Gründe und Argumente

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Alethos
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Sa 31. Aug 2019, 10:53

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 31. Aug 2019, 10:40
Alethos hat geschrieben :
Sa 31. Aug 2019, 10:33
Und dieses Argument soll zeigen, dass man einen Grund hat, eine ganz bestimmte Handlung zu vollziehen, nämlich, sich nicht zu bewegen.
Das ist komplett gegen die Intention! Das soll keineswegs gezeigt werden, sondern das ist das, was vorausgesetzt ist!
Ok, damit wir gemeinsam vorankommen können (und wir nicht gleich bei der ersten Bewegung des Anderen zubeissen :) ), einigen wir uns auf diesen Zwischenstand:

Uns sind nicht alle Tatsachen bekannt, die für etwas sprechen.

Versuchen wir noch mehr gemeinsamen Boden zu finden: Uns sind nicht alle Tatsachen bekannt, die für etwas sprechen. Wenn wir die Tatsachen, die für etwas sprechen, missachten, etwa weil wir handeln, ohne sie zu kennen, dann ist das eine riskante Situation mit Blick auf den erhofften Erfolg dieser Handlung.



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Alethos
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Sa 31. Aug 2019, 10:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 31. Aug 2019, 10:53
Krass, du verstehst die Struktur des Argumentes nicht. Ich weiß nicht, was ich machen soll... Ich versuche es mal abstrakter. Dabei geht es um simplen Alltag:

Wir kennen nicht alle Tatsachen.
Viele Tatsachen sprechen für etwas.
Gründe sind Tatsachen, die für etwas sprechen.
Wenn wir Tatsachen nicht kennen, wissen wir nicht wofür die sprechen.
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Also gibt es Gründe, von denen wir nichts wissen.
Das verstehe ich und ich bin damit einverstanden.



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Jörn Budesheim
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Sa 31. Aug 2019, 11:29

Noch ein oder zwei allgemeine Worte zur Terminologie. Das ist meines Erachtens ein schwieriger Balanceakt. Auf der einen Seite ist alles, was wir hier diskutieren, natürlich tief in unsere Lebenswelt verwoben. Deswegen sollte die Terminologie irgendeine Art und Weise Kontakt zu unserer Alltagssprache halten. Auf der anderen Seite ist die Alltagssprache natürlich vorphilosophisch und vortheoretisch. Deswegen wird man nicht darum herum kommen, auch terminologische Veränderungen/Anpassungen vorzunehmen.

Außerdem sollte man die Üblichkeiten der diversen philosophischen Bereiche nicht ganz aus dem Blick verlieren, vorsichtig formuliert. Auch da werden die Begriffe sicher nicht einheitlich verwendet, aber gelegentlich in diese Bereiche zu schielen, kann nicht schaden finde ich.

Wichtig ist natürlich eine gewisse einheitliche Terminologie, insbesondere Äquivokation sind natürlich zu vermeiden.




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Alethos
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Sa 31. Aug 2019, 11:51

Argumente im Sinne eines rhetorischen Verfahrens, wenn es als dieses einen Alltagsbezug haben soll, müssen in irgendeiner Form Vernunftschlüsse sein. Nun kennen wir verschiedene Arten des Vernünftigen: logische Schlüsse in deduktivem Sinn bspw. oder kluge Schlüsse in einem 'pragmatischen' Sinn. Für einen lebensweltlichen Zusammenhang scheinen mir kluge Schlüsse 'substanzieller' zu sein als logische Schlüsse, denn logische Schlüsse sind formal restringierende Simulationen einer Wirklichkeit, in denen wir nicht in relevanter Form (als Lebewesen, als fühlende Wesen etc.) vorkommen können. Der logische Teil der Vernunft ist natürlich relevant für uns, denn wir denken ja und erkennen Sachverhalte, wir deduzieren dies von jenem und leiten notwendig dieses von jenem ab. Aber wir haben dadurch keinen Erkenntnisgewinn, weil wir ja das, was wir ableiten, in dem, wovon wir es ableiten, als bereits hineingelegt betrachten. Dass alle Menschen sterblich sind, das wird in der Tatsache der Sterblichkeit von Aristoteles bereits beinhaltet. Wir kommen zu keinen neuen Erkenntnissen über Aristoteles, wenn wir alles, was ihn betrifft, aus denen Begriffen zu entnehmen versuchen, unter die Aristoteles fällt.

Aber wir bewegen uns in der Welt, indem wir dies und jenes erfahren und entdecken, so dass wir zu Verbindungen zwischen den 'Dingen' vorstossen, die wir vorher nicht kannten. Wir erforschen den Zusammenhang der Dinge entweder kausalitistisch (und im Umkehrschluss durch die Schlüssigkeit des deduktiven Arguments) oder aber pragmatisch (und so durch die Kraft des rhetorischen Willens). Sich auf einen Grund zu beziehen, das können wir sowohl deduktiv als auch pragmatisch tun, indem wir entweder deduktiv von ihm auf unsere Handlungen schliessen ('Ich tue dies aus diesem Grund.'), oder indem wir unsere Handlungen auf Gründe in der Art richten, dass sie die Klugheit einer bestimmten Handlung aufzeigen ('Ich sollte das tun, weil es die Gründe vorgeben').



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Friederike
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Sa 31. Aug 2019, 19:11

offtopic: Wie schön, daß Ihr so beharrlich seid. Gestern hatte ich einmal befürchtet, Ihr gebt auf.




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Jörn Budesheim
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Sa 31. Aug 2019, 19:22

Ich auch.




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Jörn Budesheim
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Sa 31. Aug 2019, 20:27

In diesem Faden wurde behauptet, Gründe seien stets die Prämissen in einem Syllogismus. Ich meine hingehen, Gründe werden von Tatsachen geliefert.

Ich will an dem Beispiel mit der Verletzten im Park mal den Unterschied durchspielen. In diesem Fall haben wir sicher einen sehr guten Grund zu helfen.

Ich bin mir nicht ganz sicher, wie man die Idee mit dem Syllogismus hier durchspielen soll. Vielleicht so:

Man soll Notleidenden helfen
Dies ist eine Notleidende
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Also müssen wir helfen

(So richtig passt das hier nicht, weil ja schließlich das Helfen in der Konklusion auftaucht)


Meine Position ist, dass die Tatsachen selbst die Gründe liefern. Dort ist eine Person, die verletzt ist und leidet, vielleicht droht ihr sogar ein dauerhafter Schaden. Und diese Tatsachen liefern den Grund zu helfen. Und nicht etwa subjektive innere Einstellungen wie "ich bin ein hilfsbereiter Mensch", "ich habe Mitleid" und dergleichen mehr. Und auch nicht abstrakte Regeln "man soll Notleidenden helfen". Sondern der Zustand der Person selbst ist der Grund zu helfen. Das ist so ungefähr der Sinn der abstrakten Formel, dass Tatsachen Gründe liefern.

Der tugendhafte Mensch erkennt diese Gründe und sie motivieren ihnen auch zu handeln. Bei der Befolgung der Regel ist das hingegen noch völlig offen, es fragt sich schließlich, warum wir eigentlich dieser Regel folgen und helfen sollen. Als Antwort wird man dann vielleicht auf die vorliegenden Gründe Bezug nehmen ...




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Alethos
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Sa 31. Aug 2019, 20:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 31. Aug 2019, 20:27
Meine Position ist, dass die Tatsachen selbst die Gründe liefern. Dort ist eine Person, die verletzt ist und leidet, vielleicht droht ihr sogar ein dauerhafter Schaden. Und diese Tatsachen liefern den Grund zu helfen. Und nicht etwa subjektive innere Einstellungen wie "ich bin ein hilfsbereiter Mensch", "ich habe Mitleid" und dergleichen mehr. Und auch nicht abstrakte Regeln "man soll Notleidenden helfen". Sondern der Zustand der Person selbst ist der Grund zu helfen. Das ist so ungefähr der Sinn der abstrakten Formel, dass Tatsachen Gründe liefern.

Der tugendhafte Mensch erkennt diese Gründe und sie motivieren ihnen auch zu handeln. Bei der Befolgung der Regel ist das hingegen noch völlig offen, es fragt sich schließlich, warum wir eigentlich dieser Regel folgen und helfen sollen. Als Antwort wird man dann vielleicht auf die vorliegenden Gründe Bezug nehmen ...
Ich denke, ich weiss, was du meinst. Und ich werde versuchen, es auf meine Weise (indem ich es in eigenen Worten ausdrücke) versuchen wiederzugeben. Dazu später.

Lass mich zuerst begreifen, was ich noch nicht verstehe: Was meinst du mit "Bei der Befolgung der Regel ist das hingegen noch völlig offen.'?

Sehe ich, dass dort eine Verletzte liegt, die Hilfe braucht, so werde ich hinrennen und helfen. Dies, weil ich einen Sinn habe für die Tatsache, die mich auffordert. Aber diese Tatsache kommt doch in der Anordnung der Regeln des Moralischen vor. Ich soll helfen, nicht weil ich die Gründe bedenke und abwäge, sondern weil ich in einem normativen Moment das tue, was in der Ordnung dieses spezifisch moralischen Moments das Gesollte ist. Ich handle also nach einer Regel, wenn ich jemandem helfe, aber ich helfe nicht, weil mich die Regel aufforderte, denn in der Tatsache selbst steckte die Aufforderung zur Hilfeleistung.

Ich will sagen, wenn man (wie du es sagst) ein tugendhafter Mensch ist, dann hat man einen Sinn für das Unrechte und Rechte, man erkennt es sofort an ihm selbst. Aber die Art des Gegebenseins solcher moralischer Gegenstände geschieht nach 'Anordnungsregeln', durch die sie sich als moralische Gegenstände überhaupt auszeichnen. Das unnötige Leiden von jemandem kommt in dieser Ordnung vor, aber auch meine Fürsorge für sie kommt in dieser Ordnung vor. Wenn Regel nicht das richtige Wort ist, dann trifft es vielleicht Gesetzlichkeit oder kategorischer Imperativ besser.



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So 1. Sep 2019, 06:39

Ich habe das fragliche Zitat noch immer herausgesucht.
Hermeneuticus hat geschrieben :
So 16. Jun 2019, 13:41
Wenn man Handeln als Tätigkeit mit und aus Gründen versteht, dann ist damit genau dieser Punkt gemeint. Gründe sind, formal betrachtet, Prämissen, aus denen etwas Bestimmtes logisch folgt.

[...]

Wer eine Person nach dem Grund fragt, aus dem sie etwas getan hat, der erwartet eine Weil-Antwort, die in dieser Weise nachvollziehbar ist. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, ob der Akteur vorm Handeln eine Überlegung angestellt hat, die so aussieht wie ein Syllogismus:

Ich will reich werden.
Wer reich werden will, sollte X tun.
_____________________
Also sollte ich X tun.
Mir geht es an dieser Stelle nur und ausschließlich um den Begriff des "Grundes", nicht etwa um die Herleitung unserer Moral. Das Themengebiet sind also im Großen und Ganzen; Gründe, Argumente und angrenzend Logik und Wahrheit.




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So 1. Sep 2019, 07:14

"Wer eine Person nach dem Grund fragt, aus dem sie etwas getan hat, der erwartet eine Weil-Antwort..."

Damit stimme ich überein. Aber...

Wenn man in der Situation, wo eine verletzte Person auf dem Boden liegt, die Hilfe braucht, ein Helfer fragen würde, aus welchem Grund er Hilfe geleistet hat, dann würde man sicherlich (mindestens) einen erstaunten/ungläubigen/empörten Blick ernten und vielleicht eine Antwort wie: das siehst du doch, mit Verweis auf die verletzte Person. Ein Verweis auf einen Syllogismus darf man wohl eher nicht erwarten. Das ist gegenüber dem Vorschlag von Hermeneutikus natürlich etwas unfair, weil er nicht zwingend behauptet, so ein Syllogismus würde unser Handeln generell explizit anleiten. Die Person stellt sich ja nicht hin - ruft innerlich die Regel auf und folgt dann der Konklusion. Das will ich auch keineswegs behaupten.

Nichtsdestotrotz finde ich die Vorstellung sprechend. Viele Menschen würden in so einer Situation auf die Frage nach dem Grund empört reagieren, denn der Grund ist einfach zu offensichtlich und es wäre ganz und gar unangemessen und unverständlich, überhaupt danach zu fragen. Der Grund für das Handeln ist das, was jeder sieht, die Tatsache, dass dort jemand verletzt ist und Hilfe braucht.

Ich will damit darauf hinweisen, dass die Idee, dass Tatsachen selbst uns direkt (und nicht etwa über eine Regel vermittelt) Gründe liefern, nicht auf irgendetwas Abstraktes, abgehobenes hinweisen soll, sondern auf unser tatsächliches Leben. Schließlich wurde im Laufe des Threads ja sinngemäß behauptet, ich würde mich auf abstrakte logische Deduktion kaprizieren.




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So 1. Sep 2019, 07:20

Nur am Rande, sozusagen off-topic. Das Beispiel zeigt meines Erachtens auch sehr schön, dass die Frage welche Sinne wir haben und wie sie "funktionieren" für diesen Thread im Grunde auch von Belang ist. Was nehmen wir wahr? Irgendein Daten Gewitter, welches dann innerlich geordnet wird? Oder nehmen wir direkt Tatsachen, auch normative Tatsachen wahr?




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Jörn Budesheim
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So 1. Sep 2019, 07:29

Alethos hat geschrieben :
Sa 31. Aug 2019, 20:54
Lass mich zuerst begreifen, was ich noch nicht verstehe: Was meinst du mit "Bei der Befolgung der Regel ist das hingegen noch völlig offen.'?
Wenn wir uns die Situation als Befolgung einer Regel ausmalen, dann ist offen, was uns dazu antreibt, der Regel zu folgen, was uns motiviert. Zudem ist offen, wie die Regel in der Welt - unserer Lebenswelt - überhaupt verankert ist. Wenn Gründe hingegen Tatsachen sind, die für etwas sprechen, dann sind Sie bereits mitten in dieser Welt platziert.

Allerdings möchte ich ungerne aus diesem Thread einen Ethik-Thread machen. Mir geht es darum, was diese Begriffe Gründe, Argumente, Logik etc. bedeuten. Gut denkbar ist auch, dass wir eine ganze Reihe von Gründe-Begriffen haben, die vom Kontext zu Kontext verschiedenes bedeuten. Dann hieße die Aufgabe, das zuordnen, um sich nicht durchgängig der Äquivokation schuldig zu machen :)




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So 1. Sep 2019, 09:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 1. Sep 2019, 07:14
Ich will damit darauf hinweisen, dass die Idee, das Tatsachen selbst uns direkt (und nicht etwa über eine Regel vermittelt) Gründe liefern, nicht auf irgendetwas Abstraktes, abgehobenes hinweisen soll, sondern auf unser tatsächliches Leben.
Wenn wir noch ein wenig bei diesem Moment verweilen können, wo eine verletzte Person mir erscheint: Ich kann in dieser Situation auch nicht helfen und sie aus ganz banalen Gründen (etwa, weil ich eine lustige SMS lesen will) dort liegen lassen.

Ich meine, dass wenn hinreichend Gründe für eine Handlung sprechen und man diese Handlung nicht ausführt, da handelt man einfach nicht klug. Und wenn man nun aber annimmt, es sei richtig, ein tugendhafter Mensch zu sein (und zu ihm gehöre auch die Eigenschaft des Mutes, der Klugheit usw), dann muss es ja in irgendeiner Form falsch sein, wenn man nicht hilft. Es muss also auch ein Falschsein geben mit Betreff auf die Bezogenheit unserer Handlungen auf Gründe. Obwohl beide Argumente (Handeln: ja, handeln: nein) als Argumente beide gültig und damit richtig sind, so ist doch einer der beiden Argumente in Bezug auf die substanzielle Dimension, auf die Wichtigkeit, die Dringlichkeit, die dort in Form der verletzten Person angetroffen wird, richtig oder falsch.

Der logische Schluss, ja selbst der rhetorische Schluss als ein richtiges Schliessen dieses aus dem anderen, können diesen materialen Gehalt des relevanten Sachverhalts gar nicht aufnehmen: Eine robuste Rhetorik reicht nicht hin, geschweige denn die blosse Schlussmechanik deduktiver Schlüsse. Um sich in der Situation in einem Sinne klug zu verhalten, dafür braucht es auch einfach einen guten Sinn, ein gutes Gespür für das Gesollte. Ich will sagen, man kann jemandem, der nicht helfen will, nicht aufzwingen, dass er helfen müsse, aber er wird dann wohl einfach kein tugendhafter, kein mutiger und kluger Mensch sein und sicherlich kein sensitiver.

Dies wird er aber deshalb alles nicht sein, weil er die allgemeinen Regeln des Anstandes, der Mitmenschlichkeit etc. verletzt. Anders als du, denke ich sehr wohl, dass die dort liegende Person eine Regel konstituierte Situation evoziert, weil die Situation so konfiguriert ist, dass in ihr eine Aufforderung bedeutsam
wird. Es gibt bei moralischen Situationen universale Konstituenten, die die allgemein Geltung des 'Du sollst' in einer Aufforderung zu einem bestimmten Handeln einprägen. Doch darum allein wird jemand empört reagieren, wenn man sie oder ihn fragt, weshalb er geholfen habe. Es ist ja dieses Weil evident: Weil man Verletzten einfach helfen soll. Dieses Man verweist auch auf ein überindividuelles Subjekt, das nicht einfach nur sich selbst zum Massstab nehmen kann, sondern die des Menschseins in moralischem Sinne zur Richtschnur nehmen soll.

Aber ich will nicht sehr auf dem Argument herumreiten, dass ich ein Sollen ohne Regeln nicht denken kann (bin vielleicht zu Kant'isch unterwegs gerade), und da du hier lieber nicht einen Moral- und Ethikthread draus machen möchtest, sei dies hier einfach verbucht unter Nebensächliches.



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So 1. Sep 2019, 12:34

Mich interessiert hier zentral die Frage, was Gründe und Argumente sind, diverse andere Themen angrenzend.

Dein Verständnis von Argument ist mir auch im obigen Text nicht klar. Meines Erachtens ist ein Argument (im allgemeinen Sprachgebrauch) zumindest in aller Regel jemandes Argument. (In dem kleinen Buch der 100 Argumente wird zum Beispiel stets der Autor genannt.) In der obigen Situation gibt die Verletzung der Person jedem einen Grund zu helfen. Es gibt hier gar keine Entsprechung für die Person, die das Argument vorträgt.




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So 1. Sep 2019, 12:49

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 1. Sep 2019, 12:34
In der obigen Situation gibt die Verletzung der Person jedem einen Grund zu helfen. Es gibt hier gar keine Entsprechung für die Person, die das Argument vorträgt.
Das verstehe ich nicht, aber ich will auch nicht wieder von vorne anfangen. Eine Person trägt kein Argument vor im obigen Beispiel, jedoch hat sie (und jede andere) einen Grund zu helfen (und andere, es nicht zu tun) und vieles an diesen Gründen liefert Argumente für diese Gründe.

Eine Tatsache muss ja 'sprechen', damit sie als Grund für etwas sprechen könne. Das ist die argumentative Verfassung des Grundes.
Zuletzt geändert von Alethos am So 1. Sep 2019, 13:02, insgesamt 1-mal geändert.



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So 1. Sep 2019, 12:59

Das verstehe ich für meinen Teil alles nicht. "vieles an diesen Gründen liefert Argumente für diese Gründe." Insbesondere das verstehe ich nicht, ich habe nicht die geringste Ahnung was das bedeuten könnte. Das ist für mich wie eine Fremdsprache. Nicht anders ist es mit folgendem Satz: "Eine Tatsache muss ja 'sprechen', damit die als Grund für etwas sprechen könne. Das ist die argumentative Verfassung des Grundes." ich sehe zwar jedes einzelne Wort, verstehe aber nicht im Mindesten, was du sagen willst.

In dem Verletzen-Beispiel tauchen nach meinem Verständnis überhaupt keine Argumente auf. Ich wüsste nicht wo.




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So 1. Sep 2019, 13:07

Also, dann expliziere du einmal, was es heissen soll, dass ein Grund eine Tatsache sei, die für etwas spricht.
In keiner erdenklichen deskriptiven Aussage steckt eine Fürsprache für etwas, ausser eben, es gebe in der Tatsache etwas, das auffordert etwas zu tun. Denn das bedeutet es ja, für etwas zu sprechen: Einen Anlass für eine Handlung mit einer bestimmten Richtung (in Richtung des Fürs) darzustellen.

'Da liegt eine verletzte Person' ist für sich selbst genommen einfach reines Datum, eben eine Tatsache, die für gar nichts besonderes spricht. Da muss man schon mit einem besonderen Sinn auf diese Tatsache gerichtet sein, damit man in ihr vorkommende handlungsrelevante Implikationen erkennen kann. Und dann musst du, finde ich, erklären, was es bedeuten soll, dass eine Tatsache für etwas spricht.



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So 1. Sep 2019, 13:15

Alethos hat geschrieben :
So 1. Sep 2019, 13:07
Also, dann expliziere du einmal, was es heissen soll, dass ein Grund eine Tatsache sein soll, die für etwas spricht.
Deswegen habe ich heute morgen erläutert, was ich damit meine, dass Tatsachen uns Gründe geben. Und zwar an dem Beispiel mit der verletzten Person. Nach Ansicht von Derek Parfit ist der Begriff "Grund" ein Grundbegriff, der sich nicht definieren lässt. Man kann diesen Begriff nur erklären, sagt er, wenn man Menschen dazu bringt, Gedanken zu haben, in denen diese Begriffe vorkommen. Daher das Beispiel.

Es wäre schön, wenn du selbst ein paar (vielleicht andere) Beispiele für die Begriffe Grund und Argument geben könntest, wie du sie verwendest. Denn ich habe keine Vorstellung, was du damit meinst. Wie gesagt, schön wären Beispiele und schön wäre es, wenn du es wirklich sehr einfach und anschaulich machen würdest. Wenn du Lust hast, versuche es mit dem Ziel zu erklären, dass ich es verstehe.




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So 1. Sep 2019, 13:18

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 1. Sep 2019, 13:15
Es wäre schön, wenn du selbst ein paar (vielleicht andere) Beispiele für die Begriffe Grund und Argument geben könntest, wie du sie verwendest. Denn ich habe keine Vorstellung, was du damit meinst. Wie gesagt, schön wären Beispiele und schön wäre es, wenn du es wirklich sehr einfach und anschaulich machen würdest. Wenn du Lust hast, versuche es mit dem Ziel zu erklären, dass ich es verstehe.
Du kannst davon ausgehen, dass ich alles, was ich hier schreibe, mit dem Ziel schreibe, dass es der Adressat versteht. Ich bin nicht hier zum Bla-Bla machen.

Nun gut, bitte behafte mich nicht auf systematische Unschärfe, die Begriffe sollen hier entwickelt werden als gemeinsame Begriffe in einem Versuch der Systematisierung.



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