Wissenschaftler: Computer werden niemals denken können

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Alethos
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So 4. Okt 2020, 20:18

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 18:04
Alethos hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 18:01
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 17:42
dass es viele Wirklichkeiten gibt

.. es gibt noch eine andere Realität

eine eigene artspezifische Realität

eine eigene Wirklichkeit.
So hast du es dargestellt, Jörn.
Genau. So, wie ich es oben dargestellt habe, vertrete ich es immer noch
Die Fledermaus navigiert durch denselben Wald wie ich. Sie hat einen anderen Erkenntnisapparat als ich. Sie sieht und hört an ihm anderes als ich, weil sie anderes und anders an ihm wahrnimmt. Aber es ist derselbe Wald, durch den wir beide navigieren. Oder sind es zwei Wälder? Der Wald der Fledermaus und der Wald des Menschen? Gibt es zwei Waldwirklichkeiten oder eine, in der sich der Wald einem Subjekt wegen eines unterschiedlichen Erkenntisapparates anders "darstellt"?

Wäre es nun so, dass die Fledermauswirklichkeit des Waldes nicht zugleich die Menschwirklichkeit des Waldes
wäre, würde das bedeuten, dass uns keine gemeinsame Waldwirklichkeit zugrunde läge. Es wäre für mich auch nicht wirklich, dass die Fledermaus den Wald
anders sieht, denn ihr wäre ja ein anderer
Wald gegeben als mir. Ich könnte gar nicht sagen, dass er ihr anders gegeben ist, denn nicht wäre er ihr gegeben, sondern ein anderer. Nichts von der Waldwirklichkeit der Feldermaus liesse sich mir vermitteln, weil dieser Wald für mich keine Wirklichkeit hätte. Alles wäre nur Menschenwald, nirgends gäbe es da für mich den Feldermauswald, nichts wäre über die Fledermauswaldwirklichkeit für mich möglich wahr, weil es diesen Wald für mich gar nicht gäbe. Nicht einmal
vom Hörensagen. Wenn es aber den Wald der Fledermaus nicht gibt, woher will ich denn wissen, dass es die Fledermauswirklichkeit gibt und woher wollte ich wissen, dass ihre Erkenntnis wirklich ist, also dass sie überhaupt einen Wald zum Gegenstand hat und nicht etwa nichts oder etwas ganz anderes?

Der Wald ist unser gemeinsamer Gegenstand, er ist in einer gemeinsamen Wirklichkeit überhaupt nur denkbar, weil für beide gleichzeitig existent. Er ist nur als realer Wald denkbar, wenn er exisitert, aber existieren heisst, mit allen Seienden zugleich sein. Der Wald also existiert, aber er ist weder nur so oder nur so, sondern so und so. Für sie so, für mich so. Beide Male ist es der Wald, der einmal so und einmal so erscheint. Beide Erscheinungen von ihm sind wirklich. Also ist der Wald sowohl so als auch so erscheinend. De facto. Und de re nur ein Wald.

Wäre nun die Fledermaus in der Lage, ihr Farbempfinden mit unseren Farbbegriffen auszudrücken, und würde sie sagen, dass die Blätter des Waldes grün erscheinen und der Himmel gelb, dann wäre es so, dass sie sagen müsste: "Der Himmel ist gelb." Und sie müsste es sagen, wenn sie die Wahrheit sagen will, auch wenn er uns blau erscheint. Und sie sagte Wahres, sofern er ihr wirklich gelb erscheint und wir sagten wahres, wenn er und anders erscheint, z.B blau. Es wäre wahr, dass der Himmel gelb ist, obwohl er blau ist, denn weder ist er nur so, noch ist er nur unsere Empfinden von ihm. Er ist der Himmel und so und so, aber niemals einfach nur blau oder gelb. Er ist eben schliesslich auch ein Himmel-Phänomen, und nicht nur der Himmel an und für sich (obwohl er im Phänomen sein an und für sich zeigt)


Was also die Wahrheit über eine Sache betrifft, z.B. dass sie blau oder gelb ist, muss man festhalten, dass sie von der Wirklichkeit des Empfindens abhängt. Es ist wahr über den Himmel, dass er gelb ist, wenn er jemandem so erscheint. In dieser seiner Empfindung ist das Gelbsein wirklich, also ist es über den Himmel in dieser Perspektive wahr, dass er gelb ist. Diese Perspektive, diese Hinsicht ist schliesslich real.

Bei einer "nur gefühlten Wahrheit", wie sie NWDM ins Spiel brachte, verhält es sich genau gleich. Sie betrifft eine Sache, ein Ding, einen Gegenstand, in jedem Fall etwas Reales. Ist dieser Gegenstand der erfühlten Wahrheit selbst nur existent durch das Fühlen, wie ein Phänomen nur real ist durch das Empfinden, so stellt sich die Wirklichkeit in diesem Akt des Fühlens oder Empfindens ein. Mitnichten hat dieser Gegenstand, von dem die erfühlte Wahrheit handelt, sofern er erstmal zur Wirklichkeit gelangte, nur Wirklichkeit für dieses Fühlen oder Empfinden - es hat Wirklichkeit erlangt für alles und jeden - für den, der es erkennen kann und auch für den, der es nicht kann. Wirklich ist dieser Gegenstand in jedem Fall durch seine Existenz, unabhängig von der Tatache, ob einer sie wahrnimmt.
Eine erfühlte Wahrheit gilt also auch als Wahrheit für den, der nichts von ihr weiss, weil er sie nicht erfühlt, denn nicht durch sein Gefühl ist die Sache wirklich, von der Wahrheit behauptet wird, sondern durch die Existenz dieser Sache in einem Erfühlen überhaupt.
Das ist epistemologischer Realismus. Dass eine Sache lokal Wirklichkeit erlangt, aber dadurch Wirklichkeit überhaupt - denn es gilt: Sein oder Nichtsein. Ist ein Gegenstand durch lokale Bedingungen wirklich geworden, so existiert er zwar nicht überall, aber überhaupt. In jedem Fall betrifft Wahrheit, die erfühlte wie die gesehene, gehörte, aber auch die nie wahrgenommene, die Wirklichkeit einer Sache, die die Wirklichkeit überhaupt aller Gegenstände ist.

Nun kann man aber über die moralischen Gegenstände nicht sagen, dass sie nur existieren in einer inneren Perspektive. Moralische Tatsachen existieren ja nicht durch eine Begründung, sondern sie liefern der Begründung das Substrat. Was immer
wahr über moralische Tatsachen ist, die Wahrheit über sie ergibt sich aus ihrer Wirklichkeit und diese steht allen Arten und Individuen einer Art zur Erkenntnis zur Verfügung - je nach Erkenntnisapparat erkennt es so oder so oder gar nicht, aber wirklich ist es ohnehin.

Man kann nun mit gutem Recht sagen, dass auch wir Menschen moralische Sachverhalte an Merkmalen erkennen. Wir erkennen sie vielleicht emphatisch, rational, auf einen Blick durch blosses Hinsehen, aber immer anhand von Merkmalen. Es handelt sich um eine moralische Wirklichkeit, deren Merkmale wir für Computer erkennbar machen können, indem wir ihnen sagen, welche Merkmale das sind und indem
wir ihnen argumentative Strukturen einprogrammieren.

Ein Gerät der Zukunft wir: Abertrilliarden von Optionen, von moralisch relevanten Informationen, von ethischen Implikationen abwägen und verarbeiten können. Mit keinem guten Recht können wir diesen Einheiten prinzipiell die Fähigkeit absprechen, Zugang zu moralischen Tatsachen zu haben. Denn sie sind real nicht nur in einer Perspektive, sondern in allen möglichen Perspektiven.



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Jörn Budesheim
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So 4. Okt 2020, 20:36

Der neue Realismus unterstellt, [dass es Wahrheiten gibt] die nur zugänglich sind, wenn gewisse Registraturen im Spiel sind. [...] Daraus folgt aber weder, dass diese Formen eine Art willkürlicher Halluzination [dass sie bloß im Kopf sind] sind oder dass sie irgendwie alle falsch sind. (Markus Gabriel, Warum es die Welt nicht gibt.)

Nun, da du die SFO nicht mehr akzeptierst, müsste man eher einen neuen thread dazu machen, hierher passt es nicht wirklich.




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Alethos
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So 4. Okt 2020, 22:14

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 20:36
Der neue Realismus unterstellt, [dass es Wahrheiten gibt] die nur zugänglich sind, wenn gewisse Registraturen im Spiel sind. [...] Daraus folgt aber weder, dass diese Formen eine Art willkürlicher Halluzination [dass sie bloß im Kopf sind] sind oder dass sie irgendwie alle falsch sind. (Markus Gabriel, Warum es die Welt nicht gibt.)

Nun, da du die SFO nicht mehr akzeptierst, müsste man eher einen neuen thread dazu machen, hierher passt es nicht wirklich.
Jörn, meine Position ist verträglich mit der SFO. Deine hingegen ist es nicht, da du von "artspezifischen Wirklichkeiten" sprichst (im Plural!). Das ist nicht die Position der SFO. Gabriel behauptet, dass Existenz Erscheinung in einem Sinnfeld sei und Existenz auf ein Sinnfeld restringiert wäre, was natürlich nicht heisst, dass Wirklichkeit restringiert ist. Existenz ist lokale Existenz, Seiende sind relational zu einem Sinnfeld Seiende, aber Seiende sind sie nur im Status als Wirkliche, also Wirklichkeit Habende.
Die unterschiedlichen epistemischen Produkte unterschiedlicher Arten sind somit real, aber real in einem einzigen Sinn von wirklich als nicht Nichtwirkliches.

Und wenn du genau liest, sagt er:

Der neue Realismus unterstellt, [dass es Wahrheiten gibt] die nur zugänglich sind, wenn gewisse Registraturen im Spiel sind.


Er sagt, dass es Wahrheiten gibt, die nur gewissen Registraturen zugänglich sind, er sagt nicht, dass diese Wahrheiten nur gelten, wenn man diese Registraturen hat. Er sagt also nicht, dass die Wahrheit über das Grünsein des Himmels für eine Biene nur für die Biene gilt, sie gilt natürlich auch für Menschen, die die Wirklichkeit des Grünseins des Himmels für die Biene anerkennen als eine Wahrheit über den Himmel (für sie) und damit eine Wahrheit
überhaupt als wirkliche. Nun gibt es also Wahrheit oder es gibt sie nicht, aber wenn es sie gibt, dann gibt es sie in Wirklichkeit, nicht aber in einer Wirklichkeit schon und der anderen nicht.



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So 4. Okt 2020, 23:13

Alethos hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 22:14

Der neue Realismus unterstellt, [dass es Wahrheiten gibt] die nur zugänglich sind, wenn gewisse Registraturen im Spiel sind.


Er sagt, dass es Wahrheiten gibt, die nur gewissen Registraturen zugänglich sind, er sagt nicht, dass diese Wahrheiten nur gelten, wenn man diese Registraturen hat.
Ich sehe nicht, wo der von mir unterstrichene Teil Deines Satzes von irgendwem behauptet wurde. Also von mir jedenfalls nicht.



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Jörn Budesheim
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Ich sage das auch nicht. Ich habe dafür argumentiert, dass Computern, die moralischen Wahrheiten, die uns betreffen, nicht zugänglich sein können, weil sie nicht über die geeigneten "Registraturen" verfügen. Man kann diese Wahrheiten nicht "von der Seitenlinie" aus erkennen, sondern nur aus der Teilnehmer Perspektive, man muss in die entsprechenden Spiele involviert sein.




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Jörn Budesheim
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Mo 5. Okt 2020, 06:35

Alethos hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 17:35
Wobei ich nicht von Wirklichkeiten sprechen würde, weil es nur eine Wirklichkeit gibt. Ich würde lieber von Apekten der Wirklichkeit sprechen. Von wirklichen Aspekten der Wirklichkeit.
Das ist allerdings weit entfernt von der SFO, die schließlich von einer Pluralität von Wirklichkeiten ausgeht und dagegen argumentiert, dass es nur eine Wirklichkeit gibt.




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Mo 5. Okt 2020, 07:44

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 06:35
Alethos hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 17:35
Wobei ich nicht von Wirklichkeiten sprechen würde, weil es nur eine Wirklichkeit gibt. Ich würde lieber von Apekten der Wirklichkeit sprechen. Von wirklichen Aspekten der Wirklichkeit.
Das ist allerdings weit entfernt von der SFO, die schließlich von einer Pluralität von Wirklichkeiten ausgeht und dagegen argumentiert, dass es nur eine Wirklichkeit gibt.
Das ist doch einfach nicht wahr. Die SFO geht von einer Pluralität von Existenzbegriffen aus.



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Mo 5. Okt 2020, 07:53

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 23:13
Alethos hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 22:14

Der neue Realismus unterstellt, [dass es Wahrheiten gibt] die nur zugänglich sind, wenn gewisse Registraturen im Spiel sind.


Er sagt, dass es Wahrheiten gibt, die nur gewissen Registraturen zugänglich sind, er sagt nicht, dass diese Wahrheiten nur gelten, wenn man diese Registraturen hat.
Ich sehe nicht, wo der von mir unterstrichene Teil Deines Satzes von irgendwem behauptet wurde. Also von mir jedenfalls nicht.
Das von Jörn an mich gerichtete Zitat sollte wohl zeigen, dass ich mit meiner Position die SFO aufgegeben habe. Was Jörn mit diesem Zitat schliesslich genau zeigen wollte, kann ich dir leider auch nicht sagen. Tatsache ist, dass die Wahrheit nicht von den Registraturen abhängt - wenigstens nicht gemäss SFO.

Wenn du von "erfühlten Wahrheiten" sprichst (die du noch nicht mit Beispielen belegt hast, wenn ich es nicht übersehen habe), dann heisst das wohl nicht, dass diese Wahrheiten nur existieren im Gefühl oder dass man sie "nur" erfühlen kann. Wie auch immer: Tatsache ist jedenfalls, dass es sowohl für uns Menschen wie auch für Roboter gilt, dass es Wahrheiten gibt, die uns nur mit bestimmten Registraturen zugänglich sind. Ich wüsste nicht, wie das künstliche Intelligenz in diesem Punkt als defizientere gegenüber der biologischen darstellen sollen könnte.
Zuletzt geändert von Alethos am Mo 5. Okt 2020, 07:56, insgesamt 1-mal geändert.



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Mo 5. Okt 2020, 07:56

Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 07:44
Die SFO geht von einer Pluralität von Existenzbegriffen aus.
SFO hat einen Begriff von Existenz: "erscheinen in einem Sinnfeld".




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Mo 5. Okt 2020, 08:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 07:56
Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 07:44
Die SFO geht von einer Pluralität von Existenzbegriffen aus.
SFO hat einen Begriff von Existenz: "erscheinen in einem Sinnfeld".
Ja, du kannst es drehen und wenden, wie du willst: Existieren heisst Erscheinen in einem Sinnfeld. Wenn es plurale Sinnfelder gibt, also eine Vielzahl von Sinnfeldern, dann ist auch das jeweilige Erscheinen ein vielfältiges, weshalb auch der Existenzbegriff ein pluraler ist. "Existieren als" Romanfigur ist etwas anderes als "Existieren als" Mensch aus Fleisch und Blut. Die Existenzbedingungen sind ganz andere, weil die Art und Weise der Erscheinens eine ganz andere ist.

Aber nirgends in der SFO wird daraus geschlossen, dass es mehrere Wirklichkeiten gäbe (wenn auch an gewissen Stellen eine Mehrweltentheorie diskutiert wird). Wenn in der SFO von "der Welt der Bücher" oder "der Welt der Biologie" etc. gesprochen wird, dann figurativ, für die jeweiligen Ordnungen dieser Bereiche, nicht für eine Wirklichkeit selbst. Wenn du von Facetten oder Perspektiven oder Sinnen von Wirklichkeit sprechen willst, dann bitte - gerne. Aber bestimmt nicht von Wirklichkeiten.



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Mo 5. Okt 2020, 09:15

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 05:56
Ich sage das auch nicht. Ich habe dafür argumentiert, dass Computern, die moralischen Wahrheiten, die uns betreffen, nicht zugänglich sein können, weil sie nicht über die geeigneten "Registraturen" verfügen. Man kann diese Wahrheiten nicht "von der Seitenlinie" aus erkennen, sondern nur aus der Teilnehmer Perspektive, man muss in die entsprechenden Spiele involviert sein.
Ja. Das ist in einem Satz zusammengefasst das, was ich hier so umständlich anhand von Beispielen zu erklären versucht habe.
Beim Emotionen-Spiel kann der Computer nicht mitspielen.



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Mo 5. Okt 2020, 09:27

Wirklichkeit ist bei Gabriel streng genommen ein Modalbegriff - gehört also in die Reihe "möglich, wirklich, notwendig". Du schreibst allerdings, dass es "nur eine Wirklichkeit gibt", das ist natürlich ein anderer Begriff.

Gabriel gibt selbst eine Reihe von Beispielen dessen, was er ablehnt: »Die Welt«, »das Eine«, »der Gesamtzusammenhang,« »absolut Alles«, »unrestringierte Totalität«, »die Wirklichkeit«, »das Sein«, »das Seyn« usw. Und das ist genau die Sicht, die Gabriel bereits im Titel eines seiner Bücher zurückweist: "Warum es die Welt nicht gibt". Wirklichkeiten gibt es (in diesem Sinne) nur im Plural der unendlich vielen Sinnfeldern, wir leben in vielen verschiedenen Wirklichkeiten (= Sinnfeldern, Bereichen, Ordnungen, "Welten" ...) [Hervorhebungen von mir]




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Jörn Budesheim
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Mo 5. Okt 2020, 09:38

Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 08:00
Ja, du kannst es drehen und wenden, wie du willst: Existieren heisst Erscheinen in einem Sinnfeld
So ist es. Und das ist eben ein Begriff von Existenz. Er hat ja daneben nicht noch weitere Existenzbegriffe, sondern nur diesen einen. Wohingegen du jetzt etwas anderes behauptest: nämlich, dass es "nur eine Wirklichkeit gibt" und: "existieren heisst, mit allen Seienden zugleich sein"




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Alethos
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Mo 5. Okt 2020, 17:01

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 09:15
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 05:56
Ich sage das auch nicht. Ich habe dafür argumentiert, dass Computern, die moralischen Wahrheiten, die uns betreffen, nicht zugänglich sein können, weil sie nicht über die geeigneten "Registraturen" verfügen. Man kann diese Wahrheiten nicht "von der Seitenlinie" aus erkennen, sondern nur aus der Teilnehmer Perspektive, man muss in die entsprechenden Spiele involviert sein.
Ja. Das ist in einem Satz zusammengefasst das, was ich hier so umständlich anhand von Beispielen zu erklären versucht habe.
Beim Emotionen-Spiel kann der Computer nicht mitspielen.
Das mag sein, aber es kann ja hier nicht darum gehen zu zeigen, wo ein Computer schlechter ist als ein Mensch, um damit künstliche Intelligenz als solche für unfähig / unmöglich zu halten. Dass künstliche Intelligenz nicht alles wissen kann, das müssen wir konzedieren, aber wir müssen das auch festhalten für Menschen. Etwas nicht erkennen zu können ist grundsätzlich ein Problem sowohl von Menschen als auch von Computern. Wenn ich NWDM richtig verstanden habe, weiss auch er nicht mit Sicherheit, was wahr ist mit Bezug aufs Helfensollen. Es gibt eine Vielzahl von Menschen, die sagen, sie kennen die Wahrheit bezüglich moralischer Objektivität nicht - sie können sie nicht erkennen - ja, sie bezweifeln eine solche Wahrheit sogar. Inwiefern diesen die "Registratur" fehlt, will ich nicht beurteilen.

Aber, betreffend moralische Wahrheiten sehe ich das auch so, dass es eine Innenperspektive geben muss. Man muss verstehen, womit man es zu tun hat (Menschen), wenn man Regeln verstehen will, die das Miteinander dieser Menschen unter Berücksichtigung Ihrer Bedürfnisse, Ängste, Empfindsamkeit regeln sollen. Ich verstehe nur nicht, warum man sich nicht denken können will, dass es so etwas wie künstliches Bewusstsein geben kann, das dies auf seine Art kann.
Wir (jedenfalls ich) vertreten ja bei der Ansicht, dass sich künstliches Bewusstsein herausbildet, ja nicht die naturalistische These, dass Bewusstsein ein biophysikalischer Mechanismus ist, der sich grundsätzlich auf Maschinen übertragen lässt. So jedenfalls denke ich mir künstliches Bewusstsein nicht, dass ich sagen würde: Man nehme Komponente A und B und dann noch ein wenig Kupferdraht und Silizium und "baue ein Bewusstsein nach." Ich glaube nicht, dass sich Bewusstsein nachbauen lässt, auch nicht imitieren lässt. Ich denke aber, dass es im Bereich der Algorithmen, im Bereich der Sensorik, im Bereich der Datenverarbeitung etc. heute vielleicht undenkbare Fortschritte geben kann, die es möglich machen sich vorzustellen, dass diese "Kreatur" in ihrer eigenen Art denken kann, ja, sogar fühlen kann. Eine Selbstwahrnehmung, ein Selbstgefühl, ein Selbstbewusstsein etc. entwickeln kann. Und diese Vorstellung stelle ich diesem "niemals" im Titel entgegen.



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Mo 5. Okt 2020, 17:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 09:38
Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 08:00
Ja, du kannst es drehen und wenden, wie du willst: Existieren heisst Erscheinen in einem Sinnfeld
So ist es. Und das ist eben ein Begriff von Existenz. Er hat ja daneben nicht noch weitere Existenzbegriffe, sondern nur diesen einen. Wohingegen du jetzt etwas anderes behauptest: nämlich, dass es "nur eine Wirklichkeit gibt" und: "existieren heisst, mit allen Seienden zugleich sein"
Plurale Existenzbegriffe zu haben widerspricht nicht der Auffassung, dass es nur eine Wirklichkeit gibt. Ich gebe keine Positionen auf, Jörn, auch wenn du das vielleicht gerne unterstellen willst.
Existieren heisst zudem, mit allem Seienden zugleich sein, ich sehe hier kein Problem. Alles, was es gibt, gibt es zugleich. Und das ist die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit des Romans, die Wirklichkeit der Kunst, die Wirklichkeit der politischen Ordnung, die Wirklichkeit des Rechts, die Wirklichkeit der Naturwissenschaften: Das alles ist eine Wirklichkeit des Zugleichseins.

Du hast aber recht, das ist wahrscheinlich nicht der Ort für eine Diskussion über die SFO.



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Mo 5. Okt 2020, 17:46

Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 17:01
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 09:15
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 05:56
Ich sage das auch nicht. Ich habe dafür argumentiert, dass Computern, die moralischen Wahrheiten, die uns betreffen, nicht zugänglich sein können, weil sie nicht über die geeigneten "Registraturen" verfügen. Man kann diese Wahrheiten nicht "von der Seitenlinie" aus erkennen, sondern nur aus der Teilnehmer Perspektive, man muss in die entsprechenden Spiele involviert sein.
Ja. Das ist in einem Satz zusammengefasst das, was ich hier so umständlich anhand von Beispielen zu erklären versucht habe.
Beim Emotionen-Spiel kann der Computer nicht mitspielen.
Das mag sein, aber es kann ja hier nicht darum gehen zu zeigen, wo ein Computer schlechter ist als ein Mensch, um damit künstliche Intelligenz als solche für unfähig / unmöglich zu halten.
Wenn Du mal ein bißchen zurückblätterst, dann stellst Du fest, dass die ganze Diskussion um die Emotionen damit angefangen hat, dass ich behauptet hatte die Maschinen seien aufgrund fehlender Emotionen eingeschränkt im Denken.
Jetzt ist die Frage, welche Bedeutung man dieser Fähigkeit (zu fühlen) für den Denkbegriff zuordnet.
Ich ordne ihn sehr hoch ein. Und u.a. deshalb ist das was Computer machen kein Denken (Und wird es auch nie sein, wenn sie nicht fühlen).
Du kannst das gerne anders priorisieren. Aber ich gebe dabei auch zu bedenken, dass Computer ja MIT UNS interagieren müssen. Ihr Denken soll ja eben gerade nicht irgendein hypothetisches Denken sein, sondern sie sollen uns verstehen. Also richtiges Verstehen. Nicht so tun als ob.



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Mo 5. Okt 2020, 18:02

Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 17:08
Existieren heisst zudem, mit allem Seienden zugleich sein, ich sehe hier kein Problem.
Damit sprichst du allem die Existenz ab, was nicht in der Zeit existiert und daher nicht mit etwas "zugleich" sein kann. Zudem sprichst du der Vergangenheit und der Zukunft die Existenz ab, weil beide nicht zugleich existieren.

Und wenn du der Ansicht bist, das es "die Wirklichkeit" gibt, der akzeptierst du nicht die zentrale These der SFO, das es "die Wirklichkeit" nicht gibt. Das hast du ja am Beispiel des Waldes deutlich gemacht. Es gibt nach deiner Ansicht eine basale Schicht des Existierens in diesem Fall der Wald und darüber hinaus (reale) Aspekte.
Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 17:08
auch wenn du das vielleicht gerne unterstellen willst
Da ich die SFO besonders schätze, würde ich "vielleicht gerne unterstellen", dass du sie auch weiterhin schätzt und vertrittst :) aber das kann man doch nur unterstellen, wenn du die Thesen der Theorie auch für wahr hälst und nicht das Gegenteil davon.




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Mo 5. Okt 2020, 18:24

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 17:46
Jetzt ist die Frage, welche Bedeutung man dieser Fähigkeit (zu fühlen) für den Denkbegriff zuordnet.
Hier noch mal ein entsprechendes Zitat, dass meines Erachtens praktisch überhaupt nicht gewürdigt wurde.
catrin misselhorn, grundfragen der maschinenethik hat geschrieben : In der KI erstarkte das Interesse an Emotionen insbesondere im Zusammenhang mit der psychologischen Forschung zur Bedeutung, die emotionale Reaktionen für rationales Verhalten besitzen. Besonders bekannt wurden die Arbeiten des Neurowissenschaftlers Antonio Damasio, der anhand empirischer Fallstudien zeigte, dass Personen mit bestimmten Hirnverletzungen nicht mehr in der Lage waren, ihr Leben zu organisieren, obwohl ihre intellektuellen Fähigkeiten nicht beeinträchtigt zu sein schienen. Sie schnitten in IQ-Tests etwa normal ab, trafen aber fatale Entscheidungen und waren unfähig, einen Plan in die Tat umzusetzen oder eine begonnene Sache zu vollenden. Dies ging mit tiefgreifenden emotionalen Störungen einher.
...

Eine recht ausführliche Klassifikation sieht zwölf solcher Funktionen für Emotionen vor:
  1. Alarmmechanismen zur schnellen, reflexartigen Reaktion in kritischen Situationen,
  2. Auswahl unter verschiedenen Handlungsalternativen,
  3. kurz- oder langfristige Anpassung des Verhaltens,
  4. soziale Kommunikation und Kooperation,
  5. Verstärkung bei Lernprozessen,
  6. Motivation,
  7. Ausbildung von Zielen und ihre Gewichtung,
  8. Integration oder Filterung von Informationen aus verschiedenen Informationskanälen,
  9. Steuerung der Aufmerksamkeit,
  10. Kontrolle des Gedächtnisses,
  11. Informationsverarbeitungsstrategie, z. B. Auswahl unterschiedlicher Suchstrategien,
  12. Bildung eines Selbstmodells, einschließlich der Repräsentation der Auswirkungen, welche eine Situation für den Akteur besitzt. ...




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Jörn Budesheim
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Mo 5. Okt 2020, 18:30

Das folgende gehört auch in diesen Zusammenhang, wie ich finde.
Thomas Fuchs (* 29. September 1958 in München) ist ein deutscher Psychiater und Philosoph hat geschrieben : Verteidigung des Menschen, Grundfragen einer verkörperten Anthropologie

Die nachfolgende Tabelle fasst die herausgearbeiteten Unterschiede zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz noch einmal zusammen.

Bild




Burkart
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Mo 5. Okt 2020, 18:55

Das ist einfach eine subjektve Gegenüberstellung einer Person bzw. eines Philosophen (Thomas Fuchs), nicht mehr und nicht weniger.
Sie stellt natürlich gewisse Tendenzen dar; diese bieten gute Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung von KI, z.B. um die (noch oft) hohe Spezialisierung "abzubauen".



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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