Welche Aspekte des Menschseins sind angeboren, und welche erwerben wir erst im Kontakt mit unserer Kultur?

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Quk
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Do 19. Okt 2023, 10:21

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 23:51
Das bedeutet aber nicht, dass jede Theorie falsifiziert werden kann, die wissenschaftlich ist. Viele wissenschaftliche Theorien werden auch verifiziert.
Kannst Du dazu ein Beispiel nennen?

Ich denke, eine sogenannte "verifizierte" Theorie ist und bleibt -- wie es der Begriff schon sagt -- eine Theorie, weil niemand wissen kann, ob ein Detail übersehen wurde, welches die Theorie widerlegen könnte. Eine Verifikation müsste aus einer bibelhaften, unendlich großen Weisheit kommen, und welcher Mensch sollte die besitzen?

Damit wir uns nicht missverstehen: Meiner Auffassung nach bedeutet Falsifizierbarkeit nicht, dass die Theorie zwingend fehlerhaft sein muss, sondern, dass die Theorie überprüfbar ist. Da auch das Resultat einer Überprüfung keine letzte Sicherheit garantieren kann, wird es nie zu einer echten Verifikation kommen. Diese Sichtweise dreht den Spieß des alten Positivismus um. Und um diese umgedrehte Methode auch fachsprachlich auszudrücken, entschied sich Popper wohl für den Begriff der Falsifikation und für das Wort falsifizierbar. Falsifizierbar aber nicht im Sinne von "Fehler müssen drin sein", sondern annähernd im Sinn von "verifizierbar", nur mit dem Unterschied, dass in dieser Methode eine "Verifikation" immer nur eine vorläufige Verifikation sein kann. Um das nicht zu verwechseln, ist es rein sprachlich wohl besser, Poppers Methode anders zu nennen als "Verifikation".




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Jörn Budesheim
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Do 19. Okt 2023, 10:38

Apropos falsifizierbar, da fällt mir ein, dass folgender Befund irgendwie untergegangen ist, oder hab ich was übersehen?
...die Ergebnisse einer Schweizer Studie von 2020 stellen das Libet-Experiment infrage. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass das Bereitschaftspotenzial mit der Atmung zusammenhängt. Das sei ein Hinweis dafür, dass das Gehirn nicht unsere Entscheidungen vorwegnimmt, sondern das Bereitschaftspotenzial durch natürliche Körperprozesse ausschlägt – wie etwa der Atemrhythmus.

Diese Untersuchungen deuten darauf hin, dass unser Wille zumindest freier ist als lange angenommen.

https://www.planet-wissen.de/natur/fors ... nt100.html




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Quk
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Do 19. Okt 2023, 11:12

Was mich betrifft: Ich habe vor zwanzig Jahren aufgehört, über den "freien Willen" nachzudenken. Philosophisch ist die Phrase für mich so sinnlos wie "freier Vogel". Wenn er aus dem Käfig kommt, ist er dann frei? Nein, er bleibt in der Atmosphäre gefangen. Aus welchem Käfig ist der Wille denn gekommen? Beziehungsweise, in welchem soll er denn gefangen sein? Ich finde diese Problematik mühselig, weil beliebig lösbar. Für eine bestimmte bevorzugte Sichtweise muss man nur die Begriffe verschieben; man kann sagen, die vorbewussten Aktionen gehören schon zur Person -- oder auch nicht. Es ist reine Auslegungssache. Und schon hat man den passenden Käfig gefunden, um den Willen im sogenannten freien Bereich oder im unfreien Bereich zu sehen -- je nach Wunschvorstellung. Für mich gibt es nur eine Art des Willens: Einen willigen Willen. Freiheit ist immer relativ. Wer "frei" sagt, muss auch antworten, frei wovon? -- Meiner Auffassung nach gibt es keine absolute Freiheit. Also: Frei wovon?

Meine Ansicht stimmt überein mit der von Sabine Hossenfelder:

https://www.youtube.com/results?search_ ... +free+will


Ich sage: Der Mensch hat einen Willen. Da muss nicht noch ein Adjektiv hinzu. "Wille" reicht.




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Jörn Budesheim
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Do 19. Okt 2023, 11:18

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 18:35
Ich halte die Welt für widerspruchsfrei.
Das ist nach deiner eigenen Regel eigentlich nicht wissenschaftlich, oder? Weder "Welt" noch "Widerspruchsfreiheit" sind schließlich beobachtbare Phänomene.




1+1=3
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Do 19. Okt 2023, 19:52

Quk hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 11:12
Für mich gibt es nur eine Art des Willens: Einen willigen Willen. Freiheit ist immer relativ. Wer "frei" sagt, muss auch antworten, frei wovon? -- Meiner Auffassung nach gibt es keine absolute Freiheit. Also: Frei wovon?
Frei wozu, muss es eher heißen.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Negativ ... e_Freiheit
Und selbstverständlich ist keine "absolute" Freiheit gemeint - was könnte das auch anderes als das Phantasma "Allmacht" sein - , sondern lediglich die Wahlfreiheit zwischen jeweils gegebenen ("wirkkausal-materiellen") "Optionen" oder ("real existierenden") Möglichkeiten - die eine Entscheidungsfreiheit trifft (zumeist Willensfreiheit genannt - man kann nämlich sehr wohl "wollen was man will", denn rein rational "reflektiert" usf. kann man sich etwa auch gegen ggf. eigene "tieferliegende" Impulse entscheiden - d.h. eine entsprechende Willensbildung eben ganz rational, bewusst, intendiert usw. "einleiten" & vollziehen - , auch wenn es häufig auf den berühmten "Kampf gegen den inneren Schweinehund" hinausläuft resp. auf eine Entscheidung gegen das, was dieser "will").
Quk hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 11:12
Ich sage: Der Mensch hat einen Willen. Da muss nicht noch ein Adjektiv hinzu. "Wille" reicht.
Doch ein Adjektiv: liegt hier entweder ein fremdbestimmter oder ein selbstbestimmter Wille vor? (Wobei, ein fremdbestimmter Wille wäre logisch doch keiner...?)




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Jörn Budesheim
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Do 19. Okt 2023, 20:09

1+1=3 hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 19:52
lediglich die Wahlfreiheit
Man könnte vielleicht das Wort "lediglich" streichen, wenn man bedenkt, dass man (in gewissen Grenzen) die Freiheit hat, sich selbst zu wählen. Deshalb spricht man manchmal auch von Selbstbestimmung statt von Freiheit.

Ein weiterer, ebenfalls sehr wichtiger Aspekt der Freiheit ist, dass wir uns in unserem Leben an Gründen orientieren können.

Dann sollte man vielleicht auch den sozialen Aspekt der Freiheit zumindest erwähnen. Wir sind Gemeinschaftswesen und erarbeiten uns gemeinschaftlich Freiräume. Dazu gehört dann auch der politische Aspekt, denn es ist nicht egal, ob man in einer freiheitlichen Gesellschaft lebt oder in einer totalitären.




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Quk
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Do 19. Okt 2023, 21:33

"Entscheidungsfreiheit". "Fremdbestimmt" versus "selbstbestimmt".

Meiner Ansicht nach verschieben diese Wörter nur die Fettnäpfe umher, ohne sie loszuwerden.

Ob die Entscheidung "frei" ist oder nicht, es bleibt eine Entscheidung des Menschen.

Ob die Entscheidung "selbstbestimmt" ist oder nicht, es bleibt eine Entscheidung des Menschen.

Wenn ein Mensch Zucker will und kein Zucker da ist, dann wird er zum Zuckerverzicht gezwungen. Muss er sich dann fremdbestimmt zum Zuckerverzicht entscheiden? Entscheiden? Nein. Eine Entscheidung steht erst gar nicht zur Verfügung. Er wird zum Zuckerverzicht gezwungen. Der Zuckerverzicht ist nicht das Ergebnis einer Entscheidung. Es gibt nur einen Willen. Er will Zucker. Dieser Wille steht ihm frei. Wozu ist er frei? Zum Zuckerhabenwollen.

Andere Situation: Es gibt Zucker und Salz. Der Mensch entscheidet sich für Zucker. Ist das eine freie Entscheidung? Ja, natürlich, denn beide Optionen stehen frei. Es gibt keine Hindernisse. Aber diese Feststellung ist meines Erachtens so trivial, dass sich daraus keine Freiheits-Problematik ergibt. Daher kann man das Wort "frei" hier weglassen, genau so wie in "freie Fahrt"; die Fahrt ist erst dann unfrei, wenn sie stoppt, aber dann ist sie auch keine Fahrt mehr.




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Jörn Budesheim
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Do 19. Okt 2023, 21:45

Nur um sicher zu gehen, bezieht sich das auf meinen Beitrag?




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Quk
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Do 19. Okt 2023, 21:59

Auf Deinen und den davor von 1+1=3.




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Do 19. Okt 2023, 23:16

Quk hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 21:33
"Entscheidungsfreiheit". "Fremdbestimmt" versus "selbstbestimmt".

Meiner Ansicht nach verschieben diese Wörter nur die Fettnäpfe umher, ohne sie loszuwerden.

Ob die Entscheidung "frei" ist oder nicht, es bleibt eine Entscheidung des Menschen.

Ob die Entscheidung "selbstbestimmt" ist oder nicht, es bleibt eine Entscheidung des Menschen.
Es beschränkt sich nicht nur auf "den" Menschen. Ganz allgemein ausgedrückt können auch s.g. Systeme selbstbestimmt sein (Stichworte: Kybernetik, Selbstorganisation, Autopoiesis etc.). Diese entstammen heteronomen (fremdbestimmten), kurz: "deterministischen" Bedingungen, sind aber (ursprünglich bspw. qua entsprechender "zufälliger" Fluktuationen "kosmogonisch", evolutionär...) "in die Lage gekommen", dass sie sich regelrecht (buchstäblich) verselbständigen konnten und nunmehr also (weitgehend) selbstbestimmt/eigenständig/autonom usw. sein können (wobei sie sich nicht zuletzt ihre eigenen, oben erwähnten "deterministischen" Bedingungen [aka Ursachen, Bestandteile] "Untertan machen", diese "lenkend"/"benutzend"/"instrumentalisierend" usf., letztlich also zu "beherrschen"!). Und Menschen können all dies sogar besonders gut, als die (selbst-)bewussten, zielsetzenden und aktiv-absichtsvoll -umsetzenden Wesen, die sie sind (--> Menschen = bewusst-intendiert usw. "handlungsfähige Subjekte"...).
Quk hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 21:33
Wenn ein Mensch Zucker will und kein Zucker da ist, dann wird er zum Zuckerverzicht gezwungen. Muss er sich dann fremdbestimmt zum Zuckerverzicht entscheiden? Entscheiden? Nein. Eine Entscheidung steht erst gar nicht zur Verfügung. Er wird zum Zuckerverzicht gezwungen. Der Zuckerverzicht ist nicht das Ergebnis einer Entscheidung. Es gibt nur einen Willen. Er will Zucker. Dieser Wille steht ihm frei. Wozu ist er frei? Zum Zuckerhabenwollen.
Sehr konstruiert/an den Haaren herbeigezogen, aber egal... "Steriles Zuckerhabenwollen" unter der Bedingung, keinen Zucker "zur Verfügung" zu haben, also? Ich schrieb ja (sinngemäß), dass man nur im Rahmen des Möglichen eine Wahl hat, oder eben keine. Gibt es keinen Zucker, gibt es keine (Aus-)Wahl. Da nützt der schönste Wille, die schönste Freiheit nichts. Zucker wäre in diesem Fall die notwendige Bedingung für eine freie Wahl.
Quk hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 21:33
Andere Situation: Es gibt Zucker und Salz. Der Mensch entscheidet sich für Zucker. Ist das eine freie Entscheidung? Ja, natürlich, denn beide Optionen stehen frei. Es gibt keine Hindernisse. Aber diese Feststellung ist meines Erachtens so trivial, dass sich daraus keine Freiheits-Problematik ergibt. Daher kann man das Wort "frei" hier weglassen, genau so wie in "freie Fahrt"; die Fahrt ist erst dann unfrei, wenn sie stoppt, aber dann ist sie auch keine Fahrt mehr.
Nur hat man hier die (Wahl-)Freiheit. Auch bei einer Autofahrt gibt es i.d.R. nicht nur die eine mögliche Strecke (wie etwa nahezu beim Zug, der viel weniger "Auswahl" hat aufgrund seiner "regiden Angewiesenheit auf Schienen", sodass er nur dieserart "vorgegebene" Strecken befahren kann). Ein Auto hat relativ viele Freiheitsgrade, es gibt viele Fahrziele und noch mehr Möglichkeiten, sie zu erreichen (von Ausnahmefällen abgesehen).




Marcus Breitmeyer
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Fr 20. Okt 2023, 02:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 09:47
Ist die Mathematik für dich keine Wissenschaft?
Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 23:51
Um den Anforderungen von Wissenschaft zu genügen und damit wissenschaftlich zu sein, muss eine Theorie überprüfbar sein. Das gilt ganz allgemein und betrifft nicht nur die Naturwissenschaften, sondern auch die Geisteswissenschaften. Die Theorie, im 5-ten Paralleluniversum in der 8-ten Dimension gäbe es fliegende rosa Elefanten, ist keine wissenschaftliche Theorie, weil sich das postulierte Phänomen unserer Beobachtung per Definition entzieht (= Phantom). Das bedeutet aber nicht, dass jede Theorie falsifiziert werden kann, die wissenschaftlich ist. Viele wissenschaftliche Theorien werden auch verifiziert.
Gegenfrage: Ist ein rein theoretisches Konstrukt für Dich ein Phänomen?




Marcus Breitmeyer
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Fr 20. Okt 2023, 04:23

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 15:34
Ich kann mich in die Lage eines Anderen hinein versetzen, indem ich ihn beobachte und mir dann vorstelle, ich wäre jetzt er.
In dem Abschnitt ging es darum, wie Empathie meines Erachtens funktioniert. Die Emotionslage eines Anderen anhand seiner Mimik zu erkennen, hat nichts mit Empathie zu tun. Das ist Beobachtung und rationale Beurteilung. Empathie bedeutet Nachempfinden bzw Mitgefühl. Das setzt eine analoge emotionale Reaktion voraus. Es geht darum, zu empfinden, was der Andere empfindet, und zu fühlen, was der Andere fühlt.

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 10:00
Wenn die Angst vor der Katze mit irgendeinem Ereignis im Gehirn identisch wäre, wäre sie für andere nicht wahrnehmbar. Es wäre unmöglich zu erkennen, dass andere Angst haben.
Die Axone aus dem Nucleus caeruleus enervieren nicht nur das Kleinhirn und den Motorkortex, sondern auch viele andere Strukturen im Gehirn und in den Organen. Da gibt's ne ganze Palette von Effekten. Dass Emotionen insbesondere auch die Mimik beeinflussen, liegt auf der Hand.

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 10:00
Aber in den meisten Fällen können wir die Gefühle anderer sehr wohl erkennen. Und nur deshalb können wir uns auch in sie hineinversetzen. Ein ursprünglicher Ausdruck der Philosophie dafür war, dass wir uns in den anderen spiegeln.
Kann es sein, dass Du eine Emotion "im sozialen Raum" verortest, weil Du die des Gegenübers auch in Dir fühlst? Ich würde so ein analoges Gefühl als Beleg dafür werten, dass Du zur Empathie fähig bist. Es gibt ja auch Leute, die das nicht sind, und die sich mit Beobachtung behelfen.

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 10:00
Die Naturwissenschaften haben diese Metapher später übernommen und sprechen von Spiegelneuronen. Ein Spiegel, der nichts spiegelt, wäre jedoch sinnlos.
Wo sollen die eigentlich sein? Und wie sollen die funktionieren? Gehört habe ich davon, aber ich hielt das für ne fixe Idee und habe mich nicht weiter damit beschäftigt.

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 10:00
Der soziale Aspekt von Emotionen (der ein großer evolutionärer Vorteil ist) fehlt, wenn man behauptet, dass Angst mit einem bestimmten Gehirnzustand identisch ist.
Das erschließt sich mir nicht. Den "evolutionären Vorteil" gehe ich ohne weiteres mit...

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 10:00
Wichtig dafür ist (natürlich nicht nur) die Mimik. Meiner Meinung nach ist die Mimik nicht nur Folge und Ausdruck unserer Emotionen, sondern selbst Teil davon.
Aus meiner Sicht: Folge und Ausdruck.

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 10:00
Das zeigt meines Erachtens auch die sogenannte Facial-Feedback-Hypothese.
Man kann sie testen. Wer lächelt, fühlt sich in der Regel auch fröhlich. Ich kenne das Phänomen von Daniel Kahnemann, das ist meines Wissens empirisch gut belegt. Außerdem weiß wohl jeder aus eigener Erfahrung, wie ansteckend Lachen ist. Beim Lachen kann man sich auch gut den sozialen/konventionellen Aspekt der Gefühle vorstellen, denn es gibt soziale Kontexte, in denen Lachen als völlig unangemessen gilt.
Ich halte dieses Phänomen für viel zu komplex, um sämtliche psychischen und physischen Teilaspekte unter Emotionen zu subsummieren. Überhaupt krankt die Debatte meines Erachtens an mangelnder Differenzierung zwischen psychischen und physischen Phänomenen. Dass es hier sehr viele Wechselwirkungen gibt, darf als sicher angenommen werden. Die dürfen untersucht und beschrieben werden. Aber wir werden der Sache nicht und vor allem auch nicht wissenschaftlich gerecht, wenn wir alles in einen Topf werfen.




Marcus Breitmeyer
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Fr 20. Okt 2023, 05:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:25
Information kann kodiert und dekodiert werden, aber das bedeutet nicht, dass die Information materiell ist. Information kann auf viele verschiedene Arten kodiert werden, sie kann also keinesfalls mit dem jemals vorhandenen "Kodierungsmaterial" identisch sein.
Das "Kodierungsmaterial" sind in diesem Fall zweifach positiv geladene Kalzium-Ionen (Ca++). Die werden durch Rezeptor-gesteuerte Ionen-Kanäle vom Zellsoma in das Endoplasmatische Retikulum der Zelle befördert und auch wieder zurück. Der Ladezustand des ERs ändert sich auf diese Weise fortlaufend. Fast alle Körperzellen haben ein ER. Es dient hauptsächlich dazu, die Spannung an der Zellmembran und damit den Stoffwechsel der Zelle konstant zu halten. Die Neuronen haben das ER jedoch zweckentfremdet. Bei der sogenannten "metabotropen" Signal-Übertragung werden über Rezeptoren an der Zellmembran (Postsynapse) Prozesse in der Zelle angestoßen, die spezifische (für Aufladen bzw Entladen) Ca++ Ionen-Kanäle in der ER-Membran öffnen. Der jeweilige Ladezustand des ER ist demnach alles, was wir haben. Die Hypothese, dass unser Gehirn auf diese Weise erlernt und erinnert, ist übrigens von mir.

Preisfrage: Wo ist die Information?




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Jörn Budesheim
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Fr 20. Okt 2023, 07:43

Quk hat geschrieben :
Do 19. Okt 2023, 21:59
Auf Deinen und den davor von 1+1=3.
Hmmm ... Ich hab deinen Beitrag jetzt noch mal gelesen, aber es fällt mir schwer die Punkte zu erkennen, die sich auf meinen Beitrag beziehen. Zusammenfassend habe ich davon gesprochen, (1) dass Menschen sich selbst wählen können, (2) dass Menschen sensibel für Gründe sind und (3) dass Freiheit ein soziales Phänomen ist. Diese Liste ist sicher nicht vollständig.
  1. Unter "sich selbst wählen" verstehe ich schon etwas anderes, als zwischen Salz und Pfeffer zu wählen. Sich selbst zu wählen bedeutet unter anderem, eine Vorstellung davon zu entwickeln, wer man ist und wer man sein will, und ein Leben zu führen.
  2. Gründe haben immer ein normatives Element: X spricht für oder gegen etwas. Auf diese Weise kommen richtig und falsch ins Spiel, was meines Erachtens ein Element der Freiheit ist.
  3. Freiheit ist aus vielen Gründen sozial:
    • Wir spielen das Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen miteinander.
    • Wir lernen das "Handwerk der Freiheit" von unseren Eltern und verschiedenen Institutionen.
    • Darüber hinaus verwirklicht sich die Freiheit des Einzelnen erst in der sozialen Gemeinschaft, weil Menschen ihre individuelle Freiheit in Beziehung zu anderen erkennen und ausüben.
    • Freiheitsräume erarbeiten wir uns gemeinsam durch koordiniertes, planvolles Handeln.
    • Und sicher noch viel mehr, wie z.B. gegenseitige Achtung und Anerkennung sowie die Freiheit, sich kritisch mit gesellschaftlichen Strukturen auseinanderzusetzen.
  4. ...
Diese Punkte könnte man sicher besser ausarbeiten und sortieren, ich hoffe aber, dass man dennoch ein Gefühl dafür bekommt, was mir vorschwebt.




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Quk
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Fr 20. Okt 2023, 10:36

In Deinem Beitrag war mehrmals die Rede vom Wählen und von Freiheit, und auch von Zwang in einem politisch-totalitären Beispiel. Ob ich mich selbst wähle oder ein Butterbrot, spielt in meinen Argumenten keine Rolle, denke ich, weil ich die Wahlsituation an sich meine und nicht die Wahlgegenstände. Die Sache mit der Abwesenheit der Wahlmöglichkeit in einer Zwangssituation habe ich aus meiner Sicht auch erläutert.




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Fr 20. Okt 2023, 10:48

Quk hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2023, 10:36
Ob ich mich selbst wähle oder ein Butterbrot, spielt in meinen Argumenten keine Rolle ...
Dann kommen wir hier nicht zusammen :-)




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Quk
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Fr 20. Okt 2023, 11:00

... weil ich die Wahlsituation an sich meine und nicht die Wahlgegenstände.




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Fr 20. Okt 2023, 11:55

Quk hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2023, 11:00
... weil ich die Wahlsituation an sich meine und nicht die Wahlgegenstände.
Es gibt bei den Gegenständen der Wahl jedoch einen kategorialen Unterschied, auf den ich hinweisen wollte, der natürlich auch einen Unterschied für die "Wahlsituation" macht. Denn im einen Fall ist die Person, die wählt, mit dem Gegenstand der Wahl identisch - sie wählt sich selbst - und im anderen Fall eben nicht. Diese Selbstbezüglichkeit ist ein wesentliches Element unserer Freiheit, es macht die Wahl zu einer existenziellen.




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Fr 20. Okt 2023, 12:12

Ich wähle mich? Als was? Als Bürgermeister meiner Bürgermeisterei? Wozu und weshalb ist das nötig, da ich doch schon ich bin?

Dieser Grad der Abstraktion überschießt mein Vorstellungsvermögen.




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Fr 20. Okt 2023, 14:07

Quk hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2023, 12:12
Ich wähle mich? Als was?
Als dich.
Quk hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2023, 12:12
Wozu und weshalb ist das nötig, da ich doch schon ich bin?
Nein, du warst/bist nicht schon da, es ist/war nicht bestimmt, wer du sein wirst, wer du sein kannst, auch in der Zukunft. Das musstest und musst du selbst machen. Du machst dich selbst zu dem, was du bist und wirst. Nehmen wir dazu als Illustration eine bekannte philosophische Strömung, den Existentialismus und hier Sartre. Ich will nicht behaupten, dass ich ein Kenner von Sartre bin, aber ich glaube, dass es bei ihm in etwa so aussieht.

Sartre betonte, dass der Mensch kein vorherbestimmtes Schicksal hat. Stattdessen hat der Mensch die Freiheit und die Verantwortung, sein Leben selbst zu gestalten und eigene Entscheidungen zu treffen. Er nennt das "Selbstwahl". Man wählt sich selbst. Man kann das auch Selbstbestimmung oder Freiheit nennen.

Solche Selbstwahlen können natürlich verschiedene "Härtegrade" haben, hier ein paar unterschiedliche Beispiele:

Die Entscheidung für eine berufliche Laufbahn.
Die Wahl des Lebenspartners
Die Entscheidung, Kinder zu haben oder kinderlos zu bleiben.
Die Entscheidung, politisch aktiv zu sein oder nicht.
Die Entscheidung, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen.
Die Entscheidung, in welcher Stadt oder in welchem Land man leben möchte.
Die Entscheidung, künstlerische oder kreative Projekte zu verfolgen.
Die Wahl der Freizeitaktivitäten.
Die Entscheidung, sich für den Umweltschutz zu engagieren.
Die Entscheidung, welche Bücher man liest und welches Genre.
Die Entscheidung, sich gesund zu ernähren und Sport zu treiben.
Die Entscheidung, sich politisch zu engagieren.
Die Entscheidung für Bildung oder lebenslanges Lernen.
Die Entscheidung, über die eigenen Gefühle und Reaktionen nachzudenken.
Die Entscheidung, persönliches Wachstum anzustreben oder nicht.
...

Abstrakter gefasst, würde ich sagen, dass man in der Regel im Lichte eines bestimmten Bildes von sich selbst handelt. Ähnlich wie Sartre argumentiert Gabriel. Er meint, dass unsere Identität und unser Selbstbild eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie wir in der Welt handeln. Unser Selbstbild beeinflusst die Art und Weise, wie wir Ziele setzen, Entscheidungen treffen und uns anderen gegenüber verhalten. Dieses Selbstbild kann sich im Laufe der Zeit verändern und wird von unseren Erfahrungen, sozialen Interaktionen und inneren Überlegungen beeinflusst.




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