Labyrinth

Im Zettelkasten können Zitate und Begriffe hinterlegt werden, auf die du andere Mitglieder des Forums aufmerksam machen möchtest.
Nauplios

Mo 21. Aug 2017, 17:11

"So lässt sich zum Beispiel die Labyrinthsage als Darstellung einer analen Geburt erkennen; die verschlungenen Gänge sind der Darm, der Ariadnefaden die Nabelschnur."
(Sigmund Freud; Neue Folge der Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke; Bd. 15; S. 26)

"Wollten und wagten wir eine Architektur nach unserer Seelen-Art [...] so müßte das Labyrinth unser Vorbild sein!"
(Nietzsche; Morgenröte, Paragraph 169)

Das christliche Reich Gottes: es bedarf der Anstrengung, hinein zu gelangen, dafür kommt man (Paradies) schleunigst wieder raus. / Das Labyrinth : man gelangt mühelos hinein, doch nur mit List und Anstrengung wieder raus. - Zur Landschaft des Labyrinths gehört einerseits ein System von Sackgassen, andererseits wird das Herausfinden nicht von diesen Sackgassen allein behindert, sondern davon, daß es keine Begründbarkeit der Entscheidungen gibt, ob man an den Weggabelungen den Weg nach rechts oder links einschlägt. Das Hindernis besteht also mehr in der Kontingenz unserer Entscheidungen. Das Labyrinth ist mit Umwegen, Rückwegen, Neuanfängen ... verbunden. Die "Systematik" des Labyrinths, daß es keine Systematik hat?




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iselilja
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Mo 21. Aug 2017, 17:33

Nauplios hat geschrieben :
Mo 21. Aug 2017, 17:11
Die "Systematik" des Labyrinths, daß es keine Systematik hat?
Die Charakteristik des Labyrinths würde ich sagen. Die Systematik würde ich meinen beginnt mit dem im Labyrinth sein. Und da muss man wohl auch unterscheiden zwischen dem wohlgeratenen Labyrinth und dem, aus dem man herauskommen will. Das Herauskommen-Sollen wiederum setzt m.E. die Systematik, die Du hier vermutlich meinst. Das Herauskommen-Wollen setzt gewissermaßen voraus, überhaupt zu erkennen, in einem solchen zu sein.




Nauplios

Mo 21. Aug 2017, 18:06

Ja, stimmt, Charakteristik trifft es besser als Systematik. Was mich am Labyrinth natürlich interessiert: daß es metaphorogen ist, daß es der Sprache (dem Denken) eine Landschaft, ein Panorama eröffnet; die beiden Zitate von Freud und Nietzsche sind zwei von tausenden, die man hier anführen könnte. - Theorien gelten bisweilen als "labyrinthisch" (Paradebeispiel: Luhmanns Systemtheorie); auffallend: daß eine Systemtheorie, von der man vielleicht am ehesten Systematizität erwartet, ihrerseits wie ein Labyrinth erscheint. :-)




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iselilja
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Mo 21. Aug 2017, 18:16

Ja, von diesem Gedanken werde ich oftmals geleitet, wenn es um Fragen der Theorie oder gar einer ganzen Disziplin geht. Mit dem Labyrinth verbinden wir oftmals (Ariadne vermutlich geschuldet) den Gedanken des einen und bestimmten Ausgangs (einer Sache, eines Sachverhaltes). Meistens assoziieren wir sogar Ausgang mit Eingang, was Ariadnes Faden versinnbildlicht.

Aber Du hast recht, das Metaphorische des Labyrinths ist mit so bescheidenen Beschreibungs- und Charakterisierungsversuchen wohl kaum erfasst. :-)




Nauplios

Do 24. Aug 2017, 20:13

"... das ich desjenigen, der ich schreibt, ist nicht das gleiche wie das ich, das vom du gelesen wird. Diese grundlegende Asymmetrie der Sprache, die von Jespersen und Jakobson unter dem Begriff shifter bzw. Verschieber oder Überlappung von Mitteilung und Code erhellt wurde, stiftet endlich Unruhe in der Literatur, indem sie ihr vorführt, daß die Intersubjektivität oder, vielleicht besser ausgedrückt, die Interlokution, sich nicht durch ein frommes Herbeiwünschen der Vorzüge des `Dialogs´ vollziehen läßt, sondern durch ein tiefes, geduldiges und oft umweghaftes Hinabsteigen in das Labyrinth des Sinns." (Roland Barthes; Das Rauschen der Sprache; S. 24f.)




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Jörn Budesheim
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So 29. Okt 2017, 06:20

Nauplios hat geschrieben :
Mo 21. Aug 2017, 17:11
Zur Landschaft des Labyrinths gehört einerseits ein System von Sackgassen, andererseits wird das Herausfinden nicht von diesen Sackgassen allein behindert, sondern davon, daß es keine Begründbarkeit der Entscheidungen gibt, ob man an den Weggabelungen den Weg nach rechts oder links einschlägt. Das Hindernis besteht also mehr in der Kontingenz unserer Entscheidungen. Das Labyrinth ist mit Umwegen, Rückwegen, Neuanfängen ... verbunden. Die "Systematik" des Labyrinths, daß es keine Systematik hat?
Wenn man über Labyrinthe nachdenkt, dann kann man zwei sehr verschiedene Bilder vor Augen haben. Häufig kennt man Labyrinthe aus irgendwelchen Rätsel Heftchen oder ähnlichem, wo die Aufgabe darin besteht den Weg von A nach B zu finden.

Bild

Sehr viel seltener ist die leibhaftige Erfahrung aus dem Labyrinth heraus, die mit dem Umstand verbunden ist, dass man eben gerade nicht den Draufblick hat. Dann ist die Metaphorik die, dass man im Labyrinth an einer gegebenen Weggabelung an der Erscheinung der Weggabelung selbst zwar nicht erkennen kann, welcher Weg der richtige ist, die phänomenale Situation gibt es einfach nicht her... aber man weiß immerhin, dass es eine Perspektive, nämlich die von oben gibt, aus der heraus man erkennen kann, welches der richtige Weg ist. Das wiederum heißt, dass unsere Bemühungen nicht aussichtslos sind, falls man sich einen Überblick verschaffen kann :) also durch einen Perspektivwechsel.




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novon
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So 29. Okt 2017, 22:03

Nauplios hat geschrieben :
Mo 21. Aug 2017, 17:11
Zur Landschaft des Labyrinths gehört einerseits ein System von Sackgassen, andererseits wird das Herausfinden nicht von diesen Sackgassen allein behindert, sondern davon, daß es keine Begründbarkeit der Entscheidungen gibt, ob man an den Weggabelungen den Weg nach rechts oder links einschlägt. Das Hindernis besteht also mehr in der Kontingenz unserer Entscheidungen. Das Labyrinth ist mit Umwegen, Rückwegen, Neuanfängen ... verbunden. Die "Systematik" des Labyrinths, daß es keine Systematik hat?
Verzichtet man auf kontingente Richtungswechsel und entscheidet sich statt dessen an jeder Kreuzung und in jeder Sachgasse stets für die immer gleiche Richtung, findet man zwangsläufig wieder heraus, selbst, wenn man sich vorher bereits verirrt haben sollte. (Ob das nun Systematik des Labyrinths wäre, bin ich mir nicht sicher, aber auf jeden Fall lässt sich so jedes Labyrinth systematisch lösen.)




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Jörn Budesheim
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Mo 30. Okt 2017, 06:04



Eine der berühmtesten Labyrinth Szenen aus The Shining - insbesondere wenn man das Ende des Films kennt. Der Film setzt dabei auf Kontraste: der Blick von oben versus innen drin sein. Sommer versus Winter. Tag versus Nacht. Unterhaltung versus Kampf um Leben und Tod.




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Jörn Budesheim
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Mo 30. Okt 2017, 07:43

novon hat geschrieben :
So 29. Okt 2017, 22:03
Nauplios hat geschrieben :
Mo 21. Aug 2017, 17:11
Zur Landschaft des Labyrinths gehört einerseits ein System von Sackgassen, andererseits wird das Herausfinden nicht von diesen Sackgassen allein behindert, sondern davon, daß es keine Begründbarkeit der Entscheidungen gibt, ob man an den Weggabelungen den Weg nach rechts oder links einschlägt. Das Hindernis besteht also mehr in der Kontingenz unserer Entscheidungen. Das Labyrinth ist mit Umwegen, Rückwegen, Neuanfängen ... verbunden. Die "Systematik" des Labyrinths, daß es keine Systematik hat?
Verzichtet man auf kontingente Richtungswechsel und entscheidet sich statt dessen an jeder Kreuzung und in jeder Sachgasse stets für die immer gleiche Richtung, findet man zwangsläufig wieder heraus, selbst, wenn man sich vorher bereits verirrt haben sollte. (Ob das nun Systematik des Labyrinths wäre, bin ich mir nicht sicher, aber auf jeden Fall lässt sich so jedes Labyrinth systematisch lösen.)
Kömmt drauf an, wie man den Begriff Labyrinth versteht. Wenn das Bild oben oder das Labyrinth im Film nur Zeichen sind für Lebenssituationen - dann darf man nicht die "logischen Eigenschaften" des Zeichens mit dem, was es bezeichnen soll in Eins setzen.




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novon
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Mo 30. Okt 2017, 21:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 30. Okt 2017, 07:43
novon hat geschrieben :
So 29. Okt 2017, 22:03
Nauplios hat geschrieben :
Mo 21. Aug 2017, 17:11
Zur Landschaft des Labyrinths gehört einerseits ein System von Sackgassen, andererseits wird das Herausfinden nicht von diesen Sackgassen allein behindert, sondern davon, daß es keine Begründbarkeit der Entscheidungen gibt, ob man an den Weggabelungen den Weg nach rechts oder links einschlägt. Das Hindernis besteht also mehr in der Kontingenz unserer Entscheidungen. Das Labyrinth ist mit Umwegen, Rückwegen, Neuanfängen ... verbunden. Die "Systematik" des Labyrinths, daß es keine Systematik hat?
Verzichtet man auf kontingente Richtungswechsel und entscheidet sich statt dessen an jeder Kreuzung und in jeder Sachgasse stets für die immer gleiche Richtung, findet man zwangsläufig wieder heraus, selbst, wenn man sich vorher bereits verirrt haben sollte. (Ob das nun Systematik des Labyrinths wäre, bin ich mir nicht sicher, aber auf jeden Fall lässt sich so jedes Labyrinth systematisch lösen.)
Kömmt drauf an, wie man den Begriff Labyrinth versteht. Wenn das Bild oben oder das Labyrinth im Film nur Zeichen sind für Lebenssituationen - dann darf man nicht die "logischen Eigenschaften" des Zeichens mit dem, was es bezeichnen soll in Eins setzen.
Na ja, darauf, was unter einem Begriff begriffen ist, "kömmt" es wohl immer an, wenn Begriffe bezeichnet werden... *g
Labyrinth ist doch definiert, als Wegsystem, dass den Weg von A nach B durch willkürliche Wegführung (Sackgassen, Kreuzungen) verschleiert, zu einem Rätsel macht.




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Jörn Budesheim
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Di 31. Okt 2017, 05:50

Was ich sagen wollte, ist folgendes: Ich schätze mal, dass Nauplios über etwas anderes spricht als du. In manchen Situationen kommen einem vielleicht Lebenswege wie ein Labyrinth vor und manchmal sind sie es auch. "Wollten und wagten wir eine Architektur nach unserer Seelen-Art [...] so müßte das Labyrinth unser Vorbild sein!" In solchen Fällen dürfte die Lösung, die Du vorgeschlagen hast ("an jeder Kreuzung und in jeder Sackgasse stets für die immer gleiche Richtung") nicht greifen. Das Leben mag vielleicht der kürzeste Weg von A nach B sein, aber es kann durchaus labyrinthisch verlaufen :)




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Alethos
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Di 31. Okt 2017, 20:41

Ja, und das Labyrinth-Sujet steht in diesem lebensphilosophischen Sinn vielleicht auch für die Einsicht, dass das Leben nicht schematisch durchlebt werden kann. Es geht nicht immer gerade aus, erstens, aber manchmal stehst du zweitens auch vor einer Wand. Rechts wie links gibt es vielleicht Wege, aber du weisst nicht im Vorneherein, ob deine Entscheidung die richtige war. Ob du damals doch besser links, statt rechts gegangen wärst. Und vielleicht zeigt das Labyrinth auch, dass wir Um- und Irrwege abschreiten müssen, um wieder bei Punkt x zu stehen, wo wir sagen müssen: ‚Da stand ich doch schon mal?‘ Und dann beginnst du von vorn, aber eben nie ganz, denn der Weg, den du mit Blick auf das zielgerichtete Vorwärtskommen eben verfehlt hast, steckt noch immer in deinen Knochen. Wir gehen ja sozusagen nie umsonst einen Weg im Leben, auch wenn es uns so erscheinen mag.

Und diese Erkenntnis, dass der Irrweg auch zum Ziel gehört, wie der Weg zum Ziel auch schon Ziel ist, zeigt doch auch, dass wir nie nur im Labyrinth stecken und nur diese eine ‚unwissende’ Perspektive, sondern dass wir auch die Perspektive der Draufsicht haben. Sie zeigt sich unter Umständen in der Hoffnung, dass es einen Ausweg gibt, immer. Und wenn nicht einen Ausweg, so doch wenigstens einen Irrweg.



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Jörn Budesheim
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Di 31. Okt 2017, 20:46

Das Animal rationale hat manchmal ganz schön zu kämpfen mit verschlungen Pfaden :-)




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novon
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Di 31. Okt 2017, 23:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 31. Okt 2017, 05:50
Was ich sagen wollte, ist folgendes: Ich schätze mal, dass Nauplios über etwas anderes spricht als du.
Und du denkst, Labyrinth ließe sich nicht allgemein begreifen, egal woran der Begriff nun angelegt wäre?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 31. Okt 2017, 05:50
In manchen Situationen kommen einem vielleicht Lebenswege wie ein Labyrinth vor und manchmal sind sie es auch. "Wollten und wagten wir eine Architektur nach unserer Seelen-Art [...] so müßte das Labyrinth unser Vorbild sein!" In solchen Fällen dürfte die Lösung, die Du vorgeschlagen hast ("an jeder Kreuzung und in jeder Sackgasse stets für die immer gleiche Richtung") nicht greifen. Das Leben mag vielleicht der kürzeste Weg von A nach B sein, aber es kann durchaus labyrinthisch verlaufen :)
Ich stehe auf, und sehe darin ein sehr grundlegendes Element etwaig gelingenden individuellen menschlichen Lebens, Authentizität. Das wäre nicht unähnlich zu Richtungsänderungen im Dimensionalen... ;)
Sprich meine Allegorie sollte auch in @Nauplios' Allegorie noch problemlos greifen.




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Jörn Budesheim
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So 5. Nov 2017, 18:46

Aristoteles: Metaphysik, 1006a, S. 8– 10 hat geschrieben : Denn dass es überhaupt für alles einen Beweis gebe, ist unmöglich, sonst würde ja ein Fortschritt ins Unendliche eintreten und auch so kein Beweis stattfinden.

Das heißt, kein Beweisverfahren führt uns auf einen letzten Grund. Mich hat das an diesen Labyrinth-Thread erinnert. Denn es bedeutet, dass wir immer mit Stellen rechnen müssen, wo uns kein Argument mehr sagen kann, welches der richtige Weg ist. So wie es im Startbeitrag auch heißt: "keine Begründbarkeit der Entscheidungen". Was hilft an solchen Weggabelungen? Evidenz, Intuition? Glück? Gar nichts?




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Alethos
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So 5. Nov 2017, 19:49

Als du deinen Beitrag verfasst hast, war ich gerade dabei, im Thema kritische Würdigung einen Beitrag vorzubereiten. Ich habe ihn jedoch vor dem Absenden gelöscht. Er handelte genau von diesem Thema der Gabelungen und dann dachte ich, schreib ihn hier, es passt zum Labyrinth-Thema :)

Also versuche ich es neu:

Ich denke, dass das Labyrinth uns zur kritischen Würdigung anhält. Er steht exemplarisch für die unerkennbare Wahrheit, die in den Gabelungen offenbar wird durch die Frage: Hier- oder da lang? Und es gibt kein eindeutiges Argument, durch das wir in Bezug auf Wahrheit sagen könnten, es weise uns den richtigen Weg.

Das Labyrinth führt uns sozusagen die Krise vor Augen, in der wir stecken :-) Eine positive, hoffnungsvolle zwar, denn das Urteil, das über uns ergeht, damals an jener Stelle richtig oder falsch gegangen zu sein, entlässt uns nie in eine Gewissheit, sondern immer wieder in einen Zweifel. Es ist diese produktive Unruhe des auf dem Weg Seins, die zuversichtlich stimmt.



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Mo 6. Nov 2017, 05:43

Ich habe eine vage Erinnerung an eine Vorlesung, in dem der Begriff der Theorie abgehandelt wurde. Leider finde ich keine entsprechenden Quellen. Theorie kommt vom altgriechische theoreîn, was beobachten, anschauen, betrachten heißt. Der Dozent meinte, um den ursprünglichen Wortsinn zu verstehen, stelle man sich am besten vor, eine Person stünde auf einer leichten Anhöhe und würde ganz uninvolviert die Landschaft vor ihr, die sich ihr offen darbietet, betrachten.

Das scheint mir der vollendete Gegensatz zu der Labyrinth Situation zu sein. In dem einen Fall ist man bereits in der Nähe der Gottes Perspektive und man betrachtet die Welt, die sich im Grunde ohne jedes Rätsel zeigt, aus der sicheren Distanz. Im anderen Fall ist man selbst in die Dinge verwickelt, droht in jedem Moment in eine ausweglose Situation zu geraten, ist keineswegs Herr der Situation und der Blick ist kein Überblick, sondern die ganze Zeit von den Dingen selbst verstellt.

Dem einen Fall geht es um die Erkenntnis um ihrer selbst willen, im anderen Fall steht in jedem Moment etwas auf dem Spiel.




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iselilja
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So 17. Dez 2017, 11:11

novon hat geschrieben :
So 29. Okt 2017, 22:03
Nauplios hat geschrieben :
Mo 21. Aug 2017, 17:11
Zur Landschaft des Labyrinths gehört einerseits ein System von Sackgassen, andererseits wird das Herausfinden nicht von diesen Sackgassen allein behindert, sondern davon, daß es keine Begründbarkeit der Entscheidungen gibt, ob man an den Weggabelungen den Weg nach rechts oder links einschlägt. Das Hindernis besteht also mehr in der Kontingenz unserer Entscheidungen. Das Labyrinth ist mit Umwegen, Rückwegen, Neuanfängen ... verbunden. Die "Systematik" des Labyrinths, daß es keine Systematik hat?
Verzichtet man auf kontingente Richtungswechsel und entscheidet sich statt dessen an jeder Kreuzung und in jeder Sachgasse stets für die immer gleiche Richtung, findet man zwangsläufig wieder heraus, selbst, wenn man sich vorher bereits verirrt haben sollte. (Ob das nun Systematik des Labyrinths wäre, bin ich mir nicht sicher, aber auf jeden Fall lässt sich so jedes Labyrinth systematisch lösen.)
Das ist eine Strategie, die nur dann funktioniert, wenn man von Anfang an weiß, dass man dort wo man rein geht auch wieder herausfinden will. Im alten Forum habe ich das mehr oder weniger in meiner Signatur zu stehen. Spannend wird es allerdings, Strategien zu entwickeln, wenn man erst im Handlungsverlauf bemerkt, dass es sich um ein Labyrinth handeln könnte. Bisher wurden dazu nur Strategien entwickelt, die sich auf Ariadnes Faden berufen und mit Alternation arbeiten. Das heißt, kommt man das Ende des Fadens ohne das Labyrinth dabei verlassen zu haben, ist man im Kreis gelaufen und muss an diesem Punkt die Richtung alternieren. Also eine TryErrorStrategie. Das Witzige ist allerdings, dass man auch mit diesen Strategien nicht erkennen kann, ob man sich weiter ins Labyrinth begibt oder auf dem Weg nach Hause ist.

Philosophisch interessant sind nun allerdings weniger die Labyrinthe, die man auf ein Blatt Papier malen kann, sondern die geistig komplexen Labyrinthe wie bspw. Ideologien, aus denen man vielleicht zu Lebzeiten noch herausfindet. :-)




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Jörn Budesheim
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So 17. Dez 2017, 15:55

iselilja hat geschrieben :
So 17. Dez 2017, 11:11
Das ist eine Strategie, die nur dann funktioniert, wenn man von Anfang an weiß, dass man dort wo man rein geht auch wieder herausfinden will.
Yepp, wichtiger Punkt. Denn dann weiß man an keiner Kreuzung oder Sackgasse, ob man überhaupt in einem Labyrinth ist und zudem in einem statischen.




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iselilja
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So 17. Dez 2017, 16:23

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 17. Dez 2017, 15:55
Denn dann weiß man an keiner Kreuzung oder Sackgasse, ob man überhaupt in einem Labyrinth ist und zudem in einem statischen.
Ich habe eben mal Google bemüht aber leider nichts finden können. Was meinst Du mit statisch?




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