In einem Zeitungsartikel über Wahl und Entscheidung in Corona Zeiten wird eine Unterscheidung zwischen Wahl und Entscheidung getroffen, mit der ich nicht klar komme. Irgendwo hakt es bei mir. Es geht mir um den Unterschied zwischen beiden im allgemeinen, also ohne corona Bezug.
https://www.nzz.ch/feuilleton/corona-ei ... ld.1559499
Es liegt wohl dran, dass der Autor sagt, eine Wahl kann richtig oder falsch sein, und eine Entscheidung immer richtig ist. Ich glaube hier hakt es bei mir.Zunächst ist zu unterscheiden zwischen Entscheidung und Wahl.
Eine Wahl basiert auf Fakten, Tatsachen, Daten. Man hat genug Zeit, Ratgeber zu lesen, Experten zu befragen und unterschiedliche Perspektiven einzuholen. Insofern ist eine Wahl begründungsfähig und entsprechend zu rechtfertigen. Die Auswahl der Experten kann vorurteilsgeprägt sein, die Messung ungenau, die Risiken fehlkalkuliert. Zudem ist die Wahl geronnene Vergangenheit, und vergangene Erfolge sind Lernbehinderungen. Aber eine Wahl kann dennoch richtig oder falsch sein. Für sie gilt, dass man hinterher wissen kann, was man vorher hätte wissen müssen. Man fährt besser angeschnallt ins nächste Auto.
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Anders die Entscheidung: eine Gruppe von Menschen, fliehend, hinter ihr ein Säbelzahntiger, vor ihr eine Weggabelung; die Wissenschaft spricht von «Bifurkation». Man kann jeweils rechts und links ein paar Meter in die Wege hineinsehen, dann biegen sie ab ins Unbekannte. Wohin flüchten? Einige rufen: «Nach rechts!» Andere: «Nach links!» Stillstand droht. Die Zeit drängt. Was tun?
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Das ist die Situation, die nach Entscheidung ruft. Eine Entscheidung kommuniziert dabei, 1. dass entschieden wurde, 2. wer entschieden hat, 3. wofür entschieden und 4. wogegen entschieden wurde. Gerade die letzte Kommunikation ist die Startrampe für postdezisionale Konflikte. Denn die abgelehnte Alternative läuft als Zweifel immer mit.
In der Politik: Hätte man nicht doch lieber den alternativen Weg einschlagen sollen? In Unternehmen: Hätten wir nicht früher in eine innovative Technologie investieren sollen? Im Privaten: Hätte ich nicht besser Monika geheiratet?
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Die Grundannahme des Zweifels ist, dass die Konsequenzen einer Entscheidung vorhersehbar seien. Und genau das sind sie nicht
Die Faktenlage ist zu dünn, um ein Risiko zu kalkulieren. Vergangene Erfahrungen helfen nicht für eine ungewisse Zukunft.
Wir haben es bei Entscheidungen also nicht mit einer Mono-Rationalität zu tun, die auf einer allgemein nachvollziehbaren Vernunft sattelt (im Sinne von Habermas), auch nicht mit Multi-Rationalität (die im Sinne Luhmanns verschiedene gesellschaftliche Subsysteme repräsentiert), sondern mit gar keiner Rationalität. Da ist der Vorwurf der Willkür nie weit.
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Dabei könnte man sich trösten: Ausser in Extremfällen kann eine Entscheidung nicht falsch sein. Aber auch nicht richtig. Es gibt kein Paralleluniversum, in dem man eine alternative Entscheidung probeweise durchspielen könnte.
Man muss durch den Feuerreif des Zweifels springen, ohne zu wissen, wo man landet. Mithin gibt es auch keine «schwierigen» (und also auch keine «einfachen») Entscheidungen – Entscheidungen sind immer schwierig, sonst wären sie keine.