Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑ So 1. Sep 2019, 07:14
Ich will damit darauf hinweisen, dass die Idee, das Tatsachen selbst uns direkt (und nicht etwa über eine Regel vermittelt) Gründe liefern, nicht auf irgendetwas Abstraktes, abgehobenes hinweisen soll, sondern auf unser tatsächliches Leben.
Wenn wir noch ein wenig bei diesem Moment verweilen können, wo eine verletzte Person mir erscheint: Ich kann in dieser Situation auch nicht helfen und sie aus ganz banalen Gründen (etwa, weil ich eine lustige SMS lesen will) dort liegen lassen.
Ich meine, dass wenn hinreichend Gründe für eine Handlung sprechen und man diese Handlung nicht ausführt, da handelt man einfach nicht klug. Und wenn man nun aber annimmt, es sei richtig, ein tugendhafter Mensch zu sein (und zu ihm gehöre auch die Eigenschaft des Mutes, der Klugheit usw), dann muss es ja in irgendeiner Form falsch sein, wenn man nicht hilft. Es muss also auch ein Falschsein geben mit Betreff auf die Bezogenheit unserer Handlungen auf Gründe. Obwohl beide Argumente (Handeln: ja, handeln: nein) als Argumente beide gültig und damit richtig sind, so ist doch einer der beiden Argumente in Bezug auf die substanzielle Dimension, auf die Wichtigkeit, die Dringlichkeit, die dort in Form der verletzten Person angetroffen wird, richtig oder falsch.
Der logische Schluss, ja selbst der rhetorische Schluss als ein richtiges Schliessen dieses aus dem anderen, können diesen materialen Gehalt des relevanten Sachverhalts gar nicht aufnehmen: Eine robuste Rhetorik reicht nicht hin, geschweige denn die blosse Schlussmechanik deduktiver Schlüsse. Um sich in der Situation in einem Sinne klug zu verhalten, dafür braucht es auch einfach einen guten Sinn, ein gutes Gespür für das Gesollte. Ich will sagen, man kann jemandem, der nicht helfen will, nicht aufzwingen, dass er helfen müsse, aber er wird dann wohl einfach kein tugendhafter, kein mutiger und kluger Mensch sein und sicherlich kein sensitiver.
Dies wird er aber deshalb alles nicht sein, weil er die allgemeinen Regeln des Anstandes, der Mitmenschlichkeit etc. verletzt. Anders als du, denke ich sehr wohl, dass die dort liegende Person eine Regel konstituierte Situation evoziert, weil die Situation so konfiguriert ist, dass in ihr eine Aufforderung bedeutsam
wird. Es gibt bei moralischen Situationen universale Konstituenten, die die allgemein Geltung des 'Du sollst' in einer Aufforderung zu einem bestimmten Handeln einprägen. Doch darum allein wird jemand empört reagieren, wenn man sie oder ihn fragt, weshalb er geholfen habe. Es ist ja dieses Weil evident: Weil
man Verletzten einfach helfen soll. Dieses Man verweist auch auf ein überindividuelles Subjekt, das nicht einfach nur sich selbst zum Massstab nehmen kann, sondern die des Menschseins in moralischem Sinne zur Richtschnur nehmen soll.
Aber ich will nicht sehr auf dem Argument herumreiten, dass ich ein Sollen ohne Regeln nicht denken kann (bin vielleicht zu Kant'isch unterwegs gerade), und da du hier lieber nicht einen Moral- und Ethikthread draus machen möchtest, sei dies hier einfach verbucht unter Nebensächliches.