Fehlargumente der Rechten analysieren.

Argumente gehören zum Kernbestand der Philosophie. Die Argumentationstheorie ist derjenige Bereich Philosophie, der sich mit der Form und dem Gebrauch von Argumenten befasst.
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Jörn Budesheim
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Mo 12. Jun 2023, 16:29

Es soll in diesem Beitrag nicht um Rammstein gehen! Es soll darum gehen, verfehlte rechte Argumentationsmuster aufzuzeigen. Ich hab einiges an diesem Beispiel schon zusammen getragen, aber es gibt sicher viel, viel mehr. Andere Beispiele wären auch okay. Wichtig ist, die verfehlten Argumentationsmuster herauszuarbeiten. Es geht nicht um Rammstein!

Gestern oder vorgestern stieß ich im Zusammenhang mit der "Rammstein"-Debatte auf Facebook auf folgenden hanebüchenen Blog-Beitrag von Vera Lengsfeld. So etwas will ich eigentlich nicht verbreiten. Ich will es aber auch nicht unkommentiert lassen. Also hab ich auf Facebook ein paar Zeilen dazu geschrieben und ein wenig recherchiert und poste es jetzt auch hier.

https://vera-lengsfeld.de/2023/06/09/wa ... Ui6U-k_rXY

Vera Lengsfeld stellt in diesem Blogbeitrag durchgehend Behauptungen auf, die sie nicht begründet und für die sie auch keine Belege liefert.
Sie spricht z.B. von einer Kampagne und von Kampagnenbetreibern, erklärt aber nicht, was sie damit meint, nennt keine Namen und belegt ihre Aussagen nicht. Eine Kampagne ist eine gemeinsam geplante Aktion für oder gegen jemanden oder etwas, bei der in der Regel ideologische, politische Ziele im Vordergrund stehen. Aus der Tatsache, dass viele Medien über Rammstein und die erhobenen Vorwürfe berichten, folgt jedoch nicht, dass es sich um eine gemeinschaftlich geplante Aktion handelt. Allerdings entspricht diese Behauptung von Vera Lengsfeld einem bekannten rechtsextremistischen Muster, wonach die Berichterstattung der deutschen Medien gesteuert und gleichgeschaltet sei.

Sie arbeitet konsequent mit dem sogenannten "argumentum ad hominem". Unter einem argumentum ad hominem versteht man ein Scheinargument, bei dem die Position oder These eines Streitgegners durch einen Angriff auf dessen persönliche Umstände oder Eigenschaften angegriffen wird. Dem YouTuber Renzo, der wie viele andere im Artikel nicht namentlich genannt wird, wird unterstellt, er leide unter "Aufmerksamkeitsdefizit" und wolle "Quote" machen. Damit wird gegen die Person argumentiert, aber nichts zur Sache gesagt. Ob das Video gut oder schlecht recherchiert ist, spielt dabei keine Rolle.

Von einer weiteren Zeugin, deren Name wiederum nicht genannt wird, wird behauptet, sie "inszeniere sich im Netz mit aufreizenden Fotos" und das Video dauere "eine gefühlte Ewigkeit". Beides ist natürlich irrelevant. Besonders fragwürdig ist, dass kein Name genannt und keine Quelle angegeben wird, sodass es den Lesern des Artikels nicht gerade leicht gemacht wird, die Aussagen Lengsfelds zu überprüfen. Wenn ich es richtig sehe, handelt es sich um Kayla Shyx. Sie kommt im Beitrag von Renzo ausführlich zu Wort. Wer sich das bei YouTube anschaut, wird leicht erkennen, wie komplett abwegig die Zusammenfassung von Vera Lengsfeld ist.

Ein weiteres Beispiel: "Zwar hat ein Qualitätspresse-Recherche-Team nur mit einem Dutzend Frauen gesprochen, von denen lediglich zwei vage Behauptungen, dass Sex von ihnen gefordert worden sein soll." Auch hier wird die Presse von Vera Lengsfeld rhetorisch einfach gleichgeschaltet. Aber vor allem gibt es für keine der Behauptungen eine Begründung. Kein Artikel wird zitiert oder verlinkt, keine Zitate, nichts.

Weiter heißt es: "Die anfängliche Meldung, es hätte eidesstattliche Erklärungen dazu gegeben, sind nicht wiederholt worden. Solche Erklärungen, gegenüber Journalisten abgegeben, bedeuten überhaupt nichts." Bei der Bundeszentrale für politische Bildung kann man jedoch folgendes lesen: "Eine eidesstattliche Versicherung wird gegenüber einer offiziellen Stelle abgegeben. Welche Bedeutung die eidesstattliche Versicherung hat, sieht man daran, dass eine falsche eidesstattliche Versicherung eine Straftat ist. Wer eine solche falsche Aussage macht, kann mit einer Geldstrafe oder sogar mit Gefängnis bestraft werden."

Vera Lengsfeld verweist auf den Fall Kachelmann, der hat sich aber schon selbst gegen einen solchen vergleich deutlich verwehrt. Hier nachzulesen:
https://www.rollingstone.de/rammstein-k ... ch-2596969

Zudem würde der Vergleich ohnehin nichts zeigen. Denn daraus, dass manche Verdachtsberichterstattungen fragwürdig sind, folgt nicht, dass die vorliegende Verdachtsberichterstattung falsch ist. Dazu im folgenden mehr. Welche Regeln gelten für eine Verdachtsberichterstattung?

Zu Beginn ihres Blogeintrags schreibt Vera Lengsfeld: "Diese Kampagne schlägt allen rechtsstaatlichen Prinzipien ins Gesicht". Was sie damit im Einzelnen meint, erläutert sie nicht, Belege liefert sie nicht.

Nach meinen Recherchen entspricht die sogenannte Verdachtsberichterstattung jedoch rechtsstaatlichen Grundsätzen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Von Gernot Lehr, einem deutschen Medienrechtler, habe ich im Netz dazu folgendes gefunden:

"Es besteht eine häufig auftretende Spannungslage zwischen den Grundrechten der Presse- und Rundfunkfreiheit und dem Grundrecht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

[…]

Einerseits hat die Rechtsprechung erkannt, dass der öffentliche Diskussionsprozess erstickt würde, wenn die Medien nur über erwiesenes, also belegtes Fehlverhalten berichten dürften. Deshalb muss grundsätzlich bereits der Verdacht eines Fehlverhaltens zulässiger Gegenstand der Berichterstattung sein, ohne dass die Medien im Falle der Unrichtigkeit des Verdachts rechtliche Sanktionen befürchten müssten.
Dieses Haftungsprivileg der Medien im Falle der Verdachtsberichterstattung setzt jedoch die Einhaltung hoher Sorgfaltspflichten voraus, um den mit einer solchen Berichterstattung kollidierenden Persönlichkeitsrechten der Betroffenen gerecht zu werden.

Der Bundesgerichtshof [knüpft] die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung an vier zentrale Voraussetzungen [...]

[In Schlagworten zusammengefasst]
(1) berechtigtes öffentliche Informationsinteresse
(2) Mindestbestandes an Beweistatsachen
(3) sorgfältigen Recherche
(4) ausgewogene und distanzierte Darstellung des Verdachts"

Quelle: Gernot Lehr

https://ejournal.communicatio-socialis.de/.../75/71/139

Mit anderen, meinen eigenen Worten: Es kann eine angemessene Verdachtsberichterstattung geben, und es kann natürlich auch eine unangemessene und übertriebene Berichterstattung geben. Es muss in jedem Einzelfall nachgewiesen werden, dass eine der vier Voraussetzungen nicht erfüllt ist. Irgendwelche Anspielungen auf Hexenprozesse reichen da sicher nicht aus.

Sollte weiter geführt werden.




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Eiwa
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Mo 12. Jun 2023, 21:47

Ich habe den Blog gelesen. Was ich dort gelesen habe, war eine Meinung, sehr emotionsgeladen, wenig neutral, mit wenig Abstand betrachtet und einfach auf die Öffentlichkeit losgelassen - ein Phänomen der Zeit von Social Media, wo man eben schnell etwas posten kann und sich entweder Zustimmung oder eben auch den Shitstorm abholen kann, je nachdem ob man "Team A" oder "Team B" ist. :roll:

Man nimmt hier eine Information, negiert dort eine andere oder mag sie gar nicht zulassen weil vielleicht Sympathie fehlt oder aus sonstigen seltsamen menschlichen Gründen, hat schon eine Position eingenommen und hält im Idealfall einfach ganz, ganz fest an der Meinung. Kann man ganz gut daran erkennen, dass Dinge heruntergespielt werden; ("hat den Raum mit ihrer Begleiterin problemlos verlassen"), was ja zumindest aus den Schilderungen von Kayla nicht so hervorgeht.
Auch das folgende Urteil, Zitat: "Allein das zeigt, dass die Situation, die sie mit viel Aufwand und endlosen Wiederholungen als gefährlich dargestellt hat, es nicht gewesen ist." ist bestenfalls unreflektierte Meinung aus einer "Ich"-Position, ohne sich zu fragen, welche Gründe es gegeben habe könnte, die Party nicht umgehend zu verlassen. Und auch sonst liest sich der Rest eher wie das traurige, übliche heruntermachen / diffamieren des einen um eben auch Stimmung für die eigene Position zu machen.

Sowas ist, von dem was ich aus der weiten Ferne beobachten kann, leider gar nicht Mal so unüblich.

Was mir auch oft auffällt ist eben diese Sache mit "Rechts". So wirklich verstehen konnte ich das bisher nicht so richtig. Ich kenne die Frau und ihre Gesinnung nicht, aber ich hätte aus diesem Beitrag nicht geschlossen, dass sie rechts sei.
Auch, wenn ihre Behauptung einem rechtsextremistischen Muster folgen sollte, macht sie das denn schon zu einer Rechtsradikalen?
Kann es nicht sein, dass sie nicht einfach nur die Meinung des Kollektivs "Team A" stumpf nachplappert?
Das Argumentum ad hominem ist eigentlich (leider) kaum noch wegzudenken und, auch wenn ich es jetzt nicht ad hoc belegen kann, so meine ich doch ( :D ), dass das nicht nur ganz spezifisch einzuordnen sei.

Ab wann gilt man als rechts?




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Registriert: Di 22. Jun 2021, 00:50

Mo 12. Jun 2023, 23:37

Dieser Text der Frau Lengsfeld ist allein schon aus Gründen "einschlägiger ideologischer Befangenheit" (und entsprechender Tendenziösität) apriori abzulehnen. Da steht das Urteil über das "Behandelte" sowie den "üblich verdächtigen ideologischen, politischen usw. Gegnern oder gar Feinden" bereits vorher ("felsen"-)fest. Da war der Anlass oder das Thema dieses Textes lediglich ein weiterer willkommener Anlass zur üblichen (vorgefassten) Abrechnung mit besagtem politischen Gegner. Und alle vorgebliche Objektivität ist dagegen "pseudo". Solche (und hier könnte man wirklich eher sagen: "Kampagnen" - denn diese laufen über Jahre und werden von ["divers"!] interessierter Seite immer wieder gerne aufgegriffen und so die einschlägigen Narrative gefüttert) haben sich darum, wie es so schön im Volksmund heißt, "selbst disqualifiziert". Ansonsten sollte man generell auch nicht (vor allem) "Rechten" den Gefallen tun, sich ernsthaft mit ihnen und ihren "Argumenten" etc. ("auf Augenhöhe" etc.) auseinanderzusetzen und diese auch noch aufzuwerten (etwa als ernstzunehmende, womöglich noch gleichberechtigte "Verhandlungs"-Partner). "So etwas" kein Forum bieten... Mit gelinde gesagt "objektiv Unberechtigtem" ist nicht zu diskutieren.
Dass etwas trotzdem kritikwürdig sein kann, steht natürlich außer Zweifel. Aber eine Instrumentalisierung dessen, nur um das eigene, für o.g. politisch-ideologische Gegner ungenießbare Süppchen damit zu kochen, geht nicht in Ordnung. (Wie ja auch die anderen Instrumentalisierungen und "Missbrauch & Ausbeutung" usw. von Themen wie bspw. Geflüchteten, Impfpflicht, diversen Minderheiten, auch "Genderwahn", "politische Korrektheit", "cancel culture", "Identitätspolitik", "wokeness" usf. nicht einfach bloß "mies und niederträchtig" sind, sondern u. U. sogar "menschenverachtend" [und Schlimmeres!].)




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Jörn Budesheim
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Eiwa hat geschrieben :
Mo 12. Jun 2023, 21:47
Ich kenne die Frau und ihre Gesinnung nicht ...
Wiki hat geschrieben : Lengsfeld publiziert regelmäßig in rechtskonservativen und neurechten Medien („Achse des Guten“, „Junge Freiheit“).[38] Sie ließ sich von der AfD als vom Bundestag zu bestellende Vertreterin der Zivilgesellschaft im Kuratorium des Deutschen Instituts für Menschenrechte nominieren. Gewählt wurde sie nicht, da im Mai 2020 alle anderen Fraktionen gegen sie stimmten.




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Eiwa hat geschrieben :
Mo 12. Jun 2023, 21:47
Das Argumentum ad hominem ist eigentlich (leider) kaum noch wegzudenken und, auch wenn ich es jetzt nicht ad hoc belegen kann, so meine ich doch ( :D ), dass das nicht nur ganz spezifisch einzuordnen sei.
Die Tatsache, dass Rechte sich bestimmter "Werkzeuge" (unbewiesene Behauptungen, ad hominem, Whataboutism usw.) bedienen, bedeutet nicht, dass diese "Werkzeuge" per se "rechts" sind. Alle (natürlich auch Linke) können sich solcher und anderer Scheinargumente (etc.) schuldig machen. Dennoch halte ich es für sinnvoll, die in der rechten Szene üblichen Vorgehensweisen zu untersuchen und zu analysieren, damit einfach mehr Menschen solche Scheinargumente (etc.) von Rechtsaußen erkennen. Denkbar ist auch, dass man erkennt, dass bestimmte "Werkzeugkonstellationen" spezifisch rechts sind. Es würde mich nicht wundern, wenn es dazu schon Untersuchungen gäbe.




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Eiwa hat geschrieben :
Mo 12. Jun 2023, 21:47
Kann es nicht sein, dass sie nicht einfach nur die Meinung des Kollektivs "Team A" stumpf nachplappert?
Ich würde eher vermuten, dass sie selbst weniger zu den Nachplapperer:innen gehört, sondern eher zu denen, denen andere nachplappern. Gibt es den Ausdruck Vorplapperer:in?




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