Wie viele Sinne hat der Mensch? (Ist Denken ein Sinn?)

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Friederike
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Sa 26. Jan 2019, 15:14

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 26. Jan 2019, 13:47
Das Gleichgewichtsorgan ist ebenso wenig im Sinnen-Katalog enthalten, wie das Auge und die Nase. Dieser Unterschied - der zwischen Organ und Sinn - scheint mir nicht ganz unbedeutend zu sein.
Ja, bei dieser Äußerung hatte ich unterstellt, ein "Sinn" müsse einem körperlichen Organ zugeordnet werden können. Übrigens bin ich auch nur im Kreis gelaufen, weil ich dasselbe schon einmal gemutmaßt hatte, wobei sich herausstellte, daß es nicht weiter führt.




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Jörn Budesheim
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Sa 26. Jan 2019, 15:40

Deswegen macht es auch keinen Sinn von einem "Hautsinn" zu sprechen, finde ich.




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Friederike
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Sa 26. Jan 2019, 18:12

@Jörn, weißt Du noch, was wir hier eigentlich rausfinden wollten, falls wir was rausfinden wollten? :lol: Mir ist der rote Faden verlustig gegangen. Ich kucke morgen nochmal an den Anfang.




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Jörn Budesheim
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Sa 26. Jan 2019, 18:29

Wir sind bei einer der klassischen philosophischen "Was ist X?" Fragen :-)




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Jörn Budesheim
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So 27. Jan 2019, 13:30

Mădălina Diaconu, in Phänomenologie der Sinne hat geschrieben : »Meine Seele ist ein verborgenes Orchester«, schrieb Fernando Pessoa, »ich weiß nicht, welche Instrumente, Geigen und Harfen, Pauken und Trommeln es in mir spielen und dröhnen läßt. Ich kenne mich nur als Symphonie.« (Pessoa 1987: 68)
[...]
nach Bernhard Waldenfels lassen sich die Sinne gar nicht zählen, denn dadurch würden sie als »gleichförmige Elemente« behandelt. (Waldenfels 2000: 90) Die wahre Frage einer Phänomenologie der Sinne lautet für ihn nicht: Wie viele Sinne hat der Mensch?, sondern: Wie differenziert sich die Sinnlichkeit in ihren Modi aus und wie werden die einzelnen Sinne trotz ihrer unüberbrückbaren Unterschiede koordiniert?




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Jörn Budesheim
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So 27. Jan 2019, 17:23

Bild

Diese Tafel stammt aus einem Buch des Philosophen Reinhard Brandt. Er hat sie seinerseits im Handbuch Psychologie von Zimbardo und Gerrig entnommen. Brandt kommentiert: "... den üblichen fünf Sinnen sind im angeführten Text zwei weitere Sinne hinzugefügt, der des Gleichgewichts und der der Kinästhesie. Ob dem Sexualsinn hier nicht auch ein Platz einzuräumen ist? ... es ist erstaunlich, dass wir unseren Sinnen so nah sind und nicht einmal wissen, wie viel es nun genau sind und welche Beschaffenheit dazugehört. Über die Türen in unserer Wohnung sind wir genau informiert, über die Sinnespforten unseres eigenen Körpers wissen wir wenig Bescheid."

Die Metapher mit den Pforten ist natürlich sprechend, aber das gehört vielleicht in einen anderen Thread. (Innen/Außen)




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Friederike
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So 27. Jan 2019, 17:53

Falls Brandt mit den Sinnespforten die "Rezeptoren" meint, so trifft es sicher zu, daß wir über sie wenig wissen. Ich meine nicht die Medizin oder die Biologie, sondern die Laien-Menschen. Man könnte schon die ganze Graphik kritisieren, weil sie mit Reiz und Rezeptor arbeitet (außen und innen). Sagst Du Deine Meinung?! Ich bin noch meinungslos.




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Friederike
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So 27. Jan 2019, 17:56

Zur Zusammenschau der Sinne nur als ein Mosaikstein: Wenn der Geruchssinn gestört, d.h. vermindert ist oder ganz ausfällt, dann schmeckt man auch nicht mehr. Und wenn die Augen kein einheitliches Bild herzustellen vermögen, dann funktioniert der Gleichgewichtssinn auch nicht mehr. Es gibt einen Schwankschwindel.




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Jörn Budesheim
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So 27. Jan 2019, 18:26

Ja, genau - das ist wohl das Pessoa mit Symphonie meinte, schätze ich. Man spricht ja auch von "kognitiver Durchdringung". Metaphorisch gesprochen: die Sinne arbeiten nicht nur im Team, sie sind auch "abhängig" voneinander bei ihren "spezifischen" Fähigkeiten.

Die Tabelle finde ich übrigens seltsam. Nehmen wir mit den Sinnen nicht auch Dinge, Ereignisse, Szenen und Tatsachen wahr? Wo kommt das in der Tabelle vor?




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Jörn Budesheim
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So 27. Jan 2019, 18:33

Friederike hat geschrieben :
So 27. Jan 2019, 17:53
die Laien-Menschen
Ich glaube: nicht nur die (=wir). Wissen die Naturwissenschaftler denn wirklich abschließend, wie viele Sinne es gibt? (ist das eine Frage, die man überhaupt "rein naturwissenschaftlich" lösen kann?

Ist das "Bindungsproblem" gelöst - ich meine* gelesen zu haben, es sei bis heute offen. Wissen wir, wie aus "Reizen" letztlich Bewusstseinszustände entstehen? Nicht, dass es mir bekannt wäre ... ich glaube, über uns selbst tappen wir noch ziemlich im Dunkeln.


*Nachtrag Quelle:

"Das Bindungsproblem ergibt sich in der heutigen Variante daraus, dass sinnesphysiologisch nicht geklärt ist, wie die verschiedenen Sinnesmodalitäten überhaupt neuronal verbunden werden. Dies gilt sowohl intramodal (etwa für die verschiedenen Rottöne) als auch intermodal (etwa für den Zusammenhang von Tast- und Farbwahrnehmung). In dieser Frage sind wir heute sinnesphysiologisch nicht maßgeblich weitergekommen als Aristoteles." (Markus Gabriel, der Sinn des Denkens)




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Friederike
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Mo 28. Jan 2019, 13:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 27. Jan 2019, 13:30
Mădălina Diaconu, in Phänomenologie der Sinne hat geschrieben : »Meine Seele ist ein verborgenes Orchester«, schrieb Fernando Pessoa, »ich weiß nicht, welche Instrumente, Geigen und Harfen, Pauken und Trommeln es in mir spielen und dröhnen läßt. Ich kenne mich nur als Symphonie.« (Pessoa 1987: 68)
[...]
nach Bernhard Waldenfels lassen sich die Sinne gar nicht zählen, denn dadurch würden sie als »gleichförmige Elemente« behandelt. (Waldenfels 2000: 90) Die wahre Frage einer Phänomenologie der Sinne lautet für ihn nicht: Wie viele Sinne hat der Mensch?, sondern: Wie differenziert sich die Sinnlichkeit in ihren Modi aus und wie werden die einzelnen Sinne trotz ihrer unüberbrückbaren Unterschiede koordiniert?
"Wie sich die Sinnlichkeit in ihren Modi ausdifferenziert", das klingt gut, nur fehlt mir jede Idee, wie man diese schöne Frage in kleinere, konkrete Fragen zerlegen könnte. Schreibt Diaconu dazu etwas?

Und ja, die "unüberbrückbaren Unterschiede" ... die Sinnes-Organe sitzen an unterschiedlichen Stellen des Körpers, haben jeweils eigene Nervenleitungen, Rezeptoren (wie ich jetzt gelernt habe), die aber alle doch ins Hirn führen? Bloß keine Diskussion übers Gehirn, aber physiologisch scheint es nun einmal so zu sein, daß in diesem Organ die Fäden zusammenlaufen. Die Koordination dürfte also dort stattfinden. In unserer Wahrnehmung erleben wir keine unüberbrückbaren Unterschiede.

NS: Waldenfels als Phänomenologe dürfte auch weniger an der physischen Koordinationstechnik interessiert sein, nehme ich an.




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Jörn Budesheim
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Mo 28. Jan 2019, 14:06

Friederike hat geschrieben :
Mo 28. Jan 2019, 13:38
In unserer Wahrnehmung erleben wir keine unüberbrückbaren Unterschiede.
Hören ist ganz anders als Sehen, oder? Riechen anders als Fühlen usw. Oder was ist dein Punkt?




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Mo 28. Jan 2019, 15:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 28. Jan 2019, 14:06
Hören ist ganz anders als Sehen, oder? Riechen anders als Fühlen usw. Oder was ist dein Punkt?
Sicher. Aber was bedeutet "unüberbrückbar" in diesem Zusammenhang? Natürlich sehe ich nicht mit den Ohren usw. und der vollständige Satz über Waldenfels Fragestellung lautet: " wie werden die einzelnen Sinne trotz ihrer unüberbrückbaren Unterschiede koordiniert?" Das ist mein Punkt. Wir hören, riechen, sehen, tasten, bewegen uns und dies geschieht gleichzeitig und ohne daß wir uns dieses Umstandes überhaupt gewahr wären.




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Mo 28. Jan 2019, 15:23

Mir ist noch ein hübsches Beispiel zur Zusammenarbeit der Sinne eingefallen. Wenn ich mit geschlossenen Augen auf einem Bein stehen will, das geht nicht. Sobald ich die Augen öffne und sie unten auf dem Boden auf einen Punkt fixiere, geht es schon besser, und wenn ich mich vor einen Spiegel stelle und die Beine ansehe, dann geht der Storchenstand am besten. Das heißt, ich kann am längsten das Gleichgewicht halten. Aber das betrifft wieder die körperliche Funktion. Ist also nur ein Einschub.




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Jörn Budesheim
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Mo 28. Jan 2019, 18:38

Friederike hat geschrieben :
Mo 28. Jan 2019, 15:16
Natürlich sehe ich nicht mit den Ohren
Bei Synästhetikern mag das anders sein. Wie auch immer. Vielleicht verstehe ich die fraglichen Passage ja nicht, aber meines Erachtens ist der Punkt einfach der, dass die diversen Qualia qualitativ ganz sind.




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Friederike
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Do 31. Jan 2019, 12:44

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 28. Jan 2019, 14:06
Hören ist ganz anders als Sehen, oder? Riechen anders als Fühlen usw.
Falls "Denken" ein Sinn ist, dann geht "Schmecken bzw. der Geschmack des Denkens" nicht (Randnotiz zur "Bildbesprechung").




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Friederike
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Fr 1. Feb 2019, 11:53

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 27. Jan 2019, 13:30
Mădălina Diaconu [... hat geschrieben : Die wahre Frage einer Phänomenologie der Sinne lautet für ihn [Waldenfels] nicht: Wie viele Sinne hat der Mensch?, sondern: Wie differenziert sich die Sinnlichkeit in ihren Modi aus und wie werden die einzelnen Sinne trotz ihrer unüberbrückbaren Unterschiede koordiniert?
Ich glaube, Waldenfels' Ansatz ist der richtige. Gestern sah ich einen ganz kurzen Bericht (SWR, "Alles Wissen") über ein von PsychologInnen durchgeführtes Experiment, in dem die ProbandInnen die Raumtemperatur schätzen sollten. Die konstante Raumtemperatur betrug 24 Grad. Die Schätzung der Probanden ging von 18 - 38 Grad und zwar in Abhängigkeit von der jeweiligen Beleuchtung, den Lichtverhältnissen. Es ist also davon auszugehen, das ist meine Schlußfolgerung, daß kein Sinn jemals für sich alleine, unabhängig von den anderen Sinnen, Daten erhebt.




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Jörn Budesheim
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Fr 1. Feb 2019, 17:24

Ich schätze mal, die Ansicht, dass Sinne Teamplayer sind dürfte gemeinhin Konsens sein, sie "triangulieren".




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Stefanie
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Fr 1. Feb 2019, 21:53

Andererseits ist es doch so, dass, wenn ein Sinn ausfällt, die anderen diesen oft ausgleichen können.
Fällt das Sehen aus, dann hören und tasten. Beim Geschmackssinn scheint das nicht zu funktionieren. Wer nicht mehr riechen kann, schmeckt wohl nicht mehr viel. Das kann nicht ausgeglichen werden.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Friederike
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Sa 2. Feb 2019, 08:48

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Feb 2019, 17:24
Ich schätze mal, die Ansicht, dass Sinne Teamplayer sind dürfte gemeinhin Konsens sein, sie "triangulieren".
Jaja. Schon. :lol: Aber daß das, was einer unserer Sinne wahrnimmt, so stark davon beeinflußt ist, was einer unserer anderen Sinne wahrnimmt, das ist mir zumindest nicht klar gewesen. Die Zusammenarbeit der Sinne wird mehr als nur koordiniert, was heißt, daß sie einander nicht in die Quere kommen.




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