Sind wir ein Teil der Wirkungsgeschichte?

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Jörn Budesheim
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Do 18. Jun 2020, 06:00

Nauplios hat geschrieben :
So 14. Jun 2020, 19:23
Die Frage, ob das, was er [Blumenberg] schreibt also wahr ist, hat er der Wirkungsgeschichte seiner Philosophie überlassen. Insofern könnten auch wir gut damit leben, nicht zu wissen, ob das, was in den Paradigmen steht, wahr ist oder nicht. Blumenberg beschreibt das, was er sieht. Andere beschreiben dasselbe (Kurt Flasch) anders. Die Frage, ob der Blumenberg´sche Befund wahr ist oder nicht, ist deshalb für mich ohne jeden Reiz und ohne jeden Belang. Wenn Blumenberg die eigene Wahrheit "für seine Wirkung offen hält", dann warten wir doch diese Wirkung einfach ab. Er steht ja erst am Anfang seiner Wirkungsgeschichte.
Fehlfarben hat geschrieben : Ein Jahr

Keine Atempause
Geschichte wird gemacht
Es geht voran
Wer macht eigentlich die (Wirkungs-)Geschichte? Gibt es solche, die am Rande stehen, die Arme verschränken müssen, um abzuwarten und solche, die diese Geschichte machen? Sind wir, jede/r einzelne von uns, der oder die sich für Philosophie interessiert, gar kein Teil dieser Philosophie? Sind wir nur die staunenden Zuschauer?




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Jörn Budesheim
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Do 18. Jun 2020, 08:55

Als Jean Paul Sartre am 19. April 1980 in Paris beerdigt wird, folgen mehr als fünfzigtausend Menschen seinem Sarg
Waren das alles Statisten oder war jede/r auch Teil der Wirkungsgeschichte Sartres?




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Jörn Budesheim
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Sa 20. Jun 2020, 06:43

Tatjana Schönwälder-Kuntze über Philosophische Methoden hat geschrieben : [Kant stellt] eine andere, neue Frage: nicht mehr die nach dem zureichenden Grund dafür, dass etwas wahr genannt werden kann, sondern die nach den dafür notwendigen Möglichkeitsbedingungen. Dies war und ist prägend wie stilbildend für weite Teile des modernen Denkens, das mit der Aufklärung verbunden wird. Deshalb kann man sagen, dass die Methoden nach Kants kritischer Wende – und hier sei ›nach‹ in einem dreifachen Sinne verstanden: chronologisch (zeitlich), mimetisch (nachahmend), transformativ (verändernd) – als affirmative, ausdifferenzierende, ergänzende, korrigierende und ablehnende Reaktionen auf den kantischen Weg gelesen werden können.
Hier zeigt sich doch, dass die Begriffe "Wirkungsgeschichte" und die des sich selbst erkunden den "Geistes" zumindest ähnlich sind, oder?

Zwar können einzelne (wie Kant) der Geschichte eine neue Richtung geben, aber auch Kant hat Vorläufer, Wegbereiter und ist kein singuläres Ereignis. Wenige hinterlassen in der Geschichte des Geistes ist solche Spuren wie solche Heroen; folgt daraus, dass man gar nicht zu dieser Geschichte gehört?




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Stefanie
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Sa 20. Jun 2020, 23:20

Meine Versuche, herauszubekommen, was genau mit "Wirkungsgeschichte" gemeint ist, waren nicht so erfolgreich. Zum einem was hat das genau mit wahr zu tun, und jetzt verwirrt mich der Text von Tatjana Schönwälder-Kunt

Geht es um die Wertung von Geschichte, oder um die Frage, ob ein jeder bzw. jede die Geschichte mit gestaltet?

Die Wirkungsgeschichte die Nauplios beschreibt, ist für mich die nachträgliche Bewertung einer Geschichte und der Einfluss auf die nachfolgende Geschichte, das Fehlfarben Zitat beschreibt das Machen der Geschichte jetzt. Ob die gemachte Geschichte eine Wirkung hatte, sieht man ja auch erst später.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Jörn Budesheim
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So 21. Jun 2020, 06:35

Stefanie hat geschrieben :
Sa 20. Jun 2020, 23:20
Geht es um die Wertung von Geschichte, oder um die Frage, ob ein jeder bzw. jede die Geschichte mit gestaltet?
Die Frage des Threads lautet: Sind wir ein Teil der (philosophischen) Wirkungsgeschichte? Und weiter: Wer macht eigentlich die (Wirkungs-)Geschichte? Gibt es solche, die am Rande stehen, die Arme verschränken müssen, um abzuwarten und solche, die allein diese Geschichte machen?

Sind interessierte Laien - wie wir in diesem Forum - diejenigen, denen die philosophische Wirkungsgeschichte gleichsam zustößt, während es andere gibt, die sie formen? Oder sind auch wir ein vollwertiger Teil des (philosophischen) Diskurses?




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Jörn Budesheim
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So 21. Jun 2020, 06:38

Alfred North Whitehead hat geschrieben : Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht."




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Stefanie
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So 21. Jun 2020, 16:30

Ich bin zu faul um es abzutippen...

Aus:
Karl Popper, Alle Menschen sind Philosophen, Piper Taschenbuch 2004, Seite 11-12
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Stefanie
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So 21. Jun 2020, 16:46

Wenn uns die Philosophie und seine Wirkungsgeschichte nur zustößt halte ich das für fatal. Nur passiv etwas annehmen, oder gar ertragen, bedeutet es hinzunehmen, ohne selber darüber nachzudenken und es lediglich nachzuplappern. Das widerspricht dem Grundgedanken der Philosophie völlig. Wie heißt es nach Kant: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
Die Wirkungsgeschichte von Philosophen entsteht auch dadurch, dass sie weitergeben wird, auch durch die, die sie betrifft, und das sind alle Menschen.
Man kann niemanden vorzuschreiben, zu denken und man kann niemanden vorzuschreiben nicht zu denken und zu hinterfragen.

Natürlich sind wir Teil der Wirkungsgeschichte.



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Jörn Budesheim
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So 21. Jun 2020, 16:55

Wäre es anders, wäre es eine Wirkungslos-Geschichte!




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Jörn Budesheim
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Mo 22. Jun 2020, 08:50

Zufälliges Fundstück:

Simone de Beauvoir: Wie, glauben Sie, hätten Sie reagiert, wenn "Der Ekel" endgültig abgelehnt worden wäre?

Sartre: Ich weiß nicht. Es lässt sich im übrigen sehr schwer sagen, was es überhaupt heißt, veröffentlicht zu werden, denn ich hätte ja auch veröffentlicht werden können, ohne dass jemand davon Notiz genommen hätte. Das passiert ja. Wir haben Freunde, denen das passiert. Sie veröffentlichen Bücher, und dann werden diese nicht gekauft, oder man spricht nicht davon. Und das ist auch deprimierend. Warum? werden Sie fragen. Nun, weil ich jedenfalls - andere sicher nicht, aber ich ganz sicher und Castor (=Simone de Beauvoir) bestimmt auch - für die Leute schreibe; nicht um ihnen eine Wohltat anzutun, nicht, weil wir ihnen ein Geheimnis offenbaren wollen, sondern weil wir mit ihnen kommunizieren wollen. Für uns haben Bücher nur in dem Maße einen Wert, wie sie von den anderen aufgenommen werden. Wir sind seit langem der Meinung, dass Literatur ein doppelseitiges Phänomen ist, ein duales, wie man sagt, das heißt Autor (den man heute Schreiber nennt) und dann Leser. Beide zusammen machen das Werk, doch der Leser muss mitmachen.




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