Das Lächerliche!

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Jörn Budesheim
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So 5. Aug 2018, 17:47

Kann es ein Ziel sein, die eigene Lächerlichkeit mit Stolz und Würde zu tragen? Oder ist das ein innerer Widerspruch?

Was sagen die Philosophen zur Lächerlichkeit? Mir kommt es vor, als hätten sie bisher nicht sehr viel dazu gesagt, oder?




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proximus
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So 5. Aug 2018, 18:43

In der prächtigen Schlosskirche tritt ein stattlicher Hofprediger, der Auserwählte des gebildeten Publikums, vor einen auserwählten Kreis von Vornehmen und Gebildeten und predigt gerührt über die Worte des Apostels: Gott erwählte das Niedere und Verachtete. Und da ist keiner, der lacht.

Kierkegaard



""Wahrheit" ist immer nur theoretisch." proximus

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Alethos
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So 5. Aug 2018, 21:21

Anton Hügli hat geschrieben : Die Komik der Philosophen und der philosophische Humor

Philosophen sind daran gewöhnt, dass man über sie lacht. Es gibt zwei Arten von ihnen: die Humoristen, die, wenn sie die Welt erklären, lachen können, und die Antihumoristen, für die es dabei nichts zu lachen gibt.

Die Geschichte der Philosophie beginnt mit einem Lachen – dem Lachen einer witzigen und hübschen thrakischen Magd über den Protophilosophen Thales, der, gemäss der Erzählung von Sokrates in Platons Theaetet, bei der Betrachtung des Himmels in einen Brunnen gefallen sei. «Du willst alles über die Dinge des Himmels wissen», habe sie ihm lachend zugerufen, «aber was dir vor der Nase und den Füssen liegt, siehst du nicht.» Sokrates fügt dieser Geschichte den ironischen Nachsatz hinzu, so ergehe es allen, die sich mit der Philosophie einlassen – sie müssten für den Spott nicht sorgen. Seither stehen die Philosophen vor der Frage, was es wohl mit diesem Lachen auf sich haben möge. Oder besser, da ihnen ohnehin alles zum Grundsätzlichen gerät, mit dem Lachen überhaupt – und wie sie mit dem Lachen zu leben gedenken, das sie erzeugen.

Was zum Lachen reizt
Viel Lustiges ist bei dem Nachdenken der Philosophen über das Lachen zwar nicht herausgekommen, und eine Definition des Lachens schon gar nicht. Aber bekanntlich ist es dem Lachen nicht eben förderlich, wenn man es erst noch erklären muss. Und die fehlende Definition ist weiter nicht schlimm. Es genügt der Hinweis auf das bekannte körperliche Phänomen: das charakteristische Verziehen des Gesichts, das spasmodische Ausstossen der Luft mit den begleitenden Lauten und – bei unbändigem Lachen – das vom Zwerchfell herkommende Schütteln des ganzen Körpers. Das Rätsel aber bleibt: Warum lachen wir eigentlich? Und warum sind es, wie schon Aristoteles bemerkte, nur die Menschen, die lachen, und weder die Tiere noch – den Lügen Homers zum Trotz – die Götter? Kaum zu bestreiten ist, dass es offenbar immer ein Etwas ist (ein Wort, eine Handlung oder eine Situation), über das man lacht – ausser in den Grenzfällen des grundlosen Lachens, des Lachens der Verzweiflung etwa oder der schieren Ausgelassenheit. Das Etwas, das zum Lachen reizt, ist, gemäss dem Wort, das schon die Alten brauchten, das Lächerliche. Aber was macht ein Etwas zu etwas Lächerlichem? Liegt das Lächerliche im Gegenstand des Lachens selber – auch unabhängig davon, ob einer da ist, der lacht? Wie aber erklärt sich dann die Tatsache, dass das, worüber Menschen lachen, ebenso verschieden ist wie die Menschen und die Zeiten, in denen sie leben? Liegt darum das Lächerliche nicht eher im Auge des lachenden Betrachters? Schwankend zwischen diesen Polen bewegen sich denn auch die philosophischen Bestimmungen des Lächerlichen. Die einen suchen das Lächerliche im Objekt und enden in der Regel mit der sogenannten Kontrasttheorie. Komisch ist und zum Lachen reizt der Gegensatz und Widersinn, der sich im Objekt eröffnet: der Gegensatz zwischen dem, was es verheisst, und dem, was es ist: Die Berge kreissen und gebären – ein Mäuslein. Die andern richten ihren Blick auf die Lachenden und heben hervor, dass ein Objekt an sich überhaupt nichts verheisst, sondern dass wir es seien, die eine Erwartung in das Objekt hineinlegten, und dass es die unverhoffte Auflösung dieser Erwartung in nichts sei, was uns zum Lachen bringe.

Gestörte Ordnung der Dinge
Die Dritten schliesslich betonen, dass unsere Erwartungen zwar in der Tat nicht vom Objekt, aber auch nicht von nichts kämen, sondern von der in unserer Lebenswirklichkeit offiziell geltenden und von uns als gültig betrachteten Ordnung der Dinge gesteuert seien. Komisch sei und zum Lachen reize, wenn sich dieses offiziell Geltende plötzlich selber als das offiziell Nichtige erweise, als das, was angeblich nicht ist und nicht sein darf – der Weise als Narr oder der Dorfrichter als Täter. Oder umgekehrt, wenn sich im offiziell Nichtigen und Verächtlichen selber das offiziell Geltende zeige – im Liebhaber der Ehemann etwa. Kurzum, in ein und demselben zugleich das andere, von dem es sich absetzt: im Hohen das Niedrige, im Grossen und Erhabenen das unendlich Kleine, im Schönen das Hässliche, im Würdigen das Unwürdige, im Verständigen das Unverständige, im Vertrauten das Fremde. Weil wir diesen Widersinn nicht fassen können, antworteten wir auf die einzige Weise, die uns noch bleibt: mit dem ganzen Körper. Und je grösser der Kontrast, desto heftiger das Lachen. Mit dieser dritten Bestimmung des Lächerlichen (die wir dem Philosophen und Humoristen Odo Marquard verdanken) erklärt sich am besten auch die grosse Affinität der Philosophie zum Lachen. Über das zwar, was Philosophie ist, kann man sich streiten und hat man sich seit je gestritten, aber die Leidenschaft des Himmelsbeschauers Thales scheint keinem Philosophen zu fehlen: der Glaube, dass die Welt eine sinnvolle Ordnung sein muss und dass die Philosophie aufgerufen ist, uns diese Ordnung zu zeigen oder notfalls selber Sinn und Ordnung in der Welt zu stiften. Dies stellvertretend für den Menschen überhaupt, dem die Stiefmutter Natur nichts geschenkt und nichts erspart hat und der darum, keiner natürlichen Ordnung zugehörig, durch Erziehung und Zucht mühsam zur Ordnung angehalten werden muss. Diese Ordnungsliebe macht Philosophen zu den grossen Kündigern dessen, was wirklich ist und gilt. Gelten aber kann nur – gleichsam als Minimalbedingung von Ordnung überhaupt –, was eindeutig ist, nämlich so und nicht zugleich anders. Nichts Schlimmeres für den Ordnungsliebenden darum, als über das zu stolpern, was aus seiner Ordnung herausfällt und in ihr nicht vorgesehen ist: das Ausgefallene, das Anstössige, das Paradoxe, die Löcher also, der Brunnen – und das seinem Sturz folgende Lachen nicht nur der thrakischen Mägde. Wo gelacht werden kann, hat er nichts mehr zu lachen – es sei denn, er macht gute Miene zum bösen Spiel und lacht mit, lässt sich anstecken von dem Witz der Magd mit ihrer guten Nase für die Realitäten, welche die Ordnungsträume des Philosophen jäh zum Platzen bringen. Und genau an diesem Punkt scheiden sich denn auch die Philosophen: in jene nämlich, die lachen können, und jene, für die es nichts zu lachen gibt, in die Klasse der Humoristen und die der Antihumoristen.

Welterklärer vs. Skeptiker
Die Antihumoristen, das sind die grossen Welterklärer mit ihren wohlgeordneten metaphysischen Systembauten, in denen alles seinen Platz findet und nichts dunkel bleibt. In unserer endlichen, irdischen Welt des Werdens mag es zwar Zweideutiges und Lächerliches geben, aber im Reich der Vernunft und im Reich des Seins hat das Lächerliche nichts zu suchen. Es ist und bleibt das Nichtige, das aus sich selber gar nicht bestehen kann, sondern bloss eine Mangelerscheinung, eine Schwundgestalt des wahren Seins ist, so wie es Scheingerechtigkeit auch nur darum geben kann, weil es Gerechtigkeit gibt. Zu den Antihumoristen gehört der grösste Teil der europäischen Philosophen von Platon und Plotin über Thomas von Aquin und Leibniz bis zu Hegel, dem Systematiker aller Systematiker. Mit ihrem gleichsam göttlichen Blick von oben wollen sie alles Nichtige und Vernunftwidrige zum Verschwinden bringen. Gegen solche Aspirationen erwächst der Widerstand der Humoristen unter den Philosophen, die mit unbeirrbarem Realitätssinn jenen lächerlichen Welten-Rest in den Blick rücken, den die grossen Systembauer zu vergessen pflegen und der alle ihre Ordnungsträume immer wieder zum Platzen bringt. Dieser kleine, vergessene Rest, an den die Humoristen mit ihrem Lachen erinnern, ist der Umstand, dass auch Philosophen irrtumsanfällige, endliche und dem Tod geweihte Wesen sind, selbst wenn sie sich selbstvergessen in himmlischen Palästen wähnen. Mit besonderem Vergnügen stürzen sich die Humoristen darum auf den Widersinn, den die Metaphysiker erzeugen, auf ihre Widersprüche, Paradoxien und Ungereimtheiten, welche die Grenzen der philosophischen Vernunft enthüllen. Der Urtypus des Humoristen ist der Skeptiker, der sich schmerzlich – denn auch er teilt ja die Sehnsucht nach der vollkommenen Ordnung – dessen bewusst ist, wie viel von der Fülle des Lebens selbst dann noch zurückbleibt, wenn er sich am glücklichsten ausgedrückt zu haben glaubt. Der Humorist behauptet nicht, dass die Welt selber eine Unordnung sei – dies wäre für ihn bereits eine allzu ordentliche Behauptung –, aber er versucht es mit dem Eingeständnis, dass wir mit dem täglichen Chaos der Welt nur zurechtkommen, wenn wir selber nicht allzu ordentlich zu sein versuchen. Statt nach der einen und einzigen Ordnung zu suchen, gibt er sich mit einer Vielzahl von gegenseitig sich ausschliessenden Ordnungen zufrieden. Statt die eine und unteilbare Wahrheit finden zu wollen, gibt er zu verstehen, dass seine Sicht der Dinge nur eine unter vielen ist – provisorisch zudem und morgen schon überholt. Sokrates eröffnete als Erster die Linie des philosophischen Humors, gefolgt von den skeptischen Schulen der Antike. Diese Linie setzt sich – nach der grimmigen Verbannung des Lachens im mittelalterlichen Mönchstum – erfolgreich fort über Erasmus, Hume, Voltaire, Kant, Hamann und Kierkegaard bis zu Rorty und den heutigen Postmodernisten. Der Charme ihres befreienden Lachens steckt an – aber warum sollten wir uns von ihm nicht anstecken lassen?
https://www.unibas.ch/de/Forschung/Uni- ... Komik.html



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Alle lächeln in derselben Sprache.

Tosa Inu
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Mo 6. Aug 2018, 11:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Aug 2018, 17:47
Kann es ein Ziel sein, die eigene Lächerlichkeit mit Stolz und Würde zu tragen? Oder ist das ein innerer Widerspruch?
Schönes Thema.

Ja, es kann ein Ziel sein und als Widerspruch erscheint es nur, wenn man Lächerlichkeit hier und Stolz und Würde da, als Extreme am anderen Ende eines Spektrums konitunuierlicher Abstrufungen sieht.
Die Begriffe kommen aber zum Teil aus unterschiedlichen Kategorien. Lächerlichkeit kann man sich selbst zuschreiben, aber auch zugeschrieben bekommen.
Würde ist etwas, was man aus Sicht einiger Menschen qua Geburt zugeschrieben bekommt, ohne dass man etwas dafür tun muss, ohne, dass man sie verlieren kann. Also auch nicht, wenn man lächerlich ist.
Stolz ist überwigend eine Selbstzuschreibung.

Klärt man die Begriffe und versucht zu beschreiben, was das Lächerliche eigentlich lächerlich sein lässt und den Stolzen stolz, kann man die konventionellen Zuschreibungen etwas näher von den extremen Ende in die Mitte bringen. Wenn man es auch hier nicht übertreibt.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Aug 2018, 17:47
Was sagen die Philosophen zur Lächerlichkeit? Mir kommt es vor, als hätten sie bisher nicht sehr viel dazu gesagt, oder?
Kommt drauf an.
Mit Sokrates steht ziemlich am Anfang bereits jemand der im Dialog das Nichtwisssen derer, die eine Position besonders deutlich vertreten haben, offengelegt hat, damit auch ihre Lächerlichkeit. Er hat es dann nur nicht weiter kommentiert, sondern nur gezeigt, dass jemand nicht weiß, wovon er eigentlich redet.

Die Existentialisten haben sich ja dem Absurden und damit irgendwie auch Lächerlichen genähert und im Grunde all unsere Versuche dem Absurden zu entgehen als lächerlich entlarvt, zugleich aber auch die Lösung mitgeliefert, das Los des Absurden anzunehmen. Wir müssen uns den, der den Stein immer wieder nach oben auf den Berg wuchtet, als glücklichen Menschen vorstellen.

Ähnlich, wenngleich noch radiakaler gehen die Mystiker vor, die oft aus allen Konzepten raus wollen, was manche dann lächerlich finden.
Doch der Weg dahin solche Erkenntnisse annehmen zu können, ist steinig und durchaus nicht unphilosophisch. Noch das vermeintlich Lächerlichste hat das Potential zur Würde und Erleuchtung, einer der in den Mahamudra-Texten beschriebenen Wege ist der des Philosophen, beschrieben sind 84. Viele sind darunter aus den niedrigensten Kasten: Bettler, Lumpensammler, Kurtisane. Man biegt die Enden des Spektrums gewissermaßen zu einem Ring zusammen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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Mo 6. Aug 2018, 13:50

Erika Pluhar hat in ihren Tagebuchnotizen notiert (ich habe das Buch nicht mehr und gebe die Worte aus meiner Erinnerung wieder): "Jämmerlich in mir, aber ich zeige die Grandezza einer Königin ".




Tosa Inu
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Mo 6. Aug 2018, 14:14

Aber Jämmerlichkeit und Witzigkeit sind nicht lächerlich, oder?
Lächerlich wird zunächst das aus der Norm Fallende, das nach untern Abweichende, das, was den Schnitt nicht erreicht.
Zu klein, zu dick, zu dumm ... Ein Urteil auf dem Boden einer Konvention.
Eine Wendung des Spiels ergibt sich dann, wenn die Konvention durch einen Schritt nach draußen, den Blick eines Neuankömmlings, eines Narren oder Kindes selbst als lächerlich oder zumindest fragwürdig identifiziert wird: Ist der erfolgreiche Selbstoptimierer nun die Avantgarde einer neuen Zeit oder ein lächerlicher Wicht, der das Programm der systematischen Ausbeutung freiwillig verinnerlicht hat und gar nicht merkt, was da gespielt wird und dass er der Spielball ist?

Aber das scheinen die Existentialisten ja auch zu meinen. Ist es nicht eine lächerliche Inauthentizität, die Fassade aufrecht zu erhalten, obwohl man irgendwann auf dem Weg gemerkt hat, dass es der falsche war? In dieser tragischen Komik stecken wir ja alle irgendwie fest. Ein Tröstungsprogramm nach dem anderen, nur um der Einsicht entgehen zu müssen, nein, nicht dass wir sterblich sind, davor haben Existentialisten keine Angst, sondern, dass all unser Tun im Grunde im tiefsten Sinne sinnlos ist. Was immer wir tun, wir könnten es genauso gut auch lassen. Dann allerdings mit dem gleichen Recht auch tun. Ein minimalen Trost, der einzige, der bleibt, wenn man Existentialist ist.



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Jörn Budesheim
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Mo 6. Aug 2018, 14:46

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 6. Aug 2018, 14:14
Aber Jämmerlichkeit und Witzigkeit sind nicht lächerlich, oder ...
Bin nicht ganz sicher. Vielleicht macht jemand, der eine jämmerliche Figur macht und jemand, der lächerliche Figur macht, die selbe Figur ... oder doch zumindest ziemlich ähnlich. Hmmm ... vielleicht auch nicht. Aber eine gewisse Schnittmenge gibt es wohl, oder?




Tosa Inu
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Mo 6. Aug 2018, 15:03

Schnittmenge ja, Kongruenz nein, würde ich sagen.
Jämmerlich kann ich mich auch fühlen, wenn ich krank bin, aber das würde ich nicht als lächerlich bezeichnen.
Witzigkeit hat auch Schnittmengen, aber jemand, der witzig ist, ist nicht unbedingt lächerlich.



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Jörn Budesheim
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Mo 6. Aug 2018, 15:17

Witzig ist zu positiv konnotiert. Lächerlich ist meine Erachtens sehr "negativ" (obwohl ich gerade stocke). Deswegen frage ich mich auch, ob es mit positiven Begriffen wie Würde zusammen passt.

Ein Beispiel: Ein Metaphysiker könnte durchaus das Gefühl haben, seine Versuche (das Ganze der Welt zu erfassen) seien im Grund lächerlich, ohne, dass er aufhört "würdevoll" zu sein oder sich so zu fühlen.




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Jörn Budesheim
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Di 7. Aug 2018, 05:46

Henri Bergson hat geschrieben : ... Als eine nicht minder merkwürdige Eigenschaft des Komischen möchte ich zweitens die Gefühllosigkeit betonen, die gewöhnlich dem Lachen zur Seite geht. Das Komische scheint seine durchschlagende Wirkung nur äußern zu können, wenn es eine völlig unbewegte, ausgeglichene Seelenoberfläche vorfindet. Seelische Kälte ist sein wahres Element. Das Lachen hat keinen größeren Feind als jede Art von Erregung. Ich will nicht sagen, wir könnten über einen Menschen, der uns etwa Mitleid oder gar Liebe einflößt, nicht trotzdem lachen: allein dann muß man für einen Augenblick diese Liebe vergessen, dieses Mitleid unterdrücken. In einer Welt von reinen Verstandesmenschen würde man wahrscheinlich nicht mehr weinen, wohl aber noch lachen; wohingegen ewig sensible, auf Harmonie mit dem Leben abgestimmte Seelen, in deren Herzen jeder Ton, jedes Ereignis in gefühlvoller Resonanz nachklingt, das Lachen sowenig kennen wie begreifen würden...
Erstaunliche Beobachtung, stimmt das denn?




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Jörn Budesheim
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Di 7. Aug 2018, 07:34

Ein (profanes) Beispiel: In meinem Viertel wohnt ein älterer Herr, der sein schütteres Haar immer mehrmals im das Haupt wickelt, um volles Haar vorzutäuschen. Das ist (zumindest etwas) lächerlich. (Oder schrullig?) Die Struktur wäre hier vielleicht: der Versuch sich selbst als etwas/jemand darzustellen, wobei der Versuch eben in lächerlicher Weise misslingt und dabei sogar eher ins Gegenteil umschlägt. Nur erklärt das nicht, was daran lächerlich ist ... Nicht alle missglückten Versuche sind schließlich lächerlich ...




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Stefanie
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Di 7. Aug 2018, 08:07

Wann ist denn ein Verhalten von einem Menschen lächerlich? Wann ist was lächerlich?

In dem Beispiel mit dem alten Herren empfindet er vielleicht seine Haarfrisur und sein Erscheinen überhaupt nicht lächerlich. Das sehen vielleicht nur andere so. Ist er dann lächerlich?
Umgekehrt kann es doch auch sein, dass jemand sich selber als lächerlich empfindet, aber die anderen Menschen nicht.

"Sich lächerlich machen".
Dies ist ein Standardsatz. Das wird dann oft so gemeint, wenn ein Verhalten als peinlich angesehen wird.
Betrunkene Menschen sind oft peinlich, und es wirkt lächerlich. Nur sieht das der betrunkene Mensch auch so?

Oft wird dieser Satz auch verwendet, wenn jemand in einer Diskussion Sätze und Argumente vorbringt, die einfach nur lächerlich sind. Aber auch hier, warum sind die dann lächerlich? Weil die Argumente nicht mehr aktuelle sind, weil des Verhalten affektiert ist?

Oft wird das "sich lächerlich machen" abwertend gemeint, wenn es darum geht, einen Gesprächspartner abzuwerten. Nicht so sehr weil dessen Argumente lächerlich sind, sondern weil es als rhetorisch Stillmittel verwendet wird, einen anderen lächerlich zu machen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Jörn Budesheim
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Di 7. Aug 2018, 08:30

Stefanie hat geschrieben :
Di 7. Aug 2018, 08:07
In dem Beispiel mit dem alten Herren empfindet er vielleicht seine Haarfrisur und sein Erscheinen überhaupt nicht lächerlich.
Ich schätze mal, dass das für viele Fälle des Lächerlichseins ein wesentlicher Teil der Struktur ist, dass der Lächerliche seine Lächerlichkeit (zumindest bis sie ihm vor Augen geführt wird) nicht selbst erkennt.




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Stefanie
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Di 7. Aug 2018, 08:53

Ich bin mir da nicht sicher...und überhaupt nicht sicher, was "Lächerlichkeit" umfasst.

Nach welchen Kriterien ist denn etwas lächerlich, und bewertet denn ein Verhalten?

tosa inu schrieb "
Lächerlich wird zunächst das aus der Norm Fallende, das nach untern Abweichende, das, was den Schnitt nicht erreicht.
Zu klein, zu dick, zu dumm ... Ein Urteil auf dem Boden einer Konvention
."

Ich habe gestutzt und spontan nein gesagt. Es kann doch nicht sein, dass das aus der Norm Fallende lächerlich sein soll. Anders, aber lächerlich?

Kann es nicht sein, dass wir etwas lächerlich finden, weil es gegen ein im Kopf vorhandenes Bild verstößt, und etwas als lächerlich anzusehen vielleicht in die Richtung von Fremdschämen geht?



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proximus
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Di 7. Aug 2018, 09:00

Etwas in einem Maß sein zu meinen, das man nicht ist. Übers Maß hinaus ist es tragisch.
Die Philosophie von Philosophen zu paraphrasieren und zu meinen dadurch sei man Philosoph.



""Wahrheit" ist immer nur theoretisch." proximus

Tosa Inu
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Di 7. Aug 2018, 09:38

Ich denke auch, dass das was uns lächerlich erscheint, oft mehr über uns selbst aussagt, als über den anderen, wenngleich in verschiedenen Graden eines inneren Konflikts, den wir dabei erleben und des normativ Geboten, von dem jemand abweicht.
Wie Stefanie ja schreibt, dem Herren könnte das u.U. überhaupt nicht peinlich sein, der findet sich vielleicht nicht lächerlich.

Aber, wir blicken auf andere und uns selbst ja nicht aus einer, sondern aus mindestens zwei Perspektiven. Zum einen haben wir immer ein Wissen um die Reaktion des Mainstream oder bestimmter Erwartungen der Gesellschaft. Das nutzen wir auch, wenn wir freundlich sind und jemandem sagen, dass er „so“ nicht in dieser oder jener Situation auftreten kann. Beim Date, beim Einstellungsgespräch, bei der Projektpräsentation, bei den Schwiegereltern …
Wir wissen auch, wie man sich im anonymeren öffentlichen Raum bewegt, dass man auf die Frage des Fischverkäufers, wie es geht nicht seine Krankenakte ausbreitet, wie man sich an der Schlange der Supermarktkasse verhält oder nach welcher Zeit man loszufahren hat, wenn die Ampel von rot auf grün umgesprungen ist. Das alles ist Teil unseres impliziten und vorbewussten Wissens, das wir vielleicht oft gar nicht ausformulieren können, aber wenn wir in so einer Situation sind, haben wir jederzeit alles parat um diese unbeschadet zu überstehen und unbeschadet heißt in öffentlichen Kontexten immer, ohne aus der Rolle zu fallen oder eben, sich lächerlich zu machen, indem man grob von der erwarteten Norm abweicht. (Ein Sonderfall sind jene, die überall auffallen müssen.)

Weil wir das drauf haben, erkennen wir auch sogleich, wenn jemand von diesen Erwartungen der Gesellschaft abweicht. Dem kann das völlig wurscht sein, aber in uns leuchtet es förmlich auf, das Bewusstsein, dass sich jemand gerade lächerlich macht. Dieser Fremdschämfaktor. Aber das ist eben unser Konflikt, der uns sagt, das wir so/der/die eben jetzt nicht sein möchten. Loriots steife Liebeserklärung mit der Nudel an der Wange. Hier geht es um alles, oder doch um viel, und dann klebt da dieses Stückchen Nudel und reißt die ganze Szene ins Lächerliche.

Wir wissen, als ein Stellvertreter der Gesellschaft, der wir ja auch immer sind, dass dies oder das als lächerlich aggressiv entwertet werden könnte, komisch erscheinen könnte und es ist dann unsere persönliche Note, ob wir den Umgang der Person mit seiner vermeintlichen Not als würdevoll und angemessen (man macht aus den schwindenden Haare eben das Beste) oder doppelt peinlich empfinden („Warum steht der nicht zu seiner Glatze?“). Denn auch, wie man auf etwas, was lächerlich erscheint, reagieren sollte, ist schwierig. Dezent zu schweigen hieße jemand weiter der Lächerlichkeit preiszugeben und ins Messer rennen zu lassen, vor allen Leuten zu sagen „Hömma, Du has‘ da ‚n Pissfleck“ erreicht auch nicht immer die volle Punktzahl und in der Situation sind wir nun gefordert. Sag ich‘s oder nicht, und wie um alles in der Welt, um ihn nicht noch mehr bloßzustellen, aber auch nicht gegen mich aufzubringen?, usw.

Gerade die Erkenntnis, dass jedem etwas anderes peinlich ist und das was der eine als extrem souverän erlebt, für den anderen etwas ist, was die Sache noch schlimmer macht, ist sehr erhellend und manchmal erleichternd. Ist der Schwitzfleck unterm Arm nun megapeinlich oder ist das einfach so, weil es eben heiß oder stressig ist?
Der Grad des Abweichens von der Norm, die in dieser Szene als Standard gilt und der Grad der allgemeinen Aufmerksamkeit und seiner antizipierten Folgen – ist da jemand nun für immer unten durch, oder ist das etwas, was man im Normalfall auch sozial gut überstehen kann – ist das was uns etwas lächerlich erscheinen lässt, zumindest dürften das einige Zutaten sein.



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Jörn Budesheim
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Di 7. Aug 2018, 10:11

Ist es denn wirklich einfach ein Abweichen von der Norm? nehmen wir das Beispiel mit der Wickelfrisur: Die Wickelfrisur ist ja eher der lächerliche Versuch ein tatsächliches oder vermeintliches gesellschaftliches Ideal (eine Norm?) zu erfüllen. Oder? Das (vermeintliche) "Ideal" "volles Haar" soll erfüllt werden. Und bei diesem missglückten Versuch macht er sich lächerlich - insbesondere wenn der Wind alle Mühen zunichten macht und dann das Haar in langen Strähnen hinabhängt und die lächerliche Selbstkonstruktion sichtbar macht.




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Di 7. Aug 2018, 10:16

proximus hat geschrieben :
Di 7. Aug 2018, 09:00
Etwas in einem Maß sein zu meinen, das man nicht ist. Übers Maß hinaus ist es tragisch.
Die Philosophie von Philosophen zu paraphrasieren und zu meinen dadurch sei man Philosoph.
... erscheint nur einem elitären Kreis lächerlich. Sicher nicht den Vielen, weil diese sich a) überhaupt nicht für Philosophie interessieren und b) wenn überhaupt, den Unterschied selten nicht erkennen. Das geht ja bis in die Gegenwart, im Streit um den philosophischen Gehalt von Precht oder Sloterdijk.

Die einen setzen auf Anerkennung bei der Masse, den andere ist genau das zuwider und deren Programm ist die Anerkennung bei den wenigen "Richtigen", um die es geht. Aus ihrer Sicht. Beides kann man verstehen und findet es in sich selbst. Kommt es in einer gesunden Mischung vor, ist das unproblematisch, wer nur die Anerkennung der Masse sucht hat vermutlich im Extrem dasselbe narzisstische Problem, wie der, der als Genie unter Genies erkannt und anerkannt werden möchte.

Im besten Sinne normal ist glaube ich, dass man auf einigen Gebieten recht ambitionslos ist und es einem egal ist, wenn man da keine Bestleistungen abliefert, in einigen Gebieten die Ansprüche jedoch höher sind und man sich dort auch eine gewisse Anerkennung von Autoritäten wünscht.

Eien weitere Frage ist ja, was einen ggf. selbst daran ärgert, wenn sich einer durchmogelt oder nur mit Durchschnittlichem zufrieden gibt.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Di 7. Aug 2018, 10:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 7. Aug 2018, 10:11
Ist es denn wirklich einfach ein Abweichen von der Norm?
Nein.
Es ist der innere Konflikt, der erlebt wird und sich aus einem Abweichen von der Norm, der eigenen Erwartung an die Reaktion anderer und des Versetztens des Ich, an dessen Stelle ergibt.
Das Ideal muss nicht unbedingt sein, dass man volles Haar haben sollte, es kann auch sein, dass man zu seinem Alter stehen sollte.
Wenn das jemand nicht macht, wirkt das ggf. peinlich.
Es kann aber auch sein, dass man die Anstrengung des Herren als rührend oder würdevoll empfindet, denn irgendwie ist ja auch das Sinnlose etwas, dem wir Würde zuschreiben, auch wenn es vordergründig idiotisch erscheint. Heute noch einen Baum pflanzen, auch wenn man weiß, dass morgen die Welt untergeht.
Ist das nun im höchsten Maße lächerlich, oder würdevoll?
Ist es lächerlich einen komatösen Menschen mit schlechter Prognose lange Zeit künstlich am Leben zu erhalten oder würdevoll?
Und vor allem: Wie ist unser Argument dafür oder dagegen?



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anahi
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Di 7. Aug 2018, 10:43

Dass Tiere nicht lachen, das ist schon lange überholt. Siehe z. B.

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inha ... 0e31e.html



Ich habe kein Gehirn. Mein Gehirn hat mich.

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