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Philosophie in der digitalen Welt
DigiKant oder: Vier Fragen, frisch gestellt
Auf einem Symposion 1989 zu den Grundlagen der Quantenmechanik hatte der Physiker John Archibald Wheeler einen Vortrag über den Zusammenhang von Information und Materie gehalten. Wheeler, einst Mitarbeiter von Niels Bohr, schilderte darin, wie sich auf der Quantenebene Materie konstituiert. Gleich zu Beginn des Vortrags benutzte er eine einprägsame Formel: „It from bit.“
„It from bit.”
Soll heißen: Bestehendes – „it“ – resultiert aus einem Informationsvorgang: „bit“. Oder wie Wheeler selbst schreibt:
„Jedes Sein – jedes Teilchen, jedes Kraftfeld, selbst das Raumzeit-Kontinuum an sich – leitet seine Funktion, seine Bedeutung, ja seine nackte Existenz völlig, wenn auch in manchen Kontexten indirekt, aus den geräteinduzierten Antworten auf Ja‑oder-Nein-Fragen ab, aus einer binären Auswahl, aus Bits.“
(...)
Information kann nicht nur das sein, was wir über die Welt ‚lernen’. Sie kann das sein, was die Welt ‚macht‘. [...] Wenn ein Photon absorbiert und dadurch ‚gemessen’ wird – bis zu seiner Absorption hat es keine Wirklichkeit –, wird ein unteilbares Informations-Bit zu dem hinzugefügt, was wir über die Welt wissen, und gleichzeitig determiniert das Informations-Bit die Struktur eines kleinen Teils der Welt. Es ‚schafft‘ die Realität von Zeit und Raum dieses Photons“, präzisierte John Archibald Wheeler den Gedanken später noch einmal.
(...)
Alles kommt aus Information, alles wird zur Information, alles ist Information.
(...)
Damit wäre dann die Erste Aufklärung – die des 18. bis 20. Jahrhunderts – fragwürdig geworden, denn sie basierte auf dem umgekehrten Prinzip: Als sie den Menschen vom unreflektierten Glauben emanzipierte, stellte sie die intellektuellen Verhältnisse von Metaphysik auf Physik um, von Glauben auf Denken, Schlussfolgern, Rationalität. Das aber war: „bit from it.“
Bit from it: Erst ist da die Welt, dann kommt die Information über sie. Man begreift die Welt, indem man ihr Informationen abringt. Wissenschaft und Technik, Gesellschaft und Politik funktionieren nach Regeln und Heuristiken, die sich in der physischen Welt bewährt und als wahrheitsfähig erwiesen haben, nicht länger nach Postulaten, die man einem Alten oder Neuen Testament entnommen hat.
Doch wenn die Welt andersherum funktioniert, wenn sie im digitalen Universum erneut aus Informationen ersteht, dann muss man sich fragen, was von den Regeln und Heuristiken der Ersten Aufklärung noch vernunftgemäß ist.