Wie viele Sinne hat der Mensch? (Ist Denken ein Sinn?)

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Jörn Budesheim
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Sa 21. Apr 2018, 07:08

"Was sind "Sinne"? Auf die allgemeine Definition "die Fähigkeit, Reize wahrzunehmen" sollten sich die meisten Wissenschaftler und Laien einigen können. Doch damit endet auch schon die Übereinstimmung." (Spektrum.de/Zeit.de)

Hier findet sich ein Antwortversuch




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Jörn Budesheim
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Sa 21. Apr 2018, 07:09

Bild

Wie viele Sinne gibt es also? hab ich mich gestern gefragt im Zusammenhang mit der Thema, warum ein Bild (angeblich oder tatsächlich) mehr sagt als 1000 Worte. Die Frage ist wohl tatsächlich umstritten (siehe oben) Obwohl die Sinne uns das nächste sein sollten, wissen wir nicht Mal, wie viele es sind. Erstaunlich, oder?




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Stefanie
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Mo 23. Apr 2018, 21:26

Mir ist nicht ganz klar, wie die Frage, wie viele Sinne wir haben, mit dem Spruch, ein Bild sagt mehr als tausend Worte zusammenhängt. Das geht mir nicht aus dem Kopf.
Das mit den tausend Worten sagt doch nur aus, dass ein Bild manchmal mehr beschreiben kann, als es mit tausend Worten möglich ist, manchmal braucht es vielleicht 10.000 Worte.
?



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Jörn Budesheim
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Di 24. Apr 2018, 05:32

Ja, der Zusammenhang erschließt sich nicht unmittelbar - das stimmt. Ein Bild richtet sich ja (verkürzt gesagt) zunächst an den Sehsinn. Wie aber stets mit den anderen Sinnen? Sagt ein Bild mehr als eine Melodie? Oder umgekehrt: sagt eine Melodie mehr als ein Bild? Sagt ein Tanz mehr ein Geruch? ... und so kam ich zu den Sinnen - bis mir auffiel, dass es gar nicht so einfach zu bestimmen ist, was das ist und wie viele es davon gibt. Dazu habe ich dann natürlich sogleich Google befragt und den Rest des Spaziergangs hab ich an dem Gedanken rumgedockert, mir dann ein Schulheft gekauft, einen Kaffee bestellt und diese Zeichnung gemacht. So ungefähr (etwas vereinfacht erzählt) kam es dazu. Dann hab ich erwartungsfroh diesen Thread eröffnet :-)




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Alethos
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Di 24. Apr 2018, 13:06

Die Frage ist vielleicht auch nicht so einfach zu beantworten, wie man auf den ersten Blick meint. Wie viele Sinne ein Mensch hat, das lässt sich nicht eindeutig sagen, sowenig sich ganz eindeutig abzählen lässt, was es in der Welt an Phänomenen gibt. Wir kommen einer Quantifizierung vielleicht näher, wenn wir fragen, welche Phänomen'gruppen' es gibt:

Es gibt die sichtbaren Dinge, die hörbaren, die tatsbaren, die schmeckenden und die riechenden. Aber es gibt auch die logischen, die gedachten, die ausgesparten und die fühlbaren sowie die moralischen und andere. Vielleicht wenden wir für die Erfassung dieser Phänomene einen logischen Sinn, einen emphatischen und einen moralischen?



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Jörn Budesheim
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Di 24. Apr 2018, 18:21

Physiker zählen bis 3: chemische, mechanische und Licht-Reize
Aristoteles zählt bis 5: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen.
Neurowissenschaftler zählen bis 6: Sehen, Hören, Gleichgewicht, Fühlen, Schmecken und Riechen
Oft zählt man heute bis 10: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Gleichgewichtssinn, die Wahrnehmung der Temperatur, Wahrnehmungsfähigkeiten von Schmerzen, die Propriozeption und der viszerale Sinn

Der Philosoph Reinhard Brandt spricht auch von einem Sexualsinn, meine ich mich zu erinnern. Warum gehört unsere Fähigkeit Gesichter zu erkennen und zu lesen nicht dazu? Wie sieht es aus mit einem Angstsinn? Was ist ein Gemeinsinn? Die Fähigkeit, den Schmerz und die Freude der anderen zu spüren: ist das ein Sinn? Man spricht von Schönheitsinn ... gehört das dazu?




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Jörn Budesheim
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Di 24. Apr 2018, 18:41

Wie kann man Sinne "definieren"? Was haben alle Sinne gemein?
  • sie liefern und Informationen über die Eigenschaften "ihres" Gegenstandtyps
  • sind sie in diesem Sinne eher "rezeptiv"/eher passiv?
  • sie sind (daher)(alle?) eher unwillkürlich, sie funktionieren "einfach so" (obwohl man sie natürlich schulen kann)
  • sie sind tendenziell teamfähig, denn etwas kann etwas sowohl riechen als auch schmecken und irgendwie aussehen ...
Was gibt es noch?




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Stefanie
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Mi 25. Apr 2018, 19:12

Die eigentlichen Sinne funktionieren einfach so.
Im Gegensatz zu den anderen, wie Gerechtigkeitssinn, oder besser vielleicht anders formuliert:der Sinn für Gerechtigkeit, der Gemeinsinn, Sinn für Schönheit. Diese funktionieren nicht einfach so. Erlernt, Talent, Begabung, eigenes Interesse, aber auch eine Frage der Einstellung, Charakter.

Dazu tendiere ich gerade.



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Jörn Budesheim
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Fr 27. Apr 2018, 14:27

Die Sonne scheint, also sitze ich im Park und lese :) und zwar im Handbuch philosophischer Grundbegriffe ein Artikel über die Sinne. Dort findet ich ein kurzes Zitat von Michel Serres. "Der Mund", so Serres, "der sich selbst berührt, macht sich selbst seine Seele und vermag sie der Hand zu geben; die Hand, die sich ballt, vermag ihre blasse Seele zu schaffen und kann die nach Belieben dem Mund geben, der sie bereits hat."

Am Anfang aller Bewusstheit steht somit, heißt es im Lexikontext, die Selbstberührung, die Reduplikation der Sinne, die Selbsverdoppelung der sinnlichen Wahrnehmung.

Noch mal Serres: "... ohne die Berührung mit sich selbst, gäbe es keinen inneren Sinn, keinen wirklichen Körper, weniger Körpergefühl und kein eigentliches Körperschema, wir würden ohne Bewusstsein leben, glatt und stets in Gefahr, uns zu verlieren.'




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Friederike
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Fr 27. Apr 2018, 16:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 27. Apr 2018, 14:27
Noch mal Serres: "... ohne die Berührung mit sich selbst, gäbe es keinen inneren Sinn, keinen wirklichen Körper, weniger Körpergefühl und kein eigentliches Körperschema, wir würden ohne Bewusstsein leben, glatt und stets in Gefahr, uns zu verlieren.'
Interessant ... interessant deswegen, weil Serres, soweit ich weiß, zur sogenannten Leibphänomenologie nie gearbeitet hat, die Leibphänomenologie jedoch die Verschränkung von Bewußtsein und Körper (Sinne, Grenzen, Schema) als "Leiblichkeit" bezeichnet.




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Jörn Budesheim
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Sa 8. Sep 2018, 14:33

Ist Denken ein Sinn?




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Jörn Budesheim
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So 9. Sep 2018, 17:09

Ich nehme vor mir die Zuckerdose wahr. An dieser Wahrnehmung dürften einige Sinne beteiligt sein: die Augen, Ohren, der Gleichgewichtssinn, das Denken und vielleicht mehr (oder weniger).

Ich nehme aber die Dose nicht nur wahr, ich "nehme auch wahr", dass ich sie wahrnehme. Ich weiß, dass ich sie wahrnehme und ich sie wahrnehme. Welches "Sinnesorgan" ist dafür zuständig? Für die "Wahrnehmung" der Wahrnehmung?




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Stefanie
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So 9. Sep 2018, 18:59

Interessante Frage, die ich nicht beantworten kann.
Das Denken verarbeitet die Sinneswahrnehmungen. Das Denken ist damit kein Sinn, meiner Meinung nach.
Die Wahrnehmung der Wahrnehmung ist das nicht auch ein kognitiver Prozess? Oder es ist eine Folge unseres Bewusstseins. Nur wenn ich meiner selbst bewusst bin, kann ich wahrnehmen, dass ich wahrnehme.

Gerade habe ich keine Lösung.



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Jörn Budesheim
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So 9. Sep 2018, 19:04

Ich finde die Idee, dass Denken auch ein Sinn ist ganz hervorragend. John McDowell ist der Ansicht, dass auch unsere (anderen) Wahrnehmungen begrifflich strukturiert sind, das würde dann das Zusammenspiel der vielen Sinne gut erklären. Ich finde das zum Beispiel viel plausibler als die Idee, dass das Denken dem Rohmaterial der Sinnesdaten seine Stempel aufprägt.




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Stefanie
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So 9. Sep 2018, 19:12

Wenn das Denken ein Sinn ist, was ist dann der Verstand?

Dann wären alle kognitiven Leistungen eine Sinneswahrnehmung? Die Erfindung des Autos oder der Glühbirne beruht auf einem Sinn?



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Jörn Budesheim
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So 9. Sep 2018, 19:14

Die Sinne bringen uns in Kontakt mit der Welt und dieses Welt-wissen können wir für unsere Zwecke verarbeiten. Warum nicht?




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Stefanie
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So 9. Sep 2018, 19:23

Die Sinne verarbeiten das aber nicht, was sie uns liefern. Irgendwas muss es sortieren, werten, eben verarbeiten. Wenn nicht das Denken - wenn es ein Sinn ist, kann es sich nicht selbst verarbeiten-, was macht denn dann die Verarbeitung?

:?:

Gleich sind wir beim Gehirn.



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Alethos
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So 9. Sep 2018, 22:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 9. Sep 2018, 17:09
Ich nehme vor mir die Zuckerdose wahr. An dieser Wahrnehmung dürften einige Sinne beteiligt sein: die Augen, Ohren, der Gleichgewichtssinn, das Denken und vielleicht mehr (oder weniger).

Ich nehme aber die Dose nicht nur wahr, ich "nehme auch wahr", dass ich sie wahrnehme. Ich weiß, dass ich sie wahrnehme und ich sie wahrnehme. Welches "Sinnesorgan" ist dafür zuständig? Für die "Wahrnehmung" der Wahrnehmung?
Es muss das Denken, da es ja gedacht werden kann, ein wahrnehmenbarer Gegenstand sein, und damit muss es einen Sinn geben, der ihn uns wahrnehmen lässt. So, wie die Augen sich auf ein Ding richten können muss, damit es gegenständlich sein kann, muss sich doch auch das Denken intentional auf sich selbst erstrecken können, damit es sich selbst Gegenstand sein kann.

Sofern sich das Denken denken können sollen kann, muss es sich selbst wahrnehmen, und Wahrnehmung heisst Rezeption in erster Linie. Das Denken muss sich erkennen können als Denken und sich einen Ausgang schaffen zu sich selbst. Es muss der eigenen Unmittelbarkeit entsteigen können, von sich abstrahieren können, um in einer anderen Ordnung zu sich selbst zu finden als dieses, das sich denkt.

Das Denken ist so gesehen nicht ein Sinn, wie jeder andere Sinn, der rezipiert, was auf ihn einwirkt, sondern er ist jener Sinn, der sich selbst Sinn gibt. Es ist für sich selbst blind, wenn es sich nicht auf sich selbst richtet :) Das Denken verschafft sich eine Draufsicht auf sich selbst, indem es sich in Anwendung seiner ein Objekt gibt, das es selbst ist. Es wird zum Objekt der Objektvierung :)

Das Denken wird zu seinem Gegenstand dort, wo es an sich anknüpft und sich weiterdenkt. Das geht nicht ohne den Willen, der die Arbeit verrichtet, Begriff an Begriff zu reihen. Und es geht nicht ohne ein allgemeines Ich, das die Bedeutung des Gedachten herausarbeitet. Denken ist immer Fortgang in der Hinwendung zur Bedeutung der Sache, ganz unabhängig davon, ob das Denken diese Bedeutung schafft oder findet: Denken ist Arbeit an der Bedeutung.
Zuletzt geändert von Alethos am So 9. Sep 2018, 22:14, insgesamt 2-mal geändert.



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Stefanie
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So 9. Sep 2018, 22:11

https://www.uni-bonn.de/neues/227-2018

Hier findet sich ein Essay von ihm, wo er die Fragestellung auch anspricht. Im programm des Schauspielhaus Köln. Die PDF kann ich nicht anhängen, ist zu groß.
https://www.google.de/search?client=tab ... l0Z6Y#ip=1



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Jörn Budesheim
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