Alethos hat geschrieben : ↑ So 24. Mai 2020, 14:33
Das Thema finde ich äusserst spannend. Dem streng logischen (formalen) Syllogismus wird ein feinfühliger, die Sinn- und Bedeutungszusammenhänge würdigender Syllogismus zur Seite gestellt. Und das stimmt nach Jahrhunderten der klassischen Logik und der formalen Logik doch recht hoffnungsvoll.
Wo es der Logik um Analyse geht, also dem Deduzieren von diesem aus jenem, scheint es bei der "poetischen Logik" eher darum zu gehen, in einer synthetisierenden Bewegung dieses mit jenem zu verbinden. Das "System der Ausschliessung" wird erweitert um ein inklusives System der Zusammenhänge: das Tertium non datur - der Inbegriff des Entwederoder - wird aufgebrochen und ergänzt durch ein Sowohl-als-auch.
Die bereits angesprochene Nähe zur Metaphorologie zeigt sich deutlich in der Möglichkeit, Bedeutung von den eigentlichen Begriffen zu lösen und sie in der Atmosphäre der Zusammenhänge aufblühen zu lassen, d.h. Begriffe, Aussagen, Urteile gewinnen ihre Kraft nicht durch das Konventionelle, durch die Rigidität formalistischer Verwendung, sondern durch die feingliedrige, zarte Kontextualität, die sie miteinander ausbilden.
Die Begriffe <Schiff> und <Ufer> in "Das Schiff geht unter" oder "Hinauf zu neuen Ufern" stehen - metaphorologisch verwendet - für etwas anderes als Schiffe und Ufer im eigentlichen Wortsinn. Sie stehen für etwas anderes, d.h. das, was diese Begriffe bedeuten, zeigt sich in der Übertragung von einer Begriffsbedeutung auf die andere. Aber diese Übertragung liesse sich nicht leisten, wenn die Begriffe nicht in einen Zusammenhang gebracht würden, in welchem sie einander diese Bedeutung gäben. Ein "Schiff" kann stehen für eine Unternehmung oder die Volkswirtschaft im Allgemeinen, das "Ufer" für das Neue, aber sie können eine metaphorologische Erweiterung nur erfahren, wenn sie poetisch (oder eidetisch) verknüpft sind, nicht nur (begriffs)logisch.
Ein Schiff ist ein System.
Die Wirtschaft ist ein System.
Die Wirtschaft ist ein Schiff.
Das Schiff kann untergehen.
Die Wirtschaft auch.
Dieses quasi-syllogistische Verfahren des Verknüpfens zeigt, dass es bei der Metaphorogie oder der Poesie gerade nicht darum geht, das eine aus dem anderen abzuleiten und so in Zusammenhang zu stellen, dass ein Drittes nicht möglich wird: Das Dritte und Vierte - ja- das indefinit Viele soll möglich sein und möglich ist es für die, die den entsprechenden Sinn aktivieren: den Sinn für das Verbindende, das Atmosphärische. Aber es bedarf auch eines empathischen Sinns, denn wo sich das andere nicht stringent aus dem anderen ergibt, so muss mit Mitgefühl an die Sache herangegangen werden, um jene Zusammenhänge erkennen zu wollen, die da hergestellt werden können. Die poetische Logik ist eine mitfühlende.
Da ich gestern hier vorbeigekommen bin, habe ich diesen Beitrag noch einmal oder zweimal gelesen. Mir scheint, deine Betrachtung von Logik im Unterschied zur poetischen Logik ist eher an dem orientiert, was du selbst unter Logik verstehst. Du schreibst zwar am Anfang, dass die poetische Logik der Logik zur Seite gestellt wird, aber letztlich läuft alles, was du ausführst, auf einem ziemlich scharfen Gegensatz hinaus: wo das eine streng und regide ist, ist das andere feinfühlig, zart und mitfühlend. Wo das eine analytisch ist, also zergliedern und trennend, ist das andere synthetisch also zusammenfügend.
Du setzt deine Hoffnung auf die "poetische Logik", aber die Hand geführt hat dir dabei die "rigide Logik", wie mir scheint :)
Alethos hat geschrieben : ↑ So 24. Mai 2020, 14:33
Das Thema finde ich äusserst spannend.
Ich auch :) ich frage mich allerdings immer noch, was ich mir unter einer poetischen Logik ausmalen soll, obwohl ich durchaus das Gefühl habe, dass diese Redeweise sehr angemessen ist, bzw sein kann. Der Begriff ist mir schließlich schon öfter in den Sinn gekommen, und anderen anscheinend ebenso.
Nehmen wir ein sehr berühmtes Beispiel:
Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,
sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.
Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;
und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.
Die Nähe zur "rigiden Logik" sehe ich hier darin, dass die Verse von Rilke auf eine Konklusion hinauslaufen: du musst dein Leben ändern. Ganz ähnlich ist es bei dem Gedicht von Brinkmann:
Zerstörte Landschaft mit
Konservendosen, die Hauseingänge
leer, was ist darin? Hier kam ich
mit dem Zug nachmittags an,
zwei Töpfe an der Reisetasche
festgebunden, Jetzt bin ich aus
den Träumen raus, die über eine
Kreuzung wehn. Und Staub,
zerstückelte Pavane, aus totem
Neon, Zeitungen und Schienen
dieser Tag, was krieg ich jetzt,
einen Tag älter, tiefer und tot?
Wer hat gesagt, daß sowas Leben
ist? Ich gehe in ein
anderes Blau.
Auch dieses läuft auf einen "Schluss" hinaus. Ähnlich wie Rilke stellt Brinkmann dem "Ist" eine zukünftige Möglichkeiten entgegen: das andere Blau bzw das andere Leben. Das ist in Poesie und Kunst oft ein Thema: alles könnte anders sein.
Die Sache mit dem "Schluss" finde ich wichtig und bemerkenswert. Bei meinen Recherchen zur Poesie im Verhältnis zur Logik habe ich gefunden (leider nicht gespeichert) dass es in den Anfängen der Poesie oftmals Lehrgedichte gab - manchmal in moralischer Absicht. Sowohl bei Rilke als auch bei Brinkmann scheint mir das noch etwas durchzuschmecken. Zudem erinnert mich der Ausdruck "Schluss" an ein Hegel Zitat von Byung-Chul Han: "alles denken ist ein Schluss" (Leider aus der Erinnerung zitiert, ich werde gleich mal nachschauen, ob ich es finde.)
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