Gott

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Jörn Budesheim
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Mi 11. Okt 2017, 07:44

Vielleicht ist die Idee "Gott" nichts anderes, als die Unfähigkeit, Wunder auszuhalten, weil man sogar dafür noch eine Erklärung möchte.




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Jörn Budesheim
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Mi 11. Okt 2017, 08:16

Karl Rahner (von Mathias Behrens auf Facebook als Antwort auf den Gedanken zitiert) hat geschrieben : Gott ist nicht „etwas„ neben anderem, das mit diesem anderen in ein gemeinsames, homogenes System einbegriffen werden kann. „Gott” sagen wir und meinen das Ganze, aber nicht als nachträgliche Summe der Phänomene, die wir untersuchen, sondern das Ganze in seinem unverfügbaren Ursprung und Grund, der unumfasslich, unumgreiflich, unsagbar hinter, vor und über jenem Ganzen liegt, zu dem wir selbst und auch unser experimentierendes Erkennen gehören. Und in jedem Leben, auch des exakten Naturwissenschftlers und Technikers, kommen in die Mitte des Daseins zielende Augenblicke, in denen ihn die Unendlichkeit anblickt und anruft. Man kann das Leben, insofern man zwischen diesem und jenem hindurchfinden muss, mit Formeln der Wissenschaft meistern. Wenigstens auf weite Strecken mag das gelingen, und man greift glücklicherweise morgen noch ein gutes Stück weiter. Der Mensch selbst aber gründet im Abgrund, den keine Formel mehr auslotet. Man kann den Mut haben, diesen Abgrund zu erfahren als das heilige Geheimnis der Liebe. Dann kann man es Gott nennen.




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Alethos
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Mi 11. Okt 2017, 08:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 07:44
Vielleicht ist die Idee "Gott" nichts anderes, als die Unfähigkeit, Wunder auszuhalten, weil man sogar dafür noch eine Erklärung möchte.
Schön formuliert. Vielleicht ist 'Gott' wirklich eine 'Idee' des Erträglichmachens: der eigenen Endlichkeit, der Unendlichkeit, des Fehlens eines absolut Guten etc.

Aber philosophisch gesehen ist Gott ein neuplatonisches Programm, das aus einer Umdeutung der platonischen Ideenschau entwickelt wurde. Standen bei Plato die transzendenten Ideen für das absolut Höchste, wurden diese im Laufe der Zeit durch Eudor und Co. zu einer monotheistischen Oneman-Show umgeschrieben. Die Ideen wurden zunächst in einen göttlichen Intellekt gelegt und dieser dreigefaltet.
So entstand Gott: Durch Plagiat und Faltung.

Hegel hat die Trinität dann in sein Programm überführt und es in die Neuzeit 'gerettet'.

Was leistet Gott heute?



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Jörn Budesheim
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Mi 11. Okt 2017, 09:18

Auf die Frage "Glauben Sie an Gott" sagen in Deutschland 58% "ja" (Quelle). Das ist ein klare Mehrheit. Mir fehlt das Talent zum Glauben völlig (wie es in einer berühmten Formulierung heißt, dessen Autor mir jetzt gerade nicht präsent ist.) Die Intuition, dass das alles nicht einfach sinnlos sein kann, kann ich aber gut nachvollziehen.




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Alethos
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Mi 11. Okt 2017, 10:28

Interessant hier ist auch die Feststellung, dass Glaube eine Frage des Talents sein könnte, als wäre sie eine Fähigkeit, die man entweder hat oder nicht hat. Atheist oder Agnostiker zu sein zeigte sich so als Mangelerscheinung.

Atheisten und Agnostiker sehen sich doch eher als fortschrittliche Menschen, als Aufgeklärte, die sich nicht jeden Bären (oder jeden Gott) aufbinden lassen. Vielleicht ist es aber anders herum, dass zu glauben eine Übungssache ist, ein sich Einlassen auf eine fantastische Geschichte, die trotz den Widrigkeiten einer modernen, erklärbaren Welt sich einstellt als Vermögen zu verklären, zu hoffen, zu träumen?

Was für mich bei der Gottesidee persönlich anachrostisch ist, ist jedoch das dogmatische, orthodoxe Sollen, das mit der Religiosität mitgeliefert wird. Einen Gott zu haben müsste ohne Subordinationsdruck erhältlich sein, damit es ein attraktives Modell darstellte. :)

Wozu sind aber individuelle Gotteskonzepte gut, wenn aus ihnen keine Normativität erwächst? Was bringt es, wenn Gott keine Schnittmengen zwischen den Individuen zu schaffen vermag? Eine mögliche Antwort wäre, dass es Trost bietet und Erklärungshilfen liefert. Aber als Konsolationspraktiken können auch ganz andere Konzepte dienen: Hedonismus, Materialismus, Idealismus, ja, jede Art von -ismus.



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Jörn Budesheim
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Mi 11. Okt 2017, 10:45

Als Atheist, also jemand wie du und ich, sollte man aber nicht den Gläubigen irgend eine ganz naive Form des Glaubens unterstellen, so als würden sie alle an einen alten Mann mit weißem Bart glauben. Mir ist nur nicht ganz klar, durch welches bessere Bild ich das ersetzen kann/sollte. Müsste man mal dran arbeiten.




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Alethos
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Mi 11. Okt 2017, 11:10

Spannend wie der Mythos des Weihnachtsmanns und der Gottesmythos in der Weisser-Bart-Optik zusammenfällt.
Die alten Geiechen hatte alle Bärte als Zeichen von Weisheit. Je weisser, desto weiser :)

Du hast recht, man sollte den Gläubigen keinen naiven Glauben unterstellen. Aber wieso eigentlich nicht?



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Jörn Budesheim
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Mi 11. Okt 2017, 11:14

Alethos hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 11:10
Aber wieso eigentlich nicht?
Aus Fairness? Und: Strohmänner sollte man (anders als Weihnachtsmänner) tunlichst vermeiden.




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Alethos
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Mi 11. Okt 2017, 11:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 11:14
Aus Fairness?
Das überzeugt mich!



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Jörn Budesheim
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Mi 11. Okt 2017, 11:21

:-)

(nach weit über 1000 Beiträge - endlich mal jemand überzeugt, es geschehen noch Zeichen und Wunder!)




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Friederike
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Mi 11. Okt 2017, 12:00

Huhu @epitox - ich denke als allererstes an Dich bei dem Thema. Kann Dich das nicht aus Deiner Schreib-Enthaltsamkeit hervorlocken? Bild




Tosa Inu
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 09:18
(wie es in einer berühmten Formulierung heißt, dessen Autor mir jetzt gerade nicht präsent ist.)
Max Weber.
Übrigens im Original nicht triumphal, sondern bedauernd gemeint.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Mi 11. Okt 2017, 13:29

danke :-)

Wirkte es so, als würde ich es triumphal nutzen? hmm... Ich hab irgendwie nie eine Ader fürs Glauben gehabt, obwohl ich als Kind durchaus in einer religiösen Umgebung aufgewachsen bin und auch später so mit 17/18/19 viel mit sehr religiösen Menschen zu tun hatte. Ich erinnere mich noch an eine andere Wendung (auch hier weiß ich den Autoren nicht mehr). Dieser bedauerte nicht gläubig zu sein, weil ihm so der Adressat für seinen Dank fehle. Das gefällt mir zwar sehr, aber das Gefühl hatte ich selbst noch nicht.




Tosa Inu
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Mi 11. Okt 2017, 14:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 13:29
Wirkte es so, als würde ich es triumphal nutzen?
Nein, das ist nur so nutzloses Weltwissen, was ich verbreiten wollte.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Tosa Inu
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Mi 11. Okt 2017, 15:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 07:44
Vielleicht ist die Idee "Gott" nichts anderes, als die Unfähigkeit, Wunder auszuhalten, weil man sogar dafür noch eine Erklärung möchte.
Ich finde die Frage, wieso man eigentlich auf Gott kommt, auch reizvoll.
Nachdem in alten Zeiten, wenn es stimmt, was man so liest, der Animismus eine Art präreligiöser Vorform war und die Präsenz von Ahnengeistern als vollkommen reale Größe gesehen wurde, man brauchte da also nicht groß was zu erfinden, ist es glaube ich auch später nicht das große Absurde, was irgendwie (mit einem unnterstellten Mangel an Bildung) erklärt werden muss, sondern im Gegenteil die Permanenz der Bestätigungen, in Träumen, Visionen, Gipfelerlebnissen, rituellen Rauscherfahrungen diverser Menschen zu allen Zeiten, d.h. das "Wie kann man nur?" ist gar nicht das Problem.

Erst als man für all diese Erfahrungen kurzzeitig andere Erklärungen hatte, kam die Religion kurz ins Schlingern, doch das ist Geschichte, ob man es nun mag, oder nicht.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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