Gelände' und 'Ort' geneigt, meine Beiträge vor lauter Begeisterung mit Sinn zu überfrachten und sie so wenig geniessbar zu machen. Ich habe mich also aus Respekt vor dem ganz Grossen und Tiefen, das diese Begriffe befördern können, zurückgehalten. Und doch kann ich nicht anders, als mich hier dennoch zu melden, weil ich seit Tagen an diesen Begriffen herumdoktere und es mir keine Ruhe lässt.

Dass Landschaften etwas mit Ganzheit zu tun haben, mit Weite und Unbegrenzheit, das wurde hier schon mehrfach erwähnt, auch ich sehe das so.

Man könnte es vielleicht so ausdrücken, dass Landschaft und der Mensch keine Subjekt-Objekt-Beziehung bilden. Die Landschaft zeigt sich dem Menschen nicht als zweidimensionale Betrachtungsfläche, sie ist nicht etwas, auf das er von aussen drauf blickt und das ausserhalb von ihm stattfindet, sondern die Grenzen zwischen Innen und Aussen verwischen. Die Landschaft ordnet das volle Langsame und Stete zum Menschen hin, und er, der Mensch, ist nicht einfach nur ihr Betrachter, sondern eine Art Fernpunkt, in welchem sich die Melancholie des Getrenntseins vom Ganzen und das Glücksgefühl des Vereintseins mit dem Ganzen sammelt. Der Mensch zeigt sich dabei aber nicht verortet in einem Hier, er ist kein verankerter Fixpunkt, sondern er findet sich zugleich aufgelöst im Überall des Sphärischen.

Ganz anders ist es doch mit dem Gelände, nicht? Wo die Landschaft im Ungreifbaren und trotz Stetigkeit flüchtig bleibt, wo sie uns diese Fernbeziehung mit dem ganz Nahen bedeutet, bietet uns das Gelände eine horizontale Konkretion im Dasein. Das Hügelige, das Unwegsame, das Buschige, das Steinige, das wird alles auf der Unterseite des Fusses (um Jörn aufzugreifen) spürbar und dadurch findet der Mensch eine tastbare Verortung. Es ist so, dass im Gelände das Metaphyische und Sphärische der Landschaft, das Unfassbare greifbar und begehbar wird. Auf Geländen kann man Geländegewinne machen, man kann von A nach B kommen, man kann hier starten und dort ankommen und dazwischen dieses und jenes entdecken. Beim Sphärischen gibt es aber keinen Boden, den man begehen kann, man fühlt sich sozusagen immer am Anfang oder bereits angekommen. In der Landschaft sein heisst im Schwebezustand bleiben. Das Gelände bietet hingehen Landungsmöglichkeiten, ein Ankommen auf dem Faktischen, Konkreten und das ermöglicht ein Vorankommen. Das Gelände mit seiner Schwerkraft lässt die physischen Mühen des Voranschreitens spürbar werden, wir schwitzen und ermüden, aber wir können zurückschauen und angeben, dass dies der Weg war, den wir gegangen sind. Die Spuren auf dem Gelände geben Zeugnis unseres Fortschreitens, sie sind zugleich Spuren unserer Leidens- und Freudenswege. Und wenn wir feststellen, dass es atemberaubend war, dann meinen wir das doch weniger in einem übertragenen Sinn als wir es vielleicht bei der Landschaft meinen?



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Alle lächeln in derselben Sprache.

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Friederike
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Mo 26. Mär 2018, 12:59

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 23. Mär 2018, 08:31
Ort klingt für mich begrenzt: Hier, dieser Ort. Mit der Seele assoziiere ich Weite. Gelände finde auch ich technisch. Geländegewinn bei einer Schlacht. Planquadrate. Landschaft klingt weit und poetisch, obwohl es karge Landschaften gibt. Da fühlt sich die Seele wohler.
Die Landschaft, in der sich Seelen lieber aufhalten als in einem Gelände oder an einem Ort, ist dennoch nicht unbedingt das, was man, was ich unter einer "Seelenlandschaft" verstehe (die Seele selbst als eine Landschaft -bildlich- vorgestellt). Du aber sicher auch nicht? Ich frage nach, weil es sich aus Deiner Äußerung nicht zweifelsfrei ergibt. Ich glaube allerdings, aus meiner Äußerung ging es auch nicht zweifelsfrei hervor. :lol:




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