Biographische Philosophie

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Stefanie
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Mi 9. Mai 2018, 22:04

Friederike, welcher Satz auf dieser Seite ist denn diese Notiz? Ich steige da nicht durch.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Friederike
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Do 10. Mai 2018, 07:15

@Stefanie, oben S. 107, der zweite Absatz beginnt mit der dt. Übersetzung: "Dieses Buch ist von jemandem, der ins Staunen kam". Davor steht die Notiz in Französisch.




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Jörn Budesheim
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Do 10. Mai 2018, 07:30

In dem Artikel aus dem Thread "Sokrates hätte mit jedem geredet" findet man dieses Zitat:
Zeit.de hat geschrieben : Philosophie zehrte immer auch von solchen individuellen Biografien, konkreten Stimmen, die von ihrem jeweiligen Standpunkt etwas Allgemeines erzählen.

Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2018-05/phil ... turalismus




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Jörn Budesheim
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Do 10. Mai 2018, 19:59



Ungefähr ab Minute 6 startet eine recht lange Sequenz zum Thema Biografie. Wobei mir weder aus diesem Ausschnitt noch aus dem Text "Philosophie - Das Wechselspiel von Theorie und Autobiografie" richtig klar geworden ist, was der eigentliche Punkt dabei ist.

Natürlich kann die Biografie eines Philosophen sehr spannend sein. Ich hab sehr gerne die Biografie von Safranski über Heidegger gelesen, ich erinnere mich an eine gute Biografie von Wittgenstein, die ich vor Jahrzehnten gelesen habe und ebenso einen aufschlussreiche über Schopenhauer. Ich bin also nicht gegen Biografien :-)

Es berührt die Frage, was Philosophie ist, denke ich. Eine Biografie von Stephen Hawking wäre sicherlich auch sehr spannend. Aber man würde sich von seinen Lebensdaten kein besseres Verständnis der Frage erwarten, ob schwarze Löcher strahlen oder dergleichen. Aber ist es in der Philosophie anders? Würde es einem helfen zu verstehen, was ein Gedanke ist, wenn man Freges Leben nachlesen würde? Kant hat Königsberg nie verlassen, jeden Tag Senf angerührt und soll als junger Mann ein guter Billiard Spieler gewesen sein. Und nun? Sagt mir das was über seine Transzendental-Philosophie? Dass er ein Kind der Aufklärung war, hilft hier sicher schon eher. Aber ist sie deswegen wahr?




Tosa Inu
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Fr 11. Mai 2018, 08:55

Die Pointe bei Derrida war wohl einfach, dass das Bild was jemand in einer Biographie zeichnet, das Bild dessen bestimmt, wie der Mensch in der Welt zu sehen ist. Aber, so ist mir aus dem Film klar geworden, der mir den Menschen Derrida sympathisch machte, er legt wohl besonderen Wert auf das Element der Entfremdung. Auch der Versuch eine Situation so neutral zu beschreiben, wie es eben geht, reißt diese aus ihrer Natürlichkeit heraus und macht sie zu einer künstlichen. Derrida sieht das, so wie ich es verstanden habe, aber nicht unbedingt kritisch, sondern als unausweichlich an, man muss sich dessen nur bewusst werden.

Und deshalb, so verstand ich die Passage relativ am Anfang, ist es gar nicht so wichtig, das detailgenaue Bild zu zeichnen, sondern entscheidender, dass der Biograph einen Stein geschickt verschiebt und aus dieser Perspektive die Geschichte eines Menschen erzählt. Er zerstört damit nichts, weil das was er damit zerstören könnte, ohnehin nie gegeben ist, die Natürlichkeit des ‚So ist er/sie wirklich‘.

Ich lese sehr gerne Biographien, wenn sie gut sind. Habermas hat mal geschrieben, dass das äußere Leben von Philosophen zumeist sehr langweilig ist, ist ja auch klar, man denkt viel, da geht man vielleicht spazieren, sitzt viel rum, liegt vielleicht auch mal oder begibt sich in Situationen in denen man lange allein ist. Péter Nádas hat mal in einem Interview beschrieben, dass er in Vorfeld eines Romans, fast regungslos den ganzen Tag auf seinem Sofa liegt, über Wochen. Andererseits muss man sich auch austauschen und das ist dann sicher spannend, auch für den Voyeur im Leser. Wen trifft er, was sagt der, wie ist der so, privat? Schon Baudelaire hat den Leser enttarnt, als jemanden, der dem Überdruss zu entfliehen versucht. Wichtig ist ja auch weniger, dass man aufsteht, isst und Rad fährt, sondern, wie man das erlebt. Man kann Stunden über Wein reden, äußerlich schüttet man sich immer wieder nur kleine Schlucke in Gläser, probiert und sagt was dazu: Was ist daran spannend? Nun, es kann die Tür zu einem eigenen Kosmos sein. Und das ist es in der Tat, wenn man die Rolle der Psychologie beim Weingeschmack kennt. Größer, als man denkt, auch Experten sind da hinters Licht zu führen. Wobei die Konklusion nicht die sein kann, dass es ja überhaupt egal ist, was man trinkt, sondern die Botschaft ist eher, dass der Kontext, das gesamte Drumherum die Musik macht und in der schmeckt ein und derselbe Wein, dann drei mal anders. Das tut er auch tatsächlich. Trinkt man reihum, schmeckt der Wein den man zuerst probierte auf einmal anders, im Kontext der anderen Weine. Man kann das immer auch chemisch erklären und es ist noch nicht mal eine Schwäche des Weines, zu changieren, sondern es kann seine Stärke sein, sich immer ein wenig anders zu präsentieren. Die Kontextabhängigkeit ist in jedem Fall etwas, was Derrida wohl abnicken würde.

Die Diskrepanz zwischen Autor und Werk kann gewaltig sein, so, dass man es nie ganz verstehen kann. Mustergültig hat Kafkas genialer Biograph Reiner Stach dies herausgearbeitet. Kafka als einer der sozial unauffälligsten Menschen überhaupt, ließ die literarische Welt mit nur wenigen Werken erzittern. Wenn man ein Beispiel dafür sucht, dass Autor und Werk, auch wenn in diesem allerlei autobiographisches abgearbeitet wird, nicht zuletzt im Brief an den Vater, sich nicht entsprechen, Kafka ist es.

Ansonsten ist es aber doch interessant zu wissen, ob jemand, der sich darüber äußert, dass die Welt unweigerlich vergehen wird, gerade an einer schweren Depression litt. Aber auch hier verbieten sich 1 zu 1 Entsprechungen, man muss genauer hinschauen. Manche übertragen nicht einfach ihre Pathologie auf ihr Werk, sondern ihre Werk ist im Gegenteil der oft gelungene Versuch eines Ausbruchs. Hesse kurierte sich so immer wieder von seinen schweren Depressionen. Dem amerikanischen Philosophen und literarischen Genie David Foster Wallace, der seine Depression leider nicht überlebte, merkt man diese in seinem bizarrgenialen Werk nicht an, auch wenn ihm in seiner Kurzgeschichtensammlung Kurze Interviews mit fiesen Männern eine der beeindruckendsten Darstellungen der depressive Innenwelt überhaupt gelungen ist – nicht seiner eigenen.

Gerade die Neigung Menschen zu instrumentalisieren und daraus politische oder weltanschauliche Visionen zu entwickeln ist ein typisch narzisstischer Zug. Je kälter und härter, desto eindrucksvoller und pathologisch schwerwiegender, vor allem wenn apodiktisch feststeht, dass er eben so und nicht anders ist, der Mensch. Da kann der Biograph, einiges erhellen. Am spannendsten sind natürlich immer die Brüche. Genie und Barbar lautet der Untertitel einer Biographie zu Gottfried Benn, von Gunnar Decker, ebenfalls eine literarische Sternstunde. Decker widersteht der Versuchung der Küchenpsychologie zu verfallen, die alles in einfacher Weise in ein gewohntes und leicht handhabbares Ursache-Wirkungsschema presst.

Auffallen muss, wie verteufelt ähnlich die Biographien von Hitler und Stalin im Punkt der Unklarheit der eigenen Herkunft sind. Bei Stalin ist latent unklar, wer der eigentliche Vater ist. Ganz gleich, ob das irgendwann mal biologisch geklärt werden kann, es geht auch hier wieder um den Kontext, vor allem darum, welche Verwüstungen solche Unklarheiten in der Psyche von Kindern anrichten können und was sie in der Zeit bedeuten, sich nicht mal zu sein, wo man herkommt und hingehört.

Habermas erklärt manches an seinem Werk, allerdings eher kurz und knapp, autobiographisch. Krankheitsbedingt sei er als Kind schon auf Operationen und die Hilfe anderer angewiesen gewesen, daher sei für ihn die wechselseitige Abhängigkeit schon immer klar gewesen, die als Gedanke der Intersubjektivität auch sein Werk durchzieht. Mit Derrida lag er eher überkreuz, wenn es auch in Der gespaltene Westen zu einer späten Annäherung kommt.

Es scheint mir eine Frage des Einzelfalls und der Sorgfalt zu sein, ob Psychologie und Philosophie sich ergänzen. Statistisch, in der Affinität zu bestimmten Weltbildern sicher mehr, als in der zu kurzen Erklärung - weil man irgendwas Passendes finden will - des genialen Einzelnen, der sich oft der zu schlichten Deutung entzieht. Häufiger als die echte Affinität zum Werk sind sicher die Assoziationsketten. Wer sich als starken, einsamen Wolf oder sonst wie Auserwählten sieht, wird öfter mal auch dann eine Nähe zu Nietzsche spüren, wenn er ihn gar nicht gelesen hat. Irgendwas mit Übermensch, das passt immer gut.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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Fr 11. Mai 2018, 16:05

Ich zitiere noch einmal W. van Rossum:
WvR hat geschrieben : Es geht bei solchen Beobachtungen nicht darum, ganze Theorie-Gebäude auf biografische Episoden zurückzuführen, um sie damit zum Einsturz zu bringen. Es geht darum, wie die Denker selbst den Zusammenhang von Theorie und Leben thematisieren.
Ergänzend zum Leben möchte ich jetzt dazufügen ihr persönliches Leben. Wie die Philosophierenden also selbst die Spannung zwischen dem Allgemeinen und Individuellen, wie Du es ausgedrückt hattest @Jörn, erlebt und reflektiert haben. Falls ich mich nicht irre, dann ist diese Fragestellung innerhalb des philosophischen Faches neu und jedenfalls noch nie systematisch zu beantworten versucht worden. Das von Rossum vorgestellte Buch scheint mir ein Novum. Man müßte ja überhaupt erst einmal die Texte von PhilosophInnen unter diesem Aspekt durchforsten.

Ein bißchen irritierend ist die Uneindeutigkeit der Wortes "Biographie". Wenn jemand ein Buch über sein/ihr eigenes Leben schreibt, dann nennt man das Autobiographie. Wenn jemand ein Buch über das Leben eines oder einer anderen schreibt, dann ist es eine Biographie. Wenn eine Philosophin den Zusammenhang zwischen Theorie und ihrem eigenen Leben bedenkt, dann würde man dies aber auch so ausdrücken können, daß eine Philosophin Theorie und Biografisches bedenkt; man würde eher nicht sagen, sie bedenke Theorie und Autobiografisches.




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Jörn Budesheim
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Sa 12. Mai 2018, 06:40

Tosa Inu hat geschrieben : Habermas erklärt manches an seinem Werk, allerdings eher kurz und knapp, autobiographisch. Krankheitsbedingt sei er als Kind schon auf Operationen und die Hilfe anderer angewiesen gewesen, daher sei für ihn die wechselseitige Abhängigkeit schon immer klar gewesen, die als Gedanke der Intersubjektivität auch sein Werk durchzieht. Mit Derrida lag er eher überkreuz, wenn es auch in Der gespaltene Westen zu einer späten Annäherung kommt.
Das könnte man dann auch gegen Habermas verwenden, in dem man sagt, dass seine Biografie seinen Blick verzerrt hat. (Es soll jetzt nicht darum gehen, ob es sich so verhält.) Wenn es in der Philosophie um Wahrheit geht, dann müssen ihre Ergebnisse allgemeingültig sein, für jeden nachvollziehbar - egal mit welcher Biografie, oder?

Ein anderer Versuch: Eine Biografie ist immer auch ein Beispiel. (Für was auch immer im Einzelnen.) Beispiele sind Zwitterwesen. In ihnen zeigt sich das Allgemeine im Besonderen. Und dieses ganz Besondere weist auf etwas Allgemeines. Es geht in beide Richtungen. Vielleicht ist das ein Ansatz? Wer bietet mehr ... oder weniger ;-)




Tosa Inu
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Sa 12. Mai 2018, 08:45

Freud ist zu seiner Technik der freien Assoziation gekommen, weil er der Meinung war (die wohl richtig ist), dass worüber auch immer ein Mensch redet, er automatisch über kurz oder lang auf sein zentrales Problem zu sprechen kommt. Ich glaube, das gilt allgemein, auch im Werk, nur kann man sich dem kompensierend nähern oder in reinen Ausdruck dessen, worunter man leidet, bzw. was das eigene Thema ist.

Diese Beziehungen sind wirklich vielfältig, aber ich glaube nicht unbekannt und wie so oft verhalten sich Menschen umso typischer, weil unfreier, je weniger sie entwickelt sind. Schon mehr als einmal habe ich mich gewundert, wie exakt und lehrbuchmäßig Menschen bestimmter Pathologie alles brav präsentieren, was die Beschreibung des Krankheitsbildes hergibt, als hätte sich es auswendig gelernt und würden es nun aufführen. Dabei ist es das 'echte' Leben.

Je differenzierter und je versierter im Spezialgebiet, umso mehr kann man sich glaube ich davon lösen und umso komplexer werden die Biographien, umso kurioser die Brüche.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 7. Mai 2018, 19:39
Ergibt sich daraus nicht eine gewisse Spannung? Denn die Philosophie ist die Wissenschaft von den allgemeinsten Begriffen überhaupt. Während eine Biografie eher zum gegenseitigen Pol gehört, eine Biografie ist ganz besonders, es ist eben diese Biografie und keine andere.

Genau diese Spannung macht auch den Unterschied zwischen Philosophie und Psychotherapie aus. Der Philosoph versucht vom Privaten und Konkreten maximal aufs Prinzipielle zu abstrahieren, in der Therapie versucht man allgemeines Gerede über die Welt usw. immer auf die Bedeutung für das eigene Leben zu reduzieren, die Technik ist in beiden Fällen die Reflexion.

Beides ist nie vollkommen voneinander zu trennen, so dass z.B. schon die Wahl des Philosophen oder der Richtung, die man besonders vertritt viel aussagt.
Und den Blick von nirgendwo können wir als Ideal ja ohnehin beerdigen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Stefanie
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Mi 5. Sep 2018, 21:58

Das Thema lässt mir keine Ruhe.
Zwischenzeitlich habe ich eine "Spur" aufgenommen, es anders anzugehen. Leider bekomme ich es noch nicht richtig gedanklich sortiert.

Also fange ich einfach an, hier lose Gedanken niederzuschreiben. Mit dem Schwerpunkt auf lose Gedanken, nur so als Hinweis, dass es etwas chaotisch sein kann.
Die Spur ist der Ansatz des narrativen Denkens (hauptsächlich der Ansatz von Arendt), das Erinnern und das Verstehen. Das Denken in Geschichten und das Erinnern. (Judith Butler soll dazu auch was geschrieben haben.)

Sarah Kofman schreibt zu Beginn ihrer autobiographischen Fragmente:
"Vielleicht waren meinen zahlreichen Bücher Umwege, die notwendig waren, und endlich "dies" zu erzählen." Rue Ordener, Rue Labat, Seite 7.
Die philosophischen Arbeiten von Sarah Kofman kreisten und behandelten immer auch die Themen Erinnerung, Tod und Vergessen.

Hannah Arendt schreibt: "Meine Annahme ist, dass das Denken aus Geschehnissen der lebendigen Erfahrung erwächst und an sie als einzigen Wegweiser, mit deren Hilfe man sich orientiert, gebunden bleiben muss."
Von ihr stammt auch:
"Die größten Übeltäter sind jene, die sich nicht erinnern, weil sie auf das Getane niemals Gedanken verschwendet haben, und ohne Erinnerung kann nichts sie zurückhalten."

Erinnern ist ein Denken an etwas im Unterschied zum Denken über etwas oder dem Denken von etwas. Erinnern ist etwas, was sich im Denken abspielt. Das Denken in Geschichten ist immer ein Aufbereitungsvorgang. Das an was sich jemand erinnert, dass was man versucht zu verstehen, entstammt den Erfahrungen. Nach Arendt bedeutet dies, ich muss, bevor ich nachdenke (denken ist immer ein nach-denken.) Erfahrungen gesammelt haben.

Denken ist immer ein Gespräch zwischen mir und mir. Hinzukommt noch, dass Arendt unterscheidet zwischen dem Ich und dem Selbst:
"Als Person, die sich erinnert, bin ich niemand.
Arendt unterscheidet in diesem Zusammenhang auch zwischen dem Ich und dem erscheinenden Selbst. Mein Selbst ist nicht etwas, das tief in meinem Inneren verborgen liegt. Dort brauche ich auch gar nicht danach zu suchen. Mein Selbst erlebe ich durch die Begegnung mit anderen Menschen. Insofern ist dieses Selbst kein mit sich identisches, sondern ein wechselndes. Dadurch, dass ich in der Welt erscheine, kann ich ‚jemand‘ sein. Der Prozess des erinnenden Denkens geschieht irgendwo anders, nämlich da, wo ich mich aufspalte in ein fragendes und in ein antwortendes Bewusstsein und jede Art von Selbstsein ablege.
Beim Denken ist man nicht dort, wo man wirklich ist; man ist nicht von Sinnesgegenständen umgeben, sondern von Vorstellungsbildern, die sonst niemand sehen kann. Es ist, als hätte man sich in ein fernes Land zurückgezogen, das Land des Unsichtbaren, von dem man überhaupt nichts wüsste, wenn man nicht dieses Vermögen des Erinnerns und Vorstellens hätte. Das Denken hebt zeitliche und räumliche Entfernungen auf. Man kann die Zukunft vorwegnehmen, man kann sie denken, als wäre sie schon Gegenwart, und man kann die Vergangenheit erinnern, als wäre sie gar nicht entschwunden." Zitiert aus: https://www.budrich-journals.de/index.p ... /2377/1981

Arendt und Levinas haben unterschiedlichen philosophische Konzepte entwickelt, die auf den Schrecken des 2. Weltkrieges beruhen.
Sie machen beide - wie auch Kofman- eigentlich so etwas wie Denken in Geschichten und ein Erinnern aus gesammelten Erfahrungen. Ein erinnerndes Denken. Ein Nach-Denken. Kofman hat wohl - wenn man ihren Satz von oben so liest- ihre vorherigen philosophischen Texte als eine Art narratives Denken gebraucht, um ihre Autobiographie schreiben zu können.
Nimmt man noch die Konzeption von Arendt - Trennung Ich -Selbst- und ihre Ansicht, dass man erst ein Mensch wird, wenn man aus dem Privaten (das Denken sieht niemand von außen) heraustritt und in das Öffentliche tritt (also politisch wird), durch Handeln und Urteilen, kann man sagen, dass zwar die Lebensgeschichte, die Biographie die philosophischen Konzepte beeinflusst haben, aber es trotzdem gelungen ist, bei den philosophischen Konzepten aus der eigenen Biographie herauszutreten.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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