Hufeisentheorie

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RoloTomasi
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So 1. Sep 2024, 20:37

Sehr wichtige Differenzierung! Abschaffung oder Überwindung der repräsentativen Demokratie als Form der extremistischen Systemüberwindung.

Ist ja auch klar, denn eine direkte Demokratie kann ja, zumindest in Reinform, wohl nur zu Anarchie führen...und Anarchismus ist sicherlich ein klassischer Fall von Extremismus (wenngleich er wohl mehr nur eine theoretische Möglichkeit darstellt).



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Consul
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So 1. Sep 2024, 21:06

Die Nationalpopulisten wollen direktdemokratische Verfahren verstärkt einsetzen, aber das Parlament als repräsentatives Medium nicht abschaffen – vor allem dann nicht, wenn sie die Mehrheit darin bilden. Sie verstehen sich ja als die einzig wahren und einzig rechtmäßigen Volksvertreter – als "die Stimme des Volkes" (vox populi), die den "allgemeinen Volkswillen" (volonté générale) vertritt und in die Tat umsetzt.

Zur liberalen repräsentativen Demokratie gehört ein Parteienpluralismus, den die illiberalen Demokraten eigentlich nicht gutheißen, weil angeblich alle Parteien außer der ihrigen den Volkswillen missachten und somit antidemokratische Politik betreiben. So argumentieren Populisten perfiderweise.



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RoloTomasi
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So 1. Sep 2024, 21:52

Das Wichtigste an einer liberalen Demokratie sind sicherlich das Repräsentationsprinzip und der Parteienpluralismus. Und v.a. eine starke Regierung und starke Opposition, die sich gegenseitig korrigieren und kontrollieren. Das sind die Zustände bei uns im Land, mit Repräsentation und pluraler Parteienlandschaft - also eben weit entfernt vom Extremismus im Sinne von Systemüberwindung.



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Consul
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Mo 2. Sep 2024, 00:29

Stefanie hat geschrieben :
So 1. Sep 2024, 22:57
Die Hufeisentheorie ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Extremismus von Rechts jahrzehnte lang verharmlost wurde, indem man Links und Rechts auf der selben Stufe in diesem Beispiel einordnete.
Mit dem Hufeisenmodell wollen Extremismusforscher den Linksextremismus und den Rechtsextremismus weder gleichsetzen noch Letzteren verharmlosen.
Siehe: https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... 469#p82469



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Jörn Budesheim
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Mo 2. Sep 2024, 08:26

Consul hat geschrieben :
Mo 2. Sep 2024, 00:29
Stefanie hat geschrieben :
So 1. Sep 2024, 22:57
Die Hufeisentheorie ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Extremismus von Rechts jahrzehnte lang verharmlost wurde, indem man Links und Rechts auf der selben Stufe in diesem Beispiel einordnete.
Mit dem Hufeisenmodell wollen Extremismusforscher den Linksextremismus und den Rechtsextremismus weder gleichsetzen noch Letzteren verharmlosen.
Siehe: https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... 469#p82469
Meines Erachtens liegt das Problem bereits in der verwendeten Metapher, die die Gleichsetzung von links und rechts bereits im verwendeten Bild impliziert un dentsprechende Reaktionen "provoziert": "Nach der rechtsmotivierten Hinrichtung des Kasseler Politikers Walter Lübcke hieß es zum Beispiel ganz schnell: 'Aber die Antifa!' Das Modell ist extrem problematisch, leider aber extrem populär." "Alles wird in einen Topf geworfen: Rassistische Angriffe auf Menschen werden mit brennenden Autos bei den G20-Protesten gleichgesetzt, Sachgüter mit Menschenleben."

Ein weiterer Nachteil besteht in der "Vernachlässigung" der sog. Mitte. Die Ränder gelten als extrem, die Mitte hingegen als vernünftig: "Rassistisch, antisemitisch, chauvinistisch, Frauen- und LGBTIQ-feindlich können dann ja nur die Extremist*innen an den Rändern sein. Seit Jahren weisen Studien über diese Ideologien allerdings in eine andere Richtung: Es handelt sich um gesamtgesellschaftliche Phänomene, die sich nicht exklusiv einer bestimmten Gruppe zuordnen lassen."

Zitate von den Herausgebern des Sammelbandes "Extrem unbrauchbar", der sich kritisch mit der sog. Hufeisen-Theorie auseinandersetzt. Eva Berendsen, Katharina Rhein und Tom David Uhlig.




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Mo 2. Sep 2024, 22:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 2. Sep 2024, 08:26
Consul hat geschrieben :
Mo 2. Sep 2024, 00:29
Mit dem Hufeisenmodell wollen Extremismusforscher den Linksextremismus und den Rechtsextremismus weder gleichsetzen noch Letzteren verharmlosen.
Siehe: https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... 469#p82469
Meines Erachtens liegt das Problem bereits in der verwendeten Metapher, die die Gleichsetzung von links und rechts bereits im verwendeten Bild impliziert un dentsprechende Reaktionen "provoziert": "Nach der rechtsmotivierten Hinrichtung des Kasseler Politikers Walter Lübcke hieß es zum Beispiel ganz schnell: 'Aber die Antifa!' Das Modell ist extrem problematisch, leider aber extrem populär." "Alles wird in einen Topf geworfen: Rassistische Angriffe auf Menschen werden mit brennenden Autos bei den G20-Protesten gleichgesetzt, Sachgüter mit Menschenleben."
Siehe das oben verlinkte Zitat, worin der Extremismusexperte Pfahl-Traughber klarstellt, dass dies eine Fehldeutung des Hufeisenmodells ist!
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 2. Sep 2024, 08:26
Ein weiterer Nachteil besteht in der "Vernachlässigung" der sog. Mitte. Die Ränder gelten als extrem, die Mitte hingegen als vernünftig: "Rassistisch, antisemitisch, chauvinistisch, Frauen- und LGBTIQ-feindlich können dann ja nur die Extremist*innen an den Rändern sein. Seit Jahren weisen Studien über diese Ideologien allerdings in eine andere Richtung: Es handelt sich um gesamtgesellschaftliche Phänomene, die sich nicht exklusiv einer bestimmten Gruppe zuordnen lassen."

Zitate von den Herausgebern des Sammelbandes "Extrem unbrauchbar", der sich kritisch mit der sog. Hufeisen-Theorie auseinandersetzt. Eva Berendsen, Katharina Rhein und Tom David Uhlig.
Das Gegenteil von "extremistisch" ist nicht "rationalistisch".

Welcher Extremismusforscher behauptet, dass Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Homophobie oder Transphobie ausschließlich bei politischen Extremisten vorkommt?!
Es macht aber beispielsweise einen großen Unterschied, ob ein (prodemokratischer) Konservativer sagt, "Ich mag keine Schwulen, aber ich lasse sie in Ruhe," oder ob ein Rechtsextremist oder religiöser Extremist sagt, "Ich hasse Schwule und will dass sie eingesperrt oder getötet werden."

Es gibt unterschiedliche Grade von Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Homophobie und Transphobie; und es sind gerade die Wachen Linken, die diese moralisch & juristisch relevanten Unterschiede mit ihrem Gerede vom angeblich die gesamte Gesellschaft durchdringenden "strukturellen/systemischen Rassismus/etc." verwischen oder gar aufheben.



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Jörn Budesheim
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Di 3. Sep 2024, 08:47

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 2. Sep 2024, 08:26
Consul hat geschrieben :
Mo 2. Sep 2024, 00:29
Stefanie hat geschrieben :
So 1. Sep 2024, 22:57
Die Hufeisentheorie ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Extremismus von Rechts jahrzehnte lang verharmlost wurde, indem man Links und Rechts auf der selben Stufe in diesem Beispiel einordnete.
Mit dem Hufeisenmodell wollen Extremismusforscher den Linksextremismus und den Rechtsextremismus weder gleichsetzen noch Letzteren verharmlosen.
Siehe: https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... 469#p82469
Meines Erachtens liegt das Problem bereits in der verwendeten Metapher, die die Gleichsetzung von links und rechts bereits im verwendeten Bild impliziert un dentsprechende Reaktionen "provoziert": "Nach der rechtsmotivierten Hinrichtung des Kasseler Politikers Walter Lübcke hieß es zum Beispiel ganz schnell: 'Aber die Antifa!' Das Modell ist extrem problematisch, leider aber extrem populär." "Alles wird in einen Topf geworfen: Rassistische Angriffe auf Menschen werden mit brennenden Autos bei den G20-Protesten gleichgesetzt, Sachgüter mit Menschenleben."

Ein weiterer Nachteil besteht in der "Vernachlässigung" der sog. Mitte. Die Ränder gelten als extrem, die Mitte hingegen als vernünftig: "Rassistisch, antisemitisch, chauvinistisch, Frauen- und LGBTIQ-feindlich können dann ja nur die Extremist*innen an den Rändern sein. Seit Jahren weisen Studien über diese Ideologien allerdings in eine andere Richtung: Es handelt sich um gesamtgesellschaftliche Phänomene, die sich nicht exklusiv einer bestimmten Gruppe zuordnen lassen."

Zitate von den Herausgebern des Sammelbandes "Extrem unbrauchbar", der sich kritisch mit der sog. Hufeisen-Theorie auseinandersetzt. Eva Berendsen, Katharina Rhein und Tom David Uhlig.
Hier hab ich zwei Dinge zusammengetan, die teilweise getrennt sein sollten.

Punkt 1: die verwendete Metapher. Sie impliziert ganz sicher eine Gleichsetzung von links und rechts, daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben.
Punkt 2: der Sammelband "Extrem unbrauchbar". Sie stellen zwar auch die Metapher infrage, soweit ich sehe, aber kritisieren vieles anders mehr. Ich kenne das Buch nicht, nur ein Interview der Autor:innen. Ein Expert:innenstreit, zu dem ich nicht viel beitragen kann, ohne mich einzulesen. Ich neige nach meinem bisherigen Kenntnisstand den Kritiker:innen zu.




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Di 3. Sep 2024, 12:05

Es gibt keine unterschiedlichen Grade von Rassismus etc.
Ob nun jemand wegen seiner Hautfarbe blöd angesprochen wird, beleidigt wird, eine Stelle nicht bekommt, angerempelt wird, irgendwo nicht rein kommt, eine Wohnung nicht bekommt, geschlagen oder sogar getötet wird, immer liegt dem Rassismus zu Grunde. Es gibt kein bißchen Rassismus. Die rechtlichen Folgen sind nur unterschiedlich. Es ist Rassismus.
Bei der Wohnungssuche habe Menschen mit einem nicht deutschen Namen sondern mit einem arabisch, türkisch, afrikanisch klingenden Namen, kaum eine Chance. Rassismus.
Wird in einer heterosexuellen Ehe ein Kind durch die Ehefrau geboren, hat der Ehemann zusammen mit der Frau das gemeinsame Sorgerecht, allein aufgrund der Ehe. Bei zwei miteinander verheirateten Frauen hat nur die Mutter, die das Kind geboren hat, das Sorgerecht. Ihre Ehefrau muss das Kind adoptieren, damit sie ebenfalls das Sorgerecht hat. Verrückt.



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Di 3. Sep 2024, 20:26

Stefanie hat geschrieben :
Di 3. Sep 2024, 12:05
Es gibt keine unterschiedlichen Grade von Rassismus etc.
Ob nun jemand wegen seiner Hautfarbe blöd angesprochen wird, beleidigt wird, eine Stelle nicht bekommt, angerempelt wird, irgendwo nicht rein kommt, eine Wohnung nicht bekommt, geschlagen oder sogar getötet wird, immer liegt dem Rassismus zu Grunde. Es gibt kein bißchen Rassismus. Die rechtlichen Folgen sind nur unterschiedlich. Es ist Rassismus.
Du hast unrecht, denn es gibt durchaus unterschiedliche Schweregrade von Rassismus. Du wirst eine rassistische Beleidigung ja wohl nicht mit einem rassistischen Lynchmord gleichsetzen, oder?



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Di 3. Sep 2024, 20:33

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 3. Sep 2024, 08:47
Hier hab ich zwei Dinge zusammengetan, die teilweise getrennt sein sollten.

Punkt 1: die verwendete Metapher. Sie impliziert ganz sicher eine Gleichsetzung von links und rechts, daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben.
Wie oft muss noch betont werden, dass die Rede von einer Gleichsetzung der Extremismen zweifellos auf einer Fehldeutung des Hufeisenmodells beruht! Denn es geht lediglich um die Veranschaulichung einer Nähe aufgrund gewisser Ähnlichkeiten.



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Stefanie
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Di 3. Sep 2024, 20:40

Die Ursache ist identisch: Rassismus.
Du schreibst von unterschiedlichen Graden von Rassismus. Aber Rassismus ist Rassismus. Es ist die Ablehnung einer Person aufgrund der Hautfarbe.
Die Folgen und die Handlungen, die aus dem Rassismus entspringen sind unterschiedlich, in Form und Folgen.
Das ist ein Unterschied.



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Di 3. Sep 2024, 21:22

Stefanie hat geschrieben :
Di 3. Sep 2024, 20:40
Die Ursache ist identisch: Rassismus.
Du schreibst von unterschiedlichen Graden von Rassismus. Aber Rassismus ist Rassismus. Es ist die Ablehnung einer Person aufgrund der Hautfarbe.
Die Folgen und die Handlungen, die aus dem Rassismus entspringen sind unterschiedlich, in Form und Folgen.
Das ist ein Unterschied.
Vielleicht hilft es, wenn ich von unterschiedlichen Arten von Rassismus (mit unterschiedlichen Schweregraden) spreche.



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Stefanie
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Di 3. Sep 2024, 21:30

Formen?



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Di 3. Sep 2024, 21:42

Stefanie hat geschrieben :
Di 3. Sep 2024, 21:30
Formen?
Man kann auch von Formen von Rassismus sprechen, wobei hier kein Bedeutungsunterschied zwischen "Art" und "Form" besteht.



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Di 3. Sep 2024, 21:48

Mir scheint es auch wichtig zu sein, dass man bei diesem ganzen Thema nicht vergisst, dass es sich um Extremismus handelt - also um äußerste und entsprechend seltene Phänomene. Ich nehme mal ein Beispiel vom anderen, also linken Spektrum: Nur weil einige wenige Leute gendern, ist der Genderismus ja kein strukturelles gesellschaftliches Problem, sondern eben nur ein gelegentliches auftauchendes Links-Extrem.

Es gibt, das will ich damit sagen, gar keinen strukturellen gesellschaftlichen Ismus, sondern Ismus, welcher Art auch immer, ist immer selten. Wenn man das nicht im Auge behält, sieht es so aus, als würde die ganze soziale Welt nur aus Extremen bestehen... und das sehen eigentlich nur Links- oder Rechtsextremisten so.



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Di 3. Sep 2024, 22:24

Es gibt übrigens den Begriff "Extremismus der Mitte":
"Der Begriff Extremismus der Mitte wurde von Seymour Martin Lipset in die Soziologie eingeführt. In seinem Buch Political Man (1959) schrieb er, dass der linke Extremismus seine Basis in den unteren Schichten und in der Arbeiterklasse habe, der rechte Extremismus in den Oberschichten verankert und der Faschismus in der sozioökonomischen Mittelschicht beheimatet sei.…"

https://de.wikipedia.org/wiki/Extremismus_der_Mitte
Man muss hier aber unterscheiden zwischen der sozialen/sozioökonomischen Mitte (innerhalb der hierarchischen Schichtung der Gesellschaft) und der politisch-ideologischen Mitte (innerhalb des linearen Spektrums politischer Ideologien).

Ich habe mich mit Lipsets These noch nicht weiter befasst, aber der Faschismus ist auf jeden Fall Teil des Rechtsextremismus.



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Wolfgang Endemann
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Mi 4. Sep 2024, 10:46

Consul hat geschrieben :
Di 3. Sep 2024, 22:24

Man muss hier aber unterscheiden zwischen der sozialen/sozioökonomischen Mitte (innerhalb der hierarchischen Schichtung der Gesellschaft) und der politisch-ideologischen Mitte (innerhalb des linearen Spektrums politischer Ideologien).
Richtig. Allerdings gibt es komplizierte Zusammenhänge zwischen der sozialen/sozioökonomischen Mitte und der politisch-ideologischen Mitte. Wenn man ihn nicht vulgärmaterialistisch verkürzt, was leider zu oft getan wurde, ist der Marxsche Gedanke "Das Sein bestimmt das Bewußtsein" unbestreitbar zutreffend. Die Interessen der Menschen und damit ihre Weltbilder sind nicht gleich, können nur manipulativ gleichgeschaltet werden, was aber nur teilweise gelingen kann.

Mein Vorschlag, der eine gewisse Ähnlichkeit mit den hier vorgestellten zweidimensionalen Verortungsschemata hat, aber mE besser die Wertorientierung von der Durchsetzungsform trennt, wurde ja hier nicht angenommen, was ich für einen Fehler halte, denn dadurch kann auch nicht der Unterschied von formaldemokratischem und substantiell demokratischem Verständnis einer Gesellschaftsordnung unterschieden werden. Daher komme ich noch einmal zurück auf meine Unterscheidung.

Ich hatte ja das Hufeisenmodell scharf kritisiert. Man könnte aber im Gegenteil ein Modell bilden, in dem sich das Hufeisenmodell wiederfindet ohne die manipulative ideologische Zielsetzung, mit der das Modell in die Welt gesetzt wurde. Grundlage dafür wäre ein zweidimensionales Modell in Polarkoordinaten. Für die, die sich nicht mehr erinnern, was sie mal in der Schule gelernt haben: Man kann alle Punkte einer möglicherweise unbegrenzten Fläche durch Angabe zweier Werte eindeutig identifizieren, in unseren euklidschen Koordinaten zeichnet man dazu zwei sich senkrecht schneidende Linien (x- und y-Achse) auf der Fläche, normiert einen Abstand (zB 1 cm als "1"), dann erfaßt man alle Punkte der Fläche eindeutig durch die Angabe des Wertepaares (x,y). Man kann aber auch einen Mittelpunkt M festlegen, von dem ein Strahl ausgeht, und zu diesem Strahl einen zweiten zeichnen, der mit dem ersten einen Winkel α bildet. Wenn jetzt der erste Strahl wie eine euklidschen Koordinate behandelt wird, allerdings nur mit Werten ≥0, haben wir wie im euklidschen ein orthogonales Koordinatensystem, mit dem man alle Punkte der Fläche eindeutig erfassen kann. Jeder Punkt ist eindeutig durch zwei Werte (x,α) festgelegt. Nun begrenzen wir die Fläche auf die Halbfläche aller Werte x und α≤180°. Wenn wir einen Halbkreis um M zeichnen, haben wir das Hufeisen. Wenn die Grundlinie durch M des Halbfelds unten liegt, haben wir eine Verortung von rechts=konservtiv, oben=bürgerlich und links=selbstbestimmte Solidargesellschaft. Die politische Mitte ist eine Werteposition, nicht, wie es in einer linearen Vorstellung gedacht wird, eine neutrale Position 0 zwischen + und -. Die 0 in der linearen Ordnung wäre Indifferenz, Unbestimmtheit, völliger Werterelativismus. Und in diesem Modell mit Polarkoordinaten macht der allgemeine Begriff des Extremismus Sinn, er bezeichnet die überstarke Motivation, die Wertepräferenz α durchzusetzen, Je mehr man die eigene Position durchzusetzen trachtet, desto extremistischer ist man. In diesem Modell gäbe es das Ideal des demokratischen Bürgers, der in einem mittleren Intervall [x₁,x₂] seine Position α durch Überzeugung/Argumente mehrheitsfähig zu machen sucht, diejenigen, für die x<x₁ ist, sind die Unengagierten, Gleichgültigen, Nihilisten, diejenigen, für die x>x₂ ist, sind Extremisten. Und hier sieht man, daß es an allen Positionen α Extremisten gibt, also bürgerliche wie linke und rechte.




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Jörn Budesheim
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Mi 4. Sep 2024, 12:03

Ich hab ChatGPT gebeten, das Diagramm in einfachen Worten zu erläutern:

Stell dir vor, wir haben eine Fläche vor uns, wie ein großes Blatt Papier. In der Mitte dieses Blattes ist ein Punkt, den wir "M" nennen. Von diesem Punkt aus geht ein Strahl oder eine Linie gerade nach rechts weg. Das ist wie ein Pfeil, der vom Mittelpunkt ausgeht. Dann zeichnen wir einen weiteren Strahl, der mit dem ersten Strahl einen Winkel bildet. Dieser Winkel gibt uns eine Richtung an.

Jetzt machen wir etwas Besonderes: Wir zeichnen einen Halbkreis um den Punkt M. Der Halbkreis geht von links über oben nach rechts. Diesen Halbkreis können wir uns wie ein Hufeisen vorstellen, das auf dem Kopf steht.

Wie man sich in diesem Hufeisen bewegt:

1. Wert der Position (Winkel α): Stell dir vor, der Halbkreis zeigt, wie Menschen denken oder welche Werte sie haben. Wenn du links bist, stehst du für mehr Gleichheit und Gemeinschaft. Wenn du rechts bist, stehst du mehr für Tradition und Ordnung. In der Mitte stehst du für bürgerliche Werte, also ein bisschen von allem.

2. Wie stark man etwas durchsetzen möchte (Abstand x vom Punkt M): Wenn du nah an M bist, bedeutet das, dass du nicht sehr stark versuchst, deine Meinung durchzusetzen. Du bist eher entspannt oder gleichgültig. Je weiter du dich von M entfernst, desto mehr möchtest du deine Meinung durchsetzen, bis hin zum Extremismus, wo jemand seine Meinung mit allen Mitteln durchsetzen möchte.

Was bedeutet das?

- Die Mitte: Die Mitte des Halbkreises zeigt nicht, dass man neutral oder gleichgültig ist. Es bedeutet, dass man eine ausgewogene Position hat, aber man kann sie trotzdem stark oder weniger stark durchsetzen wollen.

- Extremismus: Egal, ob man links, rechts oder in der Mitte steht – wenn man seine Meinung sehr stark durchsetzen will, bewegt man sich weiter weg von M und wird „extrem“.

- Die Unengagierten: Diese Menschen bleiben nah an M. Sie interessieren sich nicht sehr dafür, ihre Meinung durchzusetzen, egal, wo sie auf dem Halbkreis stehen.

Zusammenfassung: Das Modell zeigt, dass Menschen unterschiedliche Meinungen (Werte) haben und dass es darauf ankommt, wie sehr sie diese Meinungen durchsetzen wollen. Die politische Mitte ist nicht einfach nur die Mitte zwischen links und rechts, sondern eine Position mit eigenen Werten. Extremismus kann an jeder Stelle des Halbkreises auftreten, wenn jemand sehr stark versucht, seine Meinung durchzusetzen.




RoloTomasi
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Mi 4. Sep 2024, 12:11

@ Wolfgang Endemann: "Je mehr man die eigene Position durchzusetzen trachtet, desto extremistischer ist man". Das verstehe ich nicht?

Und wieso sollte denn das Argumentieren zum Ideal des demokratischen Bürgers gehören? Argumentation und die damit verbundene Bemühung um Objektivität ist doch eher eine akademische und wissenschaftliche Methode, aber doch keine Eigenschaft lebensweltlicher Kommunikationsprozesse. Hier spielen doch irrationale Vernunftmomente stets die Hauptrolle gegenüber rationalen.

Gegen tief eingewurzelte und meinungsfest gewordene Überzeugungen, Gewohnheiten, Gefühle und Erfahrungen kommt das Argument kaum an. Dieses hat seinen Sitz im wissenschaftlichen und philosophischen Denken, und schon da ist es schwer genug, das Ideal der Objektivität streng durchzuhalten. Irgendeine Ideologie, d.h. irgendein unauflösliches Vorurteil ( ein Standpunkt, eine Weltanschauung, eine Einbildung, ein Glaube usw.) steckt ja letztlich in jedem noch so rationalen Argument, denn auf irgendetwas hintergründig Irrationales will doch jeder Argumentierende hinaus. Nur ist es natürlich im konkreten Fall nicht immer leicht zu bemerken, was einen selbst gerade treibt, wenn man kommuniziert oder argumentiert. Deswegen ist die Erfüllung der philosophischen Forderungen "Erkenne dich selbst" auch so schwer.

Ich will damit u.a. sagen: Jedem Ideal, auch dem des rational argumentierenden Bürgers, liegt etwas zugrunde, das nicht selbst die Form eines rationalen Arguments hat.



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Wolfgang Endemann
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Mi 4. Sep 2024, 17:50

@ Jörn
Im Großen und Ganzen gut getroffen.




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