Der Knopfdruck

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Nauplios

Fr 21. Jul 2017, 00:19

Im Knopfdruck kulminiert die bewunderte Mächtigkeit, die ungläubig bestaunte Macht dessen, wozu die moderne Technik den Menschen befähigt, ein Maximum an Wirkung unter Einsatz eines Minimums an Aufwand zu erzielen. Oft verbunden mit Szenarien von apokalyptischem Ausmaß reduziert der Knopfdruck frühere Umständlichkeiten auf ein Kleinstmaß des muskulosklettalen Systems. Per Knopfdruck wird die Rakete gezündet, der Schleudersitz betätigt, der Feind getötet, die Erde zerstört. Seine Möglichkeiten sind ehrfurchtgebietend, seine Wirkungen verblüffen angesichts der Geringfügigkeit seiner Auslösung. Zwar verlangt der Knopf die Lizenz zum Drücken, doch bleibt der Vorgang an sich ein Kinderspiel. In filmischen Großerzählungen steht am Ende oft der finale Knopfdruck, der die Welt rettet, den Feind aus dem Weltall zerstört, den Bann bricht. Ihm vorausgegangen ist nicht selten der mit Leichtfertigkeit ausgeführte initiale Knopfdruck, der die Welt an den Rand des Abgrunds gebracht hat, die nun gerettet werden muß. Gewissenloses Knopfdrücken entfesselt die Zerstörungskraft, die vom verantwortungsbewussten Knopfdrücken wieder eingefangen wird. Die Zukunft ist dem Knopfdruck ausgeliefert. Deshalb ist sie trist. Von einer "réflexivité aveugle", einer blinden Reflexivität, spricht Bruno Latour und greift damit auf eine Denkfigur der griechischen Mythologie zurück: den blinden Seher. Vielleicht ist der blinde Seher das erste erkenntnistheoretische Paradoxon: der Seher sieht nicht, obwohl er blind ist, sondern weil er blind ist. Unabsehbar sind die Folgen des unbedachten Knopfdrucks, absehbar ist nur ihre Unabsehbarkeit. Der zivilisierte Nachfahre des Knopfdrucks ist der digitale Mausklick. Sein Wirken ist eingehegt auf virtuelle Welten - so scheint es. Dabei werden die Katastrophen der Zukunft vermutlich eher durch Klicks als durch Knöpfe ausgelöst. Der Knopfdruck gewinnt damit zunehmend metaphorisches Potential.




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