Relativismus

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NaWennDuMeinst
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Mi 6. Jan 2021, 01:43

Alethos hat geschrieben :
Di 5. Jan 2021, 20:07
Moralische Tatsachen haben einen ganz praktische Nutzen: Weil sie unseren Urteilen Wahrheitswert geben und sie wiederum unser Handeln anleiten. Da kann der Relativismus nichts bieten, tut mir leid.
Ich brauche keine "Moralischen Tatsachen" um zu entscheiden welches Handeln moralisch geboten ist.
Und das funktioniert wunderbar auch ohne. Für mich ist diese Vorstellung deshalb einfach nur unnützer Ballast, eine unnötige Zusatzannahme.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Mi 6. Jan 2021, 01:43, insgesamt 1-mal geändert.



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Nauplios
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Mi 6. Jan 2021, 01:43

Alethos hat geschrieben :
Di 5. Jan 2021, 21:55
Nauplios hat geschrieben :
Di 5. Jan 2021, 20:34
zollfrei

Was meinst du mit zollfrei?

Das Einzige, was von Zollfreiheit im Wahren-Handel profitieren kann, ist die geschmuggelte Ware.
Zwar ist es 2009 bei der Drohung mit der Kavallerie geblieben, lieber Alethos, ich will nur auf den Umstand verweisen, daß mit Gründung der EU-Zollunion (1968) innerhalb der EU keine Zölle erhoben werden. ;) Mit zollfrei meine ich den barrierefreien Durchgang nicht nur innerhalb philosophischer Hoheitsgebiete, sondern auch den Zugang zu den Nachbarländern der Literatur und Kunst. Barrierefrei ist dieser Durchgang dann nicht, wenn Argumente und Begründungen in Statuten gegossen werden, welche das zu Begründende und argumentativ Inaugurierte in ihren Anforderungsprofilen an die Methode bereits voraussetzen. Eine narrativ verfahrende Philosophie wird unter einem "Argument" womöglich etwas anderes verstehen als eine sprachanalytisch verfahrende. Hier können Geltungsansprüche - nicht unbedingt auf Wahrheit, eher noch auf Bedeutsamkeit - gegeneinander schlecht in einheitlicher Valuta verrechnet werden. Ansprüche auf Supervision erheben Philosophien für ihr Hoheitsgebiet durchaus; das ist zunächst nichts Spektakuläres. Ich erinnere etwa an den "Universalitätsanspruch der Hermeneutik" da, wo es um Verstehen geht oder an den Entlarvungsanspruch der Kritischen Theorie da, wo es um "Verblendungszusammenhänge" gesellschaftlicher Art geht oder an die Systemtheorie da, wo es um ihr Verständnis als "Supertheorie" geht oder an die Postmoderne und ihr apodiktisches "Ende der großen Erzählungen". - Theoriedichte und Geltungsansprüche führen in den Fortschreibungen solcher Paradigmen oft zu Undurchlässigkeiten und zu einer Hermetik der theoretischen Ausrichtungen.

Deswegen favorisiere ich ein philosophisches Denken, das zwar offen für Inspirationen aus unterschiedlichen Richtungen ist, aber vage genug bleibt, sich nicht zu früh, zu schnell, zu bereitwillig vereinnahmen zu lassen. Ein Zitat des in Deutschland sehr geschätzten Journalisten Hans Joachim Friedrichs mag das etwas illustrieren: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, daß er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; daß er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört." - Wer möchte schon kein Realist sein? - Doch der moralische Realismus in seinen Konturen wie sie durch Gabriel und auch hier modelliert werden, bekommt als Motor des "moralischen Fortschritts der Menschheit" die Grundierung einer Weltanschauung. Denn der moralische Realismus gelangt zur Erkenntnis des Guten durch eine erkenntnistheoretische Disposition, welche akzeptieren muß, wer legitimerweise vom Guten allererst sprechen will: Realismus. Nur wer Realist (im erkenntnistheoretischen Sinne) ist, steht in direkter Korrespondenz zum Schönen, Guten und Wahren, denn er erkennt, wie die Welt wirklich ist. Wer das nicht ist - steht im Weg. ("Relativisten ... sollten sich konsequenterweise aus allen moralischen Debatten heraushalten und jenen, die sich der Sache entlang für das Gute zu entscheiden versuchen, nicht noch Nebelpetarden vor die Füße werfen.") - Deutlicher läßt sich der Gerinnungsfaktor eines Rigorismus der Moral zur Ideologie kaum beschreiben. - Es ist die Delegitimierung des "Relativisten" (eine ohnehin seltsame Imprägnierung durch den moralischen Neusprech) als philosophische Figur der Skepsis, die ihm das Wort entzieht und den ideologischen Charakter des Neuen Realismus entblößt.

Distanz zur Wirklichkeit ist kein Verrat am Guten, nicht einmal an der Realität.




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Mi 6. Jan 2021, 02:11

Mir kam gerade der Gedanke, dass es doch vielleicht viel wichtiger ist, welche Moral am Ende der Überlegungen steht, und nicht so sehr wie man dahin gelangt ist, oder?
Muss ich denn erst an moralische Tatsachen glauben um die Gültigkeit und Wichtigkeit gewisser moralischer Normen anerkennen zu können? Ich denke nicht.
Und auch das Argumentieren für eine bestimmte Moral kommt ohne diese Annahme aus.
Aber ich glaube gerade an diesem Punkt scheiden sich die Geister.
Wenn sich der Rassist relativistischer Argumentationsmuster bedient, dann scheint sehr schnell klar zu sein welche philosophische Grundeinstellung das "Böse" in die Welt lässt.
Das man aber ebenso leicht Grausamkeiten zu "moralischen Tatsachen" erklären kann wird dabei übersehen.
Das Mittel ist doch austauschbar. Die Grundeinstellung, der zugrundeliegende Wille ist entscheidend.



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Mi 6. Jan 2021, 02:37

Nauplios hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 01:43
Deswegen favorisiere ich ein philosophisches Denken, das zwar offen für Inspirationen aus unterschiedlichen Richtungen ist, aber vage genug bleibt, sich nicht zu früh, zu schnell, zu bereitwillig vereinnahmen zu lassen. Ein Zitat des in Deutschland sehr geschätzten Journalisten Hans Joachim Friedrichs mag das etwas illustrieren: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, daß er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; daß er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört."
Dieses Ideal gefällt mir. Ich sage deshalb Ideal, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schwer es ist sich nicht vereinnahmen zu lassen.
Und umgekehrt lebt die gute Sache ja auch davon, dass wir uns für sie begeistern. Das Ganze soll schliesslich nicht in einer Art Teilnahmslosigkeit enden.
Da die richtige Balance zu finden ist gar nicht so einfach.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Mi 6. Jan 2021, 02:51, insgesamt 1-mal geändert.



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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 02:11

Das Mittel ist doch austauschbar. Die Grundeinstellung, der Wille ist entscheidend.
Ja, das sehe ich auch so.

"... ist mir ebenso zuwider wie die moralischen Zensoren es sind, die an allen Ecken und Enden ihre Gerichtstage halten ..." - Der hier von "moralischen Zensoren" und ihren "Gerichtstagen" spricht, ist ein "Halbjude", der sich im Brief an einen Juden vehement darüber beklagt, daß dieser die Kontaktvermeidung zum "Kronjuristen des Dritten Reiches" halboffiziell macht. Der "Halbjude" ist Hans Blumenberg, der Jude ist Jacob Taubes, der "Kronjurist des Dritten Reiches" ist natürlich Carl Schmitt. Der aufgrund der NS-Rassegesetze in ein Arbeitslager Verbrachte sucht und findet den Kontakt zu dem, der diese NS-Rassegesetze kommentiert hat und unterzeichnet jeden seiner Briefe mit "Ihr sehr ergebener Hans Blumenberg". - Hätte nicht der Ausschluß des Verfassers von Der Führer schützt das Recht (1934) aus dem philosophischen Diskurs die "logische" Konsequenz sein müssen? - Es konnte doch dem NS-Verfolgten Blumenberg nicht an Realismus mangeln, am moralischen schon gar nicht. - Auch ihm reichte die "Grundeinstellung". Und sie reichte am Ende auch Jacob Taubes, der nach Erhalt jenes "Briefs der Freundschaft und Intensität" ebenfalls die persona non grata in Plettenberg anschrieb. Gegenstrebige Fügung titelt Taubes später sein Buch, das Carl Schmitt gewidmet ist. - Das ist die Architektonik der von NWDM angesprochenen "Grundeinstellung": Gegenstrebige Fügung. Sie ermöglicht jene Durchlässigkeit, die ich oben im Sinn hatte. "Die Grundeinstellung ist entscheidend." - Diese "Grundeinstellung" ist das entscheidende Maß, im moralischen Gelände navigationsfähig zu bleiben. Auch als moralisch Handelnde sind wir fragmentarisch. Das ist die Position des Skeptikers. Und das ist nicht Nichts, nur weil es nicht Alles ist.




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Mi 6. Jan 2021, 03:06

Im ersten Satz seiner "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" (im Folgenden kurz "Grundlegung" genannt) stellt Immanuel Kant (1724 - 1804) die These auf: "Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille" (S.18). Im weiteren Verlauf kommt Kant dann zu der These, dass der gute Wille das höchste Gut sei (S.22).
http://ethik-werkstatt.de/Kant_guter_Wi ... in%20guter


In dem Zusammenhang zur Grundeinstellung und dem "guten Willen" könnten wir mal einen Thread über das "Gewissen" machen.
Wie entsteht es und welche Bedeutung hat es für uns als "moralischer Kompass"?



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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 02:37
Nauplios hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 01:43
Deswegen favorisiere ich ein philosophisches Denken, das zwar offen für Inspirationen aus unterschiedlichen Richtungen ist, aber vage genug bleibt, sich nicht zu früh, zu schnell, zu bereitwillig vereinnahmen zu lassen. Ein Zitat des in Deutschland sehr geschätzten Journalisten Hans Joachim Friedrichs mag das etwas illustrieren: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, daß er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; daß er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört."
Dieses Ideal gefällt mir. Ich sage deshalb Ideal, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schwer es ist sich nicht vereinnahmen zu lassen.
Und umgekehrt lebt die gute Sache ja auch davon, dass wir uns für sie begeistern. Das Ganze soll schliesslich nicht in einer Art Teilnahmslosigkeit enden.
Da die richtige Balance zu finden ist gar nicht so einfach.
Begeisterung und Teilnahmslosigkeit, enthousiasmos und ataraxia - die "richtige Balance" findet sich bereits in einer für den moralischen Diskurs nicht unbedeutenden Ikonographie der Antike, nämlich in der Figur der Justitia mit Waage und Füllhorn, später dann mit Augenbinde, Waage und Richtschwert. In der richtigen Balance zu sein, ist in der französischen Moralistik, etwa bei Montaigne, ein Gradmesser des "richtigen Lebens". Nachdenklichkeit wäre eine andere Form der Balance zwischen entschlossenem und zögerndem Denken.




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Mi 6. Jan 2021, 03:24

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 03:06
Im ersten Satz seiner "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" (im Folgenden kurz "Grundlegung" genannt) stellt Immanuel Kant (1724 - 1804) die These auf: "Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille" (S.18). Im weiteren Verlauf kommt Kant dann zu der These, dass der gute Wille das höchste Gut sei (S.22).
http://ethik-werkstatt.de/Kant_guter_Wi ... in%20guter


In dem Zusammenhang zur Grundeinstellung und dem "guten Willen" könnten wir mal einen Thread über das "Gewissen" machen.
Wie entsteht es und welche Bedeutung hat es für uns als "moralischer Kompass"?
Als Metaphorologe muß ich (bevor ich zum Nachtgang mit Murphy aufbreche) noch kurz den "moralischen Kompass" als nautisches Instrument der Navigation in den Wogen und Untiefen des moralisch Richtigen hervorheben und auf eine weitere Metapher des Guten hinweisen, welche seit Jahren en vogue ist: Nachhaltigkeit. Gute Nacht. -




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Mi 6. Jan 2021, 05:50

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 01:43
Ich brauche keine "Moralischen Tatsachen" um zu entscheiden welches Handeln moralisch geboten ist.
Dann bist Du natürlich ein Heiliger.

Ich für meinen Teil finde es wichtig zu erkennen, dass es immer eine Differenz geben kann, zwischen dem, was ich für richtig halte und dem, was richtig ist. Es gibt auch in der Moral die Möglichkeit, dass wir uns irren, natürlich auch bei den Dingen, bei denen wir sehr sicher sind. Vorsichtig und skeptisch gegenüber den eigenen Überzeugungen kann man jedoch nur sein, wenn man die Möglichkeit in Rechnung stellt, dass man falsch liegt. Aber falsch liegen, heißt nichts anderes als die Wahrheit zu verfehlen.




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Mi 6. Jan 2021, 06:06

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 02:11
Muss ich denn erst an moralische Tatsachen glauben um die Gültigkeit und Wichtigkeit gewisser moralischer Normen anerkennen zu können? Ich denke nicht.
Und auch das Argumentieren für eine bestimmte Moral kommt ohne diese Annahme aus.
Hier lässt du allerdings die zentrale Frage aus, die wir hier ja diskutieren. Was heißt das, dass eine Norm gültig ist? Ist sie schlechthin gültig? Wenn du das glaubst, dann bist du ein Realist. Denn das sind ja nicht zwei grundsätzlich verschiedene Dinge: die so verstandene Gültigkeit einer moralischen Norm und eine moralische Tatsache sind ein und dasselbe. Wenn du zum Beispiel glaubst, dass es grundsätzlich moralisch verboten ist, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe zu unterdrücken, dann bist du ein moralischer Realist.

Argumentieren kommt nicht ohne Tatsachen aus, sondern basiert im Gegenteil darauf, dass man annimmt, dass es Tatsachen gibt. Ein typisches Argument besteht z.b. darin, dass man eine Reihe von Prämissen, von denen man annimmt, dass sie wahr sind, so miteinander verbindet, dass sich eine wahre Konklusion ergibt.




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Mi 6. Jan 2021, 06:18

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 02:11
Das man aber ebenso leicht Grausamkeiten zu "moralischen Tatsachen" erklären kann wird dabei übersehen.
Nein, das wird dabei keineswegs übersehen. Im Gegenteil, es ist der zentrale Gedanke des Realismus, dass etwas nicht schon deshalb wahr es, weil es jemand dafür hält. Einer der zentralen Punkte jedes Realismus ist die Möglichkeit des Irrtums. Das ist einer der Kerngedanken.




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Alethos
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Mi 6. Jan 2021, 07:06

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 02:11
Das Mittel ist doch austauschbar. Die Grundeinstellung, der zugrundeliegende Wille ist entscheidend.
Ich kann dem relativ viel abgewinnen, wenn es nicht gleichbedeutend ist mit der Aussage, dass Moral sozusagen am Ende eines Prozesses der gemeinsamen Willensbildung ein Produkt der übereinstimmenden Willensäusserung ist. Also, wenn es heissen würde, dass gut z.B. sei, worüber man sich einig sei, dass es gut sei, weil man sich einig sei, dass es gut sei:
Dann bin ich nicht dabei.

Wenn es aber soviel heisst wie: Wenn der Wille da ist, der Sache auf den Grund zu gehen, offen zu sein für die Argumente des anderen, auf den Anderen einzugehen, Rücksicht zu nehmen etc., dann kann Moral am Ende eines (Findungs-)prozesses stehen: Dann bin ich dabei.



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Mi 6. Jan 2021, 07:43

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 01:02
Nauplios hat geschrieben :
Di 5. Jan 2021, 23:02
Dieser Zusammenhang ist der von Moral und Macht.
Und genau dieser Zusammenhang macht mir hier - und auch bei der Objektivität der Schönheit - Bauchschmerzen.

Der Ausdruck vom "Zusammenhang von Moral und Macht" basiert meines Erachtens auf einer begrifflichen Vieldeutigkeit. Der Begriff Moral bezeichnet manchmal das gesamte Feld moralischer Erwägungen, also den Bereich des Sollens im allgemeinen, etwa im Unterschied zum Bereich des Seins. Manchmal bezeichnet der Begriff jedoch auch bestimmte Moralen. Also das, was zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten als gültig erachtet wurde.

Ein Beispiel: Eine bestimmte Moral hat dazu geführt, dass zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort die Ansicht vertreten wurde, dass die Schwarzen hinten im Bus zu sitzen haben. (Wobei ich nicht drauf wetten würde, dass die Schwarzen diese Ansicht unbedingt geteilt haben. Und wirkliche Macht besteht in der Regel darin, dass die Menschen sich ihr freiwillig unterwerfen. Gewalt kommt meistens erst da ins Spiel, wo die Macht bereits brüchig ist.) Wie auch immer: Diese bestimmte Moral ist ziemlich offensichtlich von Machtinteressen durchsetzt - vielleicht nicht in allen Bereichen und in jeder Hinsicht, aber was den Rassismus angeht, ist es ziemlich offensichtlich.

Ähnliches dürfte man bei vielen Moralen finden. Daraus folgt allerdings nicht, dass es einen intrinsischen Zusammenhang zwischen Macht und Moral schlechthin gibt. Es ist sicherlich wahr, dass es schwierig sein kann, die Fesseln der Macht, die man sich im Allgemeinen selbst angelegt hat, abzuschütteln. Aber daraus folgt nicht, dass Moral schlechthin abzulehnen ist und dass es falsch ist, zu versuchen das Gute zu tun. Daraus dass bestimmte (vielleicht die meisten oder gar alle) Moralen bisher fehleranfällig waren, folgt nicht, dass Moral schlechthin abzulehnen ist. Meines Erachtens folgt daraus das Gegenteil, dass man nämlich versucht, die Fehler abzustellen.

Das ist zumindestens das Regulativ, an dem sich unsere Handlungen orientieren sollten... Die Welt dreht sich und die Dinge entwickeln sich immer weiter, so dass ständig neue moralische Fragestellungen entstehen. Moral ist daher ein unabschliessbares Geschäft. Aber das Richtige anzustreben ist nicht dadurch grundsätzlich diskreditiert, dass wir das Richtige verfehlen können.




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Mi 6. Jan 2021, 08:00

Alethos hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 07:06
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 02:11
Das Mittel ist doch austauschbar. Die Grundeinstellung, der zugrundeliegende Wille ist entscheidend.
Ich kann dem relativ viel abgewinnen ...
Wenn der Wille jedoch grundsätzlich der Wille zur Macht ist, dann gibt es ein ernstes Problem.




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Mi 6. Jan 2021, 08:33

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 08:00
Alethos hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 07:06
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 02:11
Das Mittel ist doch austauschbar. Die Grundeinstellung, der zugrundeliegende Wille ist entscheidend.
Ich kann dem relativ viel abgewinnen ...
Wenn der Wille jedoch grundsätzlich der Wille zur Macht ist, dann gibt es ein ernstes Problem.
Korrekt. Nur der gute Wille kann ein Wille zur Wahrheit sein. Freilich setzt der gute Wille einen Begriff des Guten voraus.



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Mi 6. Jan 2021, 16:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 05:50
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 01:43
Ich brauche keine "Moralischen Tatsachen" um zu entscheiden welches Handeln moralisch geboten ist.
Dann bist Du natürlich ein Heiliger.
Es ist wenig hilfreich, wenn Du meine Aussagen einfach realistisch umdeutest.
Ich für meinen Teil finde es wichtig zu erkennen, dass es immer eine Differenz geben kann, zwischen dem, was ich für richtig halte und dem, was richtig ist. Es gibt auch in der Moral die Möglichkeit, dass wir uns irren, natürlich auch bei den Dingen, bei denen wir sehr sicher sind. Vorsichtig und skeptisch gegenüber den eigenen Überzeugungen kann man jedoch nur sein, wenn man die Möglichkeit in Rechnung stellt, dass man falsch liegt. Aber falsch liegen, heißt nichts anderes als die Wahrheit zu verfehlen.
Mir ist immer noch unklar nach welcher Methode Du diese "universellen, moralischen Tatsachen" ermittelst. Wie kann der Wahrheitswert der Tatsachenbehauptungen in Bezug auf Moral überprüft werden?
Und daran anschliessend gleich die Frage: Wer bestimmt über diese Methode(n)?

Zu viele Fragen. Zu wenig Antworten.



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Mi 6. Jan 2021, 16:18

Alethos hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 07:06
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 02:11
Das Mittel ist doch austauschbar. Die Grundeinstellung, der zugrundeliegende Wille ist entscheidend.
Ich kann dem relativ viel abgewinnen, wenn es nicht gleichbedeutend ist mit der Aussage, dass Moral sozusagen am Ende eines Prozesses der gemeinsamen Willensbildung ein Produkt der übereinstimmenden Willensäusserung ist. Also, wenn es heissen würde, dass gut z.B. sei, worüber man sich einig sei, dass es gut sei, weil man sich einig sei, dass es gut sei:
Dann bin ich nicht dabei.
:-)
Wenn wir also im schlimmsten Fall 7 Milliarden Realisten haben, die alle ihre eigenen Tatsachenbehauptungen aufstellen, wie ermitteln wir dann (ohne uns zu einigen!) was gut ist?
Das was Du gerne als Tatsache bestätigt haben willst (also zum Beispiel "Mord ist falsch" ) ist das Ergebnis von intersubjektiver Einigung.
Ich wüsste nicht was es sonst sein sollte. Und das ist so, weil Moral nicht das Selbe ist wie Schwerkraft.



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Mi 6. Jan 2021, 16:25

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 16:18
Alethos hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 07:06
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 02:11
Das Mittel ist doch austauschbar. Die Grundeinstellung, der zugrundeliegende Wille ist entscheidend.
Ich kann dem relativ viel abgewinnen, wenn es nicht gleichbedeutend ist mit der Aussage, dass Moral sozusagen am Ende eines Prozesses der gemeinsamen Willensbildung ein Produkt der übereinstimmenden Willensäusserung ist. Also, wenn es heissen würde, dass gut z.B. sei, worüber man sich einig sei, dass es gut sei, weil man sich einig sei, dass es gut sei:
Dann bin ich nicht dabei.
:-)
Wenn wir also im schlimmsten Fall 7 Milliarden Realisten haben, die alle ihre eigenen Tatsachenbehauptungen aufstellen, wie ermitteln wir dann (ohne uns zu einigen!) was gut ist?
Das was Du gerne als Tatsache bestätigt haben willst (also zum Beispiel "Mord ist falsch" ) ist das Ergebnis von intersubjektiver Einigung.
Spätestens, wenn sich alle Flacherdler und Kugelerdler geeinigt haben werden, dass die Erde flach oder rund ist, werden sich alle Relativisten und Realisten einigen können, ob Mord falsch oder richtig sei. Vergewaltigung falsch oder gut sei. Kindsmissbrauch falsch oder gut sei.

Bis einer ausschert.. Wehe dem, der ausschert!
Denn dann gilt die Diktatur der Einigkeit! :)



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Mi 6. Jan 2021, 16:34

Bleibt dann aber die Frage, ob es eine Moral war, die sie zur Einigung führte oder ihre Einigung zu dieser Moral.



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Mi 6. Jan 2021, 16:44

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 6. Jan 2021, 16:10
Mir ist immer noch unklar nach welcher Methode Du diese "universellen, moralischen Tatsachen" ermittelst.
Darauf habe ich wiederholt geantwortet. Das läuft dann so, dass du diese Antwort ignorierst, um dann etwas später die Frage noch mal zu stellen. Was soll das?

Wir starten - wie in allen anderen Bereichen - da, wo wir sind, das heißt beginnen mit dem, was uns am sichersten vorkommt. Das ergibt ein ungefähres Set an Überzeugungen, was man auf innere Stimmigkeit überprüfen kann und welches auch stets mit den "außermoralischen" Wissen abgeglichen werden muss. Und von da an muss man die Diskussionen/Gespräche führen. Die Künste gehören ganz sicher auch dazu. Rorty hat man gesagt, dass Onkel Toms Hütte mehr zum Fortschritt der Moral beigetragen hat als 100 Philosophen-Kongresse. Zu diesem Prozess gehören - wenn man in die Geschichte schaut - natürlich auch heftige Umstöße, Aufstände der Unterdrückten, Revolutionen etc. Ich denke es läuft einfach so, wie es eben in unserer Geschichte lief, größere Abkürzungen gibt es wahrscheinlich nicht und einen simplen Algorithmus für alle Fälle auch nicht. Aber es gibt (mittlerweile) die einen oder anderen "Tools" für die grobe Richtung, wie ich finde: Die goldene Regel, den kategorischen Imperativ, den Schleier des Nichtwissens ... (Zudem tragen die Naturwissenschaften auch dazu bei: Wir wissen jetzt zum Beispiel, dass es Rassen einfach nicht gibt.)

Außerdem sind wir ja nicht komplett moralisch blind und dumm, einen ungefähren Kompass haben wir eingebaut - Kinder sind von früh an hilfsbereit, das weiß man aus den Forschungen von Tomasello - denn wir (zum Beispiel) fähig sind, uns in andere hineinzuversetzen.

Das ist ein langer Prozess mit Umwegen, Abwegen und Irrtümern. Das ist meines Erachtens in den anderen Bereichen kaum anders.




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