Coolness und Athaumasie

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Stefanie
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Di 20. Nov 2018, 22:05

Und wieder was neues erfahren: Athaumasie. Wieder ein Zufallsfund.

Athaumasie=Die Verwunderungslosigkeit.
Athaumasie (griech. Kompositum aus a-privativum und thaumazein: verwundern, staunen) bezeichnet in der praktischen Philosophie v. a. der Antike die Eigenschaft eines Menschen, über nichts zu staunen oder sich zu wundern – insbesondere nicht über jene „Größen, des Lebens, durch die der Alltagsmensch sich imponieren und verblüffen läßt: seien es Götter- und Hadesfabeln, die ihm bange machen, seien es Reichtum, Ehre und Macht, die seine Gier und seinen Neid erregen.

Das sei coolness.

Wie cool seid Ihr?

https://blog.derbund.ch/tingler/index.p ... -wirklich/



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

scilla
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Mi 21. Nov 2018, 01:24

ich habe über Menschen gelesen,
die in gewisser Weise stolz darauf waren,
in letzter Zeit keine Bücher gelesen zu haben,
weil ihre (an Gott orientierte) Weisheit ausgereicht hat,
um mit allen Situationen klar zu kommen
(ich vermute mal, daß das mir bisher nicht bekannte Wort 'Athaumasie' derart gemeint ist)

das Beispiel 'Italowestern' im verlinkten Artikel könnte aber auch auf eine Abgestumpftheit hindeuten,
ausgelöst durch Verbitterung oder Verrohung,
vielleicht auch als Folge einer Verkalkung

die Coolness ist jedenfalls ein ästhetisches Phänomen
und Leute, die cool wirken, wissen es oft gar nicht,
während sich andere, die cool sein wollen, lächerlich machen




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Jörn Budesheim
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Mi 21. Nov 2018, 05:50

Wenn Verwunderung der Anfang der Philosophie ist, dann müsste Verwunderunglosigkeit wohl ihr Ende sein?

Man wundert sich, dass überhaupt etwas ist und nicht nichts - und dann kommt ein analytischer Philosoph daher und erläutert einem, dass dieses Wundern in sich sinnlos ist, weil es angeblich bloß auf irgendwelchen sprachlichen Fallstricken beruht.




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Stefanie
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Mi 21. Nov 2018, 21:43

Im Moment schiesse ich mir mit nahezu jedem Thema hier so was wie ein Eigentor, denn ich verlaufe mich : - )
Beim Nachdenken über ein Thema und über eine Frage und beim nach- und querlesen gelange ich zu weiteren Fragen, zu weiteren Türen, die sich öffnen. Ich staune und wundere mich, wie viele Fragestellungen zusammenhängen, und wo denn das Ende ist.

Kommt nun der analytische Philosoph um die Ecke, ist das eine weiter Tür und eine weitere Frage, die sich auf tut, da kann dieser Philosoph sagen was er will. Dem Philosoph dürfte es auch so gehen. Er liest vielleicht irgendwo etwas, was seiner Ansicht einen neuen Blickwinkel verschafft, worüber er auch verwundert sein dürfte.

Ich glaube im Moment, dass es so was wie eine Verwunderungslosigkeit beim Menschen nicht geben kann. Wir wundern uns heute nicht mehr über naturwissenschaftliche Ereignisse, weil wir wissen, wie sie entstehen. Trotzdem wundern wir uns, wenn uns etwas beeindruckt, auch wenn es "nur" darüber ist, wie konnte dieses oder jenes nur passieren? Oder wie hat jemand dieses oder jenes nur hinbekommen. Etwas ist immer.

Im Zusammenhang mit coolness denke ich, dass sich auch diese Menschen auch wundern, aber darüber nicht gleich in eine spontane Gefühlsregung ausbrechen, sondern vielmehr, wie man so schön sagt, die Ruhe weg haben und nicht gleich die Fassung verlieren.
Das ist aber was anderes, als Verwunderungslosigkeit.

Beim Schreiben überlege ich gerade, wo ist der Unterschied zwischen sich wundern und staunen?



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Jörn Budesheim
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Do 22. Nov 2018, 06:25

Stefanie hat geschrieben :
Mi 21. Nov 2018, 21:43
Kommt nun der analytische Philosoph um die Ecke, ist das eine weitere Tür und eine weitere Frage, die sich auf tut, da kann dieser Philosoph sagen was er will.
Ludwig Wittgenstein hat geschrieben : „Denn die philosophischen Probleme entstehen, wenn die Sprache feiert.“

„Die Ergebnisse der Philosophie sind die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und die Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat. Sie, die Beulen, lassen uns den Wert jener Entdeckung erkennen.“

„Der Philosoph behandelt eine Frage; wie eine Krankheit.“
Vielleicht würde sich der fragliche analytische Philosoph auf Wittgenstein beziehen: Der Philosoph behandelt eine Frage wie eine Krankheit. Solche Fragen werden nicht, wie in den Naturwissenschaften, beantwortet, sondern man versucht die zugrundeliegende Sprache so übersichtlich darzustellen, dass sich solche Fragen gar nicht mehr stellen. es handelt sich um eine philosophische Therapie. Man wird dann von der Frage geheilt - das heißt dann aber gerade nicht, dass die Frage beantwortet wird, sondern dass sie sich gar nicht mehr stellt. Diese Methode ist überaus cool, man nennt sie daher manchmal auch Quietismus. Jedoch ist sie für den anderen mehr als unbefriedigend, da sich am Ende immer rausstellen soll, dass alle seine Fragen bloß darauf beruhen, dass seine Sprache feiert. Alle philosophischen Probleme ließen sich nach dieser Ansicht am Ende immer wegtherapieren.

Welche Art des Staunens blieb danach übrig? "Wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen." (L.W.)




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Friederike
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Do 22. Nov 2018, 13:35

"Coolness" würde ich am ehesten als "Lebensart" oder "Lebensstil" bezeichnen - wenn ich die Punkte, die Tingler anführt, zusammennehme.




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Stefanie
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Do 22. Nov 2018, 19:47

Diese Methode ist überaus cool, man nennt sie daher manchmal auch Quietismus.
Nachdem ich quietismus nachgelesen habe, verstehe ich das nicht wirklich.
Wie ich überhaupt diesen ganzen Ansatz ala Wittgenstein nie verstehen werde. Nur die Form und die Hülle behandeln, und sich nicht mit dem Inhalt befassen, finde ich zum Staunen.



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Jörn Budesheim
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Fr 23. Nov 2018, 10:58

Stefanie hat geschrieben :
Do 22. Nov 2018, 19:47
Nur die Form und die Hülle behandeln, und sich nicht mit dem Inhalt befassen, ...
Ist das wirklich so? Oft geht es um das genaue Gegenteil. Nämlich darum, dass gleiche (sprachliche) Formen einen dazu verleiten, auf gleiche Sachverhalte zu schließen. Etwa, wenn man vom beispielsweise vom Geist in der selben sprachlichen Form redet wie von Steinen und dann daraus "schließt", dass der Geist einen Ort haben muss - und zwar so wie es bei Steinen ist.

p.s.: Interessant finde ich, dass du Philosophen generell kritisch gegenübersteht, wenn sie nach deiner Ansicht zu sehr über die Form nachdenken auf Kosten des Inhalts. So wie ich dich verstehe, vertrittst du bei Gefühlen aber genau das Gegenteil. Das Gefühl ist schon komplett, wenn seine Form und die Hülle vorliegt, der Inhalt ist demgegenüber dann zweitrangig.




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Stefanie
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Sa 24. Nov 2018, 19:35

Zwischeneinwurf

Bei der Suche nach einem passenden Bild für dieses Thema, z.B. für Coolness ist mir aufgefallen, dass in der Regel Männer gezeigt werden. Wird nach coolen Frauen gesucht, werden einem Bilder mit coole Frisuren für Frauen, Klamotten, und blöde Sprüche angeboten. In dem von mir zitierten Text werden Männer als Beispiele genannt, und in anderen Texten auch.

Wird cool sein nur Männern zugeschrieben? Was auch bedeuten würde, dass nach dem zitierten Text, Verwunderungslosigkeit nahezu nur Männer betrifft?
Gibt es keine coole Frauen?
Irgendwie scheint die weite Welt des Internets manchmal etwas einseitig zu sein.



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Jörn Budesheim
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Sa 24. Nov 2018, 19:38

Wer die Eigenschaft der Athaumasie hat, kann von sich glauben, die Eigenschaft der Athaumasie zu haben und hat sie dennoch.
Wer cool ist und glaubt, dass er cool ist, ist nicht cool
------------------------------------------------------------------------------------------------
Also sind Athaumasie und Coolness nicht identisch :-)




scilla
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So 25. Nov 2018, 09:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Nov 2018, 05:50
Wenn Verwunderung der Anfang der Philosophie ist, dann müsste Verwunderunglosigkeit wohl ihr Ende sein?

Man wundert sich, dass überhaupt etwas ist und nicht nichts - und dann kommt ein analytischer Philosoph daher und erläutert einem, dass dieses Wundern in sich sinnlos ist, weil es angeblich bloß auf irgendwelchen sprachlichen Fallstricken beruht.
das Wunderwerk Gottes ist so wunderbar,
daß man aus dem Staunen nie herauskommt

die Sprache bildet dieses Wunder nur ab
und daher wäre es verkehrt,
bei dieser Gottesschau einen sprachlichen Fallstrick zu sehen

der Fallstrick besteht vielmehr darin, mit einer formalen Sprache das Geschehen besprechen zu wollen,
denn dies kann nur unter künstlichen Bedingungen zum Erfolg führen,
was wiederum einen Versuchsaufbau voraussetzt
der sich naturgemäß nur einen Bruchteil des Geschehens interessiert




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Stefanie
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Do 6. Dez 2018, 21:38

Eine Beschreibung von coolness:

Das Hauptelement von Cool ist die Entemotionalisierung – Gefühlskälte, Gleichgültigkeit, Indifferenz sind Begriffe, die Cool nahe stehen. Ein cooler Mensch scheint keine Emotionen zu haben. Er weint nicht, lacht nicht herzlich, wird nicht wütend – starke
Gefühlsausdrücke sind ihm fremd. Dabei bezieht sich die Entemotionalisierung auf das Äußere. Auf die Umwelt wirkt der Coole gleichgültig, desinteressiert, ohne Engagement, vielleicht sogar gefühlskalt. In seinem Inneren sieht es allerdings ganz anders aus. Laut Andreas Urs Sommer ist Cool eine „Technik des Sich-Entziehens“, ihre Anwendung setztinnere Gebrochenheit und Zwiespalt voraus. Im Inneren nämlich können Empfindungen existieren, Moral- und Wertvorstellungen, ebenso wie Wünsche und Hoffnungen. Diese Gefühle bleiben im Geheimen. Coolness entsteht in diesem Zwiespalt von Innen und Außen. Sie setzt Emotionen voraus. Wo diese fehlen, ist keine Coolness, sondern Gefühllosigkeit (Apathie, Lethargie,…).
Die Vermischung von Emotionalität mit Gefühllosigkeit ist eine zentrale Eigenart von Coolness.
Coolness verlangt nach Wertvorstellungen und Prinzipien. Sie ist eine Antwort auf etwas, das nicht in Ordnung ist, auf etwas, das abgelehnt wird.

zitiert aus
James Dean & Marlon Brando
Prototypen der Coolness
Verfasserin
Christa Minkin, Seiten 23 und 24



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Jörn Budesheim
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Sa 8. Dez 2018, 11:53

Das ist meine eigene Vorstellung von Coolness. Trifft auf alle im Video zu, finde ich.





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Stefanie
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Sa 8. Dez 2018, 17:02

Hmm, vielleicht gibt es bzgl. Coolness doch geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wahrnehmung.

Auf mich wirken die Teilnehmenden ziemlich unecht, geschauspielert, aber nicht wirklich cool.

Bei James Dean in seinen Rollen, die er spielte, finde ich die coolness auch nicht so wirklich vor. Es sind durchweg verletzliche Menschen gewesen, die er spielte. Die Photos von ihm zeigen dagegen coolness.
Clint Eastwood in einigen seiner Rollen, totale coolness.
Die Menschen in dem Video...üben noch.



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Jörn Budesheim
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Sa 8. Dez 2018, 17:03

Meine Frau findet das auch überaus cool!




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Stefanie
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Sa 8. Dez 2018, 17:50

These vorläufig widerlegt.

Ich habe überlegt, ob zur coolness auch eine Portion Arroganz gehört.
Problem, mir fällt wirklich keine Person ein, die der oben genanten Beschreibung entspricht, oder die ich als cool bezeichnen würde. Also eine echte Person, keine Rollen in Filmen etc.oder Musikvideos.



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Jörn Budesheim
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So 27. Jan 2019, 06:29

Coolness ist wohl das Gegenteil des affektiven Betroffenseins.




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