Günter Kunert wird 90

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Günter Franz
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Fr 26. Apr 2019, 21:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 11. Apr 2019, 11:53
Wir kommen da nicht zusammen :-) Eine Benachteiligung ist eine Benachteiligung, auch wenn es andere noch gravierendere Benachteiligungen gibt. Ich sehe daher keinen Grund, sowohl gegen eine Benachteiligung in der Sprache als auch beim Lohn und gegen jede andere Benachteiligung auch zu sein.
Ich komme da nicht mit. Warum soll frau nicht gegen JEDE Benachteiligung sein? Fehlt da ein "nicht"?
So zum Beispiel: "Ich sehe daher keinen Grund, NICHT sowohl gegen eine Benachteiligung in der Sprache als auch beim Lohn und gegen jede andere Benachteiligung zu sein."




Günter Franz
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Fr 26. Apr 2019, 21:49

TsukiHana hat geschrieben :
So 14. Apr 2019, 14:32
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 14. Apr 2019, 08:47
[der] Wunsch nach einer schönen Sprache und nach einer angemessenen Ausdrucksweise...
Wenn ich versuche die gegenwärtige Situation/Debatte als "Experimentierphase" zu betrachten, stimmt es mich schon etwas milder. Schließlich muss ich mich an diesen "Experimenten" nicht beteiligen, da ich unsere Sprache - so wie sie ist! - liebe. Sollte der Ausgang dieser "Experimente" (Jungs, viel Spaß dabei! :D ) der Schönheit der Sprache, die sich am deutlichsten für mich in ihrem poetischen Gehalt zeigt, schaden...

...dann steige ich ganz gewiss auf die Barrikaden! :lol:
Liebe Tsuki, ich habe meinen Spaß bei diesen Experimenten! Sie sind so schön irritierend ;o)
Verstehe ich Dich richtig, dass Du keinen Änderungsbedarf in Richtung mehr Sichtbarmachung von euch "Mädels" siehst?
Auch ich will unserer Sprache nicht schaden, da man mit ihr fraulich spielen kann!
Aber welcher Möglichkeiten würden wir uns berauben, wenn wir mal (fast) rein weiblich schreiben würden?
Der Poesie wohl nicht, denn die bisherigen fast "rein männlichen Äonen" haben doch dazu geführt, dass unsere Sprache so ist, wie Du sie liebst. Dieser poetische Gehalt wäre (wie bisher auch) mit fast "rein weiblichen" Schreibweisen möglich. Ich melde mich freiwillig für einen Versuchstext!




Günter Franz
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Fr 26. Apr 2019, 22:20

Friederike hat geschrieben :
Do 11. Apr 2019, 15:47
TsukiHana hat geschrieben :
Do 11. Apr 2019, 10:35
Die aufgesetzte Forderung, wonach die Sprache jetzt nun unbedingt "weiblicher" werden soll/muss, ist für mich pure Heuchelei, wenn die Lohnungleichheit, die ja politisch viel leichter zu beheben wäre, immer noch so selbstverständlich ist, wie heute.
Dazu fällt mir der Begriff der "Solidargemeinschaft" ein, und auch heute noch, nach 60 Jahren "alle Jahre wieder" - Diskussion, sind die Beamten nicht beteiligt.

Eigentlich zeigt das Beispiel gut beide Aspekte. 1. Wie man mit Worten die soziale Praxis vernebelt (die Bedeutung der Sprache) und 2. den von Dir hervorgehobenen Punkt, daß die politische Umsetzung wie ein Felsumstürzen ist.
Wenn man es bei einer rein sprachlichen besseren Sichtbarkeit des Weiblichen belässt und sonst nichts grundlegend ändert, bleibt es klar Makulatur.
Wirklich und unmittelbar wirksame Maßnahmen wie eine Gleichberechtigung durch echte Lohngleichheit, pensionssichernde Anerkennung von Kindererziehungszeiten oder Pflegezeiträumen (ohne Pensionsversicherungsbeiträge!), jeglicher ehrenamtlicher Tätigkeit (für alle Geschlechter) kämen tatsächlich einem Felsumstürzen gleich, aber einem sehr heilsamen!
Und dass wir uns das nicht leisten könnten, wird man selbst nach meinem bescheidenen volkswirtschaftlichen Wissen nicht belegen können, nehme ich an. Weit eher könnte man belegen (was meines Erachtens schon getan wurde), dass wir es uns zunehmend NICHT (mehr) leisten können, Unmengen von "Solidarbeiträgen" aller Art abfließen und den Gemeinwesen abhanden kommen zu lassen. Ich erinnere dazu beispilsweise an Hermann Scheer, der erklärte, dass sich "Privatisierung" von "privare" (das Staatswesen berauben) ableitet und schon von den Römern nicht gern gesehen und geächtet wurde.

Eine letzte Frage noch: Welche unsolidarische Nichtbeteiligung von "Beamten" ist gemeint? Eine besoldungsrechtliche, auf Deutschland bezogen?




Günter Franz
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Fr 26. Apr 2019, 22:29

TsukiHana hat geschrieben :
Sa 13. Apr 2019, 12:49
Friederike hat geschrieben :
Do 11. Apr 2019, 15:26
Die eine Ungerechtigkeit betrifft die soziale Praxis, und sicher sind Benachteiligungen, die das Leben mit Haut und Haaren tangieren, direkter, unmittelbarer spürbar. Insofern haben sie mehr Gewicht als die sprachliche Ungerechtigkeit...
Wie Du - weiter oben - richtig bemerkt hast, beschäftigt uns dieser Kampf um Lohngleichheit schon etwas länger und niemand kann mir plausibel erklären, weshalb sich in mehr als einem halben Jahrhundert politisch immer noch nichts getan hat?
Nun, die Antworten sind bekannt und ich habe keine Lust sie hier zum X-tem Mal aufzuzählen. Diese Ungerechtigkeit ist so selbstverständlich geworden, dass man kaum noch darüber redet, außer 1X im Jahr, quasi symbolisch, am "Internationalen Frauen-Tag". Sorry... da kriege ich das KOTZEN!
Für mich ist JEDER Tag ein "Frauen-Tag", 365X im Jahr!
Ein Gender-Sternchen ist reine, geheuchelte "Kosmetik" an einem Zustand fortlaufender Ungerechtigkeit, die unverzüglich beseitigt gehört! :evil:

Stellen wir uns mal vor, was mit der Sprache fast automatisch passieren würde, wenn Frauen für gleiche Arbeit auch gleichen Lohn erhalten würden?
Ich behaupte jetzt einfach mal, sie würde sich verändern.
Vergiß die Gender-Sternchen, das muss besser gehen! Es wäre jedoch hoch spannend, zu beobachten, was sich sprachlich durch wirklich gleichen Lohn tun würde!




Günter Franz
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Fr 26. Apr 2019, 22:40

TsukiHana hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2019, 23:01
Doch die Geschichte behält Gestalten des Scheiterns im Sinn... :D
Und Psychologen analysieren heute noch das Vater-Sohn-Drama mit allen Folgen.
Es gibt so viele Spielarten davon. ;)




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TsukiHana hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2019, 22:45
Eigentlich hatte ich schon immer den leisen Verdacht, dass Ikarus vielleicht sogar eine gewisse Genugtuung, oder gar Lust aus seinem Scheitern gezogen hat...
Warum das? Genugtuung wofür, Lust woran?
Was vermutest Du dahinter?




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Jörn Budesheim
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Günter Franz hat geschrieben :
Fr 26. Apr 2019, 21:31
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 11. Apr 2019, 11:53
Wir kommen da nicht zusammen :-) Eine Benachteiligung ist eine Benachteiligung, auch wenn es andere noch gravierendere Benachteiligungen gibt. Ich sehe daher keinen Grund, sowohl gegen eine Benachteiligung in der Sprache als auch beim Lohn und gegen jede andere Benachteiligung auch zu sein.
Ich komme da nicht mit. Warum soll frau nicht gegen JEDE Benachteiligung sein? Fehlt da ein "nicht"?
So zum Beispiel: "Ich sehe daher keinen Grund, NICHT sowohl gegen eine Benachteiligung in der Sprache als auch beim Lohn und gegen jede andere Benachteiligung zu sein."
Ja, da fehlt ein "nicht" :)




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Jörn Budesheim
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Günter Franz hat geschrieben :
Fr 26. Apr 2019, 22:20
Wenn man es bei einer rein sprachlichen besseren Sichtbarkeit des Weiblichen belässt und sonst nichts grundlegend ändert, bleibt es klar Makulatur.
Ich frage mich, ob das überhaupt möglich ist?! Ist es möglich, dass wir nur die Sprache ändern und alles andere bleibt gleich? Logisch gesehen vielleicht...

Was ist Macht?

Können wir ernsthaft bestreiten, dass die Art und Weise wie wir sprechen, die Art und Weise wie wir denken und die Art und Weise wie wir die Welt sehen beeinflusst? Ist es nicht so, dass jemand der anders denkt, auch anders handelt?




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TsukiHana
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Günter Franz hat geschrieben :
Fr 26. Apr 2019, 21:49

Verstehe ich Dich richtig, dass Du keinen Änderungsbedarf in Richtung mehr Sichtbarmachung von euch "Mädels" siehst?
Lieber Günter,

ich gestatte es mir eine eigene Sicht auf die "Weiblichkeit" und würde mir generell eine andere Sichtbarmachung wünschen, als es derzeit der Fall ist.
Sprache unterliegt dauernd Veränderungen, auch wenn wir es im Alltag vielleicht nicht so schnell bemerken.
So bin ich mir absolut sicher, dass eine wirkliche Gleichberechtigung (nicht nur die scheinbare auf dem Papier) einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Sprache hätte.
Die derzeitigen "Experimente" sehe ich eher als Verunstaltung der Sprache, keineswegs jedoch als eine Bereicherung. Auf die Poesie gehe ich später ein.
Und gar so männlich ist die deutsche Sprache nicht. Ist Dir schon mal aufgefallen, dass der Plural fast durchgehen weiblich ist? :D



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TsukiHana
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Sa 25. Mai 2019, 21:42

Nebenbei habe ich mit der Lektüre von Kunert`s "Die zweite Frau" begonnen...

"Als Günter Kunert vor 45 Jahren den Roman Die zweite Frau schrieb, da war er 45, und er wusste: Diese Orgie aus Spott und Hohn über die DDR würde in der DDR niemals erscheinen. Also versteckte er das Manuskript in einer Kiste. Dann wurde Wolf Biermann ausgebürgert, damals im November 1976, es kam zu dem berühmten Brief namhafter Künstler, in dem die Regierung gebeten wurde, die Ausbürgerung zurückzunehmen. Auch Kunert unterschrieb ihn. Das war der Anfang vom Ende, der sich schon in der Zweiten Frau angekündigt hatte. 1979 reiste Kunert samt Ehefrau und sieben Katzen in den Westen, und die Kiste gelangte nach diversen Umzügen in den Keller jenes alten Schulhauses in Kaisborstel nördlich von Itzehoe, wo Kunert bis heute lebt.

Als er kürzlich aufräumte – ein Glück, dass er’s tat –, fand er das längst vergessene Machwerk und fand es gar nicht schlecht. Mit Recht. Zwar ist daraus mittlerweile ein historischer Roman geworden, der all jenen, die mit Kürzeln wie SED oder MfS (Ministerium für Staatssicherheit) nicht viel anfangen können, vermutlich spanisch vorkommt, der aber für all jene, die unter Ostalgie leiden, ein gutes Gegengift darstellt. Der Held der Erzählung sucht ein Geburtstagsgeschenk für seine Frau, erlebt die nur milde überzeichneten Absurditäten der Mangel- und Planwirtschaft und gelangt schließlich in einen jener Läden ohne Schaufenster, die Intershop hießen und wo man alles kriegen konnte – für Westgeld. Beim Warten in der Schlange kommt er mit einem Mann ins Gespräch, und da unser akademisch gebildeter Held an einer fast schon krankhaften Montaigne-Manie leidet, konfrontiert er den Gesprächspartner mit einem ziemlich tückischen Montaigne-Zitat. Wer denn das sei? Ach, nur ein alter Franzose. Dies kommt der Stasi zu Ohren. Sie wirft ihm unerlaubten Kontakt zu einem Ausländer namens "Mohnteine" vor. Kunert muss beim Schreiben seinen grimmigen Spaß gehabt haben.

Gerade ist er 90 Jahre alt geworden. Er hat mehr erlebt, als man eigentlich ertragen kann, die Ermordung seiner Verwandten (die Mutter war Jüdin), die Zerstörung Berlins, die Hoffnung auf ein besseres Deutschland, den Bau der Mauer, den Terror der Stasi. Davon erzählt er in seinem fulminanten Erinnerungsbuch Erwachsenenspiele (1997). Er galt schon in jungen Jahren als Genie, schrieb Gedichte, deren lakonische Schärfe an Brecht erinnerte (mit dem er befreundet war), Drehbücher zu Filmen, die nie gedreht wurden, Erzählungen, Satiren, Essays, die zumeist nur im Westen erschienen. Überdies ist er ein virtuoser Zeichner, der die Pointe, die Groteske überaus liebt.
Natürlich ist er nicht mehr so beweglich wie früher, liegen die Katzen von einst längst unter der Erde, und seine geliebte Frau Marianne, die ihm mehr war als Stab und Stecken, lebt auch nicht mehr. Doch als ich ihn vor gar nicht langer Zeit da draußen besuchte, wirkte sein sarkastischer Witz ganz ungebrochen. Vielleicht war er noch ein bisschen pessimistischer geworden, er würde sagen: realistischer. Der Mensch, so schreibt er in seinen Verspäteten Monologen (1981), fühle sich nur in dem wohl, was er sich erklären könne. Kunert nennt es "Kausalbegehren". Der Erfolg des Marxismus komme daher, dass er das Kausalbegehren ein für alle Mal befriedige. An die Stelle des Marxismus sind heute andere Ismen getreten. Mit Kunert hält man sie leichter aus... "


Quelle: https://www.zeit.de/2019/11/zweite-frau ... nert-roman
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Wozu die Tage zählen!?
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Jörn Budesheim
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So 22. Sep 2019, 20:06

Günter Kunert ist am Samstag gestorben

https://www.ndr.de/kultur/buch/Schrifts ... rt170.html




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Jörn Budesheim
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Di 24. Sep 2019, 07:30

der Philosoph Peter Hodina bei Facebook hat geschrieben : Günter Kunert (am selben Tag, dem 21.9.2019, verstorben wie der Kosmonaut Sigmund Jähn, der erste Deutsche im Weltall) schrieb folgendes Gedicht:

LAIKA
In einer Kugel aus Metall,
Dem besten, das wir besitzen,
Fliegt Tag für Tag ein toter Hund
Um unsre Erde
Als Warnung,
Daß so einmal kreisen könnte
Jahr für Jahr um die Sonne,
Beladen mit einer toten Menschheit,
Der Planet Erde,
Der beste, den wir besitzen.




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