Klar und deutlich

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Jörn Budesheim
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Mo 24. Aug 2020, 20:58

Hier ein paar Quellen, die versuchen zu verdeutlichen, was Descartes eigentlich mit klar und deutlich meinte.

http://borishennig.de/texte/descartes/confuse.php
http://www.descartes-cogito-ergo-sum.de/seite-4.html (hier kann ich nicht gut erkennen, wie qualifiziert die Quelle ist)




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Jörn Budesheim
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Di 25. Aug 2020, 11:13

Ich hab mal in Hans Posers Buch über Descartes nachgeschaut.
Poser hat geschrieben : Die erste Regel [Descartes] besagt, man dürfe etwas erst dann als wahr annehmen, wenn es sich dem Geist so klar und deutlich darbiete, dass man es nicht in Zwei­fel ziehen könne. Damit stellt sich die Frage, was denn das heißt: »klar und deutlich« (»clairement et distincte­ment«, »clare et distincte«; oft auch übersetzt: >klar und distinkt<). Wenn diese Bestimmungen den Charak­ter eines [Wahrheits-]Kriteriums haben sollen - und genau so wer­den sie hier verstanden -, müssen sie präzisiert werden. Nun sagt Descartes nicht ausdrücklich, worauf sich diese Prädikate »klar« und »deutlich« beziehen; er spricht von dem, »was sich dem Geist darbietet«. [...]

Da aber von Wahrheit die Rede ist, die zu begründen sei, geht es offensichtlich um Erkenntnisse, also um als wahr nachzuweisende Aussagen (propositio), wie dies schon in den Regulae zu beobachten war; meist spricht Descartes jedoch von Ideen (idea) oder Urteilen (iudi­cium), gelegentlich auch von Perzeptionen (perceptio) und Begriffen (conceptus). Ohne hier auf mögliche Differenzierungen weiter einzugehen (...), muss doch kurz erläutert werden, wieso Be­griffe unter ein Wahrheitskriterium sollen fallen kön­nen, denn uns ist diese Vorstellung fremd geworden. Dahinter steht, dass ein Begriff eigentlich für eine De­finition steht - und die ist eine Aussage, welche nach traditionellem Verständnis wahr ist, wenn sie das We­sen erfasst, falsch hingegen, wenn sie widersprüchliche Bestimmungsstücke enthält. Dazwischen aber liegen Bestimmungen, die zwar nicht falsch, wohl aber dun­kel oder verworren sind.
Uns - sagt Poser, wie ich finde völlig zurecht - ist diese Bestimmung fremd geworden: Ein Begriff steht hier für eine Definition. Poser bringt eine bündige Erläuterung von Leibniz, was die beiden verschiedenen Begriff "klar und deutlich" denn heißen sollen:
Leibniz, »Meditationes de cognitione, veritate et ideis« hat geschrieben : Eine Erkenntnis ist entweder dunkel oder klar, die klare wiederum verworren oder deutlich. Dunkel ist sie, wenn sie zum Wiedererkennen des Dargestellten nicht ausreicht. Etwas ist klar er­kannt, wenn wir es zweifelsfrei von allem anderen unterscheiden können. Etwas ist deutlich erkannt, wenn wir seine Wesensmerkmale angeben kön­nen, die ihrerseits klar sein müssen.«

Mehr dazu in einem PDF > https://www.google.com/url?sa=t&source= ... Gh9bPToD6V
Poser gibt dazu zwei Beispiele:
Poser hat geschrieben : Betrachten wir ein Beispiel: Zahlen werden, indem ich ihren Begriff erkenne, sicherlich deutlich erkannt, denn in dem Begriff >drei< ist die Zusammensetzung aus drei Einheiten enthalten; zugleich ist wegen der Unterscheidbarkeit des Begriffs >drei< von jedem ande­ren Zahlbegriff gewährleistet, dass der Begriff selbst wie auch der Begriff der Einheit klar ist. Nur klar und nicht zugleich deutlich sind hingegen solche Wahrneh­mungen wie ein Schmerz, ein Ton, eine Farbe: Dass uns die betreffende perceptio gegeben ist, ist unstreitig gewiss, und insofern ist sie (ebenso wie der Begriff und wie die Erkenntnis des Vorliegens der perceptio) klar. Deutlich jedoch sind solche Erkenntnisse durchaus nicht, denn es fehlen klare Merkmale. Darüber hinaus ist nicht gesagt, ob der jeweiligen Wahrnehmung etwas Existierendes korrespondiert: Nur die Existenz der perceptio ist selbstgewiss. Deshalb reicht ein klarer Be­griff nicht aus für wahre Erkenntnisse, denn dazu müssten alle Zweifel ausgeschlossen sein.




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Jörn Budesheim
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Di 25. Aug 2020, 13:08

Leibniz hat geschrieben : So erkennen wir zwar Farben, Gerüche, Geschmackseindrücke und andere sinnesspezifische Gegenstände mit hinreichender Klarheit und unterscheiden sie wechselweise voneinander - dies aber durch ein einfaches Zeugnis der Sinne und nicht durch angebbare Kennzeichen.
Im Lesen: Das erinnert mich sehr an den Thread über ästhetische Werte. Dort hab ich mehrmals versucht, geltend zu machen, dass wir ja doch vieles erkennen (gelb) aber dennoch keine Kennzeichen (Kriterien) dafür angeben können. Wenn ich Leibniz richtig verstehe, erkennen wir klar, dass dies gelb ist, aber nicht deutlich. Das klingt in meinen Ohren seltsam. Sagt man stattdessen "distinkt" fühlt es sich etwas besser an :-)




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Jörn Budesheim
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Di 25. Aug 2020, 13:14

Und exakt so geht der Text von Leibniz weiter :-)
Leibniz hat geschrieben : Daher können wir einem Blinden nicht erklären, was Rot sei, noch können wir andern solches deutlich machen, ohne sie unmittelbar zu dem Gegenstand zu führen, und zu bewerkstelligen, daß sie ihn sehen, riechen oder schmecken; oder ohne sie wenigstens an irgendeine ähnliche Wahrnehmung aus der Vergangenheit zu erinnern: mögen die Begriffe dieser Eigenschaften auch zweifellos zusammengesetzt und analysierbar sein, da sie ja ihre Ursache haben. Ebenso sieht man oft, daß Maler und andere Künstler zwar recht gut erkennen können, was recht und was schlecht gemacht ist, aber oft über ihr Urteil keine Rechenschaft ablegen können, und auf Nachfrage sagen, daß ihnen an dem mißfallenden Gegenstand das 'gewisse Etwas' fehle.




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Jörn Budesheim
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Mi 26. Aug 2020, 14:50

Blumenberg versucht in "Theorie der Unbegrifflichkeit" sich den beiden Begriffen "genetisch" und "anthropologisch" zu nähern. Dafür macht er eine Zeitreise zu den Menschen, die sich bereits aufgerichtet und den Biotopwechsel vom Regenwald zur Savanne hinter sich haben. Sie können und müssen über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg planen und handeln. Ich gebe es holzschnittartig wieder:

Klarheit/Raum: "Das Ideal der Klarheit gehört seinem Ursprung nach der räumlichen Distanz zu." Man kann hier wohl als Erstes an die klare Sicht denken, die durch nichts verstellt wird oder gar vernebelt ist.

Deutlichkeit/Zeit: Zeitliche Distanzen werden nicht mit den Augen überwunden. Stattdessen ist es möglich mit Erzählungen, die weit in die Vergangenheit reichen können und in meinen Worten: Vorhersagen und Planungen als Gegenstücke für die Zukunft. Der Begriff muss dabei Spielraum bieten "für all das Konkrete, was seiner Klassifikation unterliegen soll." Er muss deutlich sein, darf aber nicht die "Enge besitzen, die der Name" bietet.

Ich finde den Gedankengang, falls ich ihn einigermaßen verstanden und korrekt dargestellt habe, bestechend. Ich hab natürlich nicht die geringste Ahnung, was ein Evolutions-Biologe dazu sagen würde.




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