Welche Aspekte des Menschseins sind angeboren, und welche erwerben wir erst im Kontakt mit unserer Kultur?

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Jörn Budesheim
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Mi 18. Okt 2023, 16:04

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 15:34
Glauben machen vs Wissen schaffen.
Die Frage ist: Was soll erreicht werden?
Ziel meines Beitrages war, einer Sichtweise, die ich falsch finde (das Ich ist etwas im Gehirn) etwas zu entgegenzusetzen, was ich richtig finde. Das "Ich" ist nicht per se ein Ding, sondern (neben anderem) besagte Position im Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen. Das, was ich hier gerade schreibe, ist Teil davon. Ich bin der Autor dieser Zeilen. Autor sein und eine philosophische Position vertreten, ist natürlich nichts Materielles, das hat keine Ausdehnung im vierdimensionalen Raum. Der Inhalt dieses Textes ist doch nicht materiell, wie ich eigentlich das Meiste im Universum, was sich zunehmend als informative Struktur erweist.




Marcus Breitmeyer
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Mi 18. Okt 2023, 16:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 14:57
Das Experiment wurde in der Tat in der Philosophie rauf und runter diskutiert. Man darf aber nicht vergessen, dass dieses Experiment (soweit ich weiß) in den 80er Jahren durchgeführt wurde. Seitdem ist viel passiert, es gab meines Wissens viele andere Experimente, die die Ergebnisse von Libet teilweise in Frage gestellt haben.
Die Übertragung des Aktionspotenzials am Axon, also über die Nervenbahn, hat immer eine Laufzeit. Vom Kleinhirn zu den Muskeln braucht es 200 bis 300ms. Das sensorische Aktionspotenzial vom Körper in den Kortex braucht in der Gegenrichtung etwa die gleiche Zeit. Hin und zurück ca. eine halbe Sekunde! Würde die positive Entscheidung zu handeln bewusst erfolgen, könnte die bewusste Selbstkontrolle erst nach einer halben Sekunde reagieren. Wir wären nicht in der Lage, einen Kaffee zu trinken, ohne die Hälfte zu verschütten. Das klappt nur deshalb reibungslos, weil die Entscheidung zu handeln schon vorher unbewusst erfolgt ist. Die gegebene Synchronität von Selbstkontrolle und Bewegung setzt zwingend voraus, dass Entscheidungen getroffen werden, bevor sie uns bewusst werden. Benjamin Libet hat das im Experiment bestätigt. Ich gehe davon aus, dass es unmöglich ist, ihn zu widerlegen.




Marcus Breitmeyer
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Mi 18. Okt 2023, 16:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 16:04
Ziel meines Beitrages war, einer Sichtweise, die ich falsch finde (das Ich ist etwas im Gehirn) etwas zu entgegenzusetzen, was ich richtig finde.
Du sprichst hier nicht von Annahmen und Aussagen, die wahr oder unwahr sein können, sondern von Sichtweisen, die richtig oder falsch sein können. Das finde ich interessant! Bei richtig & falsch stellt sich die Frage nach dem Zweck. Welcher Zweck liegt Deiner Beurteilung zugrunde?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 16:04
Autor sein und eine philosophische Position vertreten, ist natürlich nichts Materielles, das hat keine Ausdehnung im vierdimensionalen Raum.
Wir haben in Deutschland einen Kinderbuchautor, der im Nebenjob ein miserabler Wirtschaftsminister ist. Wenn der keine materielle Ausdehnung hätte..., wir hätten ein Problem weniger. 😬
Zuletzt geändert von Marcus Breitmeyer am Mi 18. Okt 2023, 16:50, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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Mi 18. Okt 2023, 16:40

Du meinst also, eine philosophische Position sei etwas Materielles?




Marcus Breitmeyer
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Mi 18. Okt 2023, 17:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 16:40
Du meinst also, eine philosophische Position sei etwas Materielles?
Davon gehe ich aus. In neuronalen Netzen breiten sich Erregungsmuster dynamisch aus. Die Lade- und Entladevorgänge der beteiligten Neuronen (ER) codieren und decodieren die (Teil-) Informationen. Das Lernen und Erinnern wird übrigens auch emotional gesteuert. Falls Interesse besteht, kann ich gerne mal näher darauf eingehen.




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Quk
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Mi 18. Okt 2023, 17:07

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 04:15
Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 02:44
Auch in der Bewusstlosigkeit können Qualia geschehen; Bewusstlosigkeit definiere ich als einen Zustand, in dem kein Selbstbewusstsein vorliegt. Von dieser Feststellung ausgehend ist es nicht mehr weit zu der Annahme, dass überhaupt kein Subjekt anwesend sein muss, um Qualia geschehen zu lassen.
Selbstbewusstsein ist dem Subjekt zu eigen, oder auch nicht, insofern es keine (intakte) Großhirnrinde (mehr) besitzt. Aber wo ist der Link zum Verschwinden des Subjekts? Wie kommst Du zu der Annahme, es bräuchte keines?
Meine philosophische Neugier verleitet mich zum Nachdenken, und beim Nachdenken kam ich zu dieser Annahme. Beim Nachdenken nehme ich jedes traditionell gefestigte Fitzelchen unter die philosophische Lupe, drehe es, schaue aus verschiedenen Richtungen drauf, und dann schrumpfe ich mich selbst zu einem Punkt, setze mich selbst in das Fitzelchen hinein und schaue von ihm heraus, woher ich gerade eben hineingeschaut habe. Und dann kommen mir manchmal solche Ideen :-)

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 04:15
Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 02:44
Ein Lebewesen ist dann schlichtweg ein Feuerwerk aus Qualia, das als Lebendgesamtkunstwerk ohne Ich-Kern in der Welt tätig ist. Ich meine, der Versuch, den Ich-Kern im Schädel zu finden, ist alt. Gefunden hat ihn noch niemand.
Wenn Du mich fragst, dann bilden die Kleinhirn-Kerne den Ich-Kern. Sie sind die einzige Struktur im Kleinhirn, deren Axone aus dem Kleinhirn hinaus verschalten.
Du erkennst den Ich-Kern-Ort an seinen Funken? Aus physikalischer Sicht. Aber wie ist es, die Qualität "ich" zu erleben? Diese Qualität ist nicht funkig. Ich rede von dieser Qualität, nicht von Funken. Diese Qualität ist meiner Ansicht nach mit physikalischen Mitteln nicht beschreibbar und nicht ortbar. Bei solchen Qualitäten, so vermute ich, endet die Physik, und das Qualitätserlebnis kann dann nur noch selbsterklärend sein, wodurch die Annahme bestärkt wird, dass womöglich nicht einmal so etwas wie ein "Ich-Kern" dabei anwesend sein muss. Diese Annahme soll aber kein Argument gegen den Materialismus sein, sondern nur eine Ergänzung zu den bestehenden Thesen. Ich bin kein Fan von pauschaler Ausschließeritis.

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 03:21
Hallo Quk,

mir ist die Qualia-Thematik völlig neu. Hab gerade mal bei Wikipedia rein geschaut, um einen groben Überblick zu erhalten. Im Unterpunkt 'Qualia-Argumente' habe ich nachfolgenden Absatz gefunden, der mich sehr an unser aktuelles Gespräch erinnert:
(...) Nun argumentieren die Vertreter der metaphysischen Lesart weiter, dass die Gedankenexperimente aber gezeigt hätten, dass es möglich sei, dass neuronale Zustände ohne Qualia auftreten. Also könnten Qualia nicht mit Eigenschaften von neuronalen Zuständen identisch sein. Eine solche Argumentation muss sich natürlich den Einwand gefallen lassen, dass die Gedankenexperimente gar nicht zeigen, dass es möglich sei, dass neuronale Zustände ohne Qualia auftreten. Sie zeigen nur, dass dies vorstellbar ist. Vertreter der metaphysischen Lesart erwidern darauf, dass a priori Vorstellbarkeit immer auch prinzipielle Möglichkeit impliziert. (...)
Dem letztgenannten Argument muss ich vehement widersprechen! Die Tatsache, dass falsche Vorstellungen ein häufiges Phänomen sind, schließt die a priori Implikation einer prinzipiellen Möglichkeit im Rahmen der Vorstellbarkeit aus. Für falsche Vorstellungen ist charakteristisch, dass sich die auf ihrer Basis theoretisch (Denken) erarbeiteten Strategien als praktisch (Handeln) unmöglich erweisen. Was für Strategien gilt, betrifft auch alle anderen logischen Schlussfolgerungen.

Mir liegt die "erkenntnistheoretische Lesart" ganz allgemein und auch sonst näher, als die "metaphysische". Ich nehme an, bei Dir ist es umgekehrt, oder? 🤔

Viele Grüße, Marcus
Ich glaube, den Begriff "Vorstellbarkeit" meinen die da im Sinne von: "Können Sie sich vorstellen, dass die These zutrifft?" Nicht: Vorstellung als Geistesinhalt.

Für mich steht die Existenz der Qualia gar nicht zur Debatte. Qualia gibt es; sie sind da, während ich dies schreibe. Erkenntnistheoretisch bezeichne ich sie als eine Art qualitativer Axiome, im Gegensatz zu mathematischen oder logischen oder sonstigen naturwissenschaftlicher Axiomen. Ist das Metaphysik? Vielleicht. "Metaphysik" ist auch ein recht flexibles Etikett. Ich interessiere mich seit Jahrzehnten vor allem für Erkenntnistheorie.


Ahoy

Quk




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Quk
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Mi 18. Okt 2023, 17:18

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:01
Das Lernen und Erinnern wird übrigens auch emotional gesteuert.
Ja, langweiliges vergisst man sofort. Emotionale Ereignisse der Gefahr oder Freude etc. hingegen bleiben im Langzeitgedächtnis, weil diese Emotionen auf lebenswichtiges Erlerntes hinweisen, das man später wieder anwenden kann.

Gute Lehrer erwecken im Unterricht Emotionen. An die erinnert man sich ein Leben lang.

Dieses Thema halte ich allerdings weder für rein materiell noch für rein geistig.




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Jörn Budesheim
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Mi 18. Okt 2023, 17:25

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:01
In neuronalen Netzen breiten sich Erregungsmuster dynamisch aus. Die Lade- und Entladevorgänge der beteiligten Neuronen (ER) codieren und decodieren die (Teil-) Informationen.
Information kann kodiert und dekodiert werden, aber das bedeutet nicht, dass die Information materiell ist. Information kann auf viele verschiedene Arten kodiert werden, sie kann also keinesfalls mit dem jemals vorhandenen "Kodierungsmaterial" identisch sein.

Das gilt auch "umgekehrt": Der Philosoph Donald Davidson hat meines Erachtens überzeugend dargelegt, dass zwei Menschen, die sich in identischen Gehirnzuständen befinden, dennoch völlig unterschiedliche Überzeugungen haben können. Der berühmte philosophische Slogan dafür lautet: meanings just ain't in the head.

Selbst wenn man davon ausgehen müsste, dass Information immer materiell realisiert ist, hieße das keineswegs, dass die Information mit dem jeweiligen "Material", in das sie kodiert wurde, identisch wäre.

Information ist also nicht materiell.




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Jörn Budesheim
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Mi 18. Okt 2023, 17:33

Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:18
Dieses Thema halte ich allerdings weder für rein materiell noch für rein geistig.
Ein Sprach-Abgleich-Versuch:

Nach meinem Sprachverständnis ist es so: Wenn jemand sagt, X ist materiell, dann sagt er damit zugleich, X ist rein materiell und sonst nichts. Wenn jemand widerspricht und sagt, X ist nicht materiell, sagt er damit nicht zugleich, X ist geistig, noch sagt er, X ist rein geistig, noch leugnet er, dass X materieller Aspekte haben kann.

Einverstanden?




Marcus Breitmeyer
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Mi 18. Okt 2023, 17:58

Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:07
(...) Beim Nachdenken nehme ich jedes traditionell gefestigte Fitzelchen unter die philosophische Lupe, drehe es, schaue aus verschiedenen Richtungen drauf, und dann schrumpfe ich mich selbst zu einem Punkt, setze mich selbst in das Fitzelchen hinein und schaue von ihm heraus, woher ich gerade eben hineingeschaut habe. Und dann kommen mir manchmal solche Ideen :-)
Scotty, beam mich hoch! 💢 🧐

Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:07
Du erkennst den Ich-Kern-Ort an seinen Funken? Aus physikalischer Sicht. Aber wie ist es, die Qualität "ich" zu erleben? Diese Qualität ist nicht funkig. Ich rede von dieser Qualität, nicht von Funken. Diese Qualität ist meiner Ansicht nach mit physikalischen Mitteln nicht beschreibbar und nicht ortbar. Bei solchen Qualitäten, so vermute ich, endet die Physik, und das Qualitätserlebnis kann dann nur noch selbsterklärend sein, wodurch die Annahme bestärkt wird, dass womöglich nicht einmal so etwas wie ein "Ich-Kern" dabei anwesend sein muss. Diese Annahme soll aber kein Argument gegen den Materialismus sein, sondern nur eine Ergänzung zu den bestehenden Thesen. Ich bin kein Fan von pauschaler Ausschließeritis.
Grundsätzlich folge ich Dir. Insofern wir uns einig sind, dass es sich bei den Qualia um beobachtbare Phänomene (materielle oder immaterielle von mir aus) handelt und nicht um unbeobachtbare Phantome. Dass ein Erkenntnishorizont existiert, daran kann kein Zweifel bestehen, nur ist dieser stets relativ und nicht absolut. Eine prinzipielle Unbeobachtbarkeit lässt sich aus seiner Existenz nicht ableiten.

Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:07
Ich glaube, den Begriff "Vorstellbarkeit" meinen die da im Sinne von: "Können Sie sich vorstellen, dass die These zutrifft?" Nicht: Vorstellung als Geistesinhalt.
So habe ich das auch aufgefasst.

Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:07
Für mich steht die Existenz der Qualia gar nicht zur Debatte. Qualia gibt es; sie sind da, während ich dies schreibe.
Gehe ich mit.

Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:07
Erkenntnistheoretisch bezeichne ich sie als eine Art qualitativer Axiome, im Gegensatz zu mathematischen oder logischen oder sonstigen naturwissenschaftlicher Axiomen. Ist das Metaphysik? Vielleicht. "Metaphysik" ist auch ein recht flexibles Etikett. Ich interessiere mich seit Jahrzehnten vor allem für Erkenntnistheorie.
Ohne Axiome kommt die Wissenschaft meines Erachtens nicht aus. Ich halte sie solange für zulässig, wie sie keine unauflösbaren Widersprüche produzieren.




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Jörn Budesheim
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Mi 18. Okt 2023, 18:21

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 16:11
Ich gehe davon aus, dass es unmöglich ist, ihn zu widerlegen.
Es scheint jedoch Hirnforscher zu geben, die die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Libet-Theorie widerlegt werden kann, da es sich um eine naturwissenschaftliche Theorie handelt, bei der die Widerlegbarkeit gewissermaßen eingebaut sein muss.
...die Ergebnisse einer Schweizer Studie von 2020 stellen das Libet-Experiment infrage. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass das Bereitschaftspotenzial mit der Atmung zusammenhängt. Das sei ein Hinweis dafür, dass das Gehirn nicht unsere Entscheidungen vorwegnimmt, sondern das Bereitschaftspotenzial durch natürliche Körperprozesse ausschlägt – wie etwa der Atemrhythmus.

Diese Untersuchungen deuten darauf hin, dass unser Wille zumindest freier ist als lange angenommen.

https://www.planet-wissen.de/natur/fors ... nt100.html




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Quk
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Mi 18. Okt 2023, 18:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:33
Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:18
Dieses Thema halte ich allerdings weder für rein materiell noch für rein geistig.
Ein Sprach-Abgleich-Versuch:

Nach meinem Sprachverständnis ist es so: Wenn jemand sagt, X ist materiell, dann sagt er damit zugleich, X ist rein materiell und sonst nichts. Wenn jemand widerspricht und sagt, X ist nicht materiell, sagt er damit nicht zugleich, X ist geistig, noch sagt er, X ist rein geistig, noch leugnet er, dass X materieller Aspekte haben kann.

Einverstanden?
Einverstanden. Ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich wollte folgendes sagen:

"Dieses Thema halte ich allerdings weder für nur materiell noch für nur geistig, sondern es berührt wohl beide Gebiete."




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Jörn Budesheim
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Mi 18. Okt 2023, 18:34

Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 18:28
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:33
Einverstanden?
Einverstanden.
Ich möchte zur Sicherheit trotzdem noch einmal betonen, dass ich, wenn ich sage, dass etwas nicht materiell ist, nicht automatisch sagen will, dass es geistig ist. Ein Beispiel: Zahlen sind nicht materiell, aber sie sind meiner Meinung nach auch nicht geistig.




Marcus Breitmeyer
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Mi 18. Okt 2023, 18:35

Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:18
Ja, langweiliges vergisst man sofort. Emotionale Ereignisse der Gefahr oder Freude etc. hingegen bleiben im Langzeitgedächtnis, weil diese Emotionen auf lebenswichtiges Erlerntes hinweisen, das man später wieder anwenden kann.
Noradrenalin (Angst) und Dopamin (Freude) haben den gleichen (metabotropen) Effekt am Zielneuron: Aufladung ER und Inhibition der Zelle. (Der Wikipedia-Artikel zu den Dopamin-Rezeptoren war damals fehlerhaft. Ob das unterdessen korrigiert wurde, weiß ich nicht. Nur für den Fall, dass jemand dort nachschaut.) Die Konsolidierung einer gespeicherten Information erfolgt im Anschluss durch Serotonin (Glück) mittels Einstrom positiv geladener Metall-Ionen von außen in die Zelle. Die Zelle wird durch Noradrenalin und Dopamin negativer und durch Serotonin wieder positiver. Ohne den Effekt von Serotonin wird das ER wieder entladen, um die Soll-Spannung von 70mV an der Außenmembran wieder herzustellen. Das Glück sorgt also dafür, dass wir die zuvor gelernten Informationen nicht gleich wieder vergessen.

Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:18
Dieses Thema halte ich allerdings weder für rein materiell noch für rein geistig.
Ich halte die Welt für widerspruchsfrei. Ob es nur die eine gibt, kann offen bleiben. Für mich ist entscheidend, dass ich mich nur an Diskursen beteiligen kann, die in meiner Welt stattfinden, und dass selbiges auch für alle anderen Diskurs-Beteiligten gilt. Wir reden also notwendig über diese eine Welt. Alles andere ist reine Spekulation. Somit existieren materielle, geistige und auch alle anderen Phänome widerspruchsfrei nebeneinander. Das (Kohärenz) ist die Basis für konstruktiven Diskurs.




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Quk
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Mi 18. Okt 2023, 18:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:25
Der Philosoph Donald Davidson hat meines Erachtens überzeugend dargelegt, dass zwei Menschen, die sich in identischen Gehirnzuständen befinden, dennoch völlig unterschiedliche Überzeugungen haben können. Der berühmte philosophische Slogan dafür lautet: meanings just ain't in the head.
Diese These, vom Prinzip her, unterstütze ich, aber ich denke, man muss fairerweise sagen, dass diese beiden Gehirnzustände nicht identisch sein können, bestenfalls ähnlich. "Identisch" hieße, jedes Elementarteilchen und dessen Zustand im einen Hirn würde zeitlich und örtlich exakt übereinstimmen mit einem zweiten Elementarteilchen im anderen Hirn. Das ist schon allein quantenmechanisch nicht möglich wegen ihrer Unschärfe.




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Quk
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Mi 18. Okt 2023, 18:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 18:34
Quk hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 18:28
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 17:33
Einverstanden?
Einverstanden.
Ich möchte zur Sicherheit trotzdem noch einmal betonen, dass ich, wenn ich sage, dass etwas nicht materiell ist, nicht automatisch sagen will, dass es geistig ist. Ein Beispiel: Zahlen sind nicht materiell, aber sie sind meiner Meinung nach auch nicht geistig.
Einverstanden. Ich habe mich abermals falsch ausgedrückt. Ich wollte folgendes sagen:

"Dieses Thema halte ich allerdings weder für nur materiell noch für nur immateriell, sondern es berührt wohl beide Gebiete."




Marcus Breitmeyer
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Mi 18. Okt 2023, 23:51

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 18:21
Es scheint jedoch Hirnforscher zu geben, die die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Libet-Theorie widerlegt werden kann, da es sich um eine naturwissenschaftliche Theorie handelt, bei der die Widerlegbarkeit gewissermaßen eingebaut sein muss.
Um den Anforderungen von Wissenschaft zu genügen und damit wissenschaftlich zu sein, muss eine Theorie überprüfbar sein. Das gilt ganz allgemein und betrifft nicht nur die Naturwissenschaften, sondern auch die Geisteswissenschaften. Die Theorie, im 5-ten Paralleluniversum in der 8-ten Dimension gäbe es fliegende rosa Elefanten, ist keine wissenschaftliche Theorie, weil sich das postulierte Phänomen unserer Beobachtung per Definition entzieht (= Phantom). Das bedeutet aber nicht, dass jede Theorie falsifiziert werden kann, die wissenschaftlich ist. Viele wissenschaftliche Theorien werden auch verifiziert.

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 18:21
(...) Diese Untersuchungen deuten darauf hin, dass unser Wille zumindest freier ist, als lange angenommen.
Als ich damals an meinem Gehirn-Modell gebastelt hab, habe ich lange darüber nachgedacht, wo der Wille lokalisiert ist, und auch, was Willensfreiheit überhaupt bedeutet. Da der Wille bewusst ist, und da er im Vergleich mit anderen psychischen Entitäten extrem ausdrucksstark ist, liegt es nahe, ihn im Motorkortex anzunehmen. Besonders deutlich wird das, wenn wir mit Nachdruck handeln. Wie gesagt: Die Betz-Riesenzellen sind die leistungsstärksten Neurone im Gehirn. Das würde bedeuten: Kein Wille ohne Antrieb aus dem Kleinhirn! Aber: Wo er gar nicht erst zustande kommt, da kann er auch nicht eingeschränkt werden. Die Willensfreiheit wäre dadurch nicht bedroht.




Marcus Breitmeyer
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Do 19. Okt 2023, 00:53

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 23:51
Als ich damals an meinem Gehirn-Modell gebastelt hab, habe ich lange darüber nachgedacht, wo der Wille lokalisiert ist, und auch, was Willensfreiheit überhaupt bedeutet. Da der Wille bewusst ist, und da er im Vergleich mit anderen psychischen Entitäten extrem ausdrucksstark ist, liegt es nahe, ihn im Motorkortex anzunehmen.
Dazu noch mal eine Ergänzung:

Wenn die obige Annahme zutrifft, dann ist eine Einschränkung der Willensfreiheit (Psyche) gleichzusetzen mit einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit (Physis). Was mir insoweit plausibel erscheint.

In dem Zusammenhang ist interessant, dass es sowohl einen psychischen, als auch einen physischen Gewalt-Begriff gibt. Zumal Gewalt gegen das Individuum geeignet ist, sowohl die Willensfreiheit psychisch (=> Vorstellung), als auch die Bewegungsfreiheit physisch (=> Vorsehung) einzuschränken.

In Bezug auf die Vorstellung einer Gewalt-Einwirkung gegen das Individuum ist die Sache klar: Angst! Die negative emotionale Bewertung sorgt dafür, dass Kleinhirn und Motorkortex gehemmt werden. Der Wille wird auf diese Weise ganz oder teilweise unterdrückt, die Willensfreiheit somit eingeschränkt.




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Jörn Budesheim
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Do 19. Okt 2023, 09:47

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 23:51
Beobachtung
Ist die Mathematik für dich keine Wissenschaft?




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Jörn Budesheim
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Do 19. Okt 2023, 10:00

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2023, 15:34
Ich kann mich in die Lage eines Anderen hinein versetzen, indem ich ihn beobachte und mir dann vorstelle, ich wäre jetzt er.
Wenn die Angst vor der Katze mit irgendeinem Ereignis im Gehirn identisch wäre, wäre sie für andere nicht wahrnehmbar. Es wäre unmöglich zu erkennen, dass andere Angst haben. Aber in den meisten Fällen können wir die Gefühle anderer sehr wohl erkennen. Und nur deshalb können wir uns auch in sie hineinversetzen. Ein ursprünglicher Ausdruck der Philosophie dafür war, dass wir uns in den anderen spiegeln. Die Naturwissenschaften haben diese Metapher später übernommen und sprechen von Spiegelneuronen. Ein Spiegel, der nichts spiegelt, wäre jedoch sinnlos. Der soziale Aspekt von Emotionen (der ein großer evolutionärer Vorteil ist) fehlt, wenn man behauptet, dass Angst mit einem bestimmten Gehirnzustand identisch ist.

Wichtig dafür ist (natürlich nicht nur) die Mimik. Meiner Meinung nach ist die Mimik nicht nur Folge und Ausdruck unserer Emotionen, sondern selbst Teil davon. Das zeigt meines Erachtens auch die sogenannte Facial-Feedback-Hypothese. Man kann sie testen. Wer lächelt, fühlt sich in der Regel auch fröhlich. Ich kenne das Phänomen von Daniel Kahnemann, das ist meines Wissens empirisch gut belegt. Außerdem weiß wohl jeder aus eigener Erfahrung, wie ansteckend Lachen ist. Beim Lachen kann man sich auch gut den sozialen/konventionellen Aspekt der Gefühle vorstellen, denn es gibt soziale Kontexte, in denen Lachen als völlig unangemessen gilt.




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