Vage Wolken

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Jörn Budesheim
Beiträge: 23424
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Fr 17. Apr 2020, 06:03

Erinnerung an die Marie A.

An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.

Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern.
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.

Und auch den Kuss, ich hätt' ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke da gewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.

(Bertolt Brecht)




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Jörn Budesheim
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Fr 17. Apr 2020, 06:11

Wolken sind sozusagen paradigmatisch vergänglich, sie erscheinen und verschwinden, sie haben keine fixierte Form, unscharfe Ränder, man kann oft nicht mal entscheiden, ob man eine, zwei oder drei Wolken sieht, sie fügen sich zusammen und gehen auseinander. Wolken sind vage.

Dennoch haben wir einen Begriff davon und können ihn in vielen Fällen korrekt anwenden. Impliziert "einen Begriff haben", dass alles, was richtigerweise unter dem Begriff fällt, scharf gegen anderes abgegrenzt ist? Impliziert Begriff: "Abzählbarkeit"? Impliziert Begriff: "statisch/unveränderlich"? Ist "Eindeutigkeit" impliziert?




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Stefanie
Beiträge: 7267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Fr 17. Apr 2020, 19:57

Ein Brecht Gedicht ...ich verstehe mal etwas von einem Gedicht. : - )
Wolken stehen für mich zuerst für Vergänglichkeit positiv gesehen, und vor allem stehen sie im positiven Sinne für Dynamik, Veränderung, kein Stillstand und sich immer neu erfinden, und sie sind Schönheiten. Soweit haben wir wohl den selben Begriff von Wolke. Sie als vage zu bezeichnen, darauf bin ich bislang allerdings nicht gekommen. Sind sie vage, weil ihr Form oft nicht begrenzt ist, fliessend ist? Dies ist doch nicht unbestimmt, oder vage, sondern ist doch gerade das typische, bestimmbare von Wolken.

Natürlich musste ich mal wieder Begriff im philosophischen Sinne nachlesen, das will einfach nicht in meinem Kopf.
Der Begriff um den es geht ist Wolke, oder?
Der Begriff grenzt schon ab, und impliziert Eindeutigkeit, Wolke und nicht Hagel. Der Begriff ist statisch, aber nicht unbedingt, das was wir mit dem Begriff verbinden, hier Wolke.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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