Re: Gründe und Argumente
Verfasst: Di 10. Nov 2020, 20:58
Dass wir in einem Thread mit dem Thema Gründe und Argumente auch über Poesie sprechen, das finde ich schon mal einen schönen Fortschritt ;)
Dann jedoch wäre jede Metapher eine tote. Wir haben in deinem Beispiel auf der einen Seite die Struktur des Lebens, auf der anderen Seite die Struktur des Theaters/der Bühne, und beides ist ähnlich. Man erkennt die Strukturähnlichkeit, der Vorhang fällt, das Stück ist aus, und Herrn und Damen gehn nach Haus. Nichts ist geschehen, keine Ratten raschelten und keine Lichter sind erloschen :) wäre es so, dann hätte man doch nur die Struktur mit anderen Mitteln noch mal benannt. Da reicht es auch nicht, wie ich finde, die anderen Mittel "Gefühl" zu nennen. Was dabei auf der Strecke bleibt ist, dass man etwas als etwas anderes darstellt. Wenn man diese Differenz aufhebt, erlischt alles.Alethos hat geschrieben : ↑Sa 7. Nov 2020, 12:46Das Leben als Bühne zu beschreiben, das ist etwas logisch Stringentes. Es ist als Metapher eine rhetorische Hinwendung zur Wirklichkeit, dass das Leben (auch) eine Bühne ist: mit festgelegten Rollen, mit Kritikern, Zuschauern, Zuhörern. Mit einsamen Abenden und mit geselligen Höhepunkten. Die „Struktur der Wirklichkeit des Lebens“ ist die, dass sie der Struktur des Treibens in einem Theatersaal gleicht. Das ist logisch, das eine aus dem anderen zu schliessen, weil beides strukturähnlich ist. Hier nähert sich mit logischen Mitteln dieser Wirklichkeit, wer sie metaphorisch beschreibt. Und darum haben wir es hier nicht mit einer reinen begrifflichen Logik zu tun ...
Ja, das gefällt mir.
Diese "phänomenologische Beweismethode" ist sicherlich für unseren Zusammenhang von größtem Belang.Lambert Wiesing, Ich für mich, Phänomenologie des Selbstbewusstseins hat geschrieben : Was Sartre zum Beweis seiner Behauptung beschreibt, muss von jedem [...] selbst nachvollzogen werden. Jeder muss selbst mit den vorstellbaren Veränderungsmöglichkeiten seines eigenen mentalen Zustandes experimentieren, um die Grenzen dieser Möglichkeiten selbst zu erleben. Sartres Text ist daher nicht der eigentliche Beweis, sondern ein Protreptikos, eine Anleitung oder Anregung, wie sich jeder für sich selbst die [die fragliche Behauptung Sartres] beweisen kann. Man hat eine Art Aufforderung zu einem Selbstexperiment – man soll ausprobieren, ob man sich vorstellen kann, man selbst sei ein Subjekt mit einem intentionalen Bewusstsein, ohne davon zu wissen, dass man ein Subjekt mit einem intentionalen Bewusstsein ist. »[D]er Lesende«, so beschreibt Husserl die Beweismethode der Phänomenologie, »kann es wieder evident werden lassen, die Evidenz reaktivieren.« Er kann nicht nur – er muss die Evidenz selbst erleben, denn die Beweiskraft eines phänomenologischen Arguments besteht darin, dass man jemanden auffordert, selbst zu erfahren, dass etwas nicht getan oder nicht vollzogen werden kann.
[...]
In dieser Hinsicht beweist Sartre die Notwendigkeit der Korrelation von Objektbewusstsein und Selbstbewusstsein auf dieselbe Weise, wie man die Existenz von Bewusstsein überhaupt beweisen würde: Indem man jemanden auffordert, sich vorzustellen, es gäbe kein Bewusstsein. Der Versuch scheitert, denn was immer sich jemand vorstellt, wie es sein kann, dass es kein Selbstbewusstsein gibt, er hat es sich ebendies vorgestellt, und durch die Präsenz dieses Aktes wird bestätigt, dass es sein Bewusstsein gibt.
Da du dieses Bild von "etwas als etwas anderes" schon öfter verwendet hast, muss ich nachfragen, was du damit meinst. "Etwas als etwas anderes" zu sehen, das führt uns ja an den Kern dieser Etwasse aus der Perspektive Ihrer Gemeinsamkeiten. Etwas als etwas anderes zu beschreiben ist möglich, weil es eine (Sinn-)Verbindung dieser Etwasse gibt, durch die sie füreinander Rede stehen, d.h. sich stellvertretend füreinander einsetzen lassen. Was aber hat das mit poetischen Argumenten zu tun? Wie würdest du das in einer Proto-Theorie über poetische Argumente verarbeiten?Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mi 11. Nov 2020, 19:17In einem poetischen Bild sieht man, wie man so schön sagt, etwas als etwas anderes. Und das erinnert uns daran, dass ein jedes etwas anderes IST.
Ich vermute, das kommt ganz drauf an, wo man sich philosophiegeschichtlich einordnet. Als Platoniker würde man wohl den Gorgias nehmen und an ihm exemplarisch zeigen, dass Rhetorik eine Vernebelungstechnik ist, durch die der Redner zwar andere zu überzeugen vermag von der Schönheit seiner Rede, aber nicht zwingend davon, dass sie Wahres sagt. So gesehen wäre Rhetorik ein Verhalten, das sich zum Ziel setzt, sich die Dinge vom Leib zu halten. Aristoteles hingegen galt die Rhetorik zusammen mit der Dialektik als "Theorie des Wahrscheinlichen". Er stellte sie der philosophischen Wissenschaft an die Seite, die sich mit dem unveränderlich Wahren beschäftigt.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 15. Nov 2020, 09:09diese Bemerkung ist vielleicht nicht so wichtig für den Zusammenhang, aber ist nicht Rhetorik und aller Regel genau das Gegenteil: nämlich ein Versuch, sich die Dinge vom Leib zu halten?
Ich verstehe die obere Passage nicht, das tut mir wirklich leid.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 15. Nov 2020, 07:41Dann jedoch wäre jede Metapher eine tote. Wir haben in deinem Beispiel auf der einen Seite die Struktur des Lebens, auf der anderen Seite die Struktur des Theaters/der Bühne, und beides ist ähnlich. Man erkennt die Strukturähnlichkeit, der Vorhang fällt, das Stück ist aus, und Herrn und Damen gehn nach Haus. Nichts ist geschehen, keine Ratten raschelten und keine Lichter sind erloschen wäre es so, dann hätte man doch nur die Struktur mit anderen Mitteln noch mal benannt. Da reicht es auch nicht, wie ich finde, die anderen Mittel "Gefühl" zu nennen. Was dabei auf der Strecke bleibt ist, dass man etwas als etwas anderes darstellt. Wenn man diese Differenz aufhebt, erlischt alles.Alethos hat geschrieben : ↑Sa 7. Nov 2020, 12:46Das Leben als Bühne zu beschreiben, das ist etwas logisch Stringentes. Es ist als Metapher eine rhetorische Hinwendung zur Wirklichkeit, dass das Leben (auch) eine Bühne ist: mit festgelegten Rollen, mit Kritikern, Zuschauern, Zuhörern. Mit einsamen Abenden und mit geselligen Höhepunkten. Die „Struktur der Wirklichkeit des Lebens“ ist die, dass sie der Struktur des Treibens in einem Theatersaal gleicht. Das ist logisch, das eine aus dem anderen zu schliessen, weil beides strukturähnlich ist. Hier nähert sich mit logischen Mitteln dieser Wirklichkeit, wer sie metaphorisch beschreibt. Und darum haben wir es hier nicht mit einer reinen begrifflichen Logik zu tun ...
(Nach meiner Ansicht ist der Versuch, die Gefühle gegen die Begriffe auszuspielen, nichts als ein untauglicher Versuch, sich dieses Unverständliche verständlich zu machen.)
Ich habe nicht mal eine Proto-Theorie im Angebot.Alethos hat geschrieben : ↑So 15. Nov 2020, 19:40Da du dieses Bild von "etwas als etwas anderes" schon öfter verwendet hast, muss ich nachfragen, was du damit meinst. "Etwas als etwas anderes" zu sehen, das führt uns ja an den Kern dieser Etwasse aus der Perspektive Ihrer Gemeinsamkeiten. Etwas als etwas anderes zu beschreiben ist möglich, weil es eine (Sinn-)Verbindung dieser Etwasse gibt, durch die sie füreinander Rede stehen, d.h. sich stellvertretend füreinander einsetzen lassen. Was aber hat das mit poetischen Argumenten zu tun? Wie würdest du das in einer Proto-Theorie über poetische Argumente verarbeiten?Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mi 11. Nov 2020, 19:17In einem poetischen Bild sieht man, wie man so schön sagt, etwas als etwas anderes. Und das erinnert uns daran, dass ein jedes etwas anderes IST.
Im Wesentlichen habe ich mich auf das bezogen, was ich grün markiert habe. Das glaube ich zu verstehen. (Bei den rot markierten Stellen muss ich leider passen.) Was ich dem entnehme, dass es dir im Wesentlichen auf die Strukturähnlichkeit ankommt. Das hast du ja auch ausführlich und anschaulich am Beispiel der Bühne dargestellt.Das Leben als Bühne zu beschreiben, das ist etwas logisch Stringentes. Es ist als Metapher eine rhetorische Hinwendung zur Wirklichkeit, dass das Leben (auch) eine Bühne ist: mit festgelegten Rollen, mit Kritikern, Zuschauern, Zuhörern. Mit einsamen Abenden und mit geselligen Höhepunkten. Die „Struktur der Wirklichkeit des Lebens“ ist die, dass sie der Struktur des Treibens in einem Theatersaal gleicht. Das ist logisch, das eine aus dem anderen zu schliessen, weil beides strukturähnlich ist. Hier nähert sich mit logischen Mitteln dieser Wirklichkeit, wer sie metaphorisch beschreibt. Und darum haben wir es hier nicht mit einer reinen begrifflichen Logik zu tun ...
Hier stehe ich vor einem Rätsel. "Das ist logisch, das eine aus dem anderen zu schliessen, weil beides strukturähnlich ist." Ich verstehe nicht, was hier geschlossen wird? Was heißt es, von der Struktur der Wirklichkeit des Lebens auf die Struktur des Treibens in einem Theatersaal zu schließen? Ich grüble schon eine gewisse Zeit, aber der Groschen will nicht fallen...Die „Struktur der Wirklichkeit des Lebens“ ist die, dass sie der Struktur des Treibens in einem Theatersaal gleicht. Das ist logisch, das eine aus dem anderen zu schliessen, weil beides strukturähnlich ist. Hier nähert sich mit logischen Mitteln dieser Wirklichkeit, wer sie metaphorisch beschreibt. Und darum haben wir es hier nicht mit einer reinen begrifflichen Logik zu tun ...