Peter Sloterdijk

Hier werden in unregelmäßigen Abständen Presseartikel zu Philosophen und Philosophie in der Presse veröffentlicht
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Jörn Budesheim
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So 4. Nov 2018, 07:12

Frankfurter Rundschau hat geschrieben : Peter Sloterdijk, der Gegensänger

Peter Sloterdijk ist ein Phänomen. Seine Zunft begegnet ihm mit Misstrauen, vielleicht, weil er das philosophische Handwerk gar nicht beherrscht?

Von Otto A. Böhmer

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Foto: Wikipedia

Philosophische Debatten sind, passend zur randständigen Existenz der akademischen Philosophie, die sich von Seiten der Erfolgswissenschaften eines dauerhaften Misstrauensvotums ausgesetzt sieht, eher selten geworden. Wenn sie aber, warum auch immer, entfacht werden, kann man sicher sein, dass ein Philosoph mit dabei ist: Peter Sloterdijk. Dieser Mann, den nicht wenige seiner Kollegen mit hartnäckigem Misstrauen beäugen, ist ein Phänomen: Er äußert sich zu den unterschiedlichsten Themen und scheint in einer Weise belesen zu sein, dass der normale Denksterbliche entweder vor Neid erblasst oder selbst ins Grübeln kommt, was indes nie schaden kann.

weiter lesen > http://www.fr.de/kultur/literatur/philo ... -a-1612327




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Alethos
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Sa 10. Aug 2019, 17:23

Wenn man Sloterdijk liest, so lässt sich kaum ein Programm herauskristallisieren. Jedes Phänomen, was er umschreibt, basiert im Grunde auf einer einzigen alle anderen Metaphern überspannenden Grossmetapher: Das Weltgeschehen und das zur Welt Gewordene als anthropomorphes Körperganzes zu nehmen (Athletismus, Überschusstheorien, Immunisierungspraktiken, Psychoanalytiken...) Es ist unter dieser Optik nicht ganz einfach, Sloterdijk einen Philosophen zu nennen oder einen Schriftsteller oder einen Historiker. Man muss ihn vielmehr als imaginierten Paartherapeuten einer alleinstehenden Seele verstehen, die ausser sich selbst niemanden mehr hat. Als Begleiter einer Welt, die sich nicht mehr verstehen kann als nur noch aus den Echoräumen ihrer eigenen Metaphorologie.

So gesehen kann man ihn durchaus als wahren Philosophen bezeichnen, denn er gebärdet sich als Freund der Weisheit nicht durch ein explizit aufklärerisches Programm, also durch einen erzieherischen Gestus, sondern durch ein begleitendes Mitfühlen eines Geburtshelfers für die Seele, die immer wieder Welt wird.

Aber in diesem Anspruch ist zugleich die Überspannung in seinem Stil angelegt, denn wo das Singuläre immer aus der Optik des Totalen in den Blick gerät, das Heutige aus der Perspektive des Historischen, das Kleinräumige aus der Perspektive des Universums, da kann jede noch so ausgeklügelte Versinnbildlichung nur defizitär bleiben, weil sie die gemachten Versprechen nie ganz einlösen kann. Und der Philosoph, der eine solche Philosophie betreibt, wird zum immer Suchenden, man möchte sagen, zum Süchtigen auf der ständigen Suche nach dem noch extatischeren Bild, das dieses nicht gehaltene Versprechen zu kompensieren versucht.


(im Versuch einer sloterdijkschen Sprache ausgedrückt)



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Alle lächeln in derselben Sprache.

sokrates_is_alive
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Mo 2. Nov 2020, 07:43

Alethos hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2019, 17:23
Wenn man Sloterdijk liest, so lässt sich kaum ein Programm herauskristallisieren. Jedes Phänomen, was er umschreibt, basiert im Grunde auf einer einzigen alle anderen Metaphern überspannenden Grossmetapher: Das Weltgeschehen und das zur Welt Gewordene als anthropomorphes Körperganzes zu nehmen (Athletismus, Überschusstheorien, Immunisierungspraktiken, Psychoanalytiken...) Es ist unter dieser Optik nicht ganz einfach, Sloterdijk einen Philosophen zu nennen oder einen Schriftsteller oder einen Historiker. Man muss ihn vielmehr als imaginierten Paartherapeuten einer alleinstehenden Seele verstehen, die ausser sich selbst niemanden mehr hat. Als Begleiter einer Welt, die sich nicht mehr verstehen kann als nur noch aus den Echoräumen ihrer eigenen Metaphorologie.
So gesehen kann man ihn durchaus als wahren Philosophen bezeichnen, denn er gebärdet sich als Freund der Weisheit nicht durch ein explizit aufklärerisches Programm, also durch einen erzieherischen Gestus, sondern durch ein begleitendes Mitfühlen eines Geburtshelfers für die Seele, die immer wieder Welt wird.
Aber in diesem Anspruch ist zugleich die Überspannung in seinem Stil angelegt, denn wo das Singuläre immer aus der Optik des Totalen in den Blick gerät, das Heutige aus der Perspektive des Historischen, das Kleinräumige aus der Perspektive des Universums, da kann jede noch so ausgeklügelte Versinnbildlichung nur defizitär bleiben, weil sie die gemachten Versprechen nie ganz einlösen kann. Und der Philosoph, der eine solche Philosophie betreibt, wird zum immer Suchenden, man möchte sagen, zum Süchtigen auf der ständigen Suche nach dem noch extatischeren Bild, das dieses nicht gehaltene Versprechen zu kompensieren versucht.
(im Versuch einer sloterdijkschen Sprache ausgedrückt)
Ach wäre Sloterdijk doch nur so harmlos. Im März diesen Jahres donnerte er im Interview mit der französischen Zeitung Le Point (https://www.lepoint.fr/politique/sloter ... 624_20.php#), dass sich das westliche System als ebenso autoritär erweisen werde wie das Chinas. Die Neu Züricher Zeitung ist eine wahre Fundgrube: "Denn bei Lichte betrachtet hat das demokratische Gleichheitspostulat einige Tücken: Es sind auch in der Staatsform der Volksherrschaft stets einige wenige, die über die vielen anderen herrschen. Und es sind auch einige andere wenige, die das Leben der anderen vielen zu wesentlichen Teilen mitfinanzieren." (https://www.nzz.ch/feuilleton/peter-slo ... ld.1511466) Ob Herr Sloterdijk schon einmal Statistiken zur Einkommensverteilung gelesen hat? Oder 2015 angesichts der großen Zahl an Flüchtlingen hat Sloterdijk von "Überrollung Deutschlands" und "Lob der Grenze" philosophiert (https://www.tagesspiegel.de/kultur/slot ... 93276.html). Die Zeitschrift CICERO adelte ihn sogar zum "Bollwerk gegen die Banalität"; dem kann man zustimmen, wenn einem unter Bollwerk eine schwerbewaffnete Burg vorschwebt, die auf alles schießt, was ihr Besitzer zuvor als Feind deklariert hat. Für mich hat Sloterdijk nach wie vor das Potenzial zum geistigen Brandstifter für Homophobie. Und wer wie Sloterdijk sprachliche Kompetenz beansprucht, muss sich vorhalten lassen, dass die Nutzung von "Hausarrest" im Kontext französischer Maßnahmen statt "Ausgangssperre" wohl Absicht ist und gut in das Sprachrepertoire der "Querdenker" passt. Das Gute an der ganzen Angelegenheit ist, dass er auch weiterhin zu Wort kommen wird und auch weiterhin entmystifiziert werden kann - vielleicht gibt es ja zu Weihnachten ein Gespräch Sarrazin-Sloterdijk als Geschenk für so bösgläubige Menschen wie mich. Zum Thema Presse/ Journalismus noch ein "Schmankerl" aus CICERO: "die angestellten Meinungsäußerer werden für Sich-gehen-Lassen bezahlt, und sie nehmen den Job an." Lügenpresse wollte er halt nicht sagen, "Lügenäther" klingt natürlich auch viel gebildeter. Warum Sloterdijk gegenüber vielen, tiefgründigeren Philosophen dennoch hohe Medienpräsenz im "Lügenäther" erhält, werde ich wohl auch weiterhin nicht verstehen.



"Der Teufel ist ein Optimist. Er glaubt, er könnte die Menschen schlechter machen." (nach Karl Kraus) :roll:

Timberlake
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Mi 21. Sep 2022, 19:30

sokrates_is_alive hat geschrieben :
Mo 2. Nov 2020, 07:43


Für mich hat Sloterdijk nach wie vor das Potenzial zum geistigen Brandstifter für Homophobie. Und wer wie Sloterdijk sprachliche Kompetenz beansprucht, muss sich vorhalten lassen, dass die Nutzung von "Hausarrest" im Kontext französischer Maßnahmen statt "Ausgangssperre" wohl Absicht ist und gut in das Sprachrepertoire der "Querdenker" passt.
Nur mal zur Info, welche "Weisheit" .. sokrates_is_alive ... für so wesentlich hält , dass er sie unter allen seiner Beiträge zu stehen hat ...

"Der Teufel ist ein Optimist. Er glaubt, er könnte die Menschen schlechter machen." (nach Karl Kraus)


Ich denke mal , dass dieser Spruch auch sehr gut von dem stammen könnte , von dem sokrates_is_alive behauptet , dass er das Potenzial zum geistigen Brandstifter für Homophobie hat ...

So sei mir mal im Zusammehang damit erlaubt, auf Sloterdijks Rede "Regeln für den Menschenpark" aufmerksam zu machen ..
  • Regeln für den Menschenpark ...Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den Humanismus.
    Definition: Das Scheitern des Humanismus
    In Parenthese: nach Auschwitz? Heidegger behauptet: Das Wort Humanismus muss aufgegeben werden. Die Katastrophe der Gegenwart zeigt, dass der Mensch mit seiner metaphysischen Selbstüberhöhung das Problem sei. Auch die gängigen Antworten auf die Frage nach der Humanitas: Christentum, Marxismus und Existentialismus seien lediglich Spielarten des Humanismus. Diese alle seien gekennzeichnet durch eine „unermessliche Unterlassung“: die Nicht-Stellung der Frage nach dem Wesen des Menschen.
Alethos hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2019, 17:23
Wenn man Sloterdijk liest, so lässt sich kaum ein Programm herauskristallisieren. Jedes Phänomen, was er umschreibt, basiert im Grunde auf einer einzigen alle anderen Metaphern überspannenden Grossmetapher: Das Weltgeschehen und das zur Welt Gewordene als anthropomorphes Körperganzes zu nehmen (Athletismus, Überschusstheorien, Immunisierungspraktiken, Psychoanalytiken...) Es ist unter dieser Optik nicht ganz einfach, Sloterdijk einen Philosophen zu nennen oder einen Schriftsteller oder einen Historiker. Man muss ihn vielmehr als imaginierten Paartherapeuten einer alleinstehenden Seele verstehen, die ausser sich selbst niemanden mehr hat. Als Begleiter einer Welt, die sich nicht mehr verstehen kann als nur noch aus den Echoräumen ihrer eigenen Metaphorologie.

So gesehen kann man ihn durchaus als wahren Philosophen bezeichnen, denn er gebärdet sich als Freund der Weisheit nicht durch ein explizit aufklärerisches Programm, also durch einen erzieherischen Gestus, sondern durch ein begleitendes Mitfühlen eines Geburtshelfers für die Seele, die immer wieder Welt wird.

"So gesehen" .. also in dem Sloterdijk auf die „unermessliche Unterlassung“: die Nicht-Stellung der Frage nach dem Wesen des Menschen aufmerksam macht , gebärdet er sich m.E. sehr wohl durch ein explizit aufklärerisches Programm.

Wie wollte man auch aus ein Zeitalter der Aufklärung ein aufgeklärtes Zeitalter, machen , wenn man sich vor dieser Frage drückt oder meint den Menschen weiter " metaphysisch selbstüberhöhen " zu müssen. Unter dieser Optik ist es sehr einfach Sloterdijk einen Philosophen zu nennen.
  • Von den drei Verwandlungen
    Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kamele wird, und zum Löwen das Kamel, und zum Kinde zuletzt der Löwe.
    Vieles Schwere gibt es dem Geiste, dem starken, tragsamen Geiste, dem Ehrfurcht innewohnt: nach dem Schweren und Schwersten verlangt seine Stärke.
    Was ist schwer? so fragt der tragsame Geist, so kniet er nieder, dem Kamele gleich, und will gut beladen sein.
    Was ist das Schwerste, ihr Helden? so fragt der tragsame Geist, daß ich es auf mich nehme und meiner Stärke froh werde.
    Friedrich Nietzsche .. Also sprach Zarathustra
Einem Philosophen, dem es als solches .. nach dem Schweren und Schwersten verlangt.
  • Nietzsche – Philosophie jetzt!
    »Ich kenne mein Los, es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerun an etwas Ungeheures anknüpfen…« Nietzsche selbst sieht sich als einen Denker, der mit der Tradition bricht, der alles, was bis dahin geglaubt wurde und geheiligt war, über Bord wirft. Peter Sloterdijk würdigt das Werk Nietzsches als paradigmatisch für die heutige Zeit.




Timberlake
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Sa 24. Sep 2022, 00:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Nov 2018, 07:12
Frankfurter Rundschau hat geschrieben : Peter Sloterdijk, der Gegensänger

Peter Sloterdijk ist ein Phänomen. Seine Zunft begegnet ihm mit Misstrauen, vielleicht, weil er das philosophische Handwerk gar nicht beherrscht?

Wenn denn "seine Zunft" , Sloterdijk mit Misstrauen begegnet, dann m.E. deshalb , weil er als "Gegensänger" gilt. Als jemand , der , wie im vorigem Beitrag von mir deutlich wurde , dazu neigt, mit unbequemen Wahrheiten gegen den Strich zu bürsten.
  • Eristische Dialektik
    Eristische Dialektik ist der Name eines um 1830 entstandenen Manuskripts von Arthur Schopenhauer, in dem er als Eristik oder Eristische Dialektik eine Kunstlehre beschreibt, um in einem Disput per fas et nefas (lateinisch für „mit erlaubten und unerlaubten Mitteln“) als derjenige zu erscheinen, der sich im Recht befindet.
    ...
  • Kunstgriff 38
    Das Argumentum ad personam ist ein Ausweg, wenn der Gegner zu gewinnen scheint. Es wird vom Gegenstand des Streits abgewichen und die Person des Gegners verbal angegriffen.
Übrigens würde ich die in Fragestellung seiner Fähigkeiten, als Grund für das Misstrauen , zu jenem Kunstgriff zählen , von dem Schopenhauer sagt , dass er dann zum Einsatz kommt, wenn der Gegner zu gewinnen scheint. In sofern Sloterdijk mit seinem "Gegengesang" möglicherweise so verkehrt nicht liegt. Wie dem auch sei , für mich ist dieser "verbale Angriff" , auf seine Person , eine Unverschämtheit sondergleichen. Wo wir schon mal dabei sind , also einer Unverschämtheit aus "seiner Zunft" ..
  • Richard David Precht wirft Peter Sloterdijk Nazi-Jargon vor
    Köln Der Philosoph Richard David Precht hat seinem Kollegen Peter Sloterdijk in der Flüchtlingsdebatte Nazi-Jargon vorgeworfen. Begriffe wie "wohltemperierte Grausamkeit" klängen für ihn "nach Rudolf Höß", sagte Precht dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstag). Höß war Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz.





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